Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.06.2011, Az.: 3 K 401/08

Zulässigkeit der Verwendung von Fragebögen zu einer EDV-gestützten Kalkulation durch die Finanzverwaltung; Zulässigkeit der isolierten Anfechtung von Schreiben außerhalb von aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheiden

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
20.06.2011
Aktenzeichen
3 K 401/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 33696
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2011:0620.3K401.08.0A

Fundstelle

  • StBW 2012, 156

Anfechtung des Schreibens des Beklagten vom 20. März 2008, wegen Anfechtung des Schreibens des Beklagten vom 4. April 2008, wegen Anfechtung des Schreibens des Beklagten vom 22. April 2008, wegen Anfechtung des Schreibens des Beklagten vom 6. Mai 2008 u.a.

Erledigung von Verwaltungsakten nach Abschluss der Außenprüfung/Unzulässigkeit der Anfechtungsklage, wenn der Kläger die Klage - trotz entsprechenden Hinweises des Gerichts - nicht auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellt

Tatbestand

1

Streitig ist die Frage, ob die Verwendung von Fragebögen zu einer EDV-gestützten Kalkulation durch die Finanzverwaltung rechtmäßig ist und inwieweit außerhalb der aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide die isolierte Anfechtung von Schreiben prozessual zulässig ist.

2

Der Kläger betreibt als Einzelunternehmer ein Friseurstudio sowie ein Modegeschäft. Mit Betriebsprüfungsanordnung vom 20. November 2007 ordnete der Beklagte eine Außenprüfung betreffend Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2004-2006 an. Die Außenprüfung fand im Zeitraum 4. April 2008 bis 4. Mai 2009 statt. Im Anschluss an die Außenprüfung ergingen unter dem Datum des 31. August 2009 geänderte Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für 2004-2006. Gegen diese Bescheide hat der Kläger Einspruch eingelegt und - nach dessen Zurückweisung - Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 7 K 10277/09 aktuell vor dem Gericht noch anhängig ist.

3

Im Verlaufe der Außenprüfung richtete der Beklagte verschiedene Schreiben und Aufforderungen an den Kläger. Im Einzelnen geht es um folgende Schreiben:

4

a)

Schreiben des Beklagten vom 20. März 2008 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Es handelt sich um ein Formschreiben, auf dem verschiedene alternative Textvarianten angekreuzt werden können. Im Streitfall hat der Beklagte die Alternative "Die Anlage übersende ich zur weiteren Veranlassung" angekreuzt. Das Schreiben wurde um den individuellen Zusatz "Die Fragebögen bitte ich vor Prüfungsbeginn durchzusehen" ergänzt. Beigefügt waren zwei mehrseitige Fragebögen, die eine Vielzahl von Einzelfragen enthalten, beispielsweise nach Öffnungszeiten, dem Anteil der Damen und Herren als Kunden, zur Nutzung der Räumlichkeiten, dem Arbeitseinsatz des Betriebsinhabers sowie der Mitarbeiter, der Art der Kassenführung, der Lieferanten, der Arbeitszeit in Minuten für die einzelnen Friseurdienstleistungen, der verwendeten Stoffe und eingesetzten Techniken bei Dauerwellen, Färbungen, Tönungen und der Herstellung von Strähnen, der Preise für die einzelnen Dienstleistungen, des Umsatzanteils von verkauften Haarpflegemitteln, dem Einsatz von Shampoo beim Haarewaschen usw.. Wegen weiterer Einzelheiten wird insoweit auf die Fragebögen Bl. 32-44 der FG-Akte verwiesen.

5

b)

Schreiben des Beklagten vom 4. April 2008 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. In diesem Schreiben nimmt der Beklagte Bezug auf eine Aussage des Klägers während einer Betriebsbesichtigung, wonach er die Fragen laut den übersandten Fragebögen nicht beantworten könne bzw. wolle. Der Beklagte verweist auf die Verpflichtung des Steuerpflichtigen nach § 200 AO, im Rahmen der Außenprüfung bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein könnten, mitzuwirken. Für die Kalkulation des Friseurbetriebes des Klägers würden die in den Fragebögen erfragten Angaben benötigt. Außerdem würden die Preislisten für den Prüfungszeitraum, die Kundenkartei sowie die Rabatt- und Bonivereinbarungen mit der Firma Wella benötigt. Der Kläger wird aufgefordert, diese Unterlagen sowie die ausgefüllten Fragebögen vorzulegen.

