Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.02.2013, Az.: L 8 SO 264/10

Anspruch auf Pflegegeld nach Sozialhilferecht; Anwendung der Besitzstandsregelung des Art. 51 PflegeVG auf später festgestellte Anwendungsfehler; Keine Anwendung der Besitzstandsregelung des Art. 51 PflegeVG auf später festgestellte Anwendungsfehler

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.02.2013
Aktenzeichen
L 8 SO 264/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 53610
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0214.L8SO264.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 16.06.2010 - AZ: S 19 SO 69/08

Redaktioneller Leitsatz

1. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit neuerer Bescheide nach dem SGB XI ist hier nach §§ 44 ff SGB X vorzugehen.

2. Die Übergangsnorm gem. Art. 51 Abs. 6 PflegeVG ist nicht einschlägig, da sie allein die Beseitigung von Auslegungsschwierigkeiten bei der Anwendung der ursprünglichen Fassung von Art. 51 PflegeVG in den Jahren 1995 und 1996 bezweckte.

3. Eine vereinfachte Korrektur von Verwaltungsakten über 10 Jahren nach dem Inkrafttreten des SGB XI zum 01.04.1995 auf heutige Anwendungsfehler verstößt gegen den ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt gem. § 37 SGB I, ist daher unzulässig.

4. Es gelten insoweit die §§ 44 ff. SGB X.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 16. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Bewilligung von nur noch 93,52 EUR Pflegegeld nach Artikel 51 Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) und begehrt die Weiterzahlung der ihr vorher gewährten Leistungen in Höhe von monatlich 167,98 EUR über den 31. Oktober 2007 hinaus.

Die 1959 geborene Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G und H anerkannt. Sie lebt bei ihren Eltern und ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig. Die Kosten der (teilstationären) Unterbringung in der WfbM werden vom Beklagten übernommen. Seit 1991 erhielt die Klägerin von der gesetzlichen Krankenversicherung eine Geldleistung für schwerpflegebedürftige Versicherte nach § 57 Abs. 1 SGB V in Höhe von 400,00 DM monatlich, außerdem bereits seit 1977 von der namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Samtgemeinde F. Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Hilfe zur Pflege nach den §§ 68, 69 BSHG, u.a. mit Bescheid vom 23. Juni 1994. Mit diesem Bescheid wurde, wie auch davor und später, neben der Hilfe zum Lebensunterhalt die als "Hilfe in besonderen Lebenslagen" bezeichnete Hilfe zur Pflege bewilligt, letztere ab Juli 1994 bis März 1995 in Höhe von 727,90 DM. Auf das Pflegegeld nach § 69 Abs. 4 Satz 2, Abs. 6 i.V.m. § 67 Abs. 6 BSHG (ab Juli 1994: 1.031.00 DM) wurde dabei gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 BSHG die Leistung nach § 57 SGB V mit 200,00 DM angerechnet, außerdem kürzte die Samtgemeinde F. das Pflegegeld um 103,10 DM (10%) nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG wegen der teilstationären Betreuung der Pflegebedürftigen.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (PflegeVG) vom 26. Mai 1994 zum 1. April 1995 beantragte die Klägerin Pflegegeld nach dem SGB XI, welches ihr von der AOK mit Bescheid vom 2. März 1995 ab April 1995 unter Berücksichtigung der Pflegestufe II in Höhe von 800,00 DM (anstelle der bisherigen Leistungen nach § 57 SGB V in Höhe von 400,00 DM) bewilligt wurde. Ein Antrag auf Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe III blieb erfolglos (zuletzt Widerspruchsbescheid der AOK vom 3. Juni 1996). Die Samtgemeinde F. bewilligte mit Bescheid vom 9. Mai 1995 rückwirkend ab April 1995 bis auf weiteres ein zusätzliches Pflegegeld nach Art. 51 PflegeVG in Höhe von 327,90 DM (bisherige Leistung 727,90 DM zzgl. bisheriges Pflegegeld nach § 57 SGB V von 400,00 DM abzgl. jetzige Leistung nach dem SGB XI in Höhe von 800,00 DM).

In der Folgezeit überprüfte die Samtgemeinde F. regelmäßig die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin und zahlte das Pflegegeld in gleicher Höhe (neben der in unterschiedlicher Höhe gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt) weiter. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2001 rechnete die Samtgemeinde F. den Zahlbetrag in Euro um und kam dabei auf einen Betrag von 167,98 EUR (577,01 EUR abzgl. Leistung nach dem SGB XI in Höhe von 409,03 EUR). Dieser Betrag wurde in gleicher Höhe (bis April 2003 neben der weiterhin gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt sowie anschließend mit getrenntem Bescheid vom 24. Juni 2003) bis Dezember 2004 bewilligt und gezahlt.

