Landgericht Lüneburg
Urt. v. 30.11.2005, Az.: 5 O 285/05

Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
30.11.2005
Aktenzeichen
5 O 285/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 49719
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2005:1130.5O285.05.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 03.08.2006 - AZ: 13 U 277/05
BGH - 23.10.2008 - AZ: IX ZR 173/06

In dem Rechtsstreit
XXX
Kläger,
Prozessbevollmächtigte: XXX
gegen
XXX
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte: XXX
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.2005 durch den Richter am Landgericht XXX als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.517,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2005 zu zahlen.

  2. 2.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter einen Anfechtungsanspruch geltend.

Der Kläger ist mit Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 26.05.2003 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Schuldners XXX bestellt. Jedenfalls seit Oktober 2002 war der Schuldner objektiv zahlungsunfähig.

Bei der Beklagten unterhielt der Schuldner seine einzigen Bankverbindungen. Der Schuldner war Landwirt; am 31.01.2002 war ihm seitens der Beklagten ein Kontokorrentkredit mit einem Limit in Höhe von 20.500 € eingeräumt worden (vgl. Kreditvertrag Bl. 50 fd. A.). Grundlage dieses Kreditvertrages waren die Allgemeinen Kreditbedingungen der Beklagten. Unter Ziffer 1 dieser Allgemeinen Kreditbedingungen findet sich folgender Abschnitt:

"Kreditrahmen, Überschreitungen

Der Kreditnehmer kann Verfügungen nur im Rahmen des eingeräumten Kredits vornehmen. Sollte es dennoch zu einer Inanspruchnahme über den Rahmen des eingeräumten Kredits hinaus kommen, so ist der darüber hinausgehende Betrag unverzüglich an die Bank zu zahlen; für derartige Überziehungen fällt ein höherer Überziehungszins an. Auch wenn Überschreitungen des eingeräumten Kredits geduldet worden sind, erweitern diese nicht den ursprünglich eingeräumten Kreditrahmen."

Zwischenzeitlich hatte die Beklagte dem Schuldner einen darüber hinausgehenden Kredit in Höhe von weiteren 50.000 € eingeräumt bis zum Eingang der so genannten "Preisausgleichszahlung 2002". Hierbei handelt es sich um Zuwendungen der Europäischen Union. Die letzte Zahlung hierzu erfolgte am 29.11.2002, so dass ab diesem Zeitpunkt dem Schuldner nur noch der ursprüngliche Kreditrahmen in Höhe von 20.500 € zur Verfügung stand.

Anfang Dezember 2002 befand sich das Kreditkonto des Schuldners mit einem Saldo von 39.724,71 € im Soll.

Die Parteien streiten um Beträge, die der Schuldner im Rahmen der so genannten "Hochwasser-Soforthilfe" durch die Landeszentralkasse Dessau im Dezember 2002 in Höhe von insgesamt 23.517 € erhalten hat. Diese Zahlungen, die auf dem Konto des Schuldners bei der Beklagten am 05.12., 10.12. und 23.12.2002 eingegangen sind, hat die Beklagte nach Kündigung des Kontoverhältnisses am 29.01.2003 vereinnahmt und mit dem Sollsaldo des Schuldners verrechnet. Hinsichtlich der Kontobewegungen im Zeitraum 05.12.2002 bis 21.01.2003 wird auf die Anlage B2 (Bl. 53 d. A.) verwiesen.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 25.04.2005 die Verrechnung der Zahlungseingänge im debitorischen Saldo des Kontokorrentkontos angefochten.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte die vereinnahmten Gelder aus der Hochwasser-Soforthilfe herauszugeben habe. Insoweit sei nämlich der Tatbestand der inkongruenten Deckung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO gegeben. Die Beklagte habe die eingehenden Gelder nicht ohne Weiteres mit dem Sollsaldo verrechnen dürfen.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Die Beklagte behauptet, sie habe keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gehabt. Zwar sei die Überziehung des Kontokorrentkontos geduldet worden; dies habe jedoch nicht einen konkludenten Vertragsabschluss auf einem weiteren Kredit bedeutet. Insbesondere angesichts der vorhergehenden Hinweise der Beklagten an den Schuldner, er habe für eine Rückführung des Sollsaldos bis zum eingeräumten Kreditrahmen Sorge zu tragen, habe hinreichend deutlich gemacht, dass dem Schuldner eben kein weiterer Kredit gewährt werden sollte. Angesichts dessen habe ihr ein sofort fälliger Anspruch auf Rückzahlung des über den eingeräumten Kreditrahmen hinaus in Anspruch genommenen Sollsaldos gehabt. Entsprechend liege gerade eine kongruente Deckung im Sinne der Insolvenzordnung vor.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst deren Anlagen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat vollen Erfolg. Die Beklagte hat dem Kläger gemäß § 131 Abs. 1 S. 2, 143 InsO die im Dezember 2002 auf dem Konto des Schuldners eingegangenen Zahlungen in Höhe von insgesamt 23.517 € auszukehren. Einen eigenen fälligen Zahlungsanspruch, mit dem die Beklagte nämlich die Gelder aus der Hochwasser-Soforthilfe verrechnen konnte, stand ihr nicht zur Seite. Entsprechend ist der Tatbestand der inkongruenten Deckung im Sinne der genannten Normen gegeben.

