Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.06.2011, Az.: 4 K 74/11

Nach Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids ist der für das Folgejahr erlassene Einkommensteuerbescheid entsprechend anzupassen; Anpassungspflicht für den Einkommensteuerbescheid bei Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
22.06.2011
Aktenzeichen
4 K 74/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 19965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2011:0622.4K74.11.0A

Fundstelle

  • EFG 2012, 19-20

Einkommensteuer 2002

Anpassungspflicht für den Einkommensteuerbescheid bei Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die zu Unrecht erfolgte Berücksichtigung eines Verlustvortrags nach Erteilung eines Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags geändert werden konnte.

2

Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Durch Bescheid vom 18. November 2002 hatte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) gegenüber dem Kläger den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2001 auf 54.954 EUR festgestellt. Durch Bescheid vom 28. Mai 2004 wurde der Verlustvortrag auf 1.868 EUR herabgesetzt. Durch Bescheid vom 19. Juli 2004 wurde die Verlustfeststellung aufgehoben.

3

Aufgrund der von den Klägern im Jahr 2003 abgegebenen Einkommensteuererklärung setzte das FA die Einkommensteuer 2002 durch Bescheid vom 19. Juli 2004 unter Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus 2003, aber ohne Berücksichtigung eines Verlustvortrags unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Nachdem die Einkommensteuerfestsetzung 2002 bereits zuvor mehrfach geändert worden war, erteilte das FA am 9. August 2007 einen nochmals nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem es neben dem Verlustrücktrag aus 2003 einen Verlustvortrag in Höhe von 54.954 EUR berücksichtigte und den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob. Auch in den auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheiden vom 10. März 2008 und 27. Oktober 2008 verblieb es bei der Berücksichtigung eines Verlustvortrags von 54.954 EUR. Nachdem das FA durch Bescheid vom 17. Dezember 2009 wieder einen verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2001 in Höhe von 6.878 EUR festgestellt hatte, änderte es durch Bescheid vom selben Tag auch die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2002 nochmals und berücksichtigte nur noch einen Verlustvortrag in der auf den 31. Dezember 2001 festgestellten Höhe.

4

Gegen diesen Änderungsbescheid legten die Kläger am 20. Januar 2010 Einspruch ein. Zur Begründung machten sie geltend, dass der Berücksichtigung des Verlustvortrags von 54.954 EUR in dem Einkommensteuerbescheid 2002 vom 9. August 2007 kein entsprechender Verlustfeststellungsbescheid zugrunde gelegen habe, so dass der Ansatz dieses Betrags auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO habe geändert werden können. Der Abzug des Verlustvortrags von 54.954 EUR stelle vielmehr eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO dar, die als solche aber nicht mehr habe berichtigt werden können, weil die reguläre Festsetzungsfrist bei Erteilung des Änderungsbescheids vom 17. Dezember 2009 bereits abgelaufen gewesen sei.

5

Durch Einspruchsbescheid vom 24. Februar 2001 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Nach Erteilung des Verlustfeststellungsbescheids vom 17. Dezember 2009 sei es - das FA - verpflichtet gewesen, den darin festgestellten Betrag der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr zugrunde gelegen. Der Umstand, dass die Berücksichtigung des höheren Betrags von 54.954 EUR auf einer offenbaren Unrichtigkeit - dem Übersehen des geänderten Verlustfeststellungsbescheids vom 28. Mai 2004 und des Aufhebungsbescheids vom 19. Juli 2004 - beruht habe, die als solche wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr habe korrigiert werden können, lasse die sich aus § 175 Abs. 1 AO ergebende Anpassungsverpflichtung an den am 17. Dezember 2009 erneut ergangenen Grundlagenbescheid unberührt.

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Hiergegen richtet sich die am 24. März 2011 erhobene Klage, mit der die Kläger ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholen und vertiefen.