6

c)

Schreiben des Beklagten vom 22. April 2008. In diesem Schreiben weist der Beklagte erneut auf die steuerlichen Mitwirkungspflichten hin. Der Kläger wird aufgefordert, eine handschriftliche Liste mit den derzeit aktuellen Preisen vorzulegen. Der Kläger möge insbesondere Preisangaben zu bestimmten Leistungen machen und erläutern, ob Leistungen wie Shampoo, Föhnen, Legen, Stylingprodukte im Preis enthalten seien. Gegebenenfalls möge der Kläger die gesondert in Rechnung gestellten Preise mitteilen. Der Beklagte nimmt Bezug auf eine Entscheidung des FG Münster, wonach die Kundenkartei vorzulegen sei. Der Beklagte weist darauf hin, dass die Prüfung fortgesetzt werde. Anschließend macht er darauf aufmerksam, dass die Verletzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten für den Steuerpflichtigen insoweit nachteilige Konsequenzen haben könne, weil das Finanzamt dann die Besteuerungsgrundlagen ganz oder teilweise schätzen müsse.

7

d)

Schreiben des Beklagten vom 6. Mai 2008. Mit diesem Schreiben beantwortet der Beklagte ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30. April 2008, in dem dieser die Betriebsprüferin auffordert darzulegen, warum sie beim Kläger eine Nachkalkulation durchführen wolle und ob sie die Absicht habe, eine Nachkalkulation ohne besonderen Anlass durchzuführen. Dieses Schreiben beantwortet die Betriebsprüferin dahingehend, dass sie in Vorbereitung der Prüfung nach pflichtgemäßem Ermessen Prüffelder festlege, zu denen sie bei Betrieben, die überwiegend mit Barerlösen arbeiteten, die Prüfung der Vollständigkeit der Betriebseinnahmen rechne. Eines besonderen Anlasses bedürfe die Auswahl des Prüffeldes nicht. Eine Methode der Überprüfung der Vollständigkeit der Betriebseinnahmen sei die Erlösnachkalkulation. Die dem Kläger vorgelegten Fragebögen dienten der Vorbereitung der Erlösnachkalkulation. An Ende des Schreibens bittet der Beklagte, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen, damit die Außenprüfung fortgesetzt werden könne.

8

Der Kläger hat am 29. September 2008 Sprung- und Feststellungsklage erhoben. Mit der Sprungklage begehrt der Kläger die Aufhebung der vier oben genannten Schreiben, die er jeweils als Verwaltungsakte ansieht, aufzuheben. Der Beklagte hat mit Schreiben vom 20. Oktober der Sprungklage zugestimmt.

9

Der Kläger ist der Meinung, dass die Anordnung einer Erlösnachkalkulation ohne besonderen Grund und Anlass ermessensfehlerhaft sei. Der Beklagte habe nicht dargetan, dass die Buchführung des Klägers formell nicht ordnungsgemäß sei. Er habe auch nicht dargelegt, dass im Einzelfall Anlass bestehe, die sachliche Richtigkeit der Buchführung in Zweifel zu ziehen. Vielmehr wollten der Beklagte und seine vorgesetzte Behörde generell Nachkalkulationen bei allen Friseurbetrieben ohne besonderen Anlass durchführen. Damit würden aber die Grenzen des§ 158 AO überschritten, der auf die Umstände des Einzelfalles abstelle. Es sei auch nicht richtig, dass allein die Methode der Nachkalkulation geeignet sei, die Richtigkeit der Buchführung zu überprüfen. Zudem sei die Nachkalkulation auch eine Schätzungsmethode. Sie könne deshalb nur zur Anwendung kommen, wenn zuvor eine Schätzungsbefugnis gegeben sei.