Nach Einführung des SGB XII zum 1. Januar 2005 erließ die Samtgemeinde F. am 21. Dezember 2004 einen Bescheid für die Zeit ab Januar 2005 "bis auf weiteres" mit unverändertem Zahlbetrag von 167,98 EUR. Nachdem die Zuständigkeit für die Pflegeleistungen auf den Beklagten übergegangen war, erließ dieser ohne vorherige Anhörung den hier streitbefangenen Bescheid vom 11. Oktober 2007, mit dem der Klägerin ab November 2007 Pflegegeld nach Art. 51 PflegeVG nur noch in Höhe von 93,52 EUR monatlich bewilligt wurde. Ausgehend von dem ursprünglichen Pflegegeld nach § 69 BSHG in Höhe von 1.031,00 DM zzgl. des nicht angerechneten Teils der Geldleistung für schwerpflegebedürftige Versicherte nach § 57 Abs. 1 SGB V in Höhe von 200,00 DM (zusammen umgerechnet 629,40 EUR) nahm der Beklagte nunmehr eine Kürzung des Pflegegeldes nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG um 20% des so errechneten Gesamtbetrages wegen der teilstationären Betreuung der Pflegebedürftigen vor. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2008).

Das SG Stade hat auf die am 10. Juni 2008 erhobene Klage den angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 16. Juni 2010 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin über Oktober 2007 hinaus Pflegegeld weiterhin in Höhe von 167,98 EUR monatlich zu zahlen. Bei dem Bescheid vom 9. Mai 1995 habe es sich um einen unbefristeten Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gehandelt, der nur unter den hier nicht vorliegenden Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X hätte geändert werden können. Die Sonderregelung des Art. 51 Abs. 6 PflegeVG sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei ein 20%iger Abzug nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG unzulässig, weil die Samtgemeinde F. das ihr insoweit zustehende Ermessen bereits bei der Entscheidung, eine 10%ige Kürzung vorzunehmen, ausgeübt habe. Die Kürzung sei zudem nur vom Pflegegeld selber und nicht von der Geldleistung für schwerpflegebedürftige Versicherte nach § 57 Abs. 1 SGB V vorzunehmen.

Gegen das am 12. Juli 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. August 2010 eingelegte Berufung des Beklagten. Er ist der Ansicht, es handele sich bei dem Bescheid vom 9. Mai 1995 nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Insoweit sei die Rechtsprechung der bis 2004 zuständigen Verwaltungsgerichte maßgebend, wie auch das BSG (B 8 SO 34/07 R) entschieden habe. Der Bescheid vom 9. Mai 1995 sei zudem rechtswidrig gewesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 16. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Weder eine Rücknahme des Bescheides vom 9. Mai 1995 nach § 45 SGB X noch eine Aufhebung nach § 48 SGB X sei möglich.

Außer den Gerichtsakten lagen zwei Bände Verwaltungsakten des Beklagten, den streitigen Vorgang betreffend, vor. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 i. V. mit § 153 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung über die gemäß § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht den angefochtenen Bescheid aufgehoben mit der Folge, dass die Klägerin weiterhin Pflegegeld nach Artikel 51 PflegeVG in Höhe von monatlich 167,98 EUR über den 31. Oktober 2007 hinaus erhält. Soweit das SG die Verpflichtung des Beklagten ausgesprochen hat, die Leistungen an die Klägerin auch auszuzahlen, ist dies im Sinne einer Klarstellung nicht zu beanstanden.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2008. Die Klägerin kann ihr Ziel, nämlich über den 31. Oktober 2007 hinaus die bis dahin bezogene Leistung nach Artikel 51 PflegeVG weiter zu erhalten, durch eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG erreichen. Die Leistung war ihr zuletzt mit Bescheid vom 21. Dezember 2004 ab Januar 2005 bis auf weiteres bewilligt worden. Einer Leistungsklage bedarf es grundsätzlich dann nicht, wenn mit der Aufhebung der abändernden Bescheide der ursprüngliche Bescheid seine Wirkung wieder entfaltet, die Klägerin ihr Ziel also bereits mit der Anfechtungsklage verwirklichen können (vgl nur BSG-Urteil vom 17. Juni 2008 B 8/9b AY 1/07 R m.w.N.).

