Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.02.2005, Az.: 6 B 557/04
Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Anstellungschancen; Arbeitsplatz; Benotung; berufliche Zukunft; Bewertung; juristische Staatsprüfung; konkret; mündliche Prüfung; Neubewertung; Prüfungsergebnis; Staatsexamen; Verbesserung; Verpflichtungsklage; Vorwegnahme; Vorwegnahme der Hauptsache; zweite juristische Staatsprüfung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 25.02.2005
- Aktenzeichen
- 6 B 557/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 19 Abs 4 GG
- § 9 Abs 1 S 2 JAG ND
- § 123 Abs 1 S 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen darf, mit der der Antragsteller nach bestandener zweiter juristischer Staatsprüfung eine Verbesserung der Note für die mündliche Prüfung erreichen will.
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, mit dem der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, seine in der mündlichen Prüfung vom 7. Dezember 2004 im Rahmen der zweiten juristischen Staatsprüfung erbrachten Leistungen neu zu beraten und zu bewerten, hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dazu muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass ein Anordnungsgrund besteht (d. h. eine gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist) und ein Anordnungsanspruch gegeben ist (d. h. die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erfüllt sind). Weil die einstweilige Anordnung nur zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ausgesprochen werden darf, darf sie die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen. Ausnahmen sind auch im Prüfungsrecht möglich, wenn es zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich ist, durch eine einstweilige Anordnung der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen. Für Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch gelten in den Fällen der Vorwegnahme einer Hauptsacheentscheidung strenge Voraussetzungen: Eine einstweilige Anordnung kommt nur in Betracht, wenn es für den Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten; daneben muss erkennbar sein, dass ein Hauptsacheverfahren mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 15.03.1985 - 10 OVG B 1241/85 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. vom 23.11.1999, NVwZ-RR 2001, 241; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn. 211 ff., 244 ff. m.w.N.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, 4. Aufl., Rn. 877); wenn es zu einer endgültigen, zu irreversiblen Verhältnissen führenden Vorwegnahme kommen würde, sind nicht überwiegende, sondern hohe Erfolgsaussichten erforderlich (Finkelnburg/Jank, aaO., Rn. 247). Nach diesen Maßstäben kann die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen werden.
Der Antragsteller hat die Prüfung bestanden, damit gemäß § 10 Abs. 1 NJAG die Befähigung zum Richteramt sowie zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst erlangt und infolgedessen grundsätzlich Zugang zu allen Berufen, die diese Befähigung voraussetzen. Im vorliegenden Verfahren will er die Neubewertung seiner im Rahmen der mündlichen Prüfung erbrachten Leistungen und damit eine Verbesserung des Prüfungsergebnisses erreichen. Weil er mit einem entsprechenden Antrag nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens Verpflichtungsklage erheben und eine Entscheidung des Gerichts herbeiführen könnte, müssen für den Erlass der dahin gehenden einstweiligen Anordnung die für den Fall einer endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache geltenden besonderen Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Finkelnburg/Jank, aaO., Rn. 1231). Dies ist nach gegenwärtigem Sachstand nicht der Fall.
Der Antragsteller hat jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass die begehrte einstweilige Anordnung die einzige Möglichkeit ist, unzumutbar schwere Nachteile abzuwenden, die sich für ihn aus dem vorliegenden Prüfungsergebnis ergeben. Eine besondere Dringlichkeit in diesem Sinne wäre gegeben, wenn es überwiegend wahrscheinlich wäre, dass das bessere Prüfungsergebnis für den Antragsteller in einer konkreten beruflichen Situation von entscheidender Bedeutung ist (Finkelnburg/Jank, aaO., Rn. 1231). Dies ist nicht ersichtlich.
Obwohl das Gericht ihm unter Hinweis auf die besonderen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung wiederholt die Gelegenheit gegeben hat, zu den ihm ohne eine gerichtliche Eilentscheidung drohenden Nachteilen vorzutragen, hat der Antragsteller sich auf wenige, nicht näher konkretisierte Angaben beschränkt. So hat er erklärt, durch die vorliegende Benotung werde ihm die Möglichkeit erfolgreicher Bewerbungen im gewerblichen Bereich genommen; dies sei ihm „mehrfach telefonisch bestätigt“ worden. Mit einer besseren Benotung wäre er - so der Antragsteller - in der Lage, eine Anstellung zu erlangen. Auch die Einstellung in den öffentlichen Dienst sei bei dem vorliegenden Prüfungsergebnis zumindest erheblich erschwert. Mit diesen Angaben hat der Antragsteller die erforderliche besondere Eilbedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht.
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn davon auszugehen ist, dass sie überwiegend wahrscheinlich ist. Daran fehlt es hier. Aufgrund der unsubstanziiert gebliebenen Angaben des Antragstellers zu den über seine berufliche Zukunft geführten Gesprächen kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass eine bessere Prüfungsnote für ihn in einer aktuellen beruflichen Situation von entscheidender Bedeutung ist. Dafür genügt es nicht, dass der Antragsteller Gespräche über die allgemeinen Bewerbungschancen von Juristen mit wirtschaftsrechtlichem Schwerpunkt geführt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass sich aus der beanstandeten Note für ihn bereits konkrete berufliche Nachteile ergeben, dass also ein Arbeitgeber z. B. an einer Anstellung interessiert ist, diese aber nur daran scheitert, dass der Antragsteller die gewünschte bessere Note nicht vorweisen kann. Nach seinen Angaben ist aber nicht einmal ersichtlich, dass die Telefongespräche anlässlich einer konkreten Bewerbung geführt worden sind oder ob der Gesprächspartner dem Antragsteller vielmehr lediglich allgemeine Hinweise dazu gegeben hat, unter welchen Voraussetzungen Bewerbungen üblicherweise Erfolg haben können. Eine abstrakte Verbesserung der Anstellungschancen reicht für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht aus.