10

Weiterhin sei fraglich, ob die Nachkalkulation anhand der von der OFD entwickelten Fragebögen zu korrekten Ergebnissen führe. Es sei den Kläger nicht nachvollziehbar, wie die zur Auswertung der Fragebögen verwendeten EDV-Programme ausgestaltet seien. Die OFD habe selbst eingeräumt, dass die Fragebögen möglicherweise Fragen enthielten, die überflüssig seien.

11

Aus diesem Grunde sei die Anordnung der Nachkalkulation aufzuheben bzw. bestehe ein Feststellungsinteresse daran, festzustellen, gegenwärtig und zukünftig nicht einer Nachkalkulation unter Verwendung der Fragebögen unterworfen zu werden.

12

Als Rechtsgrundlage für die Anordnung der Herausgabe der Kundenkartei komme nur §§ 147 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m.§ 200 AO in Betracht. Die Anordnung könne sich nur auf solche Unterlagen beziehen, die aufbewahrungs- und aufzeichnungspflichtig seien. Die vom Kläger geführte Kundenkartei enthalte jedoch keine aufzeichnungspflichtigen Angaben.

13

Gleiches gelte für die Vorlage von Preislisten. Auch diese seien nicht aufzeichnungspflichtig. Die Erstellung von Preislisten nach derPreisangabenverordnung jedenfalls begründe keine Verpflichtung zur Aufzeichnung der Preise.

14

Hinsichtlich der Aufforderung zur Beantwortung der in den Fragebögen aufgeführten Fragen gelte, dass die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nicht grenzenlos seien. Aus § 93 AO i.V.m. § 121 Abs. 4 AO folge die Verpflichtung, die Aufforderung zur Mitwirkung zu begründen. Nach §§ 92, 93 AO dürfe nur verlangt werden, was notwendig und erforderlich sei. Die in den dem Kläger übermittelten Fragebögen enthaltenen Fragen zu beantworten sei jedoch unzumutbar als auch teilweise unerfüllbar.

15

Unverhältnismäßig sei zunächst die Aufforderung zur Beantwortung derjenigen Fragen, die sich aus der Buchführung des Klägers ergeben würden. Soweit Fragen nach Durchschnittspreisen gestellt würden, zu Mischungsverhältnissen, durchschnittlichem und sonstigem Materialeinsatz, zu Einwirkungszeiten, prozentualen Anteilen aller Technikarten usw. seien die Fragen nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch unerfüllbar. Der Kläger könne diese Fragen gar nicht korrekt beantworten, weil er über die entsprechenden Daten nicht verfügen würde. Der Beklagte habe die Fragebögen aus Fragebögen von Fachbetriebsberatern für Friseurbetriebe übernommen. Allerdings verkenne er die unterschiedliche Zweckrichtung. Während es dort um die zukunftsbezogene betriebswirtschaftliche Beratung gehe, würden hier Vergangenheitsdaten abgefragt, über die der Kläger nicht verfüge. Der Beklagte habe angekündigt, bei Nichtbeantwortung der Fragen aus den Fragebögen sich anderweitig Daten zu verschaffen und aufgrund dieser eine Nachkalkulation vorzunehmen. Diese Ankündigung begründe das Feststellungsinteresse des Klägers, das auch dann noch bestehe, wenn die Anordnung der Nachkalkulation aufgehoben werde, weil nur so sichergestellt werden könne, dass zukünftig beim Kläger stattfindende Betriebsprüfungen berücksichtigten, dass eine Nachkalkulation nur möglich sei, wenn sowohl die Voraussetzungen des § 158 AO, als auch die des § 162 AO vorliegen.

16

Der Kläger ist der Auffassung, dass die von ihm angegriffenen Schreiben Verwaltungsakt-Qualität hätten. Der BFH habe entschieden, dass es sich bei der Aufforderung, einen Fragebogen über steuerrechtlich relevante Sachverhalte auszufüllen, um einen Verwaltungsakt handele. Der BFH habe darauf abgestellt, dass die wiederholte Aufforderung als Maßnahme der Behörde zur Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Einleitung eines Erzwingungsverfahrens gem. § 328 AO zu verstehen gewesen sei. Das sei hier aber zu bejahen.

