Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.01.2003, Az.: 13 K 389/99
Vorwurf des groben Verschuldens wegen unvollständiger Angaben in Steuererklärung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 21.01.2003
- Aktenzeichen
- 13 K 389/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 12835
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0121.13K389.99.0A
Rechtsgrundlage
- § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Fundstellen
- EFG 2003, 749-750
- INF 2003, 361
- PStR 2003, 11
- V&S 2003, 5-6
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann.
- 2.
Subjektive Rechtsirrtümer, die zu einem nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führen, schließen grobe Fahrlässigkeit aus.
- 3.
Auch bei unvollständigen Angaben in einer Steuererklärung kann ein subjektiver Rechtsirrtum vorliegen. Mangelnde steuerrechtliche Kenntnisse eines Stpfl. ohne einschlägige Ausbildung begründen für sich allein kein grobes Verschulden.
- 4.
Wird eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beantwortet, liegt regelmäßig grobes Verschulden vor. Ob das im Einzelfall gegeben ist, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Wird der inhaltliche Sinn einer Frage nicht verstanden und die Frage daher unbeantwortet gelassen, spricht das gegen grobes Verschulden. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich bei den nicht beantworteten Fragen des Erklärungsformulars um nur schwer verständliche Fragestellungen handelt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 noch geändert werden können.
Die Kläger sind Ehegatten, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger erzielte als Geschäftsführer der B Unternehmensberatung GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
In ihren Einkommensteuererklärungen 1994 und 1995 machten die Kläger bei den Sonderausgaben keinen Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltend. Dagegen wurden erhebliche Beiträge für Kranken-, Unfall- und Lebensversicherungen geltend gemacht. Aus den beigefügten Lohnsteuerkarten war ersichtlich, dass für den Kläger keine Sozialversicherungsabgaben (Arbeitnehmeranteil) geleistet worden waren.
Die Frage auf der Anlage N, ob trotz fehlender gesetzlicher Rentenversicherungspflicht eine Anwartschaft auf Altersversorgung ganz oder teilweise ohne eigenen Beitragsleistung entstanden sei, wurde nicht angekreuzt. Die Kläger kreuzten auch nicht die darauf folgende Frage an, ob bei fehlender gesetzlicher Rentenversicherungspflicht keine Anwartschaft auf Altersversorgung oder nur eine Anwartschaft aufgrund eigener Beitragsleistung entstanden sei.
Die Kläger haben diese Fragen auch in den Vorjahren nicht beantwortet. In den Jahren 1992 und 1993 gewährte der Beklagte den Kläger die gekürzte Vorsorgepauschale. In den Streitjahren wurde die Kennzahl für die ungekürzte Vorsorgepauschale eingegeben.
In dem Einkommensteuerbescheid 1994 vom xx.xx 1997 und in dem Einkommensteuerbescheid 1995 vom xx.xx 1997 wurde der sogenannte Vorwegabzug jeweils bis auf DM 0 gekürzt. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen waren die Bescheide vorläufig.
Mit Schreiben vom xx.xx 1999 begehrten die Kläger die rückwirkende Änderung der Bescheide, da der Kläger als GmbH-Gesellschaftergeschäftsführer keine Arbeitgeberzuschüsse zur Rentenversorgung erhalten habe. Er habe erst durch eine Fachzeitschrift der Stadtsparkasse von den Regelungen zum Vorwegabzug erfahren. Der Kläger sei steuerlicher Laie und ihm sei nicht bewusst gewesen, dass das erforderliche Kreuz derartige Auswirkungen habe. Da er früher Arbeitnehmer gewesen sei, sei die Begrenzung des Vorwegabzugs für ihn üblich gewesen und habe ihn nicht weiter gewundert.
Mit Bescheid vom xx.xx 1999 lehnte der Beklagte den Antrag auf Änderung der Einkommensteuerbescheide ab. Eine Änderung nach § 165 Abgabenordnung (- AO -) wurde abgelehnt, weil die Frage, ob eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung bestehe, nicht Gegenstand der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sei. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wurde wegen groben Verschuldens abgelehnt.
Mit am xx.xx 1999 eingegangenem Schreiben legten die Kläger Einspruch mit der Begründung ein, dass kein grobes Verschulden vorliege. Zwar hätten die Kläger die Frage auf der Anlage N nicht beantwortet, doch handele es sich nicht um eine deutlich erkennbare direkt zuzuordnende Steuervergünstigung. Zudem hätte der Beklagte erkennen müssen, dass keine Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber geleistet worden seien. Angesichts der Unklarheiten in den Erklärungen hätte der Beklagte zurückfragen müssen.