Aus den Angaben des Antragstellers ergibt sich auch nicht, wer ihm in den Telefonaten die Hinweise zu den Bewerbungschancen gegeben hat und wann die Gespräche stattgefunden haben. Seine Erklärung ist daher weder nachprüfbar, noch lässt sie erkennen, dass es sich um Äußerungen eines oder mehrerer Arbeitgeber handelt, die zu einer Beschäftigung des Antragstellers bei besseren Noten entschlossen wären.
Schlechthin unzumutbare, für ihn anders nicht abzuwendende Nachteile ergeben sich auch nicht aus der Tatsache, dass sich der Antragsteller gegen die im Rahmen einer mündlichen Prüfung vorgenommenen Bewertungen wendet. In einem solchen Fall ist zwar zu berücksichtigen, dass eine zeitnahe gerichtliche Entscheidung bei nicht ausreichend vorhandenen schriftlichen Unterlagen zur Beweissicherung und damit zur Gewährleistung einer Überprüfung sowie einer eventuellen Neubewertung erforderlich sein kann. Nach gegenwärtigem Sachstand kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller durch den Zeitablauf bis zur Entscheidung in der Hauptsache unabwendbare Nachteile entstünden. Der Antragsgegner hat die Mitglieder des Prüfungsausschusses aufgefordert, vorhandene Aufzeichnungen und Unterlagen zunächst aufzubewahren. Darüber hinaus wird er den Prüfern, deren Vorgehensweise von dem Antragsteller gerügt worden ist, in dem noch nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahren die Gelegenheit einräumen müssen, zu dessen Darstellung des Prüfungsablaufs Stellung zu nehmen. Schließlich hat die Kammer in Aussicht gestellt, dass die mündliche Verhandlung in einem möglicherweise anhängig werdenden Hauptsacheverfahren in Anbetracht der besonderen Fallkonstellation in der zweiten Jahreshälfte durchgeführt werden könnte. Dass der Antragsteller in diesem überschaubaren Zeitraum durch den Zeitablauf oder in anderer Hinsicht unabwendbare schwere Nachteile erleiden könnte, ist jedenfalls gegenwärtig nicht ersichtlich.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des Antragsgegners im Widerspruchsverfahren - soweit ersichtlich - noch nicht vorliegt. Wie der Antragsgegner über diesen Widerspruch entscheiden und dass die Entscheidung geraume Zeit auf sich warten lassen wird, ist gegenwärtig nicht erkennbar. Schon aus diesem Grund kann die Kammer derzeit nicht davon ausgehen, dass dem Antragsteller durch den Zeitablauf schwere Nachteile drohen, wenn er auf das Hauptsacheverfahren verwiesen wird.
Die Kammer weist ergänzend darauf hin, dass gegenwärtig auch die für die endgültige Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Erfolgsaussichten einer Klage nicht glaubhaft gemacht sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Prüfern ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Bewertungsspielraum zusteht, soweit sie prüfungsspezifische Wertungen treffen müssen, und festgestellte inhaltliche Bewertungsfehler nur dann einen Anspruch auf Neubewertung begründen können, wenn sie das Ergebnis beeinflusst haben (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 30.10.2003 - 6 A 59/03 -). Dass eine Verpflichtungsklage auf dieser Grundlage mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führen würde, lässt sich den dem Gericht bislang zur Verfügung stehenden Unterlagen - den Angaben des Antragstellers und dem Prüfungsprotokoll - nicht entnehmen.
Die dargelegten Maßstäbe sind auch mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar, die sich den vom Antragsteller zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 07.04.2003, NVwZ 2003, 857; Beschl. vom 29.07.2004, NVwZ 2004, 95 [BVerfG 29.07.2003 - 2 BvR 311/03]). Das Verfassungsgericht führt in diesen Beschlüssen im Hinblick auf die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundlagen aus, dass den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes gerade im Eilverfahren Rechnung zu tragen und vorläufiger Rechtsschutz demgemäß zu gewähren ist, wenn sonst eine über den Randbereich hinausgehende, irreversible Verletzung von Grundrechten des Antragstellers droht. Dass dies der Fall ist und der Antragsteller insbesondere in seinen Grundrechten aus Art. 12 GG verletzt sein könnte, ist gegenwärtig nicht ersichtlich: Er hat nicht glaubhaft gemacht hat, dass er in einer konkreten beruflichen Situation auf das begehrte bessere Prüfungsergebnis angewiesen ist und eine Klage hohe Erfolgsaussichten hätte (vgl. dazu auch Niehues, aaO., Rn. 877; Finkelnburg/Jank, aaO., Rn. 1231).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (s. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327 ff., Nr. II.36.2). Die Kammer sieht davon ab, den Wert für das vorliegende Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu reduzieren, weil der Antragsteller die Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat (vgl. Streitwertkatalog, aaO., Nr. II.1.5).