Der Kläger ist als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Schuldners und damit als Partei kraft Amtes zur Geltendmachung der Ansprüche berechtigt. Die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung sind gegeben. Nach § 131 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn - nach Ziffer 2 - die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war. Hier ist unstreitig, dass der Schuldner im Oktober 2002 objektiv zahlungsunfähig war. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens datiert vom 10.02.2003. Entsprechend sind die hier streitigen im Dezember 2002 erfolgten Leistungen der Hochwasser-Soforthilfe und die Verrechnung durch die Beklagte mit dem Sollsaldo innerhalb der genannten Fristen erfolgt.

Die Verrechnung durch die Beklagte mit dem Sollsaldo stellt eine Befriedigung dar, die die Beklagte zu der Zeit nicht zu beanspruchen hatte. Verrechnungen durch Saldierung auf einem Kontokorrentkonto stellen sich als inkongruente Deckung i. S. d. § 131 InsO dar, wenn hierdurch die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners gegenüber der Bank reduziert werden, ohne dass ein entsprechender fälliger Rückführungsanspruch besteht. So liegt es hier. In der Duldung der Überziehung des Kreditrahmens durch die Beklagte ist der schlüssige Abschluss eines Kreditvertrages zu sehen. Entsprechend hat die Beklagte ohne Kündigung der Kreditvereinbarung keinen fälligen Anspruch auf Rückführung der Überziehung. Die hier gleichwohl vorgenommene Verrechnung mit den auf dem Konto eingehenden Gutschriften aus der Hochwasser-Soforthilfe stellt ein inkongruentes Deckungsgeschäft dar.

Zwar ist hier eine ausdrückliche Kreditvereinbarung über den eingeräumten Kontokorrentrahmen hinaus nicht getroffen worden. Tatsächlich hat die Beklagte jedoch in erheblichem Umfange eine Überziehung des Kontos über das Kreditsaldo hinaus geduldet. Dies stellt nach den Umständen des hier zu entscheidenden Falles eine stillschweigende Kreditvereinbarung zwischen dem Schuldner und der Beklagten dar.

Zwar ist aus der bloßen Tatsache, dass die Beklagte eine Überziehung des Bankkontos des Schuldners über den eingeräumten Kreditrahmen hinaus zugelassen hat, allein nicht geeignet, eine stillschweigende Kreditvereinbarung anzunehmen. Eine nicht beanstandete Überziehung kann nämlich entweder auf einer bloßen Duldung der Bank beruhen, auf die der Kunde keinen Anspruch hat und die der Bank nicht das Recht nimmt, jederzeit sofortige Rückzahlung zu verlangen. Der tolerierten Überziehung kann aber auch eine stillschweigende vertragliche Vereinbarung zu Grunde liegen, so dass ein fälliger Rückzahlungsanspruch erst nach Kündigung der Bank besteht (vgl. BGH NJW 1999, 3781 f). Die bloße Duldung von Kontoüberziehungen hat im Regelfall keinen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert. Für die Annahme einer stillschweigenden Kreditvereinbarung bedarf es vielmehr besonderer, objektivierbarer Anknüpfungspunkte. Diese sind indes hier gegeben.

Unstreitig hat die Beklagte nämlich eine erhebliche Überziehung des Kreditlimits von 20.500 € zugelassen. Ausweislich des eingereichten Kontoauszuges befand sich das Konto des Schuldners am 05.12.2002 mit einem Saldo von 39.724,71 € im Soll, mithin fast dem Doppelten des eigentlich eingeräumten Kreditlimits. Trotz dieses in hohem Maße überzogenen Kontos hat die Beklagte über Wochen hinweg Auszahlungen des Schuldners zugelassen, ohne etwa eine Auszahlungssperre zu verhängen. Die Hinweise der Beklagten, dass ein erheblicher Anteil dieser zugelassenen Auszahlungen darauf beruhte, dass hiermit weitere Kreditverpflichtungen des Schuldners bei der Beklagten bedient wurden, mag zwar zutreffen. Dies kann jedoch nicht zum Schluss führen, dass es sich bei diesen Kreditzinsen gleichsam nur um Buchungspositionen handele, hinter denen letztlich nicht die wirkliche Einräumung eines Kredites stehe. Denn die Darlehenszinsen fielen zu Lasten des Schuldners tatsächlich an und waren von diesem an die Beklagte zu zahlen. Hierzu war er offenbar und auch für die Beklagte ersichtlich nicht in der Lage, so dass allein durch die Darlehenszinsen stets und erneut eine Überziehung des Kontokorrentkredites bedingt war. Indem die Beklagte diese Überziehung zuließ, kreditierte sie automatisch dem Schuldner die anfallenden laufenden Darlehenszinsen. Dass diese Zinsansprüche eigene Ansprüche der Beklagten und nicht etwa eines dritten Gläubigers waren, spielt letztlich keine Rolle.

