Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.01.2003, Az.: 16 K 10365/01

Objektive Beweislast des Finanzamtes für die Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden ; Nachträgliches Bekanntwerden von Tatsachen für die Gewährung der Eigenheimzulage

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
30.01.2003
Aktenzeichen
16 K 10365/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 26654
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0130.16K10365.01.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 09.06.2005 - AZ: IX R 75/03

Fundstelle

  • EFG 2004, 1414-1415

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Zu den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.

  2. 2.

    Waren dem Finanzamt bei Erteilung des Bescheides über die Eigenheimzulage bereits alle Umstände bekannt, die es später zum Anlass genommen hat, den Bescheid nach § 173 Abs. 1 AO zu ändern, so scheidet eine Änderung aufgrund des nachträglichen Bekanntwerdens neuer Tatsachen aus.

  3. 3.

    Sog. Hilfstatsachen sind allenfalls dann geeignet, eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu begründen, wenn sie einen sicheren Schluss auf die Haupttatsache ermöglichen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist nicht verheiratet und wird zur Einkommensteuer einzeln veranlagt. Sie hat zwei Kinder, ihren leiblichen Sohn B, geb. am 16.07.1992, und als Pflegesohn den am 25.12.1994 geborenen S-K. Von dem Vater ihres Sohnes B, A-J, erwarb sie mit Kaufvertrag vom 22.12.1995 eine von zwei Eigentumswohnungen in seinem Haus in S zum Preis von DM 106.250,00. Die Klägerin zog noch im Dezember 1995 in die Wohnung ein. Die im unteren Haus belegene Wohnung bewohnte der Kindesvater. Beide Wohnungen waren jeweils durch zunächst provisorisch eingebaute Türen abgeschlossen. Mit Datum vom 08.02.1996 erteilte der Landkreis...eine Abgeschlossenheitsbescheinigung für die Wohnung der Klägerin. In 1998 ließ sie in ihre Wohnung als Wohnungsabschluss eine Falttüranlage einbauen. Hintergrund war, die Kinder in beiden Wohnungen gemeinsam betreuen zu können. Daneben wollte die Klägerin die Möglichkeit behalten, ihre Wohnung bei Bedarf abschließen zu können.

2

Mit Bescheid vom 14.05.1996 gewährte der Beklagte der Klägerin eine Eigenheimzulage in Höhe der Grundförderung und der Kinderzulage für das Pflegekind S. Für das leibliche Kind B wurde die Kinderzulage nicht gewährt, da dieser nach den Angaben in den Steuererklärungen zum Haushalt seines Vaters gehörte. Mit Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 17. März 1998 (Az. I 24/1997) wurde der Klägerin die Eigenheimzulage auch unter Berücksichtigung der Kinderzulage für den Sohn B zugesprochen.

3

Im Laufe des dem Urteil vorangegangenen Rechtsmittelverfahrens waren beim Beklagten Zweifel aufgekommen, ob es sich bei der Wohnung der Klägerin tatsächlich um eine abgeschlossene Wohnung i.S.d. Eigenheimzulagengesetzes gehandelt habe und die Voraussetzungen für die Gewährung der Eigenheimzulage vorgelegen haben. Eine von dem Beklagten in Aussicht gestellte Besichtigung der Wohnung lehnte die Klägerin ab. Bei der äußeren Besichtigung des Hauses stellte der Beklagte fest, dass an dem Gebäude jeweils nur eine Hausnummer und ein Klingelknopf vorhanden war. Eine Rücksprache mit dem Landkreis ergab, dass die Abgeschlossenheitsbescheinigung lediglich aufgrund einer eingereichten Bauzeichnung erteilt worden war und eine Nachschau nicht stattgefunden hatte. Unterlagen und Fotos, mit denen die Klägerin die Abgeschlossenheit der Wohnung gegenüber dem Beklagten nachweisen sollte, legte sie nicht vor.

4

Mit Bescheid vom 25.10.1999 erließ der Beklagte einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid über Eigenheimzulage ab 1995 und setzte die Eigenheimzulage auf DM 0,00 fest. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

5

Die Klägerin trägt vor, ihre Wohnung sei ebenso wie die von A-J von Beginn an durch eine Tür abgeschlossen gewesen. Dies ergebe sich auch aus den Bauzeichnungen und den gesonderten Abrechnungsbescheiden der Gemeinde. Die Abtrennungen seien aus pragmatischen Gründen so gestaltet gewesen, dass es möglich gewesen sei, die Kinder problemlos in beiden Haushalten zu betreuen. Eine zweite Klingel sei nicht erforderlich gewesen, da an der Haustür ein Türklopfer mit dem Namensschild "A-J" angebracht sei. Eine weitere Hausnummer habe erst nach Erteilung durch die Gemeinde angebracht werden können. Einer Nachschau in der Wohnung habe sie nicht zugestimmt, da einige Jahre zuvor ihre Mietwohnung gegen ihren Willen und für sie völlig überraschend von dem Vermieter abgerissen worden sei.

6

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 25. Oktober 1999 und den Einspruchsbescheid vom 10. Juli 2001 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin stünde eine Eigenheimzulage nicht zu, da sie nicht nachgewiesen habe, dass ihre Wohnung tatsächlich abgeschlossen gewesen sei. Die Voraussetzungen für die Änderung des die Eigenheimzulage bewilligenden Bescheides lägen vor, da die Klägerin ihrer Mitwirkung zum Nachweis der Abgeschlossenheit durch Verweigerung einer Nachschau nicht nachgekommen sei und insofern Indizien vorlägen, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung tatsächlich nicht abgeschlossen gewesen sei. Diese Indizien begründeten eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

9

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht hat die bei dem Beklagten geführte Akte über die Gewährung der Eigenheimzulage vorgelegen.

Gründe

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Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen für dieÄnderung des Eigenheimzulagebescheides vom 25.10.1999 liegen nicht vor.

11

Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Regelung setzt voraus, dass die Tatsachen bei Erlass des ursprünglichen Bescheides vorhanden waren und vom Finanzamt bei umfassender Kenntnis des Sachverhalts hätten berücksichtigt werden können. Erst nachträglich eintretende Tatsachen führen nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfüllt. Das Finanzamt trägt grundsätzlich die objektive Beweislast dafür, dass die für die Änderung des Bescheides erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen im Sinne des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vorliegen, insbesondere dafür, dass ihm Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind (vgl. BFH, Urteil vom 19.05.1998 I R 140/97 BFHE 186, 124, BStBl II 1998, 599). Im Fall eines ungeklärten und auch nicht mehr aufklärbaren Sachverhalts darf eine Änderung nicht vorgenommen werden. Dies gilt jedoch nur, wenn das Finanzamt ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres hätten aufdrängen müssen, nicht nachgeht. Für die Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des Finanzamts kommt es wesentlich darauf an, ob der Steuerpflichtige in seiner Steuererklärung den steuerlich relevanten Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich dem Finanzamt zur Prüfung unterbreitet hat. Insofern muss der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben (vgl. BFH, Urteil vom 23.01.2002 XI R 55/00, n.v.). Das Finanzamt muß den eingereichten Steuererklärungen nicht mit Misstrauen begegnen. sondern kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Versäumen sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft i.d.R. die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH, Urteil vom 14.12.1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293; Urteil vom 10.04.1997 IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757). Keine Tatsachen i.S.d. Vorschrift sind Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen (BFH-Urteil vom 28. März 1985 IV R 159/82, BFH-E 144, 521, BStBl II 1986, 120).

12

Unter Beachtung dieser Grundsätze durfte der Beklagte den bestandskräftigen Steuerbescheid nicht nach § 173 Abs. 1 AO ändern. Dem Finanzamt sind nicht nachträglich Tatsachen bekannt geworden, die bereits bei der Gewährung der Eigenheimzulage vorgelegen haben und dem Finanzamt infolge einer Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin unbekannt geblieben sind. Bei der Erteilung des Bescheides über die Eigenheimzulage waren dem Finanzamt alle Umstände bekannt, die es später zum Anlass genommen hat, den Bescheid zu ändern. Dem Finanzamt war bekannt, dass A-J der Kindesvater von B war, dass die Klägerin ihre Wohnung von ihm gekauft hatte, dass dieser mit ihr im gleichen Haus die untere Wohnung bewohnte und dass beide gemeinsam die Kinder erzogen. Auch die Frage der Abgeschlossenheit der Wohnung der Klägerin wurde vom Beklagten geprüft und von der Klägerin anhand der von ihr vorgelegten Abgeschlossenheitsbescheinigung bestätigt. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten der Klägerin bei der Entscheidungüber die Gewährung der Eigenheimzulage kann daher nicht festgestellt werden.

13

Das Finanzamt stützt den Erlass des Änderungsbescheids vielmehr allein darauf, dass ihm im Nachhinein während eines Rechtsmittelverfahrens der Klägerin wegen der Anerkennung einer höheren Eigenheimzulage Zweifel gekommen seien, ob die Wohnung der Klägerin abgeschlossen gewesen sei. Die Klägerin hat daraufhin die Abgeschlossenheit der Wohnung nochmals bestätigt und auf ihre Angaben bei Gewährung der Eigenheimzulage verwiesen. Eine weitere Mitwirkungspflicht traf die Klägerin nicht. Insbesondere brauchte sie den Beklagten nicht in ihre Wohnung zu lassen. Die von dem Beklagten geltend gemachten Hilfstatsachen, die Klägerin habe sie nicht in ihre Wohnung gelassen, keine Lichtbilderüber die Wohnung vorgelegt, am Haus habe sich nur ein Klingelknopf befunden und es sei nur eine Hausnummer am Haus angebracht gewesen, begründen keine neuen Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 AO. Soweit der Beklagte auf die fehlende zweite Klingel und Hausnummer verweist, liegen bereits keine Hilfstatsachen vor, da es ausreichend war, dass an dem Haus ein Türklopfer für die Wohnung von A-J angebracht ist und die Klägerin ihre Hausnummer erst anbringen konnte, nachdem ihr eine entsprechende Hausnummer von der Gemeinde erteilt worden war. Im Übrigen wären Hilfstatsachen nur dann geeignet, eine neue Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu begründen, wenn sie einen sicheren Schluss auf die Haupttatsache - hier: dass die Wohnung nicht abgeschlossen gewesen sei - ermöglichen würden (vgl. BFH, Urteil vom 06.12.1994 IX R 11/91, BFH-E 176, 221, BStBl II 1995, 192). Dieser sichere Schluss kann allein aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin berechtigterweise den Zugang zu ihrer Wohnung nicht ermöglicht hat, nicht gezogen werden.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).