Sowohl bei dem Bescheid vom 9. Mai 1995 als auch bei dem Bescheid vom 21. Dezember 2004 handelt es sich um Verwaltungsakte, mit denen ohne zeitliche Begrenzungen Leistungen zugesprochen worden sind. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, für welche Zeit Leistungen bewilligt werden sollen, ist dabei, wie ein Empfänger die Erklärung nach den Umständen des Einzelfalles verstehen muss (vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, Anhang § 54 Rdn. 3 a; BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 B 8/9b AY 1/07 R). Die im Bescheid vom 21. Dezember 2004 gewählten Formulierungen "ab dem 1.01.2005" und "bis auf Weiteres" sind eindeutig. Die dem Bescheid beigefügte Bedarfsberechnung für den Monat Januar 2005 kann angesichts dieser Formulierung nur als Berechnungsbeispiel für einen Kalendermonat verstanden werden.

Die Dauerwirkung des Bescheides vom 21. Dezember 2004 wird bestätigt durch die Vorgeschichte. Bereits mit Bescheid vom 9. Mai 1995 hatte die Samtgemeinde F. der Klägerin u.a. Hilfe zur Pflege "vom 01.04.95 bis auf weiteres" bewilligt. Die Änderungsbescheide in der Folgezeit bezogen sich überwiegend auf die mit dem Bescheid vom 9. Mai 1995 ebenfalls geregelte Hilfe zum Lebensunterhalt, lediglich die Bescheide vom 17. Dezember 2001, 24. April 2003 und 24. Juni 2003 betrafen die Hilfen in besonderen Lebenslagen. Eine Änderung der auf Dauer bewilligten Leistungen war damit lediglich im Hinblick auf die Euro-Umstellung (167,98 EUR statt bisher 327,90 DM) verbunden. Die Klägerin musste davon ausgehen, dass dieser Betrag regelmäßig weiter gezahlt wird. Die Bescheide vom 20. Dezember 2004 (Einstellung der Hilfe in besonderen Lebenslagen nach dem BSHG) und vom 21. Dezember 2004 (Gewährung von laufenden Leistungen nach dem fünften bis neunten Kapitel SGB XII, und zwar in derselben Höhe wie zuvor) unterbrechen lediglich für eine logische Sekunde die ursprüngliche Dauerleistung wegen der Einführung des SGB XII zum 1. Januar 2005. Ob sich daraus eine Weitergeltung früherer Bescheide nach dem BSHG hinsichtlich der Dauerleistung ergibt, wie das SG bei seiner Entscheidung letztlich angenommen hat, bedarf keiner Entscheidung, weil, wie ausgeführt, auch der Bescheid vom 21. Dezember 2004 ein solcher mit Dauerwirkung ist.

Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass entgegen der wohl vom Beklagten vertretenen Auffassung auch unter dem Geltungsbereich des BSHG die damals zuständigen Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsakte mit Dauerwirkung kannten, die nur bei Vorliegen der gesetzlich geregelten Voraussetzungen zurückgenommen oder aufgehoben werden durften (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 28. September 1995 5 C 21/93, Juris). Das BSG hat dies nie in Frage gestellt (s. hierzu Urteil vom 28. Oktober 2008 B 8 SO 33/07 R, Juris RdNr. 14). Das vom Beklagten erwähnte Urteil des BSG vom 24. März 2009 B 8 SO 34/07 R betraf die Anwendung materiellen Rechts und enthält keinerlei Ausführungen zu der Frage, ob vor Inkrafttreten des SGB XII Verwaltungsakten Dauerwirkung zugemessen werden konnte.

Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2008, mit dem in die Rechte der Klägerin aus früheren bestandskräftig gewordenen Bescheiden eingegriffen wird, ist deshalb an den §§ 44 ff SGB X zu messen. Die vom Beklagten herangezogene Vorschrift des Art. 51 Abs. 6 PflegeVG ist nicht einschlägig, worauf das SG bereits zutreffend hingewiesen hat. Die Vorschrift diente lediglich der Beseitigung von Auslegungsschwierigkeiten bei der Anwendung der ursprünglichen Fassung von Art. 51 PflegeVG in den Jahren 1995 und 1996 und ermöglichte ausschließlich eine vereinfachte Korrektur von Verwaltungsakten, die nicht den Regelungen des Art. 51 Abs. 1 bis 5 PflegeVG in der zum 1. April 1995 rückwirkend in Kraft gesetzten Fassung entsprachen. Eine Anwendung auf über zehn Jahre später angenommene Anwendungsfehler bei der ursprünglichen Entscheidung, wie hier von der Beklagten beabsichtigt, ist nicht mehr durch § 37 SGB I (Vorbehalt abweichender Regelungen) gedeckt und damit unzulässig. Insoweit gelten die §§ 44 ff SGB X.

Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 21. Dezember 2004 nach § 48 SGB X scheitert bereits daran, dass nach dessen Erlass keine wesentlichen Änderungen in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten sind. Mit der neuen von der Auffassung der Samtgemeinde F. abweichenden rechtlichen Beurteilung durch den Beklagten haben sich weder die tatsächlichen noch die rechtlichen Verhältnisse geändert, sondern nur deren Bewertung durch die Behörde; eine Aufhebung nach § 48 SGB X kann darauf nicht gestützt werden.

Der Beklagte hätte den Bescheid vom 21. Dezember 2004 somit allenfalls auf § 45 SGB X stützen können. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt, im Falle seiner Rechtswidrigkeit nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen sind im Einzelnen in § 45 Abse. 2, 4 SGB X geregelt. Gemäß § 45 Abs. 2 SGB X ist eine Rücknahme dann nicht möglich, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist; auf Vertrauen kann sich der Begünstigte u.a. dann nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3 der Vorschrift).

Hier bestehen bereits Bedenken, ob der ursprüngliche Bewilligungsbescheid rechtswidrig war. Ohne dass dies hier einer abschließenden Entscheidung bedarf, spricht überwiegendes dafür, dass die Berechnungsweise der Samtgemeinde F. zutreffend war. Die Kürzung des Pflegegeldes nur vom Pflegegeld selber und nicht von der Geldleistung für schwerpflegebedürftige Versicherte nach § 57 Abs. 1 SGB V entspricht dem Gesetzeswortlaut des § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG; danach kann bei teilstationärer Betreuung des Pflegebedürftigen "das Pflegegeld angemessen gekürzt werden". Dies bezieht sich auf das Pflegegeld nach dem BSHG, dessen Höhe in § 69 Abs. 4 Satz 2 BSHG mit 1.031,00 DM (ab 1. Juli 1994) bestimmt war (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1995 5 C 3/94, Juris, RdNr. 9). Bei der Entscheidung der Samtgemeinde F. über den nach Ermessen zu bestimmenden Kürzungssatz kann eine Rechtswidrigkeit ohnehin nicht angenommen werden. Ermessensentscheidungen sind selbst vom Gericht nur darauf zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG); ein derartiger Fall liegt hier bei einer Kürzung um 10 v.H. nicht vor.

Zudem ist das Vertrauen der Klägerin auf den Bestand des Bescheides vom 21. Dezember 2004 schutzwürdig. Weder hat sie den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X), noch beruht der Verwaltungsakt auf Angaben, die die Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2 der Vorschrift); Anhaltspunkte dafür, dass sie die von der Beklagten zudem nur behauptete Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3), sind nicht ersichtlich. Da der Bescheid vom 21. Dezember 2004 (ebenso wie die früheren Bescheide) auch mit keinem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs versehen war, konnte dieser nach Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ohnehin nicht mehr zurückgenommen werden.

Schließlich hat der Beklagte das bei Anwendung des § 45 SGB X erforderliche Ermessen nicht ausgeübt.

Eine Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X setzt grundsätzlich eine Ermessensentscheidung voraus ("darf nur "). Eine dies modifizierende Sonderregelung sieht weder das SGB XII noch das PflegeVG vor, anders als beispielsweise das SGB III (dort § 330 Abs. 2) oder das SGB II (dort § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr 1, unter Verweis auf § 330 Abs. 2 SGB III). Bei der durch § 45 SGB X ermöglichten Durchbrechung der Bindungswirkung von Verwaltungsakten (§ 77 SGG) ist zu beachten, dass ein Betroffener grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns vertrauen darf und vor der Rücknahme geschützt sein soll. Um den Widerstreit zwischen der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und dem Vertrauen des Betroffenen in die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung zu lösen, muss im Einzelfall eine Abwägung darüber erfolgen, welches Interesse überwiegt, das der Allgemeinheit auf Herstellung eines gesetzmäßigen Zustands oder das des Begünstigten an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustands (vgl auch BSG Urteil vom 11. April 2002 B 3 P 6/01 R ZfS 2002, 329 [BGH 16.04.2002 - VI ZR 227/01], Juris, m. w. N.).

Weder der angefochtene Bescheid vom 11. Oktober 2007 noch der Widerspruchsbescheid enthalten irgendwelche Ermessenserwägungen. Der Vortrag des Beklagten im Berufungsverfahren deutet zudem darauf hin, dass ein Ermessen gar nicht ausgeübt werden sollte, weil rechtsirrig von einem Verfahren nach Art. 51 Abs. 6 PflegeVG ausgegangen wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.