Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.06.2011, Az.: 5 K 327/10
Rückforderung einer Steuererstattung auf ein gelöschtes Bankkonto
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 23.06.2011
- Aktenzeichen
- 5 K 327/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 22347
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2011:0623.5K327.10.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 18.09.2012 - AZ: VII R 53/11
Rechtsgrundlage
- § 37 Abs. 2 AO
Fundstellen
- EFG 2012, 190-192
- Jurion-Abstract 2011, 228929 (Zusammenfassung)
Rückforderung gem. § 37 Abs. 2 AO
Rückforderung einer Überweisung auf ein gelöschtes Bankkonto
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung einer Steuererstattung auf ein gelöschtes Bankkonto.
Bei der Klägerin handelt es sich um ein Kreditinstitut, bei dem die Steuerpflichtigen M. und F.X. mehrere Giro- und Darlehenskonten unterhielten. Im Besteuerungsverfahren gaben die EheleuteX. dem Beklagte (dem Finanzamt -FA-) das bei der Klägerin geführte Girokonto ...28, ein 2002 eröffnetes Gemeinschaftskonto der Eheleute, als Erstattungskonto an.
Am 27.06.2007 teilte die Klägerin den Kontoinhabern (Anlage K 12, Bl. 57 GA) mit, "aus technischen Gründen mussten wir die Kontonummer ihres Girokontos ändern:
Alte Kontonummer: ...28
Neue Kontonummer: ...89 "
Unter der Kontonummer ...28 wurde fortan kein Girokonto mehr geführt. Das Konto ...89 wurde ausweislich des Kontoauszuges der Klägerin vom 17.07.2007 abgeschlossen ("Kontoabschließung"). Wegen der weiteren Einzelheiten wird insofern auf den Kontoauszug vom 17.07.2007 (Bl. 107 der Verwaltungsvorgänge -Vv-) Bezug genommen, der am 22.03.2010 zu den Verwaltungsvorgängen gelangt ist.
Das Bundeszentralamt für Steuern teilte dem Beklagten aufgrund eines Kontoabrufersuchen am 23.04.2009 (Eingang beim FA) mit, dass die Konten ...28 am 31.05.2007 und ...89 am 17.07.2007 aufgelöst worden seien (Bl. 81 und 83f Vv).
Ebenfalls am 27.06.2007 kündigte die Klägerin gegenüber M.X. das gesamte Kreditverhältnis, stellte Forderungen in Höhe von mehr als ... EUR fällig und erklärte die Aufrechnung wegen bestehender Guthaben. Solche Konten würden aufgelöst und Guthaben mit Forderungen verrechnet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 13 (Bl. 58f GA) Bezug genommen.
Am 16.01.2008 überwies der Beklagte dem Steuerpflichtigen M.X. auf das Konto Nummer ...28 bei der Klägerin eine Umsatzsteuererstattung in Höhe von 174.241,32 EUR. Eine Rücküberweisungen des zu unrecht erstatteten Betrages lehnte die Klägerin ab und berief sich auf "ein Pfandrecht an dem ...Betrag" aufgrund ihrer "Allgemeinen Geschäftsbedingungen".
Mit Rückforderungsbescheid vom 28.07.2008 forderte der Beklagte von der Klägerin die 174.241 EUR zurück, weil die Überweisung "auf ein nicht existierendes gelöschtes Konto" erfolgt sei (Anlage K2, Bl 25f GA). Auf den Einspruch der Klägerin hin (Anlage K 3, Bl 27 - 30 GA) hob der Beklagte diesen Bescheid am 24.06.2009 auf. Eine Begründung beinhaltete der Abhilfebescheid nicht (K 4, Bl 31 GA).
Am 23.12.2009 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin den streitgegenständlichenRückforderungsbescheid, durch den er erneut die Rückzahlung der 174.241,32 EUR fordert. Aufgrund eines Kontoabrufs habe er erfahren, dass das Konto bereits am 31.05.2007 erloschen sei. Die Zahlung sei somit -rechtsgrundlos- an die Klägerin bewirkt worden.
Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos.
In formeller Hinsicht sei das FA gem. § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO der Abgabenordnung (AO) zum Erlass des angefochtenen Rückforderungsbescheides berechtigt gewesen. Für die Aufhebung des Rückforderungsbescheides vom 28.07.2008 am 24.06.2009 sei die Mitteilung der Klägerin ursächlich gewesen, das Überweisungskonto sei am 27.06.2007 zwar gekündigt worden, hätte aber im Zeitpunkt der Überweisung tatsächlich noch bestanden. Diese Angabe sei unvollständig gewesen. So habe die Klägerin nicht mitgeteilt, dass das Girokonto nicht mehr als solches bestanden habe, sondern über ein Zwischenkonto auf das notleidende Kreditkonto überführt worden sei. Aus dem Kontenabruf ergebe sich, dass das Girokonto am 31.12.2007 gelöscht worden sei. Diese fehlende Angabe sei entscheidungserheblich für die Frage, ob die Sparkasse nur als Zahlstelle oder als Zahlungsempfänger anzusehen sei. Dies werde auch durch die Stellungnahme der Klägerin vom 28.08.2008 deutlich. Darin verwende sie ihre Sachverhaltsdarstellung gerade als Argument gegen den ursprünglichen Bescheid.
Auch die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO sei gewahrt. So habe das FA erst aufgrund des Kontenabrufungsersuchens am 23.04.2009 Kenntnis von der Kontoauflösung erhalten.
Materiell-rechtlich lägen die Voraussetzungen einer Rückforderung vor. Nach der Rechtsprechung des BFH, insbesondere demBeschluss vom 06.06.2003 VII B 262/02 (BFH/NV 2003, 1532 [BFH 06.06.2003 - VII B 262/02]), bestehe ein Rückforderungsanspruch gem. § 37 Abs. 2 AO, wenn eine Bank - wie vorliegend - einen eingehenden Erstattungsbetrag nach Auflösung des Kontos mit eigenen Forderungen verrechne.
Etwas anderes folge auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 10.11.2009 VII R 6/09 (BFHE 227, 360, BStBl II 2010, 255). Hierdurch habe der BFH seine bisherige Rechtsprechung für die vorliegend zu beurteilende Sachverhaltskonstellation nicht geändert.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 23.08.2010.
Dem angefochtenen Rückforderungsbescheid habe die Bestandskraft des durch Abhilfebescheid vom 24.06.2009 beendeten Einspruchsverfahrens gegen den Rückforderungsbescheid vom 28.07.2008 entgegengestanden. Insofern berufe sie sich auf§ 172 AO.
Aber selbst wenn der Senat die §§ 130, 131 AO für einschlägig hielte, wäre der Beklagte nicht zum Erlass des angefochtenen Rückforderungsbescheides berechtigt gewesen. So sei Abhilfebescheid nicht durch unvollständige Angaben der Kläger erwirkt worden. Der Beklagte führe in der Einspruchsentscheidung aus, dass das streitgegenständliche Konto ...28 nur bis zum 31.05.2007 aktiv geführt wurde, bei Vornahme der Überweisung der Beklagten aber "nicht gelöscht" oder "nicht existent" gewesen sei. So habe der Sachverhalt bei Erlass des Abhilfebescheides am 24.06.2009 gelegen. Hieran habe sich bis heute nichts geändert. Im Übrigen sei auch die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO nicht gewahrt.
Schließlich sei der Beklagte nicht berechtigt, sich auf Erkenntnisse aus einem rechtswidrigen Kontoabrufs zu berufen.
Auch in materieller Hinsicht sei der Rückforderungsbescheid rechtswidrig. Die Klägerin sei nicht die Empfängerin der Steuererstattung i.S.d. § 37 Abs. 2 AO.
