Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.02.2005, Az.: 2 B 419/04
Bevollmächtigung; Grenzabstand; Handlungsfähigkeit; juristische Person; Nachbargrundstück; natürliche Person; Privilegierung; Sondergebiet; Treu und Glauben; Vollmacht; Widerspruch
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 08.02.2005
- Aktenzeichen
- 2 B 419/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50624
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs 1 Nr 2 BBauG
- § 22 Abs 4 BauNVO
- § 7 Abs 4 BauO ND
- § 9 Abs 1 BauO ND
- § 12 Abs 1 VwVfG
- § 14 VwVfG
Gründe
I. Mit Kaufvertrag vom 05.12.2003 und 05.07.2004 erwarb die Beigeladene von der Antragsgegnerin das 24.610 m² große Grundstück Bohlweg 74, welches einen Teil des Schlossparkareals in der Innenstadt der Antragsgegnerin bildet. Auf dem Grundstück soll das Einkaufs- und Dienstleistungszentrum „Schloss-Arkaden Braunschweig“ errichtet werden.
Nach Abschluss eines Durchführungsvertrages im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 05.07.2004 den vorhabenbezogenen Bebauungsplan IN 220 Einkaufszentrum Schlosspark sowie den dazu gehörenden Vorhaben- und Erschließungsplan. Nach dem Vorhaben- und Erschließungsplan beabsichtigt die Beigeladene als Vorhabenträger auf dem Areal des Braunschweiger Schlossparks ein Einkaufs- und Dienstleistungszentrum zu errichten wobei die Nord-, Süd- und Westfassade sowie geringe Teile der Ostfassade des Braunschweiger Residenzschlosses an historischer Stelle rekonstruiert werden sollen. Der im Westen des Plangebietes liegende Baukörper mit der Schlossfassadenfront wird danach insbesondere öffentliche Kultureinrichtungen sowie Verwaltungs- und Büroflächen aufnehmen. Erdgeschoss und erstes Obergeschoss sollen außerdem dem Einzelhandel dienen. Dieser Baukörper wird mit dem Hauptteil des Einkaufszentrums durch eine ca. 23 x 38 m große, zweigeschossige Halle mit Glasdächern im Bereich des ehemaligen Innenhofes des Residenzschlosses mit dem Hauptteil des Einkaufszentrums verbunden. Der Hauptteil umfasst drei Ebenen für den Einzelhandel. Insgesamt sind 30.000 m² Verkaufsfläche zuzüglich maximal 3.500 m² Nutzfläche für Dienstleistungs- und Gastronomiebetriebe vorgesehen. Auf drei Ebenen oberhalb der Einzelhandelsgeschosse des Hauptteils sind in einem Parkhaus 1.200 Kfz-Einstellplätze geplant. Das Parkhaus soll über eine Einfahrt mit einer Rampe an der Georg-Eckert-Straße erreicht werden. Dort ist auch eine Ausfahrt vorgesehen. Eine weitere Einfahrt mit einer Spindel wird sich nach den Bauplänen an der Straße Ritterbrunnen befinden. Eine zweite Ausfahrt liegt an der Straße Am Schlossgarten, wo auch die Zu- und Abfahrt für den Liefer- und Entsorgungsverkehr zu und von dem Anlieferbereich im Untergeschoss vorgesehen sind.
Der vorhabenbezogene Bebauungsplan IN 220 setzt für den westlich gelegenen Teil des Bauvorhabens mit der rekonstruierten Schlossfassade ein eingeschränktes Kerngebiet (MKe) fest. Im Übrigen soll das Gebäude auf einer als Sondergebiet (SO) Einkaufszentrum festgesetzten Fläche errichtet werden. Das Plangebiet des vorhabenbezogenen Bebauungsplans IN 220 reicht über die Flächen hinaus, für die als Art der baulichen Nutzung SO und MKe festgesetzt ist. So befinden sich rund um das Einkaufszentrum Flächen, die als Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung festgesetzt sind. Ebenfalls im Plangebiet liegen Abschnitte der Straßen Bohlweg und Ritterbrunnen (im Westen) und Am Schloßgarten (im Norden). Ferner werden die Georg-Eckert-Straße (im Süden) und die Friesenstraße (im Osten) einbezogen.
Am 30.04.2004 stellte die Beigeladene einen Bauantrag für die Baumaßnahme „Neubau einer Verkaufsstätte inklusive Parkgarage“ (Dienstleistungs- und Einkaufszentrum Schloss-Arkaden). Mit Datum vom 24.08.2004 erteilte die Antragsgegnerin die Baugenehmigung für dieses Bauvorhaben. Zum Bestandteil der Baugenehmigung wurden u. a. die Schalltechnischen Gutachten der Beratenden Ingenieure G. vom 25.09.2003 und 23.07.2004 und die Verkehrsuntersuchung des Büros H. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH von Februar 2003 sowie die Aktualisierung und Ergänzung der Verkehrsuntersuchung von Juni 2004 erklärt, die ferner verschiedene Ausnahmen, Befreiungen und Erleichterungen von Vorschriften des öffentlichen Baurechts und Auflagen, etwa zum Immissionsschutz, enthält.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Steinweg I. (Flurstücke J.), das im Süden an die Straße Am Schloßgarten grenzt. Das Grundstück wird mit einer zweigeschossigen Bebauung am Steinweg gewerblich genutzt. In nordsüdlicher Ausrichtung schließt sich ein siebengeschossiges Wohngebäude mit 42 Wohnungen an, welches nach den Bauunterlagen 19,05 m hoch ist und von der Grundstücksgrenze an der Straße Am Schloßgarten einen Abstand von 5 m einhält.
Die Baugenehmigung vom 24.08.2004 wurde der Antragstellerin am 08.09.2004 zugestellt. Am 20.09.2004 legte die K. Widerspruch ein, ohne darauf hinzuweisen, dass sie für die Antragstellerin handele. Dieses geschah am 28.09.2004 mit Schreiben der K. vom 23.09.2004. Mit Schreiben vom 08.10.2004, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 11.10.2004, meldete sich der Prozessbevollmächtigte als Bevollmächtigter der Antragstellerin. Er wies auf die Vertretung der Antragstellerin durch die L. hin und beantragte gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO die Aussetzung der Vollziehung. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin am 11.10.2004 ab.
Am 14.10.2004 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die Baugenehmigung verletze nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts. So werde gegen das Gebot der Rücksichtnahme auf nachbarliche Interessen verstoßen. Denn auf der Straße Am Schloßgarten werde sich der Verkehr durch die Ausfahrt des Parkhauses und die Einfahrt zum Zuliefer- und Entsorgungsbereich des Einkaufszentrums erheblich verstärken. Die Lärmgutachten seien in verschiedener Hinsicht fehlerhaft. Die Baugenehmigung sei auch deshalb außer Vollzug zu setzen, weil der bauordnungsrechtlich erforderliche Grenzabstand an der Straße Am Schloßgarten nicht eingehalten werde. Überdies trägt die Antragstellerin vor, der vorhabenbezogene Bebauungsplan IN 220 sei unwirksam, was ebenfalls einen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung begründe. Die Wirksamkeit der Erhebung des Widerspruchs werde im übrigen zu Unrecht angezweifelt.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 24.08.2004 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie tritt dem Vorbringen der Antragstellerin im Einzelnen entgegen. Die Antragstellerin habe schon nicht wirksam Widerspruch erhoben, weil die von dieser beauftragte Allianz Immobilien GmbH als juristische Person nicht handlungsfähig gewesen sei. Die zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Lärmgutachten seien nach der TA Lärm einwandfrei erstellt worden. Danach würden auf dem Grundstück der Antragstellerin sogar die Richtwerte für ein Allgemeines Wohngebiet eingehalten, obwohl dort und in der näheren Umgebung des Grundstücks eine Mischung aus gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung anzutreffen sei. Das Grundstück sei zudem durch den Verkehrslärm der Innenstadt, insbesondere der Straße Ritterbrunnen vorbelastet. Der erforderliche Grenzabstand werde eingehalten. Die Antragstellerin gehe insofern von einer falschen Rechtslage aus. Der Bebauungsplan IN 220 sei wirksam; zudem würden durch ihn Nachbarrechte nicht verletzt.
Die Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen dieselben Argumenten wie die Antragsgegnerin vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin, jeweils auch in den Parallelverfahren 2 B 409/04 und 2 B 486/04, Bezug genommen. Diese Unterlagen haben dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen.
II. Der Antrag ist zulässig.
Die Antragstellerin hat spätestens am 28.09.2004 durch das Schreiben der L. vom 23.09.2004 und damit innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO Widerspruch erhoben. Die Baugenehmigung vom 24.08.2004 ist gegenüber der Antragstellerin nicht bestandskräftig geworden.
Die von der Antragstellerin bevollmächtigte K. konnte als juristische Person wirksam Widerspruch erheben. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann sich in Verwaltungsverfahren ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. § 12 VwVfG regelt die Handlungsfähigkeit, also die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen. Es kommt im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, in welchem Maße das Widerspruchsverfahren als Verwaltungsverfahren zu qualifizieren ist (vgl. dazu Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Komm., 6. Aufl., § 79 Rn. 2). Denn unabhängig davon sind §§ 12, 14 VwVfG auf das Handeln eines Vertreters im Widerspruchsverfahren anwendbar. § 79 VwVfG verweist zwar für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte auf die Verwaltungsgerichtsordnung und die zu ihrer Ausführung ergangenen Vorschriften. Soweit dort keine spezielle Regelung getroffen wird, gilt jedoch das Verwaltungsverfahrensgesetz. Die §§ 68 - 77 VwGO enthalten keine Regelungen über Bevollmächtigte und deren Handlungsfähigkeit, so dass für das Widerspruchsverfahren auf §§ 12 und 14 VwVfG zurückzugreifen ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, Komm., 8. Aufl., § 79 Rn. 20; Obermayer, VwVfG, Komm., 3. Aufl., § 79 Rn. 18, Kopp/Schenke, VwGO, Komm. 13. Aufl., Vorb. § 68, Rn. 18 ).
Die erkennende Kammer entnimmt den Regelungen über die Handlungsfähigkeit und die Bevollmächtigten in §§ 12, 14 VwVfG kein Verbot der Erhebung eines Widerspruchs durch eine juristische Person. Weder in § 14 Abs. 1 Satz 1 VwVfG noch in anderen Regelungen des § 14 VwVfG steht der Wortlaut einem Handeln einer juristischen Person entgegen. Insbesondere lässt § 14 Abs. 6 Satz 1 VwVfG nach Wortlaut und Zweck eine Vertretung durch eine juristische Person zu. Nach dieser Vorschrift können Bevollmächtigte (und Beistände) vom Vortrag zurückgewiesen werden, wenn sie hierzu ungeeignet sind; vom mündlichen Vortrag können sie nur zurückgewiesen werden, wenn sie zum sachgerechten Vortrag nicht fähig sind. Damit wird der Behörde die Möglichkeit eröffnet, im Einzelfall einzelne Bevollmächtigte im Interesse des Vertretenen und der Behörde zurückzuweisen. Das kann auch bei einer juristischen Person geschehen. Da juristische Personen selbst nicht handlungsfähig sind, sondern durch ihre gesetzlichen Vertreter handeln, sind ggf. diese (natürlichen) Personen gemäß § 14 Abs. 6 Satz 1 VwVfG abzulehnen. Handelt nicht der gesetzliche Vertreter, sondern eine von diesem bevollmächtigte Person, so kommt es auf den Bevollmächtigten an. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG sind juristische Personen durch ihre gesetzlichen Vertreter (oder durch besonders Beauftragte) zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig. Damit folgt das Verwaltungsverfahrensrecht hinsichtlich der Handlungsfähigkeit dem Zivilrecht (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 BGB für den Vereinsvorstand und § 35 Abs. 1 GmbHG für den Geschäftsführer).
§ 14 VwVfG enthält keine mit § 67 Abs. 2 Satz 3 VwGO vergleichbare Regelung. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann danach ausdrücklich (nur) jede Person als Bevollmächtigter und Beistand auftreten, die zum sachgemäßen Vortrag fähig ist. Damit hat der Gesetzgeber eine andere, besondere Voraussetzung geschaffen. (Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O., § 67 Rn. 37). Eine spezielle Regelung enthält auch § 79 ZPO für das zivilgerichtliche Verfahren.
Soweit in der Literatur vertreten wird, nur eine natürliche Person sei als Bevollmächtigter im Vorverfahren handlungsfähig, wird zur Begründung auf § 165 BGB verwiesen (Knack, VwVfG, Komm., 8. Aufl., § 14 Rn. 4; Obermayer, a.a.O., § 14 Rn. 14). Das überzeugt nicht. Eine Vorschrift wie § 165 BGB, der sich mit dem beschränkt geschäftsfähigen Vertreter befasst, ist für das Handeln einer juristischen Person als Bevollmächtigter im Verwaltungsverfahren nicht notwendig. Denn die Frage, ob eine natürliche oder juristische Person bevollmächtigt wird, ist von der Frage zu trennen, ob dieser Bevollmächtigte im Verwaltungsverfahren „geschäftsfähig“, also „handlungsfähig“ ist, was mit § 12 VwVfG geregelt wird. Über das Tätigwerden der juristischen Person als Vertreter gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist damit nichts gesagt (wie hier für eine juristische Person als Bevollmächtigte: OVG Berlin, Urt. v. 03.12.1990 - 7 B 85.88 - Juris; vgl. auch für gerichtliche Verfahren: BFH, Urt. v. 22.01.1991 - XR 107/90 -, BFHE 163, 404 [BFH 22.01.1991 - X R 107/90]).
Die Funktion des Widerspruchs nach § 69 VwGO als Verfahrenshandlung zur Eröffnung des Widerspruchsverfahrens gemäß §§ 68 ff. VwGO als Sachurteilsvoraussetzung im gerichtlichen Verfahren gebietet keine andere rechtliche Bewertung. Es ist kein Grund ersichtlich, bereits für das Vorverfahren eine natürliche Person als Bevollmächtigten zu verlangen. Dieses dient nämlich auch der Selbstkontrolle der Verwaltung und einer weiteren Überprüfung hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des behördlichen Tätigwerdens (Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O. § 79 Rn. 11). Deshalb ist es im Interesse eines effizienten Verwaltungshandelns sinnvoll, wie im sonstigen Geschäftsverkehr auch, juristische Personen, die ohnehin durch natürliche Personen handeln, als Vertreter zuzulassen. Für die Verfahrenshandlungen in Widerspruchsverfahren werden im Interesse der Rechtssicherheit höhere Anforderungen gestellt, soweit es um die analoge Anwendung der Vorschriften im BGB über die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen gemäß §§ 119 ff. BGB oder deren Widerruf gemäß §§ 130, 182 ff. BGB geht (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.03.1979 - 6 C 10.78 -, BVerwGE 57, 342, VG München, Urt. v. 06.02.1992 - M 1 K 91.3428 -, BayVBl. 1992, 762). Die Frage, ob anstelle einer natürlichen Person auch eine juristische Person bevollmächtigt werden kann, bleibt davon indessen unberührt. Sie betrifft die Rechtssicherheit nicht.