17

Auch die Feststellungsklagen seien zulässig. Sie würden sich auf ein Rechtsverhältnis, hier auf ein nicht-vermögensrechtliches Steuerpflichtverhältnis beziehen. Da es bei den Steuerbescheiden um das Steuerschuldverhältnis gehe, sei hier die Feststellungsklage nicht subsidiär. Der Kläger habe auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, weil der Kläger dem Risiko ausgesetzt gewesen sei, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen.

18

Der Kläger regt an, das Verfahren bis zur Entscheidung in dem Verfahren 7 K 10277/09 ruhen zu lassen, weil sich erst nach der Entscheidung in diesem Verfahren feststellen lasse, welche Rechtsfragen durch dieses Verfahren geklärt werden.

19

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Verwaltungsakte des Beklagten vom 20. März 2008, 4. April 2008, 22. April 2008 und 6. Mai 2008 aufzuheben, insbesondere die Anordnung der Nachkalkulation beim Kläger und die damit in Zusammenhang stehenden Anordnungen an den Kläger, Auskünfte zu erteilen,

  2. 2.

    hilfsweise, soweit es sich bei den Anordnungen und Maßnahmen gemäß vorgenannten Klageantrag nicht um Verwaltungsakte handelt, hilfsweise festzustellen, dass in diesem Zusammenhang keine Rechtsverhältnisse zu Lasten des Klägers begründet wurden oder bestehen und insbesondere die Anordnung oder Durchführung der Nachkalkulation und die im Zusammenhang damit stehende Anordnung der Vorlage von Unterlagen und der Erteilung von Auskünften wegen Nichtbestehens eines entsprechenden Rechtsverhältnisses rechtswidrig ist,

  3. 3.

    die Anordnung der Herausgabe von Unterlagen aufzuheben, für die keine Aufzeichnungspflicht besteht, insbesondere bezüglich des Verlangens, die Kundenkartei herauszugeben und die Einzelverkaufspreise des Betriebsprüfungszeitraums mitzuteilen, hilfsweise festzustellen, dass keine entsprechenden Rechtsverhältnisse bestehen, aus denen der Kläger hierzu verpflichtet wäre,

  4. 4.

    die Anordnung der Beantwortung von Fragen aus den beiden Fragebögen des Beklagten insoweit aufzuheben, als diese zur steuerlichen Aufklärung nicht notwendig, unverhältnismäßig, nicht erfüllbar und nicht zumutbar sind, und insbesondere als keine Aufzeichnungspflichten des Klägers nach den einschlägigen Gesetzen bestehen, hilfsweise festzustellen, dass entsprechende Rechtsverhältnisse nicht bestehen, vermöge derer der Kläger zur Beantwortung dieser Fragen verpflichtet wäre, insbesondere bezüglich folgender Fragen aus dem Fragebogen "Niederschrift über die Besichtigung des Friseurbetriebes" die Fragen Nr. 3, 4, 5 und 24, aus dem "Fragebogen zur betriebsbedingten Kalkulation des Friseurbetriebes" Ziffer II. "Dauerwelle" Fragen 1b), 2, 3, 4a), 4b), 5b), 5c), "Färbung bzw. Farbsträhnen" Fragen 1), 3), 4), 5a), 5b), "Blondierungen/Strähnen" Fragen 1), 2), 3a) 3b), "Strähnentechnik" Frage nach dem prozentualen Anteil aller Technikarten, "Tönungen" Fragen 1, 2a), 2b), "Nassbehandlungen/Trockenhaarschnitte" Fragen 1, 2, 3, 4b), 5, "Spezialpflege" Frage nach Dosierung in ml für acht verschiedene Anwendungen, "Verkaufsware" Fragen 1, 2 "Weitere Leistungen" Frage nach dem Anteil am Gesamtumsatz in%, jährlichem Gesamtumsatz in EUR und Preis je Leistung,

  5. 5.

