Landgericht Lüneburg
Urt. v. 23.02.2005, Az.: 6 S 124/04
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 23.02.2005
- Aktenzeichen
- 6 S 124/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 42314
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2005:0223.6S124.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lüneburg - AZ: 39 C 347/04
In dem Rechtsstreit
...
hat die, 6, Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 16.2.2005 durch die ... sowie die Richter am Landgericht ... und ... für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 15.10.2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Das Amtsgericht hat die auf Eigenbedarf gestützte Räumungsklage abgewiesen, weil die Beendigung des Mietverhältnisses für den Beklagten eine unzumutbare Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 und 2 BGB darstelle. Auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Klägers als Vermieter sei dem Beklagten aufgrund seiner schweren Krankheit (Tourettesyndrom) ein Wohnungswechsel nicht zumutbar, auch könne eine Ersatzwohnung nicht zu zumutbaren Bedingungen beschafft werden. Dieses Ergebnis hat das Amtsgericht mit einer ausführlichen Interessenabwagung begründet.
Die Entscheidung des Amtsgerichts trifft zu. Auf sie wird verwiesen, insbesondere die überzeugende und in sich schlüssige Abwägung zwischen den Interessen des Klägers als Eigentümer an einer Nutzung der Wohnung durch seinen Sohn und den Interessen des Beklagten als schwer behinderten Menschen an einer Fortsetzung des Mietverhältnisses. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf die Berufungsangriffe auszuführen:
Die im Rahmen der Berufung vorgebrachten Angriffe gegen die vom Amtsgericht vorgenommene Interessenabwägung gegen fehl. Nach den bindenden Feststellungen im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils ist der Beklagte zu 100 % schwer behindert und leidet an dem sog. Tourettesyndrom, das sich durch unkontrolliertes Schreien und Rufen, häufig durchsetzt mit unflätigen und obszönen Ausdrücken sowie auch unkontrollierte Bewegungen auszeichnet. Die dazu vorgelegte fachärztlichen1 Bescheinigung der MHH ... vom 9.12.2002 wird in der Berufungsbegründung nur sehr unvollständig, der Aussagewert als solcher unzutreffend wiedergegeben: In der fachärztlichen Bescheinigung heißt es ganz klar, dass bei dem Beklagten, der dort seit vielen Jahren betreut wird, ein "Tourette-Syndrom in extremer Ausprägung mit erheblichen motorischen und vokalen Tics sowie zahlreichen Verhaltensauffälligkeiten in zum Teil ebenfalls erheblicher Ausprägung bestehen".
Soweit der Kläger den vom Beklagten vorgelegten Aktenvermerk des Dr. ... vom 28.10.2003 weniger mit Sachargumenten als mit nicht begründeten Mutmaßungen zu möglichen Eigeninteressen des behandelnden Arztes vehement angreift, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine ärztliche Stellungnahme zu einem Wohnungswechsel und dessen gesundheitlichen Folgen in diesem Vermerk nicht enthalten ist. Es geht dort mehr um eine Beschreibung des Krankheitszustandes des Beklagten und schlicht um eine Wiedergabe der von ihm geschilderten Wohn- und Lebenssituation, Diese Beschreibungen werden von dem Attest der MHH ... vom 9.12.2002 gestützt. Gerade angesichts dieser fachärztlichen Bescheinigung der MHH ..., die von der Abteilung: Klinische Psychiatrie und Psychotherapie nach jahrelanger ärztlicher Betreuung des Beklagten erstellt worden ist, sieht die Kammer keinerlei Veranlassung dazu, ein weiteres Gutachten zum Gesundheitszustand des Beklagten einzuholen. Aufgrund dieser ärztlichen Stellungnahme, dem zum Großteil unstreitigen krankheitsbedingten Verhalten des Beklagten und seinem persönlichen Eindruck vorn Beklagten ist das Amtsgericht nachvollziehbar und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Wohnungswechsel für den Beklagten eine unzumutbare Härte darstellen würde.
Gerade vor dem Hintergrund der fachärztlichen Bescheinigung der MHH ... und dem unstreitigen krankheitsbedingten Verhaltens des Beklagten stellt es schlicht eine Behauptung in Blaue hinein dar, wenn der Kläger vorträgt, dass dem Beklagten ein Umzug gesundheitlich durchaus zumutbar sei und gegebenenfalls durch Medikamente die Symptome der Krankheit erheblich reduziert werden könnten. Zumal der Beklagte substantiiert vorgetragen hat, das es spezifische Medikamente gegen seine Krankheit nicht gibt.
Soweit der Kläger schließlich mit Nichtwissen bestreitet, dass der Beklagte krankheitsbedingt Gegenstände zerstört oder beschädigt, wie etwa Fensterscheiben etc., ist auch dies unerheblich. Zum einen ist bereits im Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts mit Bindungswirkung für die Berufungsinstanz festgestellt, dass der Beklagte zu unkontrollierten Bewegungen neigt. Zum anderen ist der Drang des Beklagten, gegen Gegenstände zu klopfen oder zu schlagen und die Haltbarkeit derselben solange zu prüfen, bis diese zerstört sind, bereits in der fachärztlichen Bescheinigung der MHH ... vom 9.12.1002 als typische Zwangshandlung im Rahmen der beim Beklagten vorliegenden Erkrankung beschrieben worden. Schließlich hat der Kläger selbst den Beklagten in seiner Eigenbedarfskündigung vom 23.9.2003 am Ende noch aufgefordert verschiedene Dinge, die durch Schläge beschädigt worden sein sollen, wie etwa Fliesen im Bad und Schindeln an der Terrassenwand, wieder zu reparieren.
Auch unter Berücksichtigung des noch jungen Lebensalters des Beklagten ist nach alledem mit dem Amtsgericht davon auszugehen, dass auch unter Berücksichtigung eines berechtigten Interesses des Klägers an einer Eigennutzung der Wohnung ihm ein Umzug aufgrund seiner schweren Behinderung bis auf weiteres nicht zumutbar ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 07 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige. Vollstreckbarkeit aus §§708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.