Vorliegend ist im Widerspruchsverfahren nur die Allianz Immobilien GmbH als juristische Person aufgetreten, was der Prozessbevollmächtigte in dem Schreiben vom 08.10.2004 bekräftigt hat (Seite 1 zweiter Absatz). Die mit dem Schriftsatz vom 31.01.2005 vorgelegte Genehmigung des Handelns des Herrn M. vom 20.01.2005 durch den Geschäftsführer und die Prokuristin der K. verdeutlicht zusätzlich, dass nur die GmbH und nicht eine natürliche Person eingeschaltet war. Danach ist es ausgeschlossen, anzunehmen, N. oder der Geschäftsführer der GmbH seien als natürliche Personen bevollmächtigt gewesen.
Selbst wenn der Auffassung gefolgt würde, eine juristische Person sei nicht handlungsfähig, so müsste die Antragsgegnerin zumindest in entsprechender Anwendung des § 14 Abs. 6 Satz 1 VwVfG die K. als Bevollmächtigte zurückweisen (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 04.04.2000 - 1 B 282/99 -, SächsVBl. 2000, 290 sowie Juris), was bislang nicht geschehen ist. Die Antragsgegnerin hat - im Gegenteil - den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 11.10.2004 in der Sache abgelehnt, ohne die aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäße Vertretung durch die GmbH zu rügen und sich auf die Bestandskraft der Baugenehmigung zu berufen.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Dritten gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung entfällt hier im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gemäß § 212a Abs. 1 BauGB. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung.
Das Gericht trifft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung, die sich an den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens orientiert. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes überwiegt regelmäßig, wenn sich dieser bei summarischer Überprüfung als rechtmäßig erweist. Das Interesse des betroffenen Dritten an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung überwiegt hingegen regelmäßig, wenn der Verwaltungsakt nach vorläufiger Untersuchung hinsichtlich geschützter Nachbarrechte rechtswidrig ist. Bei einem Drittwiderspruch gegen eine Baugenehmigung ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass nicht nur auf Seiten des Nachbarn vollendete, weil unumkehrbare Tatsachen einzutreten drohen, sondern auch auf Seiten des Bauherrn solche nicht mehr wieder gutzumachenden Folgen eintreten können (verlorene Zeit, nicht erzielbare Gewinne etc.). Von den Folgen des § 945 ZPO bleibt der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Nachbarstreit verschont. Da der Gesetzgeber mit der Regelung in § 212a Abs. 1 BauGB tendenziell den Bauabsichten den Vorrang einräumt, ist dem Bauherrn eine Zurückstellung seiner Bauabsichten nicht erst dann zuzumuten, wenn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung des Sachverhalts mehr oder minder zweifelsfrei ergibt, dass Nachbarrechte nicht verletzt sind (Nds. OVG, Beschl. v. 09.09.2004 - 1 ME 194/04 -, NVwZ-RR 2005, 17).
Vorliegend steht nach vorläufiger Prüfung mit der erforderlichen Gewissheit fest, dass die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 24.08.2004 für das Bauvorhaben „Neubau einer Verkaufsstätte inklusive Parkgarage” auf dem Grundstück O. Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt. Nur insoweit, d. h. im Hinblick auf nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts, unterliegt die Baugenehmigung im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren einer rechtlichen Überprüfung; und insoweit wird sich die Baugenehmigung im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen.
Die Baugenehmigung vom 24.08.2004 verstößt gegen die Bestimmungen der Niedersächsischen Bauordnung über Grenzabstände in §§ 7 ff. NBauO. Diese Vorschriften sind nachbarschützend, so dass die Antragstellerin sie geltend machen darf.
Das mit der Baugenehmigung vom 24.08.2004 genehmigte Einkaufszentrum hält nicht den erforderlichen Grenzabstand von 1 H gemäß § 7 Abs. 3 NBauO ein. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NBauO müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Der Abstand ist zur nächsten Lotrechten über der Grenze zu messen. Er richtet sich jeweils nach der Höhe des Punktes über der Geländeoberfläche (H).
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene dürfen sich nicht auf die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NBauO berufen. Der Abstand beträgt danach nur ½ H, mindestens jedoch 3 m, in Baugebieten, die ein Bebauungsplan als Kerngebiet festsetzt, in Gewerbe- und Industriegebieten sowie in Gebieten, die nach ihrer Bebauung diesen Baugebieten entsprechen (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 NBauO). Außerdem gilt ½ H in anderen Baugebieten, in denen nach dem Bebauungsplan Wohnungen nicht allgemein zulässig sind (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NBauO). Um ein solches - anderes - Baugebiet handelt es sich bei dem durch den vorhabenbezogenen Bebauungsplan IN 220 festgesetzten Sondergebiet Einkaufszentrum i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Das Gebäude soll auf der Grenze des Sondergebiets errichtet werden. In dem Sondergebiet sind Wohnungen nicht allgemein zulässig.