Die Eheleute X. hätten bei der Klägerin am 14.05.2002 ein Girokonto mit der Nummer...28 eröffnet. Dieses Konto sei lediglich bis zum 31.05.2007 aktiv geführt worden; im Gegensatz zu anderen Giro- und Darlehensverträgen des M.X. sei dieses nicht ordnungsgemäß gekündigt worden. Per 27.06.2007 habe das Girokonto die neue Kontonummer ...89 erhalten.
Die Überweisung der streitbefangenen 174.241 EUR sei am 16.01.2008 unter Angabe der alten Kontonummer ...28 erfolgt. Hierbei habe es sich nicht um ein bereits gelöschtes, nicht mehr existentes Konto gehandelt. Denn ein solches Konto sei später unter der geänderten Kontonummer ...89 unter irrtümlicher Annahme einer Kündigung, die aber tatsächlich nie erfolgt sei, bei der Klägerin vorhanden gewesen. Mangels Kündigung seien die Verpflichtungen aus dem Girovertragsverhältnis auch nicht erloschen.
Der Zahlungseingang habe daher unmittelbar den Kontoinhabern X. zugeordnet werden können. Daher könne die Zahlung nicht als solche gegenüber der Klägerin angesehen werden. Am 16.01.2008 bestand auf dem Konto ...09 zu Lasten des M.X. ein Forderungsbestand i.H.v. 675.471 EUR zugunsten der Klägerin. Bei Zahlungseingang habe daher die Klägerin wegen der offenen Forderungen von ihrem AGB-Pfandrecht Gebrauch gemacht ab. Die Klägerin sei damit für alle Beteiligten erkennbar als Zahlstelle aufgetreten. Die Verpflichtung der Klägerin zur Gutschrifterteilung sei aus dem nicht gekündigten Girovertragsverhältnis gefolgt.
Dass die Klägerin selbst von einem Pflichtenverhältnis gegenüber dem Steuerpflichtigen aus dem Girovertrag ausgegangen sei, sei auch dem Schreiben der Klägerin vom 19.02.2008 (Anlage K 14) zu entnehmen,
Die Rechtswidrigkeit des Rückforderungsbescheides folge aus der Rechtsprechung des Niedersächsischen Finanzgerichts (vgl. Urteil vom 01.02.1995 VI 521/92), die erst recht zugunsten der Klägerin Anwendung finden müsse, wenn das Girokonto tatsächlich nicht gekündigt gewesen sei.
Danach sei ein Kreditinstitut nicht als Leistungsempfänger i.S.d. § 37 Abs. 2 AO anzusehen, wenn es lediglich als Zahlstelle aufgetreten sei. Unter welchen Voraussetzungen ein Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen gegen die Finanzbehörde erlösche, beurteile sich nicht nach § 47 AO, sondern nach den §§ 362 ff BGB. Danach erlösche das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt werde oder dieser eine andere als die geschuldete Leistung an Erfüllung statt annehme. Als eine solche Leistung sei auch die bargeldlose Überweisung von Konto zu Konto anzusehen. Führe die Empfängerbank für den Zahlungsempfänger aufgrund der Beendigung der Geschäftsbeziehung kein aktives Konto, so solle es darauf ankommen, ob dem Überweisungsempfänger der Betrag zugeflossen sei.
Die Klägerin habe den eingegangenen Betrag nicht als Zahlung an sich, sondern als Zahlung auf das angegebene Konto der Steuerpflichtigen behandelt und deren Schuldenstand gegenüber der Klägerin gemindert. Die Überweisung habe zu einem unmittelbaren Vermögensvorteil zugunsten des Steuerpflichtigen in Höhe des überwiesenen Betrages geführt, der sich aufgrund des geltend gemachten AGB-Pfandrechts aber nicht ausgewirkt habe; denn einer weiteren Verfügung des Steuerpflichtigen habe das von ihr geltend gemachte AGB-Pfandrecht entgegengestanden.