Mit Einspruchsbescheid vom xx.xx 1999 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Es liege ein grobes Verschulden der Kläger vor, weil sie eine ausdrücklich gestellte und unmissverständliche Frage nicht beantwortet hätten. Eine mögliche Verletzung von Aufklärungs- oder Fürsorgepflichten des Finanzamtes sei demgegenüber unbeachtlich.
Mit am xx.xx 1999 eingegangener Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Die Kläger tragen vor, dass lediglich ein Versehen der Kläger vorliege. Die Kläger hätten als steuerliche Laien den Zusammenhang zwischen der Frage auf der Anlage N und der Anerkennung der Sonderausgaben nicht erkannt. Es liege ein großes Mitverschulden des Beklagten vor. Anhand der Angaben auf der Lohnsteuerkarte hätte der Beklagte erkennen können und müssen, dass eine Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer ohne Sozialversicherungspflicht vorgelegen habe. Der Beklagte hätte bei den Klägern Rücksprache halten müssen. Der Beklagte könne nicht einfach nach dem Motto verfahren "kein Kreuz - also zuviel Steuern zahlen". Es treffe den Beklagten ein grobes Verschulden. Deshalb sei es nicht hinnehmbar, dass sich der Beklagte auf grobes Verschulden berufe. Es sei weltfremd zu glauben, dass ein Steuerpflichtiger nach der Lektüre der Erläuterungen zu den Formularen in der Lage sei, den Zusammenhang zwischen den Angaben in der Anlage N und den Sonderausgaben herzustellen.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom xx.xx 1999 und des Einspruchsbescheids vom xx.xx 1999 die Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 dahingehend zu ändern, dass der Vorwegabzug ohne Kürzung gewährt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Steuerpflichtiger handele grob fahrlässig, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stand sei, in ungewöhnlichem Maß und in nicht entschuldbarer Weise verletze. Ein Steuerpflichtiger handele insbesondere grob fahrlässig, wenn er durch eine - bei gewissenhaftem Durchlesen vermeidbare - grobe Unachtsamkeit eine im Steuererklärungsvordruck ausdrücklich gestellte Frage nicht beachte. Dabei habe er auch die Hinweise in den Merkblättern heranzuziehen, soweit diese auch für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig abgefasst seien und in Bezug auf das Durchlesen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden würden.
Es liege ein grobes Verschulden der Kläger vor. Die Kläger hätten eine ausdrücklich gestellte Frage nach der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nicht beantwortet. Die Frage sei nicht schwieriger zu verstehen, als andere durchschnittliche Fragen des Vordrucks. In den Anleitungen zu den Einkommensteuererklärungen seien erläuternde Hinweise vorhanden, die den Zusammenhang mit der Vorsorgepauschale und der Höhe der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen herstellen würden. Weil der Erklärungsvordruck und die Anleitung so ausführlich auf den Zusammenhang der gestellten Frage mit dem Abzug von Vorsorgeaufwendungen hinweisen würden, könnten sich die Kläger nicht auf Rechtsunkenntnis berufen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Einkommensteuerakte unter der Steuernummer xx/xxx/xxxxxx und auf die Niederschrift vom xx.xx 2003 verwiesen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
I.
Der Beklagte ist verpflichtet, die Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 dahingehend zu ändern, dass der Vorwegabzug ohne Kürzung gewährt wird.
1.
Allerdings hat der Beklagte zu Recht eine Änderung nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO abgelehnt. Zwar sind die Einkommensteuerbescheide 1994 und 1995 hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen vorläufig ergangen. Die Vorläufigkeit bezieht sich aber ausdrücklich auf anhängige Musterverfahren wegen einer etwaigen Verfassungswidrigkeit der Regelungen. Die vorrangige Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vorwegabzugs vorliegen, ist von der Vorläufigkeit nicht umfasst (vgl. Urteil des FG Berlin vom 22. Februar 1995 I 105/94, EFG 1995, 743; BFH-Beschluss vom 6. November 1995 III B 78/95, BFH/NV 1996, 378).
2.