Die Ausnahme, die zur Halbierung des Grenzabstandes auf ½ H führt, wäre bei einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans nicht anwendbar. Dann würden der Bebauungsplan IN 177 vom 19.10.1962 oder - was nicht geklärt werden muss - der Bebauungsplan IN 182 vom 11.11.1980 gelten. Beide Bebauungspläne setzen im hier maßgeblichen Teil des Baugrundstücks öffentliche Frei- und Verkehrsflächen fest. Nach den planerischen Vorgaben dürfte dort kein Gebäude errichtet werden. Erst recht handelte es sich nicht um ein nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 - 3 NBauO privilegiertes Baugebiet, so dass der Grenzabstand von 1 H nach § 7 Abs. 3 NBauO gelten würde. Die Wirksamkeit des Bebauungsplans IN 220 konnte daher hier von der erkennenden Kammer offen gelassen werden.
Wenn der Bebauungsplan wirksam ist, gilt der Abstand von ½ H nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NBauO nur für den Grenzabstand „in“ dem Baugebiet, d.h. im Verhältnis zu Grundstücken innerhalb des Baugebiets, nicht jedoch für den Abstand von den Grenzen solcher Nachbargrundstücke, die ganz oder überwiegend außerhalb der genannten Gebiete liegen (vgl. entsprechend zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen OVG Münster, Urt. v. 05.02.1998 - 10 A 6361/95 - BRS 60 Nr. 110). Für den Abstand zu diesen Grundstücken hebt § 7 Abs. 4 Satz 2 NBauO die Begünstigung des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NBauO wieder auf. Denn die Ausnahme findet nur dort ihre Rechtfertigung, wo Wohnungen nicht allgemein zulässig sind und deswegen ein geringerer Grenzabstand hingenommen werden kann. Liegt ein Grundstück aber ganz oder überwiegend in einem nicht privilegierten und hinsichtlich des Grenzabstandes schutzwürdigen beplanten oder unbeplanten Gebiet, so ist von der Grenze zu diesem Grundstück ein Abstand von 1 H nach § 7 Abs. 3 NBauO einzuhalten. So verhält es sich hier.
Nördlich grenzt das im Sondergebiet liegende Baugrundstück an das der Antragsgegnerin gehörende Grundstück, das einen Teil des Parkplatzes und die gewidmete öffentliche Straße Am Schlossgarten aufnimmt und außerhalb des Sondergebiets liegt. Auch ein nicht bebaubares Straßengrundstück ist ein Nachbargrundstück im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 NBauO. Denn der Gesetzgeber unterscheidet in § 7 Abs. 4 Sätze 1 und 2 NBauO nur danach, ob es um den Grenzabstand zu Grundstücken innerhalb oder außerhalb des Baugebiets liegt. Da der Wortlaut des Gesetzes die Grenze der Auslegung bildet, ist schon deshalb ein Verständnis des § 7 Abs. 4 NBauO fehlerhaft, wonach es auf die Nutzung eines Grundstücks als Baugrundstück bzw. die Widmung zum öffentlichen Verkehr ankommt. Wie der vorliegende Fall zeigt, ist die Berücksichtigung der Nutzung des Nachbargrundstücks aber auch nach Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 Satz 2 NBauO nicht angezeigt. Die Vorschriften über Grenzabstände in §§ 7 ff. NBauO sollen im Interesse gesunder Wohnverhältnisse i.S.d. § 1 Abs. 2 NBauO eine ausreichende Belüftung, Belichtung und Besonnung gewährleisten und die Freiräume sicherstellen, die für ein störungsfreies Wohnen und für einen angemessenen Schutz der Privatsphäre erforderlich sind (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 7 Rn. 6). Der Schutzzweck der Abstandsbestimmungen kann nur gleichmäßig verwirklicht werden, wenn auch gegenüber einem Straßengrundstück 1 H einzuhalten ist. Andernfalls wäre der Eigentümer eines Wohngrundstücks an der gegenüberliegenden Straßenseite, der selbst wegen der zulässigen Grundstücksnutzung 1 H beachten muss, von vornherein schlechter gestellt als der Eigentümer eines unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks, für das 1 H gilt. Letzteres ist bauordnungsrechtlich nicht gewollt. Eine einzelfallabhängige Festlegung eines Abstands von ½ H oder 1 H wäre geboten, wollte man diese Ungerechtigkeit vermeiden. Dass aber ist im Interesse klarer Verhältnisse im nachbarlicher Austauschverhältnis an der Grenze der Baugebiete nicht wünschenswert. Ungeachtet des Hinzurechnens benachbarter Verkehrsflächen öffentlicher Straßen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO muss jeder Bauherr im übrigen den notwendigen Grenzabstand auf seinem Grundstück einhalten. Das nachbarliche Austauschverhältnis lässt eine Inanspruchnahme der Abstandsfläche anderer Grundstücke für die Festlegung des Standortes eines Gebäudes an der Grenze in der Regel nicht zu (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 30.03.1999 - 1 M 897/99 - NVwZ 1999, 716; Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 72 Rn. 42, 53). Die (Nicht-)Beachtung dieses Grundsatzes darf nicht davon abhängen, ob das Baugrundstück zufällig an einem Straßengrundstück liegt.
Der danach maßgebliche Abstand von 1 H, also 21,75 m, wird nicht eingehalten. Die nach § 7 Abs. 1 NBauO maßgebliche Gebäudehöhe beträgt gegenüber dem Grundstück der Beigeladenen nach den Berechnungen der Antragsgegnerin im Abstandsflächenplan vom 05.01.2005 21,75 m. Das Einkaufszentrum hält nur einen Abstand von 2 m zur Grundstücksgrenze ein (unter Berücksichtigung des 2. Nachtrags zum Grundstückskaufvertrag vom 07.01.2005 über den Zukauf eines Grundstücksstreifens von 2 m Breite). Die geänderte Grundstückssituation muss im Rahmen des vorliegenden Nachbarrechtsstreits, in dem regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung abzustellen ist, berücksichtigt werden, weil sich diese Entwicklung wegen des Grenzabstands von 2 m nunmehr auf dem Grundstück der Beigeladenen zu Gunsten der Beigeladenen als Bauherrin auswirken kann (vgl. allg. BVerwG, Beschl. v. 23.04.1998 - 4 B 40.98 - BRS 60 Nr. 178).
Der Abstand von 1 H wird auch dann nicht eingehalten, wenn nach § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO die benachbarte Verkehrsfläche der öffentlichen Straße Am Schloßgarten für die Bemessung des Grenzabstandes hinzugerechnet wird. Die im Gerichtsverfahren modifizierte Straßenplanung verändert den Umfang der Abstandsfläche nicht. Zur benachbarten Verkehrsfläche der öffentlichen Straße i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO gehören nicht nur die Fahrbahn, sondern auch Parkstreifen, Gehwege und schmale, begrünte Trenn- und Seitenstreifen (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O, § 9 Rn. 7, vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG). Nach dem Straßenausbauplan vom 11.01.2005 kann danach die gesamte, in diesem Umfang zukünftig auch gewidmete Straße Am Schlossgarten berücksichtigt werden, allerdings nur bis zur Mittellinie. Denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 NBauO darf der Grenzabstand nur bis zur Mittellinie der Straße dem Baugrundstück zugerechnet werden. Die Straße Am Schlossgarten ist am Grundstück der Antragstellerin 17,98 m breit. Bis zur Mittellinie darf die Beigeladene mithin 8,99 m hinzurechnen. Zuzüglich des Abstands von 2 m zwischen Gebäude und Grenze auf dem eigenen Grundstück besteht ein Abstand von insgesamt nur 10,99 m (s. Abstandsflächenplan v. 05.01.2005). Das geplante Gebäude der Beigeladenen müsste danach um weitere 10,76 m von der Grenze zurückweichen.
Umgekehrt liegen nach den gegenwärtigen Planungen die gegenüberliegende Straßenseite (8,99m) und auf einer Breite von 1,77 m das Grundstück der Antragstellerin rechnerisch im Grenzabstand (Abstandsschatten).
Wenn der Grenzabstand nur eingehalten werden kann, indem auch die andere Straßenhälfte jenseits der Mittellinie in Anspruch genommen wird, ist eine Verletzung nachbarschützender Abstandsvorschriften festzustellen. Denn jedem Straßenanlieger wird gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO nur die Hälfte des Straßengrunds zugewiesen. Die übrige Hälfte dient dem Nachbarn dazu, für die straßenseitig angeordneten Räume ausreichend Licht, Luft und Sonne zu erhalten, ohne dass er allein wegen des Heranrückens eines Gebäudes des Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus diesem Grund sein eigenes Gebäude zurücksetzen muss. Erst die Einhaltung der beide Grundstücksnachbarn treffenden Verpflichtungen gewährleistet daher die ausreichende Versorgung der angrenzenden Gebäude mit Licht, Luft und Sonne. Das ist jene den Nachbarschutz kennzeichnende Situation, in der die Rechte und Pflichten in einem beide Seiten bevorteilenden Austauschverhältnis stehen (Nds. OVG, BESCHL. v. 03.03.1999 - 1 M 897/99 -, NVwZ-RR 1999, 716 = BauR 1999, 1163).