Unter welcher Kontonummer das Girokonto der Eheleute X. geführt worden sei und ob die Klägerin in Unkenntnis der Rechtslage eine Zusammenfassung der Verbindlichkeiten auf einem weiteren Konto vorgenommen habe, sei nicht streiterheblich für die Frage, ob die Klägerin nur als Zahlstelle der Steuerpflichtigen aufgetreten sei. Entscheidend sei insofern, dass eine Zuordnung des Zahlungseingangs zugunsten der Eheleuten X. erfolgen konnte und dass diesen ein Vermögensvorteil entstanden sei.
Der BFH-Beschluss vom 06.06.2003 VII B 262/02 sei vorliegend nicht einschlägig. Diese Entscheidung betreffe ausschließlich die Überweisung eines Erstattungsbetrages entgegen der ausdrücklichen Anweisung des Erstattungsgläubigers auf ein gelöschtes Girokonto. Eine solche Anweisung habe es vorliegend nicht gegeben.
Nach dem BFH-Urteil vom 10.11.2009 VII R 6/09 sei ein Kreditinstitut nur Zahlstelle und nicht nach § 37 Abs. 2 AO zur Rückzahlung verpflichtet, wenn es den Betrag auf ein bereits gekündigtes, aber noch nicht abgerechnetes Konto verbucht habe. Dabei schließe sich der BFH erkennbar der zivilrechtlichen Betrachtungsweise zu der Frage an, ob ein Kreditinstitut als bloße Zahlstelle oder unmittelbar als Leistungsempfänger anzusehen sei und erteile den untergerichtlichen Entscheidungen, die eine fiskalische Auslegung des § 37 Abs. 2 AO befürwortet hätten, eine klare Absage. Danach handele die Bank des Überweisungsempfängers sogar bei Kündigung des Girovertrages im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmäßig nur als Leistungsmittlerin, d.h. als Zahlstelle des Überweisungsempfängers, und stehe als solche in keinerlei Leistungsverhältnis zu dem Überweisenden, so dass sie grundsätzlich auch nicht in die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung einer Fehlüberweisung nach § 812 Abs. 1 BGB eingebunden sei. Der Umstand, dass ein Girovertrag bei Eingang des Überweisungsbetrages bereits durch Kündigung erloschen sei, habe nach der Rechtsprechung insofern keine Bedeutung. Selbst mit Erlöschen des Girovertrages verliere das laufende Konto zwar die Eigenschaft als Zahlungsverkehrskonto, so dass die kontoführende Bank danach grundsätzlich nicht mehr verpflichtet sei, nachträglich eingehende Beträge auf dem Konto zu verbuchen, sondern berechtigt sei, diese zurückzugeben. Daraus folge jedoch nicht, dass die Bank des Begünstigten nach Erlöschen des Girovertrages nicht mehr als dessen Zahlstelle fungieren könne. Vielmehr sei sie auch bei einem erloschenen Girovertrag in dessen Nachwirkung weiterhin befugt, eingehende Zahlungen im Interesse des früheren Kunden für ihn entgegenzunehmen, müsse sie dann aber auf dem bisherigen Konto entsprechend § 676 f. Abs. 1 BGB verbuchen bzw. nach § 667 BGB herausgegeben. Handele die Bank dementsprechend, so sei dieses Vorgehen als bloße Zahlstellentätigkeit zu werten. Sofern die Bank des Überweisungsempfängers in einem zweiten Schritt dem Herausgabeanspruch des Kunden das vereinbarte AGB-Pfandrecht entgegenhalte, so führe dies nicht dazu, dass die Bank ihre bloße Vermittlungsposition als Zahlstelle verliere.
Die Klägerin beantragt,
den Rückforderungsbescheid vom 23.12.2009 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 20.07.2010 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beruft sich zur Begründung seines Antrages auf den Einspruchsbescheid und trägt ergänzend Folgendes vor:
Die Kündigung des gesamten Kreditverhältnisses des Steuerpflichtigen X. durch die Klägerin habe das Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen diesen beendet. Bestehe ein solches Auftragsverhältnis nicht mehr, dann wolle die Bank nicht mehr als Vertreter oder Zahlstelle auftreten. Nehme sie die eingehenden Zahlungen gleichwohl entgegen, so handele sie nicht mehr im Namen eines Dritten, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.
