Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.01.2003, Az.: 11 K 309/00
Versäumnis der Frist zur Erhebung einer Klage gegen einen Einspruchsbescheid; Keine Wahrung der Klagefrist durch rechtzeitige Übermittlung der Klageschrift durch den Kläger an den Beklagten zu Kenntnisnahme; Feststellungslast des Klägers für die Versendung einer Klageschrift per Fax; Frist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Wegfall des Hindernisses; Verweigerung der Akteneinsicht als Grund für die Fristversäumnis; Gerichtsbekannte Postlaufzeit bei der Zustellung eines normalen Briefes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.01.2003
- Aktenzeichen
- 11 K 309/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 12848
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0130.11K309.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 11.03.2004 - AZ: VII R 13/03
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs. 1 FGO
- § 56 Abs. 1 FGO
- § 47 Abs. 2 S. 1 FGO
- § 56 Abs. 2 S. 2 FGO
Amtlicher Leitsatz
Haftung
Keine Anbringung einer Klageschrift beim Finanzamt bei Übersendung nur zur Kenntnisnahme
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verweigerter Akteneinsicht
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Zur Einhaltung der Frist zur Erhebung einer Klage gegen einen Einspruchsbescheid reicht es nicht aus, die Klageschrift an die beklagte Behörde lediglich zur Kenntnisnahme und nicht zur Weiterleitung an das Gericht zu übersenden.
- 2.
Der Kläger trägt auch bei der angeblichen Versendung einer Klageschrift per Fax die Feststellunglast für den rechtzeitigen Zugang. Verbleiben trotz Sachaufklärungsbemühungen des Gerichts Unsicherheiten, gehen diese zu Lasten des Klägers.
- 3.
Die Verweigerung der Akteneinsicht durch den Beklagten stellt keinen Hinderungsgrund zur rechtzeitigen Absendung der Klage dar und begründet daher keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger als ehemaliger Geschäftsführer der G. GmbH (GmbH) für die Steuerschulden der Gesellschaft nach §§ 69, 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen werden kann.
Die GmbH wurde ... in K. gegründet. Ihr Betätigungsfeld lag im Handel, In- und Export von Waren und Rechten aller Art, sowie die Vermittlung jeglicher Sach- und Dienstleistungen. Alleiniger Geschäftsführer war der Kläger. Ende März 1997 stellte die GmbH ihre Tätigkeit ein, das Gewerbe wurde bei der Stadt K. abgemeldet. Zum ... 1997 erfolgt eine Anmeldung der Gesellschaft bei der Gemeinde S.
Der Kläger wurde vom Beklagten mit Haftungsbescheid vom ... für Steuerschulden und ausstehende steuerliche Nebenleistungen der GmbH in Höhe von insgesamt ... DM in Anspruch genommen. Der gegen den Verwaltungsakt erhobene Einspruch wurde mit Einspruchsbescheid vom 6. April 2000, der nach Abgabevermerk des Sachbearbeiters in der Rechtsbehelfsstelle des Beklagten am gleichen Tag zur Post gegeben wurde, zurückgewiesen.
Am 10. April 2000 erreichte den Beklagten ein Telefax des Klägers. In diesem wurde die an das Niedersächsische Finanzgericht adressierte Klageschrift vom gleichen Tag als Anlage zur Kenntnis übersendet. Der Kläger erklärte in dem Fax, die GmbH sei seiner Meinung nach vom Beklagten absichtlich liquidiert worden, sodass aus diesem Vorgang heraus entsprechende Forderungen in der Klage geltend gemacht würden. Eine Klagebegründung würde nach erfolgter Akteneinsicht abgegeben werden. Der Kläger werde eine Durchschrift dem Finanzgericht zusenden. Der Beklagte leitete die beigefügte Klageschrift nicht an das Finanzgericht weiter.
Am 18. April 2000 teilte der Kläger dem Beklagten in einem weiteren Schriftsatz mit, dass er den aus den Handlungen des Finanzamts K. resultierenden Schaden infolge der Liquidierung der GmbH nunmehr geltend mache. Er werde diesen Anspruch in das Verfahren beim Finanzgericht einbringen.
Am 10. Mai 2000 ging die Klageschrift vom 10. April 2000 bei Gericht ein; der Poststempel des Briefumschlags datierte vom 9. Mai 2000, 16 Uhr.
Der Kläger beantragte in der Klageschrift,
das Gericht möge den Beklagten anweisen, ihm die Einsichtnahme in die Steuerakten zu gewähren. Mit gerichtlicher Verfügung vom 21. Juni 2000 wurde der Beklagte gebeten, die Einsichtnahme in die bei ihm befindlichen Steuerakten zu ermöglichen. Hiervon wurde der Kläger durch das Gericht unterrichtet.
