Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.05.1988, Az.: 18 OVG L 6/87

Freistellung als Vorstandsmitglied des Personalrates; Freistellung der Mitglieder des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit; Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Personalrats ; Wahrnehmung der Personalvertretungstätigkeit grundsätzlich während der regelmäßigen Dienstzeit ; Erstreckung der Freistellung auf den Bereitschaftsdienst

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.05.1988
Aktenzeichen
18 OVG L 6/87
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1988, 16162
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1988:0527.18OVG.L6.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 20.01.1987 - AZ: PL 14/86

Verfahrensgegenstand

Freistellung eines Personalratsmitgliedes

In dem Rechtsstreit
hat der 18. Senat - Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Niedersachsen -des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 1988
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Hamann und Ladwig sowie
die ehrenamtlichen Richter Dohr und Dr. Heidemann
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beteiligten gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen - vom 20. Januar 1987 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller erstrebt die Feststellung, daß die Freistellung des Beteiligten zu 2) auch den Bereitschaftsdienst umfaßt.

2

Der Beteiligte zu 2) ist seit 1965 bei der Stadt als ... beschäftigt, 1982 wurde er zur Wahrnehmung der Aufgaben des Antragstellers freigestellt. In der folgenden Wahlperiode beantragte der Gesamtpersonalrat mit Schreiben vom 4. Mai 1984 in Abstimmung mit den örtlichen Personalräten gemäß § 50 Abs. 3 NdsPersVG erneut u.a. die Freistellung des Beteiligten zu 2) als Vorstandsmitglied des Antragstellers zu 100 Prozent. Mit Schreiben vom 18. Juni 1984 entsprach der Beteiligte zu 1) diesem Antrag, und stellte den Beteiligten zu 2) für die Dauer der Wahlperiode in vollem Umfang von seiner dienstlichen Tätigkeit frei.

3

Im April 1985 wurde dem Beteiligten zu 2) unter entsprechender Höhergruppierung nach VergGr Kr. VI der Dienstposten des ersten ständigen Vertreters der Stationsschwester des chirurgischen Operationsdienstes am Krankenhaus ... fiktiv übertragen. In der Folgezeit kam es zwischen den Beteiligten zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Freistellung sich nur auf die regelmäßige Arbeitszeit bezog oder auch die mit dem neuen Dienstposten des Beteiligten zu 2) verbundenen Bereitschaftsdienste umfaßte, die werktags zwischen 16.00 Uhr und 7.00 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen den ganzen Tag über anfallen. Mit Schreiben an den Beteiligten zu 2) vom 28. Oktober 1985 änderte der Beteiligte zu 1) die am 18. Juni 1984 ausgesprochene Freistellung dahin ab, daß sie sich mit sofortiger Wirkung nur noch auf die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit im jeweiligen tariflich vereinbarten Umfang beziehe und Bereitschaftsdienste außerhalb dieser Zelt vom Beteiligten zu 2) gemäß dem von der Pflegedienstleitung aufgestellten Dienstplan zu übernehmen seien.

4

Der Antragsteller hat daraufhin am 29. Juli 1986 das Beschlußverfahren eingeleitet und beantragt,

festzustellen, daß entsprechend seinem Beschluß vom 22. März 1984 der Beteiligte zu 2) auch von der Erbringung von Bereitschaftsdienstleistung freigestellt ist.

5

Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,

den Antrag abzulehnen,

6

und ist ihm aus Rechtsgründen entgegengetreten.

7

Mit Beschluß vom 20. Januar 1984 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag stattgegeben, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Der Antragsteller sei antragsbefugt. Denn es sei Aufgabe des jeweils betroffenen Personalrats, die Freistellung der Mitglieder zu beantragen, §§ 50, 44 PersVG. Auch wenn der Antragsteller seinerzeit nach Abstimmung mit dem Gesamtpersonalrat diesen die Freistellung sämtlicher Personalratsmitglieder sämtlicher Personalräte bei dem Beteiligten zu 1) habe beantragen lassen, ändere dies nichts an seiner Zuständigkeit, sich gegen eine Teilrücknahme, die in der Verfügung des Beteiligten zu 1) vom 28. Oktober 1985 zu sehen sei, zu wenden. Der Beteiligte zu 1) sei auch nicht berechtigt gewesen, durch einseitige Erklärung die Freistellung des Beteiligten zu 2) zu verändern, sondern hätte das Nichteinigungsverfahren durchführen müssen. Darüber hinaus sei der Beteiligte zu 2) in der Sache auch von der Leistung von Bereitschaftsdienst freigestellt. Zwar lege § 50 NdsPersVG fest, daß eine Freistellung nur im erforderlichen Umfange zu erfolgen hat, indes dürfe insoweit nicht außer acht bleiben, daß der Beteiligte zu 2) in vollem Umfange freigestellt worden, von seinem Arbeitsplatz haushaltsrechtlich auf eine "Leerstelle" umgebucht worden sei und sein Arbeitsplatz einschließlich des auf diesem zu leistenden Bereitschaftsdienstes von einer anderen Krankenschwester unter entsprechender Eingruppierung ausgefüllt werde. Die Einbeziehung in einen Bereitschaftsdienst stelle sich deshalb als ein Fremdkörper in der jetzigen Tätigkeit des Beteiligten zu 2) dar. Zwar liege der Bereitschaftsdienst nicht in Zeiten, in denen üblicherweise Personalratstätigkeit zu leisten wäre. Indes bedeute Freistellung für Personalratstätigkeit neben den unmittelbar auf die einzelnen Bediensteten gerichteten Tätigkeiten auch, daß die Personalratsmitglieder und die Personalräte in ihrer Gesamtheit gewerkschaftliche Kontakte (§ 2 NdsPersVG) aufrechterhielten und zu diesem Zweck Veranstaltungen besuchten oder an Sitzungen und Konferenzen teilnähmen. Auch insoweit könnten sich bei der Einbindung in einen Bereitschaftsdienst Kollisionen mit der Personalvertretungstätigkeit ergeben.

8

Gegen den ihm am 6. März 1987 zugestellten Beschluß richtet sich die am 2. April 1987 eingelegte und am 30. April 1987 begründete Beschwerde des Beteiligten zu 1), mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und Insbesondere geltend macht: Der Antragsteller sei nicht antragsbefugt, weil auch die Freistellung auf Antrag des Gesamtpersonalrats erfolgt sei. In der Sache sei es für die Personalratsarbeit des Beteiligten zu 2) nicht erforderlich. Ihn von der Leistung des Bereitschaftsdienstes freizustellen. Das Gesetz gehe davon aus, daß das freigestellte Mitglied seine Personalratstätigkeit im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit ausübe. Dazu gehörten die Zeiten von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst nicht. Die Verpflichtung zu ihrer Leistung ergebe sich aus der SR 2 a zum BAT, nach deren Nr. 6 Abs. 7 im Kalendermonat je nach Stufe nur sieben bzw. sechs Bereitschaftsdienste angeordnet werden dürften.

9

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

den angefochtenen Beschluß zu ändern und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.

10

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

11

Er verteidigt den angefochtenen Beschluß.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beteiligten zu 1) vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Anhörung waren, Bezug genommen.

13

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag zu Recht stattgegeben.

14

1.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die Antragsbefugnis des Antragstellers bejaht. Unabhängig davon, ob für den Freistellungsantrag hinsichtlich seiner Vorstandsmitglieder gegenüber dem Beteiligten zu 1) der Antragsteller selbst oder der Gesamtpersonalrat zuständig war, ist der Antragsteller jedenfalls berechtigt, zur Klärung der Reichweite der vollen Freistellung seines Vorstandsmitglieds, des Beteiligten zu 2), das Verwaltungsgericht anzurufen. Denn der, Anspruch auf Freistellung im Rahmen des § 50 Abs. 3 Nds. PersVG steht nicht dem einzelnen Mitglied, sondern dem Personalrat zu, der das freizustellende Mitglied bestimmt hat. Deshalb wird auch die Rechtsstellung dieses Personalrats berührt, wenn wie hier nachträglich Streit über die Reichweite der antragsgemäß bewilligten vollen Freistellung entsteht.

15

2.

