Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.02.2013, Az.: L 2 LW 11/12

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.02.2013
Aktenzeichen
L 2 LW 11/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64256
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 15.08.2012 - AZ: S 10 LW 2/12

Tenor:

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 15. August 2012 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Beklagten werden Gerichtskosten in Höhe von 83,30 € auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die beklagte Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Sozialgericht ihre Rechtsvorgängerin, die Alterskasse für den Gartenbau, zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente an die Klägerin verurteilt hat.

Die im Mai 1957 geborene Klägerin erlernte in der Zeit von April 1975 bis April 1978 den Beruf der Großhandelskauffrau. Anschließend war sie im selben Betrieb bis Februar 1981 als Datentypistin beschäftigt. Nach Arbeitslosigkeit wurde sie in der Zeit von Februar 1982 bis Januar 1984 zur Floristin umgeschult. In den folgenden Jahren arbeitete sie im Gartenbaubetrieb des Ehemannes bis zur Betriebsaufgabe im November 1994 im Rahmen der familienhaften Mithilfe mit; für diese Jahre sind für sie entsprechend Beiträge zur Rechtsvorgängerin der Beklagten entrichtet worden.

Die Klägerin ist Mutter von 5 Kindern, die im Februar 1984, März 1986, November 1990, März 1995 sowie Juli 1999 geboren sind.

Im Oktober 2005 stellte die Klägerin bei der DRV Bund einen Antrag auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Diese lehnte mit Bescheid vom 01. Juni 2006 die Gewährung der Erwerbsminderungsrente ab. Mit dem dagegen am 28. Juni 2006 eingegangenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr rechter Arm und die Hand seien schmerzhaft bewegungseingeschränkt, bei sitzender Tätigkeit bestehe Thrombosegefahr wegen Zustands nach Venenoperation linkes Bein 2001 und sie leide außerdem unter Migräneattacken. Die Beklagte zog Befundberichte des Neurologen H., der Orthopäden D. I. bei, denen weitere Arztunterlagen beigefügt waren. Die Klägerin legte ein Attest der Ärztin J. vom 03. November 2006 (Tendovaginitis rechte Hand, Dupuytren-Kontraktur rechte Hand) vor. Die Begutachtung durch den Facharzt für Nervenheilkunde Dr. K. lehnte sie ab. Nach beratungsärztlicher Stellungnahme nach Aktenlage wies die DRV Bund den damaligen Widerspruch mit Bescheid vom 29. Januar 2007 zurück.

Daraufhin hat die Klägerin Klage gegen die DRV Bund beim Sozialgericht Lüneburg (S 13 R 98/07) erhoben. Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Orthopäden und Rheumatologen Dr. L. vom 06. Juni 2008 und ein dieses Gutachten einbeziehendes neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. M. vom 31. Oktober 2008 eingeholt. An Diagnosen wurden auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet mitgeteilt: akzentuierte Persönlichkeit mit histrionischen und paranoiden Zügen, gewöhnliche Migräne leichten Grades und auf orthopädischem Fachgebiet: leichte Verschleißerscheinungen der HWS und LWS, beginnende Degeneration beider Kniegelenke, beginnende Degeneration an der schulterstabilisierenden Muskulatur sowie Varikosis beider Beine und Stressinkontinenz der Blase bei Uterusvergrößerung. Eine eingeschränkte Belastbarkeit der Kniegelenke und der Wirbelsäule wurde festgestellt, jedoch keine Einschränkung bei der Gebrauchsfähigkeit der Hände. Die Klägerin wurde von den Sachverständigen für in der Lage gehalten, leichte bis kurzfristig auch mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen oder im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen auszuüben. Sie sei nicht in der Lage, Lasten über 5 kg regelmäßig zu tragen oder zu heben und könne nicht in Zwangshaltungen, nicht in gebückter Haltung und nicht im Knien arbeiten, sie könne nicht klettern und steigen. Tätigkeiten könne sie vollschichtig ausüben. Die Gehfähigkeit sei zwar eingeschränkt, jedoch seien mindestens 750 m Anmarschstrecke täglich zumutbar. Dabei könne von einem üblichen Zeitrahmen von 20 Minuten/500 m ausgegangen werden, das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel sei zumutbar.