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Aufgrund geänderter Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, nach denen sich für 2001 nur noch Verluste in Höhe von 17.327 EUR ergaben, die in voller Höhe in das Jahr 2000 zurückgetragen werden konnten, hat das FA die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2001 durch Bescheid vom 23. Mai 2011 wieder aufgehoben. Durch Bescheid vom selben Tag hat es die Einkommensteuer 2002 ohne Berücksichtigung eines Verlustvortrags festgesetzt.

8

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 vom 23. Mai 2011 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Berücksichtigung eines Verlustvortrages in Höhe von 54.954 EUR ergibt.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid vom 23. Mai 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

12

Nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (a.F.) sind nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach § 10d Abs. 1 EStG vom Gesamtbetrag der Einkünfte des vorangegangenen Veranlagungszeitraums abgezogen worden sind, in den folgenden Veranlagungszeiträumen vom Gesamtbetrag der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag). Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG a.F. ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag getrennt nach Einkunftsarten gesondert festzustellen. Dieser Feststellungsbescheid ist nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für die Einkommensteuerfestsetzung des Folgejahres bindend (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl. II 2002, 681). Soweit ein Bescheid nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG erlassen, aufgehoben oder geändert wird, ist der für das Folgejahr erlassene Einkommensteuerbescheid daher entsprechend anzupassen (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO).

13

Nachdem das FA unter dem 17. Dezember 2009 einen Bescheid erteilt hatte, durch den der verbleibende Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2001 auf 6.878 EUR festgestellt wurde, hatte es deshalb auch die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres entsprechend dem Grundlagenbescheid zu ändern. Dass der in den vorhergehenden Bescheiden berücksichtigte höhere Verlustvortrag von 54.954 EUR seinerseits nicht auf einem wirksamen Verlustfeststellungsbescheid beruhte, der durch den Bescheid vom 17. Dezember 2009 hätte geändert werden können, ist für die Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO bedeutungslos. Deren Umfang entspricht dem der Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO. Die durch den Bescheid vom 17. Dezember 2009 getroffene Feststellung über die Höhe des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2001 ist für die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres aber unabhängig davon bindend, ob und ggf. in welcher Höhe die gesondert festgestellte Besteuerungsgrundlage in zuvor ergangenen Einkommensteuerbescheiden berücksichtigt wurde und auf welchen Gründen die Berücksichtigung ggf. beruhte. Aus diesem Grund konnte und musste das FA den in dem Einkommensteuerbescheid 2002 abgezogenen Verlust unabhängig davon verringern, dass der zu berücksichtigende Verlustvortrag durch den Feststellungsbescheid vom 17. Dezember 2009 nicht herabgesetzt, sondern - nach der zuvor erfolgten Aufhebung der Verlustfeststellung - erstmals wieder festgestellt worden war.

14

Der Ablauf der Festsetzungsfrist stand dem Erlass des Einkommensteuerbescheids vom 17. Dezember 2009 nicht entgegen. Soweit für die Festsetzung einer Steuer ein Feststellungsbescheid bindend ist, endet die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Diese Frist ist im Streitfall gewahrt, weil der angefochtene Einkommensteuerbescheid am selben Tag wie der ihm zugrunde liegende Feststellungsbescheid erteilt wurde.

15

Die erneute Aufhebung der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2001 durch Bescheid vom 23. Mai 2011 hat die Anpassung der Einkommensteuerfestsetzung an den Verlustfeststellungsbescheid vom 17. Dezember 2009 nicht im Nachhinein unzulässig gemacht. Denn die Aufhebung ist nicht deshalb erfolgt, weil sich die zuvor erfolgte Verlustfeststellung nachträglich als rechtswidrig erwiesen hätte, sondern weil die erneute Änderung der Besteuerungsgrundlagen für 2001 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eine nochmalige Anpassung der Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG erforderlich machte. Aufgrund der Aufhebung der Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2001 konnte und musste das FA auch den Einkommensteuer 2002 nochmals nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ändern und die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung eines Verlustvortrags festsetzten. Dass es hierzu ohne die zwischenzeitlich erfolgte Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2001 nicht befugt gewesen wäre, ist für die Beurteilung des Streitfalls ohne Bedeutung.

16

Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kosten sind nach § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung den Klägern als den unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen.