Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.04.2005, Az.: 10 T 8/04

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
20.04.2005
Aktenzeichen
10 T 8/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 42313
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2005:0420.10T8.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Dannenberg/Elbe - AZ: 39 XIV 892/01 L

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Beteiligung an einer Sitzblockade gegen die Durchführung des Castor-Transportes unter Verstoß gegen das Versammlungsverbot zur Sicherung der Transportstrecke stellt eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit dar.

  2. 2.

    Auch im Rahmen der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Ingewahrsamnahme kommt es auf eine ex ante - und nicht auf eine ex post - Betrachtung aus Sicht der Polizei an.

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 02. 02. 2004 aufgehoben.

    Der Antrag des Betroffenen auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsbeschränkung wird zurückgewiesen.

    Die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt. Das Beschwerdeverfahren und das weitere Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Die sofortige weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

    Beschwerdewert: 3000,00 €.

Gründe

1

I.

Wegen des Sachverhaltes wird zunächst auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 28. Oktober 2004 in dieser Sache zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Das Oberlandesgericht Celle hat auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers den Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 16. Juli 2004 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen.

2

Das Landgericht hat den Betroffenen sowie den Motorradfahrer als Zeugen vernommen. Ferner haben die an der Ingewahrsamnahme beteiligten Polizeibeamten, der für die Absperrung verantwortliche Hundertschaftsführer EPHK sowie der am 13.11.2001 verantwortliche Polizeiführer für den Bereich Laase und Umgebung, DirLBP schriftlich Angaben gemacht.

3

II.

Die sofortige Beschwerde der Polizeidirektion Lüneburg ist zulässig, insbesondere ist die Beteiligte beschwerdebefugt (vgl. Beschluss des OLG Celle v. 28.10.2004 in dieser Sache). Die Beschwerde ist auch begründet. Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war rechtmäßig, der angefochtene Beschluss des AG Dannenberg war daher aufzuheben.

4

Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Betroffene sowie die anderen Motorradfahrer sich in dieser Nacht jedenfalls bis an den Rand der Verbotsstrecke bewegen wollten und dabei verschiedene Polizeisperren umfahren haben. Der Betroffene selber hat insoweit angegeben, dass er sich bis an den Korridor heranbegeben wollte, aber nicht an einer Blockadeaktion teilnehmen wollte. Dazu hätten sie die Polizeikontrollen und Polizeistellen umfahren, wozu auch Feldwege benutzt werden mussten. Er sei zwar der Gruppe vorausgefahren, dies habe aber nichts mit einer Erkundungs und Aufklärungsfahrt zu tun gehabt. Die unmittelbar vor Ort beteiligten Polizeibeamten haben übereinstimmend angegeben, dass, soweit sie sich noch an den Vorgang erinnern konnten, die Motorradfahrer geäußert hätten, vorgehabt zu haben, im erlaubten Bereich zu demonstrieren. Die Polizeibeamten J. und T. hatten auch noch eine Erinnerung daran, dass sich die Motorradfahrer nach Laase begeben wollten. Nur der Polizeibeamte S. hatte noch eine Erinnerung daran, dass die Motorradfahrer Übernachtungsutensilien, wie einen Schlafsack, bei sich hatten.

5

Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass die unmittelbar an der Ingewahrsamnahme beteiligten Polizeibeamten gegen die Anordnung der Ingewahrsamnahme remonstriert haben, die Ingewahrsamnahme wurde jedoch durch den verantwortlichen Polizeiführer für den Bereich Laase und Umgebung in dieser Nacht, DirLBP, aufgrund einer Einschätzung des Gesamteinsatzgeschehens angeordnet. Dieses stellte sich am späten Abend des 13. 11. 2001 so dar, dass sich mehrere, teilweise auch mehrere hundert Personen umfassenden Gruppen in Richtung Laase bewegten, um sich an der dort stattfindenden Straßenblockade zu beteiligen. So bewegte sich um 20.30 Uhr eine Gruppe von ca. 250 Personen im Wald zwischen Gedelitz, Gorleben und Laase. Um 21.06 Uhr bewegte sich eine Gruppe von ca. 600 bis 700 Personen aus Gedelitz in Richtung Laase. Um 21.50 Uhr bewegten sich 250 Personen mit Traktoren aus Panneke in Richtung Dünsche/Laase. Um 21.52 Uhr wurden 150 Personen im Wald auf halber Strecke zwischen Gedelitz und Laase angetroffen. Um 23.07 Uhr wurden 2 Gruppen, jeweils 30 bis 40 Personen, festgestellt, die sich aus Gedelitz in Richtung Laase bewegten. Darunter befanden sich die Motorradfahrer, zu denen auch der Betroffene gehörte. Die Polizei ging daher davon aus, dass sich mehr als 1000 Personen in verschiedenen Gruppen im Waldgebiet zwischen LaaseGorlebenGedelitzGünsche befanden und sich in Richtung Laase bewegten mit der Absicht, sich an der Blockade zu beteiligen, zumal auf vorangegangenen Kundgebungen, u. a. um 19.30 Uhr in Dannenberg, dazu aufgerufen wurde, die Blockade in Laase zu verstärken.