Während des seinerzeit gegen die DRV Bund anhängigen Rentenstreitverfahrens hat die Klägerin im März 2009 auch bei der Alterskasse für den Gartenbau um die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nachgesucht. Nach Beiziehung von Unterlagen aus dem bereits anhängigen Verfahren bei der DRV Bund lehnte diese den Antrag mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 ab; dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 3. November 2009.

In dem weiterhin anhängigen Verfahren gegen die DRV Bund hat das Sozialgericht Lüneburg ergänzend ein orthopädisches Gutachten von Dr. L. vom 06. August 2009 eingeholt. Als neue Diagnose teilte er eine geringgradige Verschleißerkrankung der Fingermittel- und -endgelenke beidseits mit endgradiger Bewegungseinschränkung, subjektiver Kraft- und Funktionsminderung mit. Objektivierbare erhebliche Funktionseinschränkungen und eine veränderte Beurteilung des Leistungsvermögens ergaben sich nicht. Das Sozialgericht hat auf dieser Grundlage mit Gerichtsbescheid vom 28. Oktober 2009 die damalige Klage gegen die DRV Bund abgewiesen. Die Klägerin sei weder voll- noch teilweise erwerbsgemindert. Sie könne den bisherigen Beruf der Floristin vollschichtig ausüben.

Hiergegen hat sich die Klägerin seinerzeit mit der am 03. November 2009 eingegangenen Berufung gewandt (L 2 R 571/09) und ihr Begehren weiterverfolgt, die DRV Bund zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente zu verpflichten. Sie hat sich dabei auch gegen die Einschätzung gewandt, sie könne noch als Floristin arbeiten, und hat zum Beleg ein "arbeitsspezifisches" Gutachten ihres Ehemannes N. O. "freier Ingenieur grad. Gartenbau" vom 28. Dezember 2009 vorgelegt.

In dem damaligen Berufungsverfahren hat der Senat Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten des Chirurgen Dr. P., der Ärztin Q. sowie durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens nach Untersuchung von Dr. R. vom 08. September 2011. Dieser teilte als Diagnosen ein stato-degeneratives Lumbalsyndrom, ein Cervicalsyndrom, eine initiale Gonarthrose und Retropatellararthrose bds., eine Polyarthrose der Fingergelenke sowie eine Osteopenie (Kalksalzmangel) mit. Eine sog. Schmerzerkrankung liege nicht vor. Die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne überwiegende Tätigkeiten in einer Körperhaltung, ohne häufige körperliche Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, häufige Überkopfarbeiten, ohne Tätigkeiten mit Knien und Hocken, häufigem Klettern oder Steigen, ohne Tätigkeiten mit häufigem kraftvollen Faustschluss bzw. mit uneingeschränkter Grobgeschicklichkeit der Hände ausüben. Die Tätigkeiten sollten auch nicht ausschließlich im Sitzen verrichtet werden, ein häufiger Wechsel der Körperhaltungen sei vorteilhaft, die Tätigkeiten könnten vollschichtig verrichtet werden. Fußwege seien mehr als 500 m in weniger als 20 Minuten zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel könnten benutzt werden, der Pkw-Benutzung stehe auch aus medizinischer Sicht für kurze Fahrtstrecken nichts entgegen.

In der mündlichen Verhandlung am 7. Dezember 2011 hat der Vertreter der damals beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund in Übereinstimmung mit der Anregung des Senats dargelegt, dass in der gebotenen Gesamtbetrachtung einerseits der psychiatrischen Persönlichkeitsstruktur der Klägerin und andererseits ihrer orthopädischen Beschwerden inzwischen keine mehr wettbewerbsfähig auszuübenden Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht zu ziehen seien. Der insoweit maßgebliche Leistungsfall sei in Angesicht des komplexen Verlaufs nicht mit Sicherheit festzustellen. Als geeigneter Anknüpfungspunkt käme aber das Auftreten von Beschwerden auch im Bereich der Finger in Betracht, wie dies etwa in dem Befundbericht von Dr. S. vom 17. April 2009 dokumentiert worden sei.

