Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 06.02.2013, Az.: L 11 AS 1004/14
Festsetzung von Leistungen nach dem SGB II in Form der Grundsicherung für Arbeitsuchende; SGB-II-Leistungen; Erstattungsanspruch für zu Unrecht gewährte vorläufige Leistungen; Keine Geltung der Jahresfrist
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 06.02.2013
- Aktenzeichen
- L 11 AS 1004/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 62298
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2013:0206.L11AS1004.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 28.08.2014 - AZ: S 24 AS 408/13
Rechtsgrundlagen
- § 328 Abs. 3 SGB III
- § 330 Abs. 2 SGB III
- § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X
- § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III
- § 45 SGB X
- § 48 SGB X
Redaktioneller Leitsatz
1. § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III stellt eine Spezialregelung für die Erstattung zu Unrecht gewährter vorläufiger Leistungen dar; nach dem Wortlaut des Gesetzes setzt dieser Erstattungsanspruch lediglich voraus, dass sich im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung ein im Vergleich zur vorläufigen Leistungsbewilligung geringerer Leistungsanspruch ergibt.
2. Anders als bei der Rücknahme bzw. Aufhebung von zuvor ergangenen endgültigen Leistungsbescheiden (§§ 45, 48 SGB X) sieht § 328 Abs. 3 SGB III weder eine Vertrauensschutzprüfung noch Ausschlussfristen wie z.B. die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X vor.
3. Diese im Vergleich zu §§ 45, 48 SGB X abweichenden Regelungen tragen dem unterschiedlichen Charakter von einerseits endgültigen und andererseits vorläufigen Leistungen Rechnung.
4. Es besteht nach Sinn und Zweck der vorläufigen Leistungsbewilligung kein Anlass, die Rückabwicklung von überzahlten vorläufigen Leistungen zugunsten der Leistungsempfänger verfahrensrechtlich besonders einzuschränken oder zu erschweren.
5. Die Tatsache der nur vorläufigen Leistungsgewährung sowie das Wissen des Leistungsempfängers um die Vorläufigkeit sprechen gegen eine Geltung der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X im Rahmen des § 328 SGB III.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 28. August 2014 wird aufgehoben. Die Klagen gegen den die Kläger zu 1) und 3) betreffenden Bescheid des Beklagten vom 24. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2013 (Aktenzeichen des Beklagten: L.) sowie gegen den den Kläger zu 2) betreffenden Bescheid des Beklagten vom 24. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2013 (Aktenzeichen des Beklagten: M.) werden abgewiesen. Kosten für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die endgültige Festsetzung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) sowie um die Erstattung von vorläufig gewährten Leistungen für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2010 bzw. bis 30. November 2010.
Die miteinander verheirateten Kläger zu 1) und 2) bezogen gemeinsam mit ihrem 2007 geborenen Sohn (Kläger zu 3)) im streitbefangenen Zeitraum vom Beklagten vorläufige Leistungen nach dem SGB II (vgl. für den Bewilligungszeitraum August 2010 bis Januar 2011: Bescheid vom 11. August 2010 sowie Änderungsbescheid vom 26. August 2010). Die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung beruhte darauf, dass der Kläger zu 2) Erwerbseinkommen in schwankender Höhe erzielte. Am 20. Oktober 2010 meldeten sich die Kläger aus dem Leistungsbezug ab, da sie aufgrund des aktuellen Einkommens des Klägers zu 2) nicht mehr hilfebedürftig waren.