6

Im Hinblick auf diese Gesamtlage durfte die Polizei davon ausgehen, dass die Ingewahrsamnahme der Motorradfahrer und damit auch des Betroffenen gemäß § 18 Abs. 1 Ziff. 2 des damals geltenden Nds.GefAG unerlässlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Die Beteiligung an einer Sitzblockade gegen die Durchführung des CastorTransportes unter Verstoß gegen das Versammlungsverbot zur Sicherung der Transportstrecke stellt eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit dar, vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21. Dezember 2004, 16 W 148/94. Es kann dahinstehen, ob der Betroffene tatsächlich vor hatte, sich an der Sitzblockade in Laase zu beteiligen, oder ob er sich dieser nur nähern wollte. Entscheidend ist vielmehr, ob es für die anordnenden Polizeibeamten auf der Grundlage der festgestellten oder unstreitigen Indizien so aussah, als ob der Betroffene sich an der Sitzblockade beteiligen wollte. Auch im Rahmen der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme kommt es auf eine ex ante - und nicht auf eine ex post - Betrachtung aus Sicht der Polizei an, vgl. dazu OLG Celle, Beschluss vom 21. Dezember 2004, 16 W 148/04. Diese ex ante - Betrachtung aus Sicht der Polizei führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Polizei aufgrund der Gesamtsituation im Raum Laase und Umgebung bei den sich gegen Mitternacht im Wald auf die Sitzblockade zu bewegenden Motorradfahrern davon ausgehen durfte, dass diese beabsichtigten, sich an der Blockade zu beteiligen. Die Ingewahrsamnahme war daher dem Grunde nach rechtmäßig.

7

Die Ingewahrsamnahme war auch hinsichtlich ihrer Dauer und hinsichtlich der Umstände rechtmäßig. Der CastorTransport traf am 14. 11. 2001 um 07.09 Uhr im Zwischenlager Gorleben ein. Im Hinblick darauf wurde die Entlassung sämtlicher in Gewahrsamgenommener angeordnet. Der Betroffene wurde zwar faktisch erst um 08.05 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen, dies ist jedoch auf die mit der Entlassung verbundenen notwendigen Formalitäten zurückzuführen und hinsichtlich der Dauer nicht zu beanstanden.

8

Hinsichtlich der Umstände der Ingewahrsamnahme rügt der Betroffene, dass die Fahrt im Bus nach Neu Tramm 3 Stunden gedauert habe und dabei auch eine Abgaswolke in den Bus gelangt sei, ferner sei während des Transportes keine Verpflegung erfolgt und ein Toilettengang nicht möglich gewesen. In Neu Tramm sei die Sammelzelle überfüllt und voller Unrat gewesen. Er habe sich als Lagerstättenersatz eine IsoMatte sowie eine Decke besorgen müssen.

9

Diese Umstände führen nicht dazu, dass die Ingewahrsamnahme insgesamt rechtswidrig gewesen wäre. Die Dauer des Bustransportes war darauf zurückzuführen, dass der Bus aufgrund der Gesamtsituation nicht auf dem schnellsten Weg fahren konnte. In Neu Tramm ist den Betroffenen jedoch ein Toilettengang ermöglicht worden, außerdem wurden IsoMatten und Decken zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich der Verpflegungssituation ist festzuhalten, dass nach der Stellungnahme des POR Lehne Warmgetränke gereicht wurden und neben Brötchen mit kalten Schnitzeln auch Käsebrötchen und Obst angeboten wurden. Hinsichtlich des den Betroffenen in der Sammelzelle 501 zur Verfügung stehenden Platzes hat POR Lehne angegeben, dass die pro Person zur Verfügung stehende Fläche von grundsätzlich 3,5 Quadartmetern nur temporär unterschritten wurde. Da der Betroffene jedoch insgesamt nur ca. 3 Stunden in der Sammelzelle untergebracht war, führen diese vorübergehenden Unannehmlichkeiten nicht dazu, dass die Freiheitsentziehung insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist. Gleiches gilt hinsichtlich der Abgaswolke während des Bustransportes. Auch insoweit kann die damit verbundene kurzzeitige Beeinträchtigung nicht dazu führen, dass die Ingewahrsamnahme insgesamt als rechtswidrig anzusehen ist. Was die Verschmutzung der Sammelzelle betrifft, gilt, dass vorhersehbare Unannehmlichkeiten nicht geeignet sind, die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zu begründen. Zu solchen vorhersehbaren Unannehmlichkeiten gehört es, dass Sammelzellen nach einiger Zeit auch mit Essen und Müll verschmutzt werden, jedenfalls dann, wenn die Sammelzelle vor ihrer Benutzung ordentlich gesäubert worden ist. Dies war nach der Stellungnahme des POR der Fall.

10

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 13 a Abs. 1 FGG, § 131 Abs. 1 Satz 2, § 30 KostO.

11

Die sofortige weitere Beschwerde wird nicht zugelassen, weil das Oberlandesgericht Celle die hier zur Entscheidung stehenden Rechtsfragen in einem Parallelverfahren bereits entschieden hatte.