Das Gericht hat den Kläger mit gerichtlicher Verfügung vom 16. August 2000 auf die Versäumung der Klagefrist und auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen sowie um Stellungnahme binnen zwei Wochen gebeten. Mit Schreiben vom 24. August 2000 erklärte der Kläger, er habe den Einspruchsbescheid erst am 13. April 2000 erhalten und daher fristgerecht Klage erhoben. Es möge sein, dass der Verwaltungsakt vom Beklagten am 6. April 2000 worden sei. Seine Datierung beweise den Abgang zur Post aber nicht. Hinsichtlich der Klagebegründung stelle er Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da diese Versäumnis auf einer verspäteten Gewährung von Akteneinsicht durch den Beklagten beruhe. Mit Schreiben vom 15. September 2000 wies der Beklagte auf das Fax des Klägers vom 10. April 2000 hin. Die gerichtliche Verfügung, mit der der Kläger um Aufklärung des Sachverhalts gebeten wurde, blieb unbeantwortet.
Der Kläger rügt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Weiter ist er der Auffassung, eine Inanspruchnahme für die Lohnsteuerabzugsbeträge für den Monat Februar 1997 sei nicht möglich. Der Beklagte sei für den Erlass des Haftungsbescheids gegen ihn örtlich unzuständig gewesen. Das nach seiner Meinung zuständige Finanzamt K. habe im März 1997 eine nach Auffassung des Klägers illegale Kontenpfändung bei der Hausbank der GmbH durchgeführt. Diese habe dann die Kreditlinien gekündigt, sodass die GmbH nicht habe überleben können. Die geltend gemachten Beträge seien zu keinem Zeitpunkt vom Beklagten oder vom Finanzamt K. fällig gestellt worden.
Der Kläger trägt vor, es könne sein, dass er die Klage dem Gericht bereits vorab per Fax übermittelt habe. Einen Nachweis könne er aber nicht beibringen, denn er habe mittlerweile ein neues Faxgerät in Gebrauch. Es müsse ihm die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil er wegen der fehlenden Akteneinsicht nicht habe vollständig vortragen können. Zudem sei bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass er die Klage auch per Fax an das Gericht übermittelt habe.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom ... in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 6. April 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage wegen Fristversäumnisses für unzulässig. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestünden nicht.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
Das angerufene Gericht ist entgegen der Auffassung des Klägers für den Rechtsstreit örtlich zuständig. Nach§ 38 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), ist das Finanzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat. Der Beklagte hat seinen Sitz in Niedersachsen und damit im Gerichtsbezirk des Niedersächsischen Finanzgerichts (§ 1 Niedersächsisches Ausführungsgesetz zur Finanzgerichtsordnung).
Der Kläger hat die Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO nicht gewahrt. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO ist ihm nicht zu gewähren.
Gemäß § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Klage einen Monat. Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe des Einspruchsbescheids. Der Einspruchsbescheid gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Klagefrist begann mithin am 10. April 2000 und endete am 9. Mai 2000. Die Klageschrift vom 10. April 2000 ist jedoch bei Gericht erst am 10. Mai 2000, also verspätet eingegangen.
Die Klagefrist ist auch nicht durch die Übermittlung der Klageschrift als Anlage zum Fax an den Beklagten am 10. April 2000 nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gewahrt worden. Nach dieser Vorschrift gilt die Klagefrist als gewahrt, wenn die Klage innerhalb eines Monats bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, angebracht wird. Eine derartige Anbringung bei der Behörde setzt voraus, dass sich durch Auslegung des Schriftstücks unter sinngemäßer Anwendung des § 133 BGB erkennen lässt, dass es sich um ein für das Finanzgericht bestimmtes Schriftstück handelt (BFH-Beschluss vom 14. Februar 1997 I B 80/96, BFH/NV 1997, 675). Nur so ist gewährleistet, dass das Gericht zumindest mittelbar über den Beklagten als Empfänger des Schreibens angesprochen ist (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2000 III R 69/97, BFH/NV 2001, 784).
Im konkreten Fall ergibt die Auslegung des beim Beklagten eingegangenen Faxes jedoch, dass die als Anlage beigefügte Klageschrift nur zur Kenntnisnahme und nicht zur Weiterleitung an das Gericht bestimmt war. Der Kläger hat vielmehr erklärt, er wolle selbst für die Einreichung der Klage bei Gericht sorgen, weil er das an den Beklagten gerichtete Fax als Anlage bei Gericht einreichen wollte. Auch aus dem nachfolgenden Schreiben an den Beklagten vom 17. April 2000 geht hervor, dass der Kläger seinen Schadensersatzanspruch direkt bei Gericht in das Verfahren einbringen wollte (vgl. zu einer derartigen Ankündigung Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Oktober 1975 IV 105/74, EFG 1976, 193, rkr.).