Am 21. September 2010, 15. Oktober 2010 bzw. 12. November 2010 legten die Kläger die Gehaltsabrechnungen des Klägers zu 2) für die Monate August bis Oktober 2010 beim Beklagten vor. Daraufhin verlangte dieser wegen der in den Monaten August bis Oktober 2010 überzahlten vorläufigen SGB II-Leistungen von der Klägerin zu 1) die Erstattung von 308,88 Euro, vom Kläger zu 3) die Erstattung von 141,69 Euro und vom Kläger zu 2) die Erstattung von 308,87 Euro (zwei Erstattungsbescheide vom 24. November 2010, Absendung laut Verwaltungsakte: 3. Dezember 2010). Diese Bescheide gingen den Klägern nach ihren Angaben nicht zu. Vielmehr hätten sie von der Existenz dieser Bescheide erstmals im Zusammenhang mit einer später durch die Bundesagentur für Arbeit - BA - (in ihrer Eigenschaft als Forderungseinzugsstelle des Beklagten) veranlassten Zahlungsaufforderung erfahren. Dementsprechend teilten die Kläger dem Beklagten im Hinblick auf die Zahlungsaufforderungen der BA mit, dass ihnen keine Bescheide vom 24. November 2010 bekannt seien. Entsprechende Bescheide seien nicht zugegangen. Vorsorglich werde gegen "jegliche Bescheide" vom 24. November 2010 Widerspruch eingelegt (Schreiben vom 28. Dezember 2010).
Nach Eingang dieses Schreibens erfolgte seitens des Beklagten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr keine weitere Reaktion. Vielmehr übersandte der Beklagte die Bescheide vom 24. November 2010 erst auf nochmalige Nachfrage der Kläger (Schreiben vom 5. Dezember 2011) im März 2012 erneut (Schreiben vom 26. März 2012, abgesandt: 27. März 2012). Im weiteren Schriftverkehr bekräftigten die Kläger ihren Vortrag, wonach ihnen die beiden Bescheide vom 24. November 2011 zuvor nicht zugegangen seien.
Der Beklagte erließ im Laufe des Widerspruchsverfahrens endgültige Leistungsbescheide für den Monat Oktober 2010 (Bescheide vom 8. Oktober 2012 und 5. Februar 2013 - Leistungsbetrag: 66,93 Euro) sowie für die Monate August bis September 2010 (Bescheid vom 5. Februar 2013 - Leistungsbetrag: 0 Euro). Diese Bescheide enthielten jeweils den Zusatz, dass sie gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens würden.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 6. Februar 2013 reduzierte der Beklagte unter Bezugnahme auf die zwischenzeitlich erlassenen endgültigen Leistungsbescheide gegenüber den Klägern zu 1) und 3) den sie betreffenden Erstattungsbetrag von ursprünglich (insgesamt) 450,57 auf 410,85 Euro sowie gegenüber dem Kläger zu 2) von ursprünglich 308,87 Euro auf 281,65 Euro. Die weitergehenden Widersprüche wies der Beklagte zurück (Aktenzeichen der Widerspruchsbescheide: M. und L.).
Den hiergegen von den Klägern zu 1) und 3) unter dem Aktenzeichen S 24 AS 408/13 und vom Kläger zu 2) unter dem Aktenzeichen S 25 AS 409/13 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobenen und durch Beschluss vom 17. April 2014 verbundenen Klagen hat das SG stattgegeben. Das SG hat die Aufhebung der angefochtenen Bescheide (einschließlich der endgültigen Leistungsbescheide vom 5. Februar 2013) damit begründet, dass ein Zugang der unter dem 24. November 2010 ergangenen und laut Verwaltungsakte am 3. Dezember 2010 abgesandten Erstattungsbescheide nicht als erwiesen angesehen werden könne. Die Bescheide seien mit einfacher Post übermittelt worden. Der Zugang der Bescheide sei seitens der Kläger bestritten worden. Ebenso wenig habe im Klageverfahren nachgewiesen werden können, dass die Bescheide vom 24. November 2010 zeitnah zugegangen seien. Damit sei von einer Bekanntgabe erst zum Zeitpunkt der nochmaligen Versendung im März 2012 auszugehen. Im März 2012 habe aufgrund der in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X geregelten Jahresfrist eine Rücknahme nach Maßgabe des § 45 SGB X jedoch nicht mehr erfolgen können, sondern allenfalls bis Ende November 2011. Schließlich habe der Beklagte spätestens seit November 2010 von den Gehaltsabrechnungen Kenntnis gehabt. Die im März 2012 erstmals gegenüber den Klägern geltend gemachte Erstattungsforderung wahre diese Frist nicht. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X gelte auch für den Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 SGB III. Selbst wenn die Vertrauensschutzregelungen der §§ 45 ff. SGB X nicht zur Anwendung kämen, sei den Sonderregelungen in § 40 Abs 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs 2 SGB III nicht zu entnehmen, dass auch die Fristenregelung in § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X im Zusammenhang mit der endgültigen Leistungsfestsetzung außer Betracht bleiben solle. Die Jahresfrist werde weder in § 40 Abs 4 SGB II noch in § 330 Abs 2 SGB III ausdrücklich als nicht anwendbar aufgeführt. Daher bleibe es insoweit bei der Regelung in § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II, wonach für das Verfahren im Grundsicherungsrecht das SGB X maßgeblich sei. Die Beachtung der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X sei auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erforderlich. Im vorliegenden Fall sei der Leistungszeitraum längst abgelaufen gewesen und der Beklagte habe sich über mehr als ein Jahr nicht auf das Schreiben der Kläger vom 28. Dezember 2010 geäußert. Damit sei dem Interesse der Kläger an der Bestandskraft der ursprünglichen Leistungsbewilligung der Vorrang gegenüber dem Rückforderungsbegehren des Beklagten einzuräumen. Mit derselben Begründung hat das SG auch die den Monat November 2010 betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 24. November 2010 in der Gestalt der endgültige Leistungsbescheide vom 5. Februar 2013 sowie der Widerspruchsbescheide vom 6. Februar 2013 (Aktenzeichen des Beklagten: N. und O.) aufgehoben (Urteil vom 28. August 2014).
Gegen das dem Beklagten am 2. September 2014 zugestellte Urteil richtet sich seine am 24. September 2014 eingelegte Berufung. Er macht geltend, dass es sich bei dem Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 SGB III um eine Spezialregelung handele, für die die Jahresfrist des § 45 SGB X nicht gelte. Ein Verweis auf die Jahresfrist sei weder § 40 SGB II noch § 328 SGB III zu entnehmen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Lüneburg vom 28. August 2014 aufzuheben und die von den Klägern erhobenen Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die die Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten (Band IV und V) sowie die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten (vgl. hierzu: Schriftsätze vom 24. Juni und 20. September 2016) ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die form- und fristgerecht eingelegte und eine Erstattungsforderung von insgesamt 692,50 Euro betreffende Berufung des Beklagten ist infolge der Zulassung durch das SG statthaft. Sie ist auch begründet. Die den Bewilligungszeitraum August bis Oktober 2010 betreffenden Bescheide vom 24. November 2010 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 6. Februar 2013 (Aktenzeichen des Beklagten: L. und M.) erweisen sich als rechtmäßig. Soweit sich die Klage auch gegen die den Monat November 2010 betreffenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 24. November 2010 in der Gestalt der endgültigen Leistungsbescheide vom 5. Februar 2013 sowie der Widerspruchsbescheide vom 6. Februar 2013 richtet (Aktenzeichen des Beklagten: N. und O.), war die Klage unzulässig. Somit unterliegt das zusprechende erstinstanzliche Urteil insgesamt der Aufhebung.
Soweit das SG im angefochtenen Urteil auch Bescheide aufgehoben hat, die den Monat November 2010 betrafen, ist das SG über den zulässigen Streitgegenstand des Verfahrens hinausgegangen. Schließlich sind ausschließlich die die Monate August bis Oktober 2010 betreffenden Bescheide Gegenstand der Klage gewesen (zwei Erstattungsbescheide vom 24. November 2010, endgültiger Bewilligungsbescheid vom 8. Oktober 2012 [betreffend den Monat Oktober 2010], endgültige Bewilligungsbescheide vom 5. Februar 2013 [zwei Bescheide betreffend die Monate August/September 2010 bzw. Oktober 2010] sowie die beiden Widerspruchsbescheide vom 6. Februar 2013 - Aktenzeichen des Beklagten: M. sowie L.). Dies folgt eindeutig aus den von den Klägern in der Klageschrift angegebenen Aktenzeichen sowie aus den beiden den Klageschriften beigefügten Widerspruchsbescheiden. Die Widersprüche gegen die den Monat November 2010 betreffenden Bescheide (Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 24. November 2010 in der Gestalt der endgültigen Leistungsbescheide vom 5. Februar 2013) wurden gesondert unter den Aktenzeichen N. und O. beschieden (Widerspruchsbescheide vom 6. Februar 2013). Hierauf beziehen sich die am 12. März 2013 unter den Aktenzeichen S 24 AS 408/13 und S 24 AS 409/13 erhobenen Klagen nicht.