    die Anordnung der Beantwortung von Fragen aus den Fragebögen des Beklagten insoweit aufzuheben, als sich die Antwort aus entweder bei der Finanzverwaltung selbst befindlichen Unterlagen oder aus der Buchführung des Klägers bereits ergibt, hilfsweise festzustellen, dass ein solche Mitwirkungspflichten des Klägers begründendes Rechtsverhältnis nicht besteht, insbesondere bezüglich der Fragen aus dem Fragebogen "Niederschrift über die Besichtigung des Friseurbetriebes" Arbeitnehmer Fragen 7, 8, 10, 15, 17, aus dem "Fragebogen zur betriebsbezogenen Kalkulation des Friseurbetriebes" Frage nach Eigenverbrauch/Mitarbeiterverbrauch, hier Entnahme von Produkten und Dienstleistungen für Privatverbrauch,

  6. 6.

    festzustellen, dass kein Rechtsverhältnis besteht, vermöge dessen der Kläger verpflichtet wäre, in irgendeiner Weise bei der Nachkalkulation zu Verprobungszwecken des Beklagten mitzuwirken und vermöge dessen der Beklagte berechtigt wäre, aus der Nichtmitwirkung nachteilige Rechtsfolgen für den Kläger zu ziehen, insbesondere nicht die Rechtsfolge der Schätzungsbefugnis gem.§§ 158, 162 Abs. 2 Satz 2 AO,

  7. 7.

    festzustellen, dass kein Rechtsverhältnis besteht, vermöge dessen der Kläger verpflichtet wäre, zu der Nachkalkulation des Beklagten Stellung zu nehmen und deren Feststellungen und Ergebnisse zu entkräften und vermöge dessen der Beklagte berechtigt wäre, aus der Ablehnung des Klägers, dazu Stellung zu nehmen, nachteilige Rechtfolgen für den Kläger zu ziehen, insbesondere nicht die Rechtsfolge der Schätzungsbefugnis gem. §§ 158, 162 Abs. 2 Satz 2 AO

20

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

21

Der Beklagte ist der Auffassung, dass es sich bei den Aufforderungen und Anfragen nicht um Verwaltungsakte handeln würde, sondern um vorbereitende Maßnahmen, die der Steuerfestsetzung dienten und dieser untergeordnet seien. Es fehle ihnen der Regelungscharakter, denn sie seien nicht darauf gerichtet, eine Rechtsfolge zu setzen. Sie konkretisierten lediglich eine gesetzliche Verpflichtung. Maßgeblich sei, ob das Auskunftsersuchen im konkreten Fall nach seinem objektiven Erklärungsinhalt als eine Maßnahme zur Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Einleitung eines Erzwingungsverfahrens zu verstehen sei. Das sei hier nicht der Fall, da den Schreiben nicht zu entnehmen gewesen sei, dass der Beklagte die Auskunftserteilung notfalls zwangsweise würde durchsetzen wollen. Das vom Kläger für seine Rechtsauffassung zitierte BFH-Urteil sei nicht einschlägig, weil es nur die Verpflichtung von potentiellen Steuerpflichtigen betreffe.

22

Soweit die Schreiben tatsächlich als Verwaltungsakte anzusehen seien, hätten sich diese mit Abschluss der Außenprüfung erledigt. Der Beklagte sei nach Ergehen der Änderungsbescheide an der Vorlage von Unterlagen nicht mehr interessiert. Auch für eine Fortsetzungsfeststellungsklage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Der Fall sei nicht vergleichbar mit dem Fall der Anfechtung einer Betriebsprüfungsanordnung, weil im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Steuerbescheide eine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung nicht möglich sei. Im Streitfall könnten die vom Kläger angesprochenen Fragen vollumfänglich im Klageverfahren betreffend die Steuerbescheide erörtert werden, weil von ihnen die Frage des Vorliegens einer Schätzungsbefugnis des Beklagten abhänge.

23

Auch ansonsten sei eine Feststellungsklage ausgeschlossen, weil der Steuerpflichtige seine Rechte im nachfolgenden Steuerfestsetzungsverfahren durch eine Anfechtungsklage verfolgten könne.