Der Antragstellerin ist es rechtlich nicht verwehrt, die Verletzung des Grenzabstandes durch die Beigeladene geltend zu machen, weil sie mit dem Wohngebäude auf dem Grundstück P. ihrerseits den Grenzabstand von 1 H gemäß § 7 Abs. 3 NBauO nicht einhält. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der die erkennende Kammer in ständiger Rechtsprechung folgt, kann ein Nachbar zwar aus dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung gehindert sein, die Verletzung des Grenzabstands zu rügen. Der dafür erforderliche Vorwurf treuwidrigen Verhaltens ist indessen erst dann gerechtfertigt, wenn der sich wehrende Nachbar, selbst wenn sein Gebäude in Einklang mit dem geltenden Baurecht errichtet wurde, mit seinem Gebäude den jetzt erforderlichen Grenzabstand nicht einhält. Vorausgesetzt ist dabei jedoch stets, dass dies in etwa in demselben Umfang geschieht wie durch das angegriffene Vorhaben. Das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis, welches den Nachbarn zu „treuem“, d. h. fairem Verhalten verpflichtet, ist dann in einer Abwehrmaßnahmen nach wie vor zulassenden Weise gestört, wenn die Verletzung nachbarschützender Abstandsregelungen durch das angegriffene Vorhaben schwerer wiegt als die Inanspruchnahme des Bauwichs durch den sich wehrenden Nachbarn. Insofern ist nicht eine zentimetergenaue Entsprechung zu fordern, sondern eine wertende Betrachtung anzustellen. Die konkreten Auswirkungen des Vorhabens und des vorhandenen Nachbargebäudes sind zu berücksichtigen. Es kommt darauf an, welche „Abstandsschatten“ die Gebäudeteile an der Grenze auf das Grundstück des jeweils anderen werfen und in welcher Weise sie hierdurch bei Würdigung der konkreten Verhältnisse diejenigen Belange beeinträchtigen, welche die Grenzabstandsvorschriften zu schützen bestimmt sind (NdsOVG, Urt. v. 12.09.1984 - 6 A 49/83 -, BRS 42, Nr. 196, Beschl. v. 30.03.1999 - 1 M 897/99 -, a. a. O., Beschl. v. 09.09.2004 - 1 ME 194/04 -, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen wiegt die Verletzung des Grenzabstandes durch das Bauvorhaben der Beigeladenen schwerer als die Beeinträchtigung durch die Inanspruchnahme der nachbarlichen Abstandsfläche seitens der Antragstellerin.
Die Antragstellerin nimmt die der Beigeladenen zustehende Abstandfläche nur in einem Umfang von 5,06 m in Anspruch (19,05 m Gebäudehöhe minus 5 m Grenzabstand auf dem eigenen Grundstück minus 8,99 m „eigene“ Straßenhälfte). Demgegenüber ragt der Abstandsschatten der Beigeladenen - wie ausgeführt - um 10,76 m in den der Antragstellerin „zustehenden“ Bereich hinein (s.o. 8,99 m plus 1,77 m).
Im Hinblick auf den Schattenwurf ist von Bedeutung, dass das Wohngebäude auf dem Grundstück Q. nur 11,99 m breit ist. Dem soll jedoch mit dem geplanten Einkaufszentrum eine durchgängige Bebauung gegenüber stehen. Die Verschattung des 35 m breiten Grundstücks der Antragstellerin wird je nach Jahres- und Tageszeit noch durch die Gesamtlänge des Einkaufszentrums von 93,14 m (mit Kolonnade 106,59 m) an der Straße Am Schloßgarten verstärkt.
Auch die konkrete Art der Nutzung ist zu berücksichtigen (Nds. OVG, Beschl. v. 09.09.2004, a. a. O. m.w.N.). Durch die Wohnnutzung einerseits und die gewerbliche Nutzung an der Rückfront des Einkaufszentrums mit Ein- und Ausfahrten andererseits kommt es nach dem abstandsrechtlichen Schutzzweck zu einer stärkere Belastung des Grundstücks der Antragstellerin. Insofern spielt es keine Rolle, dass die Balkone des Wohngebäudes nach Westen ausgerichtet sind. Auch für die Balkone sind Nachteile zu erwarten, wohingegen ohne Verletzung des Grenzabstands eine geringere Verschattung und bessere Belichtung vorhanden wären. Ferner liegt in jedem Geschoss zur Straße Am Schloßgarten ein Fenster, das zu einer Wohnung gehört.
Zu Gunsten der Antragstellerin fällt außerdem die Himmelsrichtung ins Gewicht. Während die Belichtung und Besonnung auf dem nördlich gelegenen Grundstück der Antragstellerin stärker in Mitleidenschaft gezogen wird, ist dieses auf dem südlich gelegenen Grundstück der Beigeladenen in geringerem Maße der Fall.
Auf die Festsetzung einer abweichenden Bebauung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 4 BauNVO im Bebauungsplan IN 220 darf das Heranrücken der Bebauung an die nördliche Grundstücksgrenze nicht gestützt werden. Nach der textlichen Festsetzung zu Ziff. II 5. darf allseitig an die künftigen Grundstücksgrenzen herangebaut werden. Diese Festsetzung darf nicht ausgenutzt werden, weil die grenzständige Bebauung an der nördlichen Grundstücksgrenze zur Straße am Schloßgarten gegen § 7 Abs. 3 NBauO verstößt, wobei für die Grundstücksgrenze zur öffentlichen Straße - hier zur Straße Am Schloßgarten - § 8 NBauO nicht anzuwenden ist (Große-Suchsdorf/ Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, a.a.O., § 8 Rn. 2).