Die die Monate August bis Oktober 2010 betreffenden Bescheide des Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Entgegen der Auffassung des SG scheitert der vom Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch auch nicht daran, dass dieser nicht innerhalb eines Jahres seit Kenntnis des Beklagten von den tatsächlich erzielten Arbeitsentgelten erlassen worden ist. Für den Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III, der im vorliegenden Fall noch nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II (in der bis 31. Juli 2016 geltenden Fassung) anwendbar ist, gilt die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X nicht (vgl. für die Zeit ab 1. August 2016: Erstattungsanspruch nach § 41a SGB II in der Fassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl. I S. 1824).
§ 328 Abs 3 Satz 2 SGB III stellt eine Spezialregelung für die Erstattung zu Unrecht gewährter vorläufiger Leistungen dar. Nach dem Wortlaut des Gesetzes setzt dieser Erstattungsanspruch lediglich voraus, dass sich im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung ein im Vergleich zur vorläufigen Leistungsbewilligung geringerer Leistungsanspruch ergibt. Anders als bei der Rücknahme bzw. Aufhebung von zuvor ergangenen endgültigen Leistungsbescheiden (§§ 45, 48 SGB X) sieht § 328 Abs 3 SGB III weder eine Vertrauensschutzprüfung noch Ausschlussfristen wie z.B. die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X vor. Diese im Vergleich zu §§ 45, 48 SGB X abweichenden Regelungen tragen dem unterschiedlichen Charakter von einerseits endgültigen und andererseits vorläufigen Leistungen Rechnung. Schließlich begründet eine vorläufige Leistung von vornherein keinen Vertrauensschutz darauf, diese auch endgültig behalten zu dürfen. Dementsprechend entfaltet die Gewährung von vorläufigen Leistungen gerade keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung; vorläufige Leistungen stellen gegenüber der endgültigen Leistungsbewilligung ein aliud dar (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. etwa: Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 9, Rn 23 mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Soweit die §§ 45, 48 SGB X für einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen des Betroffenen, der zuvor einen begünstigenden endgültigen - möglicherweise sogar bereits bestandskräftigen - Verwaltungsakt erhalten hat, und der materiellen Rechtslage (nach der ein diesbezüglicher Anspruch nicht bzw. nicht in der bewilligten Höhe besteht) sorgen, besteht ein solcher Interessengegensatz bei nur vorläufiger Leistungsbewilligung von vornherein nicht. Bereits aus der Tatsache, dass die Leistungsbewilligung zunächst nur vorläufig erfolgt, ergibt sich, dass eine abschließende Entscheidung noch aussteht. Der Betroffene wird auf die Vorläufigkeit ausdrücklich hingewiesen (§ 328 Abs 1 Satz 2 SGB III; vgl. zu dem zusätzlichen Hinweis des Beklagten auf einen Erstattungsanspruch bei Überzahlung der vorläufigen Leistungen: S. 1 des Bescheides vom 11. August 2010).