Der Vertreter der DRV Bund hat seinerzeit weiter ausgeführt, dass er den Verwaltungsvorgängen, die ihm vorlägen, nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen könne, ob bezogen auf eine von der DRV Bund zu gewährende Erwerbsminderungsrente die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben seien. Vor diesem Hintergrund sehe er sich in der heutigen mündlichen Verhandlung nicht zur Abgabe eines entsprechenden Teilanerkenntnisses bzw. zum Abschluss eines entsprechenden Vergleiches zur abschließenden Klärung des Rechtsstreits in der Lage.

Mit Urteil vom 7. Dezember 2011 (L 2 R 571/09) hat der Senat daraufhin die Deutsche Rentenversicherung Bund zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Mai 2009 verpflichtet, da er in medizinisch-berufskundlicher Hinsicht den Leistungsfall und auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bejaht hat.

Das Urteil ist rechtskräftig geworden, nachdem das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 2. April 2012 (B 13 R 9/12 B) den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abgelehnt und zugleich die entsprechende Beschwerde als unzulässig verworfen hat.

Die DRV Bund gewährt der Klägerin entsprechend rückwirkend seit 2009 eine Erwerbsminderungsrente.

Mit Bescheid vom 24. Mai 2012 hat die Alterskasse für den Gartenbau als Rechtsvorgängerin der Beklagten den dort noch anhängigen Widerspruch der Klägerin gegen die Versagung einer weiteren Erwerbsminderungsrente aufgrund der dortigen Beitragszeiten zurückgewiesen. Aus ihrer Sicht stünden die von der Sachverständigen Dr. M. aufgezeigten Einschränkungen des psychischen Leistungsvermögens der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen.

Auf die daraufhin von der Klägerin am 31. Mai 2012 erhobene Klage hat das Sozialgericht Lüneburg die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. August 2012 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Mai 2009 verpflichtet, wobei es sich zur Begründung insbesondere auch die Erwägungen des Senates in dem o.g. Urteil vom 7. Dezember 2011 zu eigen gemacht hat.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 3. September 2012. Die Beklagte geht davon aus, dass die Klägerin weiterhin sechsstündig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt werden könne. Da weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung festzustellen sei, bedürfe es auch nicht der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 15. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die 2008 gehörte Sachverständige Dr. M. ihren Gesundheitszustand auch schon für die Zukunft verbindlich festgehalten habe. Ihr damals eingeholtes Gutachten sei weiterhin gültig. Ihr Geisteszustand sei allerdings ohnehin in Ordnung.

Ihr Ehemann hat als Beistand für die Klägerin ergänzend ausgeführt, dass diese das ihr verbliebene Arbeitsvermögen im Bereich der Familie einzusetzen habe und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen könne.