Auch in der Sache hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden, daß die vom Beteiligten zu 1) ausgesprochene Freistellung des Beteiligten zu 2) von seiner dienstlichen Tätigkeit "in vollem Umfang" seine Heranziehung zu Bereitschaftsdiensten ausschloß.

16

Gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 NdsPersVG sind die Mitglieder des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen, soweit es nach Umfang und Art der Dienststelle zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Personalrats erforderlich ist. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, daß nach diesem gesetzlichen Maßstab die Freistellung des Beteiligten zu 2) in vollem Umfang geboten war; davon geht auch der Beteiligte zu 1) aus. Seine Ansicht, daß auch eine solche volle Freistellung sich nicht auf die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegenden Bereitschaftsdienste erstrecke, trifft jedoch nicht zu. Die volle Freistellung bewirkt, daß das betreffende Personalratsmitglied auch in vollem Umfang hinsichtlich seiner dienstlichen Tätigkeit entpflichtet ist. Die Arbeitspflicht aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis entfällt für den Zeitraum der Freistellung; das Recht auf Ausübung der vertraglich vereinbarten Tätigkeit und die Pflicht, sie in der vertraglich vorgesehenen Meise zu erfüllen, ruhen während der Freistellung (BVerwGE 61, 251, 254 [BVerwG 19.12.1980 - 6 P 11/79] = PersV 1981, 509 f). Das gilt auch für solche dienstlichen Verpflichtungen, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit anfallen, wie die hier streitige Teilnahme an Bereitschaftsdiensten. Allerdings hat ein vom Dienst voll freigestellte Personalratsmitglied seine ihm zufallende Personalvertretungstätigkeit grundsätzlich während der regelmäßigen Dienstzeit wahrzunehmen (BVerwG, a.a.O.; Spohn, Nds. PersVG, 4. Aufl., § 50 Anm. 8; Lorenzen/Haas/Schmidt, BPersVG, 4. Aufl., § 46 RdNr. 85; Grabenhoff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 6. Aufl., § 46 RdNr. 13; Fischer/Goeres in GKÖD, Bd. V. § 46 RdNr. 40; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 46 RdNr. 62, m.N.). Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, daß die während der Freistellung ruhende Arbeitspflicht hinsichtlich solcher Verrichtungen wirksam bleibt oder auflebt, die außerhalb dieser regelmäßigen Arbeitszeit anfallen. Insbesondere ist es für die Reichweite der vollen Freistellung unerheblich, ob neben der in der regelmäßigen Dienstzeit auszuübenden Personalvertretungstätigkeit rein zeitlich gesehen noch die Erfüllung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis möglich wäre. Diese Möglichkeit mag für eine ganze Reihe dienstlicher Tätigkeiten zutreffen, z.B. die Teilnahme an Überstunden, Mehrarbeit, Nachtschichten wie auch für den hier in Rede stehenden Bereitschaftsdienst. Unabhängig davon, inwieweit diese Leistungen als Arbeitszeit zu bewerten sind, hat aber das voll freigestellte Personalratsmitglied aufgrund dieser völligen Entbindung keinerlei Dienst mehr zu leisten und keinerlei Arbeitsleistung zu erbringen (Fischer/Goeres, a.a.O., RdNr. 38). Dies gilt auch für den Bereitschaftsdienst, der - z.B. in einem Unglücksfan mit vielen Verletzten - beim Beteiligten zu 2) jederzeit zu einer tatsächlichen Dienstleistung führen könnte. Denn das Gesetz geht generalisierend davon aus, daß der eine volle Freistellung rechtfertigende Arbeitsumfang nach Gewicht und Bedeutung neben der dienstlichen Tätigkeit nicht mehr bewältigt werden kann und die Funktion des Freigestellten als "hauptamtlicher Geschäftsführer" des Personalrats (BVerwGE 31, 192, 195) [BVerwG 17.01.1969 - VII P 6/67] seiner früheren dienstlichen Tätigkeit einschließlich aller damit verbundenen Leistungspflichten in jeder Hinsicht gleichwertig ist.

17

Die Beschwerde war danach zurückzuweisen.

18

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

Dr. Dembowski,
Dr. Hamann,
Ladwig,
Dohr,
Dr. Heidemann