24

Der Beklagte habe lediglich zur Sachaufklärung diverse Informationen und Unterlagen angefordert, um eine brachenübliche Verprobung durchzuführen. Rechtsgrundlage dafür sei § 200 AO.

25

Der Berichterstatter hat im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Schreiben des Beklagten - deren Verwaltungsaktqualität einmal unterstellt - mit Abschluss der Prüfung erledigt haben dürften, so dass der Kläger die Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellen müsse. Der Kläger hat eine Umstellung der Klage abgelehnt; er ist insoweit der Rechtsauffassung, dass die Verwaltungsakte Grundlage für weitere Auskunftsbegehren der Finanzbehörde sein könnten. Außerdem könne die Frage, ob die sofortige Anordnung einer Nachkalkulation zu Verprobungszwecken möglich ist, nicht im nachgelagerten Rechtsbehelfsverfahren geklärt werden. Insoweit bestehe weiterhin ein Feststellungsinteresse des Klägers.

Entscheidungsgründe

26

Die Klage ist unzulässig.

27

I.

Klageantrag zu 1.: Anfechtung der Schreiben vom 20. März 2008, 4. April 2008, 22. April 2008 und 6. Mai 2008

28

Der Klageantrag zu 1. ist, die Verwaltungsaktqualität der Schreiben des Beklagten vom 20. März 2008, April 2008, 22. April 2008 und 6. Mai 2008 einmal unterstellt, bereits deshalb unzulässig, weil sich die - angeblichen - Verwaltungsakte mit Abschluss der Prüfung erledigt haben. Verwaltungsakte im Zusammenhang mit einer Außenprüfung erledigen sich regelmäßig mit Abschluss der Außenprüfung. Konstitutives Merkmal eines Verwaltungsaktes ist gem. § 118 Satz 1 AO die Regelung eines Einzelfalls. Bezieht sich ein Verwaltungsakt auf eine Außenprüfung und ist die Außenprüfung durchgeführt worden, verliert der Verwaltungsakt seinen Regelungsinhalt und hat sich erledigt (BFH Urteil vom 9. Mai 1978 VII R 96/75, BStBl. II 1978, 501). Das ist auch in Bezug auf die vier Schreiben des Beklagten der Fall, weil die mit diesen Schreiben angeforderten Unterlagen und Auskünfte im Rahmen der Außenprüfung verwertet werden sollten. Die Außenprüferin hat die Außenprüfung auch mit den ihr vorliegenden Unterlagen und Informationen zu einem Ende gebracht und ihre Feststellungen in Gestalt der Änderungsbescheide vom 31. August 2009 ausgewertet. Der Sitzungsvertreter des Beklagten hat im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich klargestellt, dass der Beklagten inzwischen keinerlei Interesse mehr daran hat, beispielsweise die ausgefüllten Fragebögen oder die Kundenkartei vorgelegt zu bekommen. Damit steht fest, dass die Schreiben des Beklagten mit Abschluss der Prüfung gegenstandslos geworden sind. Nicht erheblich ist, wie der Kläger meint, dass im hypothetischen Fall einer erneuten Außenprüfung unter sonst gleichen Bedingungen erneut dieselben Unterlagen angefordert werden könnten. Denn ein Verwaltungsakt ist eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls (§ 118 Satz 1 AO); der Verwaltungsakt ist konkret und nicht abstrakt. Soweit die vier Schreiben des Beklagten als Verwaltungsakte zu werten wären, könnten sie nur im Rahmen der konkreten Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2004-2006 angegriffen werden, weil sich ihre Regelungswirkung mit dieser Außenprüfung erschöpft.

29

Erledigt sich ein Verwaltungsakt mit Abschluss der Außenprüfung, so muss der Steuerpflichtige die bisherige Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) umstellen, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes hat. Für die Anfechtungsklage fehlt vom Zeitpunkt der Erledigung des Verwaltungsakts an das allgemeine Rechtsschutzinteresse, weil von einem erledigten Verwaltungsakt keine Rechtswirkungen mehr ausgehen (BFH Urteil vom 17. Juli 1985 I R 214/82, BStBl. II 1986, 21). Die Möglichkeit, eine Forstsetzungsfeststellungsklage zu erheben, schließt die Zulässigkeit der Anfechtungsklage aus (BFH Beschluss vom 4. Februar 1988 V R 57/83, BStBl. 1988, 413). Im Streitfall hat jedoch der Kläger trotz ausdrücklichen Hinweises des Gerichts in der mündlichen Verhandlung die Klage nicht auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Spätestens damit ist die Anfechtungsklage unzulässig geworden.