Mit Beweisanordnung vom 28. September 2012 hat der Senat die Fachärztin für Nervenheilkunde Dr. T. mit der Begutachtung des Leistungsvermögens der Klägerin auf der Grundlage einer erneuten Untersuchung beauftragt. Die Klägerin hat jedoch mitgeteilt, dass sie an einer Untersuchung durch die Sachverständige nicht teilnehmen werde. Sie wolle ihren Frieden haben. Auch nachdem sie in dem daraufhin anberaumten Erörterungstermin am 16. Januar 2013 und nachfolgend noch einmal in der mündlichen Verhandlung durch den Senatsvorsitzenden eindringlich auf ihre Mitwirkungsobliegenheiten und die ihr zukommende materielle Beweislast mit den daraus resultierenden Risiken einer Nichtmitwirkung hingewiesen worden ist, hat sie an dieser Weigerung festgehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Der Senat vermag im Gesamtergebnis insbesondere angesichts der Weigerung der Klägerin, sich erneut nervenärztlich begutachten zu lassen, nicht mit der erforderlichen Verlässlichkeit die tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Erwerbsminderungsrentenanspruchs gegenüber der Beklagten festzustellen. Dementsprechend ist die angefochtene klagestattgebende Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Insoweit bedarf es einer eigenständigen Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren, da die beklagte Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau ebenso wenig wie ihre Rechtsvorgängerin an dem vorausgegangenen Verfahren L 2 R 571/09 beteiligt war und daher von der Rechtskraftwirkung des in dem damaligen Verfahren ergangenen Senatsurteils vom 7. Dezember 2011 nicht erfasst wird (§ 141 Abs. 1 SGG).

Nach § 13 Abs. 1 ALG haben Landwirte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn

1.sie teilweise erwerbsgemindert nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch sind,
2.sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlt haben,
3.sie vor Eintritt der Erwerbsminderung die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben und
4.das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist.

Landwirte haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch sind und die sonstigen Voraussetzungen nach Satz 1 erfüllt sind. Voll erwerbsgemindert ist nicht, wer Landwirt nach § 1 Abs. 3 ALG ist.

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich nach § 13 Abs. 2 ALG insbesondere um (Nr. 1) vorhergehende Zeiten des Bezuges einer Rente wegen Erwerbsminderung oder einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch und um (Nr. 2) Pflichtbeitragszeiten nach den Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung oder Zeiten einer hauptberuflich außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit sowie um (Nr. 8) Zeiten nach der Vollendung des 60. Lebensjahres, in denen das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben ist.

Nach den gemäß der erläuterten Regelung des § 13 Abs. 1 ALG heranzuziehenden Vorgaben des § 43 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, wenn sie auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert im Sinne einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich tätig werden kann.

Maßgeblich ist für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI (hier i.V.m. § 13 ALG), ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist.

Es kommt darauf an, ob der Versicherte in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Halbs 1 SGB VI). Dies setzt voraus, dass es solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt gibt; nicht entscheidend ist hingegen, ob der Versicherte eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich auch findet. Der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25). Das Merkmal "allgemein" grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen (BSG, U.v. 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 16, mwN).

Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 3 SGB VI setzt dabei nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten", sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, "erwerbstätig" zu sein, d.h. unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ein Erwerbseinkommen zu erzielen.

Unter den "üblichen Bedingungen" iS des § 43 SGB VI ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie etwa die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz. Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog Katalogfälle (vgl. dazu im Einzelnen BSGE 80, 24, 34 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28 f) einschlägig ist (BSG, U.v. 19. Oktober 2011, aaO, mwN).

Hieran anknüpfend besteht dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung schwer zugänglich sind. Eine vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe sichert, dass immer dann, wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist (oder ein Katalogfall vorliegen könnte), die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erfolgen muss, die nicht nur zu dem Vergleich von Leistungsfähigkeit und Anforderungsprofil führt, sondern auch zu der individuellen Prüfung, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht (BSG, U.v. 19. Oktober 2011, aaO, mwN).

Bezogen auf die Rentenbegehren der Klägerin hat der Senat in dem vorausgegangenen Verfahren gegen die DRV Bund am 7. Dezember 2011 (L 2 R 571/09) anknüpfend an die damalige gleichgerichtete Einschätzung des seinerzeit beklagten Rentenversicherungsträgers unter Berücksichtigung insbesondere der von der Sachverständigen Dr. M. aufgezeigten histrionischen und paranoiden Züge in der Persönlichkeit der Klägerin und der sich aufgrund ihrer ergebenden Einschränkungen namentlich ihrer Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz sowie ihrer Fähigkeit, sich in die soziale Struktur eines Arbeitsbetriebes einzuordnen, durchgreifende ernsthafte Zweifel an ihrer Einsetzbarkeit in einem Betrieb festgestellt. Auf dieser Grundlage hätte nach der vorstehend erläuterten höchstrichterlichen Rechtsprechung seinerzeit das Rentenbegehren nur bei Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit abgewiesen werden dürfen; zu einer solchen Benennung sah sich damals jedoch weder der Senat noch die seinerzeit Beklagte in der Lage.