Die Festsetzung ist auch nicht anwendbar, wenn ihr eine Verpflichtung zur grenzständigen Bebauung beizumessen wäre. In diesem Sinn könnte, in Zusammenhang mit der zeichnerischen Darstellung des Vorhaben- und Erschließungsplans zu der flächenmäßigen Ausdehnung des Einkaufszentrums, die Begründung des Bebauungsplans zu Ziff. 6.2.5 verstanden werden. Dort ist von einem Heranrücken des Gebäudes an öffentliche Verkehrsflächen die Rede. Die insofern inkonsequente Formulierung einer Kann-Bestimmung in der Festsetzung Ziff. II.5. spricht dagegen („darf“, vgl. § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO: dort wahlweise „darf“ oder „muß“). Darauf kommt es letztlich nicht an. Durch die Festsetzung einer abweichenden Bebauung in einem Bebauungsplan darf die Geltung bauordnungsrechtlicher Vorschriften über den Grenzabstand ohnedies nicht aufgehoben werden. Dazu ist der Satzungsgeber nicht befugt, weil § 29 Abs. 2 BauGB bestimmt, dass neben den nach § 29 Abs. 1 BauGB geltenden bauplanungsrechtlichen Vorgaben der §§ 30 bis 37 BauGB (vgl. § 30 Abs. 2 für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan) die Vorschriften des Bauordnungsrechts unberührt bleiben. Zwar statuiert das Grundgesetz in Art. 31 einen Vorrang des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht. Für das Verhältnis eines Bebauungsplans als Satzung zur NBauO als Landesgesetz gilt dieses aber trotz der bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für den Satzungsgeber nicht (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., Vorb. Rn. 18, § 7 Rn. 20). Vom Bauordnungsrecht darf bei der Festsetzung im Bebauungsplan nur abgewichen werden, wenn das Bauplanungsrecht eine das Bauordnungsrecht respektierende Festsetzung nicht ermöglicht (wie bei der geschlossenen Bauweise oder der Baulinie). Bei der in Rede stehende „vorderen“ Grundstücksgrenze i.S.d. § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO besteht eine solche zwingende Vorgabe des Bauplanungsrechts nicht. Eine Baulinie i.S.d. § 23 Abs. 2 BauNVO ist im vorhabenbezogenen Bebauungsplan IN 220 entlang der Straße Am Schlossgarten nicht festgesetzt worden. Für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan hebt § 12 Abs. 3 Satz 2 BauGB im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans die Bindung an § 9 BauGB und die BauNVO auf. Auch dann ist indessen das Bauordnungsrecht zu befolgen.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen ist nicht bereits bei der vorliegenden Entscheidung eine beabsichtigte Ausnahme nach §13 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NBauO zu berücksichtigen. Die Antragstellerin ist zu einem Ausnahmebescheid angehört worden, mit dem der Beigeladenen erlaubt werden soll, aus baugestalterischen und städtebaulichen Gründen nur einen Grenzabstand von ½ H bis zur Mittellinie der Straße Am Schlossgarten einzuhalten. Ob die in dem Bescheid vom 04.01.2005 genannten Gründe, gemessen an der Rechtsprechung des NdsOVG zu einer Ausnahme nach § 13 NBauO tragfähig sind, ist für die Kammer zweifelhaft (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 03.09.2003 - 1 ME 193/03 - NVwZ-RR 2004, 382 [VG Schleswig 03.09.2003 - 14 B 41/03]; Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 13 Rn. 4 - 6, 10 f.).
Auf das weitere Vorbringen der Antragsstellerin kommt es nicht an. Die Kammer hatte daher nicht über die Frage zu entscheiden, ob die von dem Bauvorhaben auf der Straße Am Schloßgarten ausgelösten Lärmemissionen zu einer Verletzung des baurechtlichen Gebot der Rücksichtnahme führen. Ebenso wenig war die Wirksamkeit des Bebauungsplan IN 220 im Hinblick auf die von der Antragstellerin vorgetragenen Argumente zu untersuchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.
Der Streitwert ist in Anwendung der §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG festgesetzt worden. Nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 zu Ziff. 9.7.1) ist der Wert nach der zu erwartenden Grundstückswertminderung zu beziffern. Diese schätzt die Kammer nach dem Vorbringen der Antragstellerin für das von dem Bauvorhaben betroffene Wohngebäude mit 42 Wohnungen auf 420.000,- EUR (10.000,- EUR je Wohnung). Dabei orientiert sich die Kammer an dem Streitwertkatalog der Bausenate des NdsOVG (NdsVBl. 2002, 192 f.) zu Ziff. 8 b), wonach für Nachbarklagen hinsichtlich der Beeinträchtigung einzelner Räume ein Rahmen von 3.000 bis 15.000,- EUR vorgegeben wird. Für ein Mehrfamilienwohnhaus mit größeren Wohnungen hat die Kammer einen Streitwert von 15.000,- EUR je Wohnung angenommen (Beschl. v. 03.07.2003 - 2 B 209/03 - übernommen vom NdsOVG, Beschl. v. 02.10.2003 - 9 ME 223/03 -). Nach dem Zuschnitt der Wohnungen in dem Gebäude Steinweg 34 bis 36 ist hier ein Wert von nur 10.000,- EUR angemessen. Der Streitwert ist für das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu halbieren.