Die Bescheide sind aber gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Danach ist eine Änderung durchzuführen, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
a)
Dem Beklagten sind nachträglich Tatsachen bekannt geworden, die zu einer niedrigeren Steuer führten. Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH-Urteil vom 28. September 1984 VI R 48/82, BStBl II 1985, 117; BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BStBl II 1992, 65; BFH-Urteil vom 8. Dezember 1998 IX R 14/97, BFH/NV 1999, 743).
Für die Kürzung des Vorwegabzugs ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 Buchstabe a Einkommensteuergesetz (- EStG -) erforderlich, dass für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Die Angaben in den Einkommensteuererklärungen 1994 und 1995 waren für die Entscheidung, in welcher Höhe der Vorwegabzug zu gewähren ist, nicht ausreichend. Zwar war durch die Angaben der Kläger erkennbar, dass keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht bestand. Denn für den Kläger wurde - als Geschäftsführer einer nach ihm benannten GmbH - kein Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag abgeführt. Die Kürzung des Vorwegabzugs entfällt aber nur, wenn weder eine gesetzliche Rentenversicherungspflicht besteht, noch eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung auf Grund von Leistungen des Arbeitgebers zusteht (§ 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG). Insoweit hatten die Kläger weder die Frage nach einer Anwartschaft auf eine Altersversorgung mit auch fremder Beitragsleistung noch die Frage nach einer fehlenden Anwartschaft bzw. einer Anwartschaft nur aufgrund eigener Beitragsleistung beantwortet. Angesichts dieser fehlenden Information konnte objektiv nicht beurteilt werden, ob ein Fall des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG vorlag oder nicht.
Erst nachdem die Kläger in ihrem Antrag vom xx.xx 1999 offen legten, dass der Kläger keine Arbeitgeberzuschüsse zur Rentenversorgung erhalten hat, wurden die Tatsachen bekannt, die für die Beurteilung des § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG erforderlich waren. Nunmehr ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht gegeben ist, so dass materiell-rechtlich der ungekürzte Vorwegabzug gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG zu gewähren ist.
b)
Die Kläger trifft kein grobes Verschulden daran, dass diese Tatsachen erst nachträglich bekannt geworden sind. Als grobes Verschulden im Sinne von§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn er die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 29. Juni 1984 VI R 181/80, BStBl II 1984, 693; BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BStBl II 1992, 65; BFH-Urteil vom 1. Oktober 1993 III R 58/92, BStBl II 1994, 346).
aa)
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Fehler des Steuerpflichtigen auf einem Versehen, also auf leichter Fahrlässigkeit beruhen (BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BStBl II 1993, 80). Subjektive Rechtsirrtümer, die zu einem nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führen, schließen die grobe Fahrlässigkeit aus. Auch bei unvollständigen Angaben in einer Steuererklärung kann ein solcher subjektiver Rechtsirrtum vorliegen (BFH-Urteil vom 10. August 1988 IX R 219/84, BStBl II 1989, 131; BFH-Urteil vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BStBl II 1989, 960; BFH-Urteil vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379). Mangelnde steuerrechtliche Kenntnisse eines Steuerpflichtigen ohne einschlägige Ausbildung begründen für sich alleine kein grobes Verschulden (BFH-Urteil vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BStBl II 1989, 960; BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BStBl II 1993, 80).
bb)
Andererseits kann ein grobes Verschulden vorliegen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unzutreffende oder unvollständige Angaben macht. Denn der Steuerpflichtige hat gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO die Angaben in der Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um eine Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss er das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Wird eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beantwortet, liegt regelmäßig ein grobes Verschulden vor (BFH-Urteil vom 29. Juni 1984 VI R 181/80, BStBl II 1984, 693; BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BStBl II 1992, 65; BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/92, BStBl II 1993, 80 [BFH 22.05.1992 - VI R 17/91]).
cc)
Ob nach diesen Grundsätzen ein grobes Verschulden vorliegt, ist im Wesentlichen Tatfrage. Bei Würdigung der Gesamtumstände hat der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine grobe Fahrlässigkeit der Kläger festgestellt. Vielmehr sprechen die überwiegenden Anzeichen dafür, dass die Kläger den inhaltlichen Sinn der Frage nach einer Anwartschaft nur auf Grund eigener Beitragsleistung nicht verstanden haben und die Frage darum unbeantwortet ließen.