Urteile sind unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des jeweiligen Verfahrens zu fällen (§ 128 SGG). Wenn der Senat in dem vorausgegangenen Verfahren L 2 R 571/09 von einer bereits damals durchaus in Betracht zu ziehenden weiteren psychiatrischen Begutachtung im Hinblick darauf abgesehen hat, dass im Rahmen einer lebensnahen Gesamtbewertung bereits der gutachterlichen Einschätzung von Dr. M. die fehlende Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ungeachtet des formal von der Sachverständigen weiterhin bejahten sechsstündigen Leistungsvermögens zu entnehmen war, dann war dafür natürlich auch die gleichgerichtete Gesamtbewertung des damals beklagten Rentenversicherungsträgers mitbestimmend.

Der nunmehr beklagte Rentenversicherungsträger sieht dies grundlegend anders. Darüber hinaus ist der weitere Zeitablauf zu berücksichtigen. Seit der gutachterlichen Untersuchung der Klägerin durch die Sachverständige Dr. M. sind inzwischen bald fünf Jahre vergangen. Es ist nunmehr dringend angezeigt, durch eine erneute Begutachtung im zeitlichen Querschnitt zu überprüfen, ob die damals zu erhebenden Befunde weiterhin fortbestehen und den aktuellen Gesundheitszustand widerspiegeln. Auch sollte die erneute Begutachtung gerade vertiefende Aufschlüsse zu den Wechselwirkungen zwischen den gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Einsetzbarkeit der (inzwischen 55jährigen) Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erbringen. Dabei ist natürlich auch zu berücksichtigen, dass nach Einschätzung von Dr. M. die paranoiden und histrionischen Persönlichkeitszüge höchstwahrscheinlich schon seit Ende der Jugendzeit bei der Klägerin vorgelegen haben; in jüngeren Jahren war diese gleichwohl in der Lage, erfolgreich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt an einer Berufsausbildung und nachfolgend im Erwerbsleben teilzunehmen.

Darüber hinaus ist natürlich im Rahmen der Gesamtbewertung auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Klägerin sich aus letztlich nicht nachvollziehbaren Gründen weigert, an einer erneuten Begutachtung und damit an einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, obwohl sie die materielle Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt und obwohl sie 2008 letztlich problemlos an der früheren Begutachtung durch die Sachverständige Dr. M. teilnehmen konnte. Überdies hat die Klägerin selbst in der Begründung ihres Widerspruchs vom 3. November 2009 die nur unzureichend sorgfältige Begutachtung ihrer (fehlenden) Erwerbsfähigkeit gerügt.

Da für eine Erhebung des psychischen Gesundheitszustandes zumal angesichts des Fehlens einer fortgesetzten psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlung keine weiteren verlässlichen Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen, würde einer Begutachtung des psychischen Leistungsvermögens ohne erneute Untersuchung allein nach Aktenlage die erforderliche verlässliche Erkenntnisgrundlage fehlen.

Da auch sonst keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, muss der Senat nach dem Gesamtergebnis des vorliegenden Berufungsverfahrens davon ausgehen, dass sich nicht aufklären lässt, ob, in welcher Hinsicht im Einzelnen und in welchem Umfang das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in psychischer Hinsicht beeinträchtigt sein könnte. Die sich daraus ergebenden Unwägbarkeiten gehen zu Lasten der Klägerin. Namentlich lassen sich angesichts der insoweit festzustellenden Unaufklärbarkeit des Sachverhalts in psychischer Hinsicht auch keine ernsthaften Zweifel hinsichtlich einer Einsetzbarkeit der Klägerin im Berufsleben im Sinne der erläuterten Rechtsprechung objektivieren.