Es besteht nach Sinn und Zweck der vorläufigen Leistungsbewilligung kein Anlass, die Rückabwicklung von überzahlten vorläufigen Leistungen zugunsten der Leistungsempfänger verfahrensrechtlich besonders einzuschränken oder zu erschweren. Schließlich dient die Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 328 SGB III im Grundsicherungsrecht dem berechtigten Interesse der Betroffenen, in einer existentiellen Notlage zumindest vorläufige Leistungen selbst dann zeitnah ausgezahlt zu bekommen, wenn eine abschließende Prüfung zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht möglich ist. Dass bei schwankendem Einkommen keine endgültigen, sondern zunächst lediglich vorläufige Leistungen zu bewilligen sind, entspricht der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R -, SozR 4-1300 § 45 Nr 12). Spiegelbildlich zu den geringen gesetzlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf vorläufige Leistungen gelten auch für die nachfolgende endgültige Leistungsbewilligung sowie für den hieraus ggf. resultierenden Erstattungsanspruch nur geringe verfahrensrechtliche Voraussetzungen. Die Tatsache der nur vorläufigen Leistungsgewährung sowie das Wissen des Leistungsempfängers um die Vorläufigkeit sprechen somit gegen eine Geltung der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X im Rahmen des § 328 SGB III.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X als Vertrauensschutzregelung oder aber als Ausdruck des Prinzips der Rechtssicherheit verstanden wird (vgl. hierzu: S. 6 des angefochtenen Urteils sowie ausführlich: SG Neubrandenburg, Urteil vom 12. November 2015 - S 14 AS 969/15 -). Selbst bei Wertung der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X als Ausdruck des Prinzips der Rechtssicherheit sind keine überzeugenden Gründe dafür ersichtlich, weshalb es im Rahmen des § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III geboten sein sollte, den Erstattungsanspruch - über den insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm hinaus - dahingehend einzuschränken, dass er nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen geltend gemacht werden kann (so allerdings: SG Neubrandenburg, a.a.O. sowie die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung). Schließlich ist allgemein anerkannt, dass es sich bei § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III um eine abschließende Spezialregelung handelt und die §§ 44ff. somit keine Anwendung finden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Juni 2014 - L 13 AS 143/11 -, Rn 18 - zitiert nach ; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07. Mai 2014 - L 18 AS 3167/12 -, Rn 18 - zitiert nach ; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Mai 2013 - L 7 AS 61/13 B -, Rn 3 - zitiert nach ; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40 Rn 73.2; Kaminski in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg), Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht - BeckOK SozR - , Stand Dezember 2015, Rn 20; Brand, SGB III, 6. Auflage 2012, § 328 Rn 27). Damit gilt im Rahmen des Erstattungsanspruchs nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III insbesondere kein Vertrauensschutz (BSG, Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 24/01 R -, SozR 3-4100 § 147 Nr 1, Rn 18; Eicher/Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 40 Rn 57; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 2016, K § 40 Rn 340-342). Es kommt grundsätzlich auch nicht auf ein etwaiges Verschulden eines der Beteiligten an (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Mai 2013 - L 7 AS 61/13 B -, Rn 6 - zitiert nach ). Damit steht auch eine mehr als einjährige Untätigkeit des Beklagten (seit Kenntnis der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte) einem Erstattungsanspruch nach § 328 SGB III nicht entgegen (vgl. zur Nichtanwendbarkeit der Jahresfrist nach § 45 Abs 2 Satz 4 SGB X: SG Berlin, Urteil vom 21. August 2013 - S 205 AS 15021/11 - zitiert nach ; SG Dortmund, Urteil vom 13. Juli 2015 - S 31 AS 3733/13 - zitiert nach ; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 40 Rn 73.2; vgl. auch Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - L 3 AS 18/12 B PKH -, Rn 22 - zitiert nach -, wonach die Voraussetzungen der §§ 44ff. SGB X insgesamt nicht gelten). In diesem Zusammenhang hat das BSG bereits entschieden, dass sich weder aus dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 Grundgesetz - GG -) noch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) etwas anderes ergibt. Vielmehr folgt gerade aus dem Wesen einer vorläufigen Bewilligung, dass der Leistungsempfänger insofern kein Vertrauen in das endgültige Behaltendürfen der Leistung haben kann (Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 24/01 R -, SozR 3-4100 § 147 Nr 1, Rn 18).