Vorliegend sei die Zahlung direkt an die Klägerin auf ein notleidendes Kreditkonto geflossen, auf das der Steuerpflichtige keinen Zugriff mehr gehabt habe. Die Klägerin habe diese Zahlung daher aus eigenem Recht vereinnahmt. Überweise das FA nicht auf ein Konto, über das der Steuerpflichtige verfügen könne, sondern auf ein Mahnkonto, das im ausschließlichen Verfügungsbereich der Bank stehe und von dieser im eigenen Interesse geführt werde, komme es nicht zu einer Tilgungswirkung gegenüber dem Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige sei nicht der Überweisungsempfänger. Ihm werde durch die Buchung kein echter Anspruch gegenüber der Bank eingeräumt. Die Klägerin habe nach Beendigung der Geschäftsverbindung nach ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen nur ein Pfandrecht an in ihren Besitz gelangte Sachen und Rechte. Die Rechte aus der Überweisung könne sie aber nur im eigenen Namen als Leistungsempfängerin erwerben.
Die Klägerin wende ein, dass sie das Girokonto nicht gekündigt habe, jedoch werden in der Kündigung des Kreditverhältnisses vom 27.06.2007 neben den Kreditkonten auch Kreditrahmen des Girokontos und die Daueraufträge gelöscht. Zugleich sei die Aufrechnung bestehender Guthaben sowie die Auflösung der Guthabenkonten erklärt worden. Die Auflösung des streitbefangenen Girokontos sei am 17.07.2007 erfolgt, nachdem dieses ein Guthaben ausgewiesen habe. Insoweit sei mit der Kündigung der Kreditkonten, der Einschränkung der Nutzung und der folgenden Aufrechnung und Auflösung des Girokontos auch dieses gekündigt worden. Insoweit sei es auch entscheidungserheblich, unter welcher Kontonummer das aufgelöste Konto im Zeitpunkt der Zahlung geführt worden sei.
Für den vorliegenden Fall habe sich der BFH im Urteil vom 10.11.2009 VII R 6/09 der Auffassung des BGHs nicht ausdrücklich angeschlossen, sondern die Frage offen gelassen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist unbegründet.
Der Rückforderungsbescheid vom 23.12.2009 und der Einspruchsbescheid vom 20.07.2010 sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO-).
1.
Materiellrechtlich hat der Beklagte gegen die Klägerin gem. § 37 Abs. 2 AO eine Anspruch auf Rückforderung der 174.241,32 EUR.
Ist eine Steuer oder eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, gem. § 37 Abs. 2 AO gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags.
Schuldner dieses abgabenrechtlichen Rückforderungsanspruchs ist derjenige, zu dessen Gunsten die Zahlung geleistet wurde (BFH-Urteil vom 30.08.2005 VII R 64/04, BStBl II 2006, 353 m.w.N.). Grundsätzlich ist danach ein Kreditinstitut, das auf Veranlassung des Zahlungsempfängers die Zahlung entgegen nimmt und insofern als Zahlstelle auftritt, nicht Leistungsempfänger, weil das FA erkennbar nicht mit befreiender Wirkung zu Gunsten der kontoführenden Bank leisten will, sondern seine Leistung mit dem Willen erbringt, eine Forderung gegenüber dem steuerlichen Rechtsinhaber zu erfüllen.
Nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH besteht ein Rückforderungsanspruch gegen die Bank dann, wenn die Überweisung auf ein nicht mehr bestehendes Konto des Erstattungsberechtigten erfolgt und die Bank den Überweisungsbetrag wegen bestehender Forderungen gegen den Erstattungsberechtigten einbehält (vgl. BFH-Beschlusse vom 06.06.2003 VII B 262/02, BFH/NV 2003, 1532 m.w.N.). Die Weiterleitung des Geldes an den ehemaligen Kunden beruht in diesem Fall nicht auf der girovertraglichen Verpflichtung zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs zwischen dem FA und dem Kunden der Bank, sondern auf einem eigenen Entschluss der Bank, das ihr als Leistungsempfängerin vom FA zugewandte Geld ihrem ehemaligen Kunden zu Gute kommen zu lassen. Diese auf einem eigenen Entschluss der Bank beruhende Weiterleitung des Geldes muss sich das FA als Leistender nicht zurechnen lassen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 1532 [BFH 06.06.2003 - VII B 262/02]; und vom 28.01.2004 VII B 139/03, BFH/NV 2004, 762).
Nach diesen Grundsätzen, denen sich der Senat für den vorliegenden Streitfall anschließt, ist die Klägerin gem.§ 37 Abs. 2 AO Empfängerin der rechtsgrundlos an sie geleisteten 174.241 EUR.
Der Beklagte überwies der Klägerin den streitbefangenen Rückforderungsbetrag zugunsten des SteuerpflichtigenM.X. und unter Angabe eines bei der Klägerin geführten Kontos mit der Nummer ...28. Dieses Konto bestand zum Zeitpunkt der Überweisung am 16.01.2008 nicht mehr.
Die Klägerin selbst hat dem Gericht ihr Schreiben vom 27.06.2007 als Anlage K 12 übersandt, in dem sie den EheleutenM. und F.X. als Inhabern des Gemeinschaftskonto ...28 mitgeteilt hat, dass "aus technischen Gründen" die Kontonummer geändert worden sei und das Konto künftig unter der neuen Kontonummer fortgeführt werde.
Der Senat legt diese Mitteilung dahingehend aus, dass die Klägerin die Eheleute X. als Empfänger der Mitteilung hierdurch in Kenntnis gesetzt hat, dass das bisher unter der Kontonummer ...28 geführte Konto unverändert unter der neuen Kontonummer ...89 fortgeführt werden sollte. Eine inhaltliche Änderung des Girovertrages zwischen der Klägerin als kontoführendes Kreditinstitut und die Eheleute X. als Kontoinhaber über das nämliche Konto ist hierdurch nicht bewirkt worden; dieses Konto wurde vielmehr auch über den 27.06.2007 hinaus -zunächst-- unverändert fortgeführt. Die in dem Kontoabrufungsersuchen zum Konto Nummer ...28 erteilten Auskunft, dass nämlich das Konto am 31.05.2007 aufgelöst worden sei, hat insofern nur eine statische Bedeutung im Hinblick auf die gelöschte Kontonummer.
Das unter der Nummer ...89 fortgeführte Girokonto ist --wie sich aus dem insoweit eindeutigen Kontoauszug der Klägerin vom 17.07.2007 ("Kontoabschließung") ergibt-- am 17.07.2007 abgerechnet und abgeschlossen worden. Der Inhalt des Kontoauszuges stimmt insofern mit der Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern überein, wonach das Konto ...89 am 31.05.2007 aufgelöst wurde. Welcher Rechtsgrund der Auflösung zugrunde lag, ist für die rechtliche Beurteilung des Streitfalles irrelevant. Im Übrigen hätte es der Klägerin oblegen, diese Umstände --soweit sie diese für entscheidungserheblich gehalten hätte-- darzulegen. Die vom Beklagten zugunsten dieses Konto noch unter Angabe der alten Kontonummer überwiesenen 174.241 EUR konnten dem Konto am 16.01.2008 nicht mehr gutgeschrieben werden, da das nämliche Konto zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand.
Da die Klägerin den Betrag den Eheleuten auch nicht (fremdnützig) aufgrund einer nachvertraglichen Befugnis aus dem Girovertrag weitergeleitet hat, sondern den Betrag eigennützig zur Verrechnung mit eigenen Forderung verwendet hat, richtet sich der Rückforderungsanspruch gegen die Klägerin als Leistungsempfängerin.
Etwas anderes ergäbe sich aber auch dann nicht, wenn die Parteien des Girovertrages -unter Berücksichtigung weiterer dem Senat nicht dargelegter Umstände-- das Schreiben der Klägerin vom 27.06.2007 als Mitteilung der Auflösung des (alten) Girokonto...28 --und der Einrichtung eines neuen Girokontos-- verstanden hätten. Dann wäre nämlich das Girokonto...28 spätestens um 27.06.2007 gelöscht gewesen, wobei in diesem Fall die Auskunft des Bundeszentralamtes für Steuern eher auf eine Auflösung zum 31.05.2007 hindeutet. Jedenfalls wäre die Überweisung auch in diesem Fall -aus den oben dargestellten Gründen-- von der Klägerin als Leistungsempfängerin vereinnahmt worden.
Eine andere Rechtsfolge ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BFH vom 10.11.2009 VII R 6/09 (BFHE 227, 360, BStBl II 2010, 255). So hat der BFH in dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung für den --hier vorliegenden-- Fall einer nach Auflösung des Kontos vorgenommenen Verrechnung eines eingehenden Erstattungsbetrags mit eigenen Forderungen der Bank ausdrücklich nicht aufgegeben (BFH-Urteil in BFHE 227, 360 [BFH 10.11.2009 - VII R 6/09], [BFH 10.11.2009 - VII R 6/09] BStBl II 2010, 255 [BFH 10.11.2009 - VII R 6/09], unter II. 2. (3); einen Rückforderungsanspruch bejahend Drüen in Tipke/Kruse, AO, § 37 Rn 113a).
2.
Dem Erlass des Rückforderungsbescheides vom 23.12.2009 stand in formeller Hinsicht der Abhilfebescheid vom 24.06.2009 nicht entgegen.
Die §§ 172 ff AO finden entgegen der Auffassung der Klägerin keine Anwendung auf den angefochtenen Rückforderungsbescheid.
Diese Vorschriften betreffen nur die Aufhebung und die Änderung von Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellte Bescheide, nicht hingegen Abrechnungsbescheide nach § 218 Abs. 2 AO, durch die --wie vorliegend-- ein Anspruch auf Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO geltend gemacht wird.
Ob der Abhilfebescheid des Beklagten vom 24.06.2009 als begünstigender --rechtswidriger-- Verwaltungsakt im Sinne des§ 130 Abs. 2 AO anzusehen ist, so dass ein erneuter Rückforderungsbescheid nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 und 3 AO ergehen durfte, erscheint zweifelhaft (vgl. Rüsken in Klein, AO, 10. Aufl. 2009, § 130 Rn. 5).
Zwar hat der Beklagte durch den Bescheid vom 24.06.2009 dem Einspruch der Klägerin gegen den Rückforderungsbescheid vom 28.07.2008, durch den die Finanzbehörde erstmals von der Klägerin die streitbefangenen 174.241,32 EUR zurückgefordert hatte, abgeholfen.
Aber der Wortlaut des Bescheides enthält keine eindeutige Regelung des Beklagten, dass er für die Zukunft auf den Erlass eines erneuten Rückforderungsbescheides verzichtet hat.
Streng genommen liegt in dem Erlass des angefochten Rückforderungsbescheid daher keine Rücknahme der Rücknahmeverfügung vom 24.06.2009, da der begünstigende Verwaltungsakt formell bestehen blieb und der später ergangene Rückforderungsbescheid einen eigenständigen, von der Rücknahmeverfügung unabhängigen Verwaltungsakt darstellt.
Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 130 Abs. 2 AO, das Vertrauen des Betroffenen auf eine ihm günstige Verwaltungsregelung zu schützen, hat der BFH die Vorschrift auch auf neu ergehende Haftungsbescheide angewendet, wenn sie eine im Einspruchsverfahren erstrittene günstige Rechtsposition (Rücknahme eines vorangegangenen Haftungsbescheids) der Sache nach in Fällen wieder beseitigt, in denen bei unverändertem Sachverhalt lediglich aufgrund geänderter Rechtsauffassung der Verwaltung abgeändert wird (BFH-Urteil vom 22.01.1985 VII R 112/81, BFHE 143, 203, BStBl II 1985, 562).