30

II.

Klageantrag zu 2: Hilfsweise Feststellung, dass die Schreiben vom 20. März 2008, 4. April 2008, 22. April 2008 und 6. Mai 2008 keine Rechtsverhältnisse gegenüber dem Kläger bestehen oder begründet worden sind.

31

Der Klageantrag zu 2. ist unzulässig, weil der Kläger seine Rechte durch Anfechtungsklage verfolgen kann bzw. kein eigenes Feststellungsinteresse vorliegt.

32

Gem. § 41 Abs. 1 FGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Feststellung kann nach § 41 Abs. 2 FGO nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können.

33

Der Kläger hat die aufgrund der Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide mit Einspruch und Klage angefochten; das Klageverfahren ist derzeit noch anhängig. Im Rahmen dieses Klageverfahrens kann geklärt werden, ob die Nichtvorlage der vom Beklagten angeforderten Unterlagen eine Schätzungsbefugnis begründet und ob der Beklagte berechtigt war, eine Erlösnachkalkulation vorzunehmen. Der diesbezügliche Feststellungsantrag des Klägers ist im Verhältnis dazu subsidiär und damit unzulässig. Soweit der Kläger mit seiner Feststellungsklage erreichen will, dass der Finanzverwaltung generell die Verwendung des von ihr entwickelten Fragebogens untersagt wird, scheitert dies daran, dass nach der Rechtsprechung des BFH der Rechtssuchende ein eigenes abgabenrechtliches Feststellungsinteresse geltend machen muss (BFH Urteil vom11. April 1991 V R 86/85, BStBl. II 1991, 729). Eine abstrakte, vom individuellen Steuerrechtsverhältnis losgelöste Klärung von Rechtsfragen ist auch im Wege der Feststellungsklage nicht möglich. Soweit der Beklagte die Nichtvorlage einzelner Unterlagen hat auf sich beruhen lassen ohne daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen, fehlt es infolgedessen an einem berechtigten Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses.

34

III.

Klageanträge zu 3, 4, 5: Anfechtung der Anordnung der Herausgabe von Unterlagen, für die keine Aufzeichnungspflicht besteht, insbesondere hinsichtlich des Verlangens, die Kundenkartei herauszugeben, Anfechtung der Anordnung der Beantwortung von Fragen aus den beiden Fragebögen des Beklagten insoweit, als diese zur steuerlichen Aufklärung nicht notwendig, unverhältnismäßig, nicht erfüllbar und nicht zumutbar sind, und insbesondere als keine Aufzeichnungspflichten des Klägers nach den einschlägigen Gesetzen bestehen, Anfechtung der Anordnung der Beantwortung von Fragen aus den Fragebögen des Beklagten insoweit, als sich die Antwort aus entweder bei der Finanzverwaltung selbst befindlichen Unterlagen oder aus der Buchführung des Klägers bereits ergibt,

35

Die Anfechtungsanträge sind, ebenso wie der Anfechtungsantrag zu 1., ebenfalls unzulässig geworden, weil sich auch hier die Anordnungen mit Abschluss der Außenprüfung erledigt haben und der Kläger seine Klageanträge nicht auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt hat. Insoweit kann auf die Ausführungen unter Ziffer I. verwiesen werden.

36

IV.

Klageanträge zu 3,4,5: Hilfsweise Feststellung, dass in Bezug auf die Anordnung der Herausgabe von Unterlagen, für die keine Aufzeichnungspflicht besteht (3.), der Anordnung der Beantwortung von Fragen, die zur steuerlichen Aufklärung nicht notwendig, unverhältnismäßig, nicht erfüllbar und nicht zumutbar sind (4.), der Anordnung der Beantwortung von Fragen, deren Antwort sich aus bei der Finanzverwaltung selbst befindlichen Unterlagen oder aus der Buchführung des Klägers ergibt (5.), keine Rechtsverhältnisse bestehen, vermöge deren der Kläger zur Mitwirkung bzw. Beantwortung verpflichtet ist.