Gegen die Anwendbarkeit der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X auf den Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III spricht zudem, dass die von der Interessenlage her vergleichbare Vorschussregelung in § 42 Abs 2 Satz 2 SGB I ebenfalls keine entsprechende Ausschlussfrist vorsieht (BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 11 AL 19/09 R -, BSGE 106, 244, Rn 18 - unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 31. August 1983 - 2 RU 80/82 -, SozR 1200 § 42 Nr 2; Gutzler in: BeckOK SozR, a.a.O., § 42 SGB I Rn 14; Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, § 42 SGB I Rn 43). Die Geltung der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X lässt sich auch nicht mit einer analogen Anwendung des § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X begründen. Schließlich ist § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III lex specialis gegenüber § 50 SGB X (s.o.). Zudem ist die von vornherein nur vorläufig erfolgte und für den Leistungsempfänger als vorläufig erkennbare Leistungsbewilligung nicht mit der in § 50 Abs 2 SGB X geregelten vorbehaltlosen Gewährung von Sozialleistungen ohne Erlass eines entsprechenden Verwaltungsaktes vergleichbar (anderer Auffassung wohl: SG Neubrandenburg, Urteil vom 12. November 2015, a.a.O.). Der Senat sieht insoweit vielmehr eine Vergleichbarkeit des Erstattungsanspruchs nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III mit dem Erstattungsanspruch nach § 42 Abs 2 Satz 2 SGB I (Vorschuss), für den - wie bereits ausgeführt - die §§ 45 und 48 SGB X (einschließlich der dort geregelten Ausschlussfristen) nicht gelten (vgl. hierzu erneut u.a. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, a.a.O.).
Die Empfänger von vorläufigen Leistungen sind bei einer Nichtanwendbarkeit der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X auch nicht etwa schutzlos oder zeitlich unbeschränkt etwaigen Erstattungsverlangen des Leistungsträgers ausgeliefert. Vielmehr gilt für den Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III nach allgemeiner Meinung die vierjährige Verjährung (vgl. Kallert in: Gagel, SGB II/III, Stand 2016, § 328 SGB III Rn 90; Greiser in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: 2016, § 328 Rn 66; Düe in: Brand, SGB III, 6. Auflage 2012, § 328 Rn 27; Schmidt-De-Caluwe in: Mutschler/Schmidt-De-Caluwe/Coseriu, SGB III, 5. Auflage 2013, § 328 Rn 56; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand 2016, K § 328 Rn 256f.). Zudem kann im Einzelfall - wenn auch nicht allein wegen ca. einjähriger Untätigkeit des Leistungsträgers - ein Erstattungsanspruch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwirkt sein.
Die angegriffenen Bescheide, soweit sie die Monate August bis Oktober 2010 betreffen, erweisen sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Hinsichtlich der Berechnung des endgültigen Leistungsanspruchs der Kläger für den Monat Oktober 2010 verweist der Senat auf die ausführliche Berechnung des Beklagten in den Widerspruchsbescheiden vom 6. Februar 2013, ebenso hinsichtlich der Berechnung des bedarfsübersteigenden Einkommens in den Monaten August und September 2010. Die geltend gemachten Erstattungsbeträge ergeben sich aus der Differenz zwischen den den Klägern vorläufig gewährten Leistungen (Bescheide vom 11. und 26. August 2010) sowie den ihnen tatsächlich zustehenden SGB II-Leistungen. Auch insoweit verweist der Senat auf die nicht zu beanstandende Berechnung in den Widerspruchsbescheiden vom 6. Februar 2013 (§ 153 Abs 1 i.V.m. § 136 Abs 3 SGG). Rechenfehler sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig haben die Kläger Fehler in der Berechnung geltend gemacht, auch nicht auf die ausdrückliche Nachfrage des Senats (vgl. richterliche Verfügung vom 11. Februar 2015).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat sieht die Frage der Anwendbarkeit der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X auf den Erstattungsanspruch nach § 328 Abs 3 Satz 2 SGB III angesichts der Rechtsprechung des BSG zu dem insoweit vergleichbaren Erstattungsanspruch nach § 42 Abs 2 Satz 2 SGB I als höchstrichterlich geklärt an. Insgesamt wird in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend auch für den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Erstattungsanspruch die Anwendbarkeit der §§ 45, 48 SGB X und damit auch der Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X verneint. Die anderslautende Entscheidung des SG Neubrandenburg vom 12. November 2015, a.a.O., bietet keinen Anlass zur Zulassung der Revision, da sie vereinzelt geblieben ist (vgl. zur Revisionszulassung bei erneuter Klärungsbedürftigkeit: Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 160 Rn 8b mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).-