In orthopädischer Hinsicht folgt der Senat mangels Erkennbarkeit einer nachfolgenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin weiterhin dem Gutachten des Sachverständigen Dr. R. vom 08. September 2011, auf das sich im Übrigen auch die Klägerin letztlich beruft. Dieser hat ein stato-degeneratives Lumbalsyndrom, ein Cervicalsyndrom, eine initiale Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits, eine Polyarthrose der Fingergelenke sowie eine Osteopenie (Kalksalzmangel) diagnostiziert. Er hat überzeugend dargelegt, dass die Klägerin nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne überwiegende Tätigkeiten in einer Körperhaltung, ohne häufige körperliche Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, häufige Überkopfarbeiten, ohne Tätigkeiten mit Knien und Hocken, häufigem Klettern oder Steigen, ohne Tätigkeiten mit häufigem kraftvollen Faustschluss bzw. mit uneingeschränkter Grobgeschicklichkeit der Hände ausüben könne. Die Tätigkeiten sollten auch nicht ausschließlich im Sitzen verrichtet werden, ein häufiger Wechsel der Körperhaltungen sei vorteilhaft, die Tätigkeiten könnten vollschichtig verrichtet werden. Fußwege von mehr als 500 m seien in weniger als 20 Minuten zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel könnten zumutbarerweise benutzt werden.

Auf der Basis dieser einleuchtenden Beurteilung des Leistungsvermögens in orthopädischer Hinsicht steht die erläuterte Ausschlussvorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI angesichts des fortbestehenden sechsstündigen Leistungsvermögens dem Rentenbegehren entgegen. Ausgehend allein von den orthopädischen Beeinträchtigungen bedarf es nach der dargelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung auch keiner konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beklagten sind die Kosten der vom Senat in Auftrag gegebenen psychiatrischen Begutachtung der Klägerin in Höhe von 83,30 € (entsprechend der Anhörung vom 28. September 2012) in Anwendung des § 192 Abs. 4 SGG aufzuerlegen. Es war für die Beklagte ohne Weiteres erkennbar, dass sie spätestens im Widerspruchsverfahren die Klägerin psychiatrisch hätte untersuchen lassen müssen, soweit sie nicht der Wertung des Sachverhalts im Senatsurteil vom 7. Dezember 2011 folgen wollte. Ohne weitere Ermittlungen konnte die Beklagte nicht mit der gebotenen Verlässlichkeit überblicken, welche konkreten Auswirkungen die von der Sachverständigen Dr. M. festgestellten paranoiden und histrionischen Persönlichkeitszüge auf die einzelnen Aspekte der im Erwerbsleben geforderten psychischen Leistungsfähigkeit hatten. Auch vermochte sie nicht verlässlich zu beurteilen, inwieweit die Bewertung durch diese Sachverständige im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung überhaupt noch aktuell war, zumal die Sachverständige ausdrücklich auf die Gefahr einer Symptomverstärkung mit zunehmendem Alter hingewiesen hatte.

Für die Beklagte war auch nicht absehbar, dass eine entsprechende Begutachtung im Ergebnis an der fehlenden Mitwirkung der Klägerin scheitern würde.

In der gebotenen Gesamtwertung erachtet es der Senat für angemessen, die durch die Beauftragung einer psychiatrischen Sachverständigen dem Gericht entstandenen Kosten in Höhe von (angesichts der Weigerung der Klägerin zur Mitwirkung nur) 83,30 € der Beklagten in voller Höhe aufzuerlegen.

Hätte die Klägerin im Berufungsverfahren mitgewirkt und hätte die Sachverständige das in Auftrag gegebene Gutachten erstatten können, wären natürlich weitaus höhere Kosten entstanden und der Beklagten nach § 192 Abs. 4 SGG aufzuerlegen gewesen.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.