Darüber hinaus ist unstreitig, dass die geduldete Überziehung des Kreditrahmens nicht nur auf der Verbuchung von anfallenden Darlehenszinsen beruhte, sondern auch auf sonstigen Auszahlungen an den Schuldner. Diesem ist offenbar seitens der Beklagten eine uneingeschränkte weitere Verfügung trotz ausgeschöpften Kreditrahmens ermöglicht worden, indem Zahlungen an Versicherungen, Stromversorger, Krankenkasse oder GEZ zugelassen worden sind. Darüber hinaus waren dem Schuldner offenbar auch Abhebungen an Geldautomaten möglich.

Angesichts dieser wiederholt und dauerhaft geduldeten Überziehungen - über mehrere Wochen hinweg - wuchs ein schutzwürdiges Vertrauen des Schuldners in die weitere Duldung von Überziehungen. Zwar hat die Beklagte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie zur Grundlage der Geschäftsbeziehung zum Schuldner gemacht hat, bestimmt, dass in der Überschreitung des eingeräumten Kredites keine Erhöhung des ursprünglich eingeräumten Kreditrahmens liegen solle. Angesichts des anderweitigen faktischen Verhaltens der Bank über einen erheblichen Zeitraum und in erheblichem Umfange konnte und durfte der Schuldner allerdings davon ausgehen, dass die Beklagte an dieser ursprünglichen Vereinbarung nicht mehr festhalten wollte, sondern ihm in Höhe der jeweils geduldeten Überziehungen einen weiteren Kredit vertraglich einräumen wollte. Ganz entscheidend spricht für diese Auffassung auch die Tatsache, dass die Beklagte für die Überziehungen einen besonders hohen Überziehungszins berechnet hat. Grundlage für einen derartigen Zinsanspruch kann jedoch nur ein weiterer schlüssiger Darlehensvertrag sein. Denn wie bei dem ausdrücklich abgeschlossenen Darlehensvertrag richtet sich die Höhe der berechneten Zinsen nach Dauer und Höhe der Inanspruchnahme des Kredites. Da der Anspruch auf Zahlung von Überziehungszinsen letztlich nur eine darlehensvertragliche Grundlage haben kann und die Beklagte faktisch die Auszahlung von Geldern in erheblichem Umfang und über einen langen Zeitraum hinweg zuließ, war aus Sicht des Schuldners ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Beklagte ihm ein weiteres Darlehen in Höhe der jeweiligen Überziehung gewährte. In diesem Vertrauen wurde der Schuldner hier noch dadurch bestärkt, dass die Beklagte trotz Aufforderung, doch für eine Rückführung des Sollsaldos bis zu dem ausdrücklich eingeräumten vertraglichen Kreditlimits Sorge zu tragen, weiterhin Auszahlungen zuließ.

Redlicherweise kann sich die Beklagte daher nicht darauf zurückziehen, dass es sich bloß um eine Duldung der Überziehung ohne vertraglichen Bindungswillen ihrerseits gehandelt habe. In der Konsequenz ihrer Rechtsauffassung hätte sie dem Schuldner nicht über einen derartigen Zeitraum Verfügungen ermöglichen dürfen und insbesondere von der Berechnung gesonderter Überziehungszinsen Abstand nehmen müssen. Denkbar und unmissverständlich wäre stattdessen etwa die Berechnung von Kostenpauschalen für die einzelnen Buchungsvorgänge gewesen, womit der Anschein der Gleichbehandlung zum vereinbarten Kredit und den darin anfallenden regulären Darlehenszinsen vermieden worden wäre.

Nach allem war der Überziehungskredit, den die Beklagte dem Schuldner eingeräumt hat, als vertraglicher anzusehen und wäre erst nach vorheriger Kündigung durch die Beklagte zur Rückzahlung fällig geworden. Ohne eine derartige Kündigung des schlüssig vereinbarten Darlehens war die Beklagte gehindert, die eingehenden Gelder ohne Weiteres mit dem Kreditsaldo zu verrechnen, ohne sich dem Vorwurf der Verrechnung in inkongruenter Deckung auszusetzen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.

Streitwert: 23.517,00 €.