Ob sich der Senat für den vorliegend zu entscheidenden Rechtsstreit dieser Auffassung anschließt, kann dahinstehen, da im Streitfall jedenfalls die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 und 3 AO vorlagen.
So darf nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO nämlich ein begünstigender Verwaltungsakt zurück genommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren.
Diese Voraussetzungen sind gegeben. So hat die Klägerin die Rücknahme des Rückforderungsbescheides vom 28.07.2008 im Einspruchsverfahren maßgeblich durch die der Sache nach unzutreffende Behauptung in ihrem Schriftsatz vom 28.08.2008 (Bl. 33-36 Vv) erwirkt, das Überweisungskonto habe im Zeitpunkt der Überweisung noch bestanden. Nach Bestätigung dieser Angabe durch den SteuerpflichtigenX. am 26.11.2008 hat der Beklagte diese Auffassung ausweislich des Aktenvermerks vom 27.11.2008 (Bl. 46 Vv) dem Abhilfebescheides vom 24.06.2009 zugrunde gelegt. Dass der Beklagten aufgrund des Kontoabrufungsersuchens bereits im Zeitpunkt der Rücknahme Kenntnis von der Löschung des Überweisungskonto hatte, lässt die Kausalität der Angaben der Klägerin für den Abhilfebescheid nicht entfallen.
Auch die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO war gewahrt. So erlangte das FA erst aufgrund des Kontenabrufungsersuchens am 23.04.2009 Kenntnis von der Kontoauflösung.
3.
Der Senat ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Entscheidung befugt. Insbesondere war der Senat nicht verpflichtet, den Rechtsstreit zur Wahrung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) zu vertagen und ihr - wie beantragt - eine Schriftsatzfrist einzuräumen, sich zum Status des Überweisungskontos einzulassen.
Die Nichtgewährung einer in der mündlichen Verhandlung beantragten Schriftsatzfrist verletzt nur dann den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des anderen Beteiligten nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist. Nur für diesen Fall sehen § 283 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO das Nachbringen schriftsätzlicher Erklärungen vor (BFH-Beschluss vom 18.03.2008 XI S 30/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1184, m.w.N.). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor.
Zwischen den Beteiligten war seit der Überweisung der 174.241 EUR am 16.01.2008 auf das Konto Nummer "...28 " bei der Klägerin streitig, ob es sich bei dem Konto um ein gelöschtes und abgerechnetes Konto handelte. Warum die fachkundig vertretene Klägerin gleichwohl nicht in der Lage gewesen ist, sich in dem Termin zur mündlichen Verhandlung zu dem Status des bei ihr geführten Kontos --als aktives oder gelöschtes und abgerechnetes Konto-- unter Berücksichtigung der maßgebenden Kontounterlagen einschließlich der von ihr erststellten Kontoauszüge und der von ihr dem Bundeszentralamt für Steuern erteilten Auskünfte abschließend zu äußern, ist dem Senat nicht ersichtlich.
Im Übrigen hat der Berichterstatter die Sitzungsvertreterin der Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwältin Dr. B., am 17.06.2011 fernmündlich darauf hingewiesen, dass er nach Aktenlage - insbesondere aufgrund des Kontoauszuges des Kontos ...89 vom 17.07.2011 und der Auskunft im Rahmen der Kontoabrufersuchens-- davon ausgehe, dass das Überweisungskonto ab 17.07.2007 gelöscht wäre und kein Girovertrag bestanden hätte. Falls es sich tatsächlich anders verhalte, sei ergänzend und unter Vorlage entsprechender Unterlagen vorzutragen.
Auch diesen Hinweis hätte die Prozessbevollmächtigte zum Anlass für Erkundigungen und ergänzenden Vortrag nehmen können.
Im Streitfall lagen somit die Voraussetzungen für das Nachreichen eines Schriftsatzes gemäß § 283 ZPO i.V.m. § 155 FGO nicht vor.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen; sie ist die unterlegene Beteiligte, § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist gem. § 115 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.