Die Kläger haben in ihren Einkommensteuererklärungen 1994 und 1995 offen gelegt, dass der Kläger der Geschäftsführer einer nach ihm benannten GmbH war. Sie haben ebenfalls offen gelegt, dass der Kläger keinen Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag geleistet hatte. Daraus ergibt sich, dass eine gesetzliche Rentenversicherungspflicht nicht bestand. Die Nichtbeantwortung der Fragen zur Anwartschaft auf Altersversorgung aufgrund eigener Beitragsleistung oder aufgrund auch fremder Betragsleistung führte unter diesen Umständen zur Unschlüssigkeit der Steuererklärungen. Unter Berücksichtigung der Angaben der Kläger hätten sie entweder die eine oder die andere Frage ankreuzen müssen, die Nichtbeantwortung beider Fragen war schon aus logischen Gründen nicht möglich. Dies spricht dafür, dass die Kläger den inhaltlichen Sinn der Fragen nicht verstanden haben und sie nicht beantwortet haben, weil sie die Fragen als auf ihren Fall nicht einschlägig erachteten. Anders ist es nicht zu erklären, dass sowohl die Frage nach einer Anwartschaft auf Grund eigener Beitragsleistung als auch die Frage nach einer Anwartschaft auf Grund auch fremder Beitragsleistung unbeantwortet blieb.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den nicht beantworteten Fragen des Erklärungsformulars um nur schwer verständliche Fragestellungen handelt. Schon die Formulierungen sind nicht leicht zu verstehen. Es wird von "fehlender gesetzlicher Rentenversicherungspflicht" und "Anwartschaft auf Altersversorgung" gesprochen, die "ganz oder teilweise ohne eigene Beitragsleistung" bzw. "nur aufgrund eigener Beitragsleistung" entstanden ist. Neben die hohen Anforderungen an die sprachlichen Fähigkeiten der Steuerpflichtigen treten hohe Anforderungen hinsichtlich des inhaltlichen Verständnisses. Es werden von den Steuerpflichtigen Kenntnisse darüber vorausgesetzt, was eine Anwartschaft auf Altersversorgung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ist und wie eine solche Anwartschaft entsteht. Dass der Sinn der Fragen nicht leicht verständlich ist, zeigt sich schon daran, dass sogar der Sachbearbeiter des Beklagten in den Jahren 1992 und 1993 widersprüchlich vorgegangen ist, als er einerseits die Kennzahl für die gekürzte Vorsorgepauschale eintrug und andererseits die Kürzung des Vorwegabzugs verfügte.
Für ein bloßes Nichtverstehen der Frage spricht auch, dass die Kläger die entsprechenden Fragen jedes Jahr nicht angekreuzt haben. Würde die Nichtbeantwortung auf dem unsorgfältigen Durchlesen des Erklärungsformulars beruhen, würde man erwarten, dass die Fragen - je nach der zufälligen Aufmerksamkeit des Ausfüllenden - in einem Jahr beantwortet und in einem anderen Jahr nicht beantwortet wären. Im vorliegenden Fall haben die Kläger aber seit dem Beginn der Geschäftsführertätigkeit im Jahre 1991 die Fragen nicht angekreuzt.
Ebenfalls für ein Nichtverstehen der Frage spricht, dass dem Kläger der Fehler erst durch das Studium einer Fachzeitschrift aufgefallen ist. Das Versäumnis wurde nicht bei der Bearbeitung einer Steuererklärung bemerkt. Vielmehr wurde auch die Erklärung 1997 ohne ein entsprechendes Kreuz auf der Anlage N abgeben. Das deutet darauf hin, dass die Kläger die Fragestellung bis zuletzt inhaltlich nicht verstanden haben. Aufklärung brachte erst eine Information, die nicht aus den Erklärungsvordrucken oder den Anleitungen stammte.
Auch die Anordnung der Fragen auf der Anlage N begünstigte ein falsches Verständnis. In dem Erklärungsvordruck 1994 sind die hier streitigen Fragen ohne trennende Überschrift nach den Fragen zu den vermögenswirksamen Leistungen angeordnet. In dem Erklärungsvordruck 1995 wurde zwar die Überschrift "ergänzende Angaben zu den Vorsorgeaufwendungen" eingefügt. Doch kann ein steuerlicher Laie dadurch kaum einen Zusammenhang mit den begrenzt abzugsfähigen Sonderausgaben herstellen. Ebenso verhält es sich mit den Anleitungen zu den Einkommensteuererklärungen (hierzu: BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BStBl II 1993, 80; Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23. Juni 1999 1 K 2553/98, EFG 1999, 1061). Die Anleitungen enthalten keine Erläuterungen, durch die das Verständnis der Fragen in dem Erklärungsformular erleichtert worden wäre. Auch der Hinweis, dass die Angaben zur Berechnung der Höhe der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen benötigt werden, ist eher allgemein gehalten und lässt keinen konkreten Bezug zu dem Vorwegabzug erkennen. Je unübersichtlicher die Fragestellung aber angeordnet ist und je weniger der inhaltliche Zusammenhang mit den Sonderausgaben erkennbar ist, um so eher besteht die Möglichkeit, dass die Fragen als nicht einschlägig missverstanden werden.
Zwar muss der Steuerpflichtige den sich bei dem Ausfüllen von Steuererklärungen aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen und die den Steuererklärungsformularen beigefügten Erläuterungen mit der zu erwartenden Sorgfalt lesen (BFH-Urteil vom 11. Mai 1990 VI R 76/86, BFH/NV 1991, 281; BFH-Urteil vom 9. August 1991 III R 24/87, BStBl II 1992, 65; BFH-Urteil vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379). Es muss aber berücksichtigt werden, dass die Kläger steuerliche Laien sind, die ihre Steuererklärungen selbst gefertigt haben (BFH-Urteil vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BStBl II 1989, 960; vgl. auch Urteil des FG Köln vom 25. Mai 1999 8 K 148/98, EFG 2000, 533). Es besteht auch keine Rechtspflicht, vor dem Ausfüllen von Steuererklärungen fachkundigen Rat einzuholen (BFH-Urteil vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379). Wird der hohe Schwierigkeitsgrad der Fragen und ihre Anordnung im Erklärungsformular zugrunde gelegt, erscheint es nachvollziehbar, dass die Kläger als steuerliche Laien die Fragen unbeantwortet ließen, weil sie den Sinn der Fragestellung nicht hinreichend erfassten. Es fragt sich eher, weshalb der Beklagte ohne weitere Nachfrage von einer Anwartschaft auf Altersversorgung mittels fremder Beitragsleistungen ausging, obwohl hierzu keinerlei Informationen vorlagen.
Bei der Nichtbeantwortung der Fragen handelt es sich um ein bloßes Versehen der Kläger und nicht um eine grobe Unachtsamkeit, durch die die zumutbare Sorgfaltspflicht in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt worden ist. Zwar mag die falsche oder unvollständige Beantwortung einer ausdrücklich im Steuererklärungsformular gestellten Frage "regelmäßig" auf einem groben Verschulden beruhen. Es müssen aber immer die Gesamtumstände, die konkrete Fragestellung und die Art und Weise der Nichtbeantwortung berücksichtigt werden. Wenn es der BFH in der neueren Rechtsprechung sogar für möglich erachtet, dass kein grobes Verschulden vorliegt, wenn der Steuerpflichtige keine Steuererklärung abgibt, weil er annimmt, dass der Begriff "Gewinn" Einnahmen voraussetzt (BFH-Urteil vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379), dann müssen Fehler der vorliegenden Art erst recht als noch entschuldbar angesehen werden. Der Senat hält auch den Fahrlässigkeitsvorwurf bei der unterlassenen Geltendmachung von vorab entstandenen Werbungskosten durch einen "Berufsjuristen" (BFH-Urteil vom 10. August 1988 IX R 219/84, BStBl II 1989, 131) oder der unterlassenen Geltendmachung eines Arbeitszimmers (BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BStBl II 1993, 80) als schwerwiegender an, als in dem hier zu beurteilenden Fall. Nach dem Gesetz wird nur bei "grobem" Verschulden die Änderungsmöglichkeit versagt. Bloß fahrlässiges Verhalten der Steuerpflichtigen reicht nicht aus, um die Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu verneinen.
Das grobe Verschulden kann auch nicht deswegen bejaht werden, weil sich vor Eintritt der Bestandskraft eine Überprüfung des Bescheides hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1990 BFH/NV 1991, 281 [BFH 11.05.1990 - VI R 76/86]). Denn die Kläger haben vorgetragen, dass die Kürzung des Vorwegabzugs aus den früheren Jahren der nichtselbständigen Arbeit des Klägers bekannt gewesen und deshalb nicht weiter aufgefallen sei. Ficht ein Steuerpflichtiger einen Bescheid aus demselben entschuldbaren Rechtsirrtum nicht an, der ihn bereits zu dem Fehler bei der Ausfüllung der Steuererklärung veranlasst hat, schließt allein die Nichtanfechtung eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht aus (BFH-Urteil vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).