Der Kläger kann mit seinem in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebrachten Einwand, er habe die Klageschrift vom 10. April 2000 bei lebensnaher Betrachtung sicherlich auch dem Gericht innerhalb der Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO per Fax übermittelt, nicht durchdringen. Die Klagefrist ist gewahrt, wenn die Klage innerhalb eines Monats seit Bekanntgabe des Einspruchsbescheids bei Gericht zugeht, d.h. derartig in seinen Verfügungsbereich gelangt ist, dass das Gericht von ihr Kenntnis nehmen kann (von Groll, in: Gräber, FGO, 5. Aufl. 2002, Vor § 33 Rn. 14, § 47 Rn. 13). In den Gerichtsakten befindet sich kein entsprechendes Faxschreiben des Klägers. Unter diesen Umständen genügt es nicht, wenn der Kläger nur behauptet, möglicherweise ein solches Fax an das Gericht geschickt zu haben. Er trägt für den rechtzeitigen Zugang der Klage die Feststellungslast (BFH-Urteil vom 24. September 1985 IX R 47/83, BStBl. II 1986, 268). Verbleiben trotz Sachaufklärungsbemühungen des Gerichts Unsicherheiten, gehen diese zu seinen Lasten. Der Kläger konnte für die behauptete Übermittlung des Faxes in der mündlichen Verhandlung kein Sendeprotokoll vorlegen. Nach seiner Einlassung konnte er ein solches auch nicht mehr beschaffen, weil er zwischenzeitlich ein neues Gerät benutzt.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO war dem Kläger wegen der Versäumung der Klagefrist nicht zu gewähren. Nach dieser Vorschrift kann jemandem, der ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn er dies innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beantragt und die zur Begründung erforderlichen Tatsachen mitteilt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO).
Der Kläger hat den Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen, nachdem ihn das Gericht auf die Versäumung der Klagefrist aufmerksam gemacht hat, und damit rechtzeitig gestellt. Die von ihm dabei vorgebrachte Begründung, wonach er an der rechtzeitigen Absendung der Klageschrift wegen der verweigerten Akteneinsicht durch den Beklagten gehindert worden sei, kann sein Verschulden an der Fristversäumnis aber nicht beseitigen. Der Kläger hatte seine Klageschrift bereits am 10. April 2000 erstellt, weil er sie an diesem Tag dem Beklagten zur Kenntnis übermittelte. Genau diese Klageschrift hat er dann dem Gericht am 10. Mai 2000 zugeleitet. Eine Klagebegründung hätte noch im weiteren gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden können.
Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebrachte weitere Begründung, die rechtzeitige Übermittlung der Klageschrift per Fax bei Gericht sei wegen eines Übertragungsfehlers gescheitert, ist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO schon deshalb unbeachtlich, weil sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses dem Gericht mitgeteilt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BStBl. II 1985, 586; BFH-Beschluss vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BStBl. II 1990, 546).
Schließlich kann die Wiedereinsetzung nicht auf Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung durch die Deutsche Post AG gestützt werden. Ein solches Hindernis ist von Amts wegen zu berücksichtigen, weil sich die Postlaufzeit unmittelbar aus dem Poststempel des Briefumschlags, der sich bei den Akten befindet, entnehmen lässt. Nach der Rechtsprechung darf der Absender auf die normale Laufzeit einer ordnungsgemäß adressierten und frankierten Sendung vertrauen. Es ist gerichtsbekannt, dass die Zustellung eines "normalen" Briefes von einem Ort innerhalb Norddeutschlands nach Hannover unter gewöhnlichen Umständen nicht bereits am Tag der Einlieferung bei der Poststelle, sondern am nächsten Werktag erfolgt, wenn der Brief nicht bereits am frühen Morgen, sondern erst am Nachmittag zur Post gegeben wird. Eine Verzögerung der Postlaufzeit, die das Verschulden des Klägers an nicht fristgerechten Übermittlung der Klageschrift beseitigen könnte, hat daher nicht stattgefunden.
Da die Klage unzulässig ist, war die Frage derörtlichen Zuständigkeit des Beklagten für den Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids nicht mehr zu klären. ImÜbrigen ist der Beklagte nach §§ 17, 24 AO örtlich zuständig gewesen, weil das Finanzamt K. nach der Einstellung des Betriebs der GmbH die Steuerakten an den Beklagten im Juli 1998 abgegeben hatte und mithin der Beklagte nach § 26 AO für die Abwicklung der Lohnsteuer zuständig war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.