37

Die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge sind auch hier, soweit der Beklagte aus der Nichtbeantwortung von Fragen bzw. der fehlenden Mitwirkung des Klägers für diesen negative Folgerungen für die Steuerfestsetzung gezogen hat, aufgrund der Subsidiarität der Feststellungsklage unzulässig; soweit die fehlende Mitwirkung des Klägers folgenlos geblieben ist, scheitert die Zulässigkeit daran, dass kein individuelles Feststellungsinteresse besteht. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. verwiesen.

38

Hinzu kommt, dass der Kläger das Rechtsverhältnis, hinsichtlich dessen die Feststellung begehrt wird, nicht präzise und abschließend beschreibt, sondern den Umfang des Feststellungsantrags in die Entscheidung des Gerichts stellt ("Unterlagen, für die keine Aufzeichnungspflicht besteht", Beantwortung insoweit "als sich die Antwort aus entweder bei der Finanzverwaltung selbst befindlichen Unterlagen oder aus der Buchführung des Klägers bereits ergibt", Anordnung aufzuheben, als diese "nicht notwendig, unverhältnismäßig, nicht erfüllbar und nicht zumutbar sind"). Der Steuerpflichtige muss jedoch das Rechtsverhältnis, um das es ihm geht, hinreichend konkretisieren (Gräber, Kommentar zur FGO, § 41 Rn. 17). Ein Feststellungsantrag, der wie hier unter einer Potestativbedingung steht, ist demgegenüber unzulässig.

39

V.

Klageanträge zu 6 und 7: Feststellungsantrag, dass kein Rechtsverhältnis besteht, vermöge dessen der Kläger verpflichtet wäre, in irgendeiner Weise bei der Nachkalkulation zu Verprobungszwecken des Beklagten mitzuwirken und vermöge dessen der Beklagte berechtigt wäre, aus der Nichtmitwirkung nachteilige Rechtsfolgen für den Kläger zu ziehen, insbesondere nicht die Rechtsfolge der Schätzungsbefugnis gem. §§ 158, 162 Abs. 2 Satz 2 AO und Feststellungsantrag, dass kein Rechtsverhältnis besteht, vermöge dessen der Kläger verpflichtet wäre, zu der Nachkalkulation des Beklagten Stellung zu nehmen und deren Feststellungen und Ergebnisse zu entkräften und vermöge dessen der Beklagte berechtigt wäre, aus der Ablehnung des Klägers, dazu Stellung zu nehmen, nachteilige Rechtfolgen für den Kläger zu ziehen, insbesondere nicht die Rechtsfolge der Schätzungsbefugnis gem. §§ 158, 162 Abs. 2 Satz 2 AO

40

Die Anträge sind aufgrund der Subsidiarität der Feststellungsklage gem. § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO unzulässig, weil der Kläger seine Rechte im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die aufgrund der Außenprüfung und unter Auswertung der Ergebnisse der Nachkalkulation verfolgen kann. Soweit der Kläger eine von dem konkreten Fall losgelöste Klärung des Umfangs der Mitwirkungspflichten und der Folgerungen der Verletzung von Mitwirkungspflichten begehrt, scheitert die Zulässigkeit der Feststellungsklage daran, dass auch die Feststellungsklage der Wahrung eines konkreten Rechtsschutzinteresses dient und nicht der Klärung abstrakter Rechtsfragen (BFH Urteil vom 20. Juli 1977 VII R 42/76, BStBl. II 1977, 767; Urteil vom 26. März 1981 VII R 14/78, BStBl. II 1981, 586).

41

VI.

Das Gericht sieht auch keine Veranlassung, das Verfahren bis zur Entscheidung in dem Klageverfahren 7 K 10277/09 ruhen zu lassen, weil der Erfolg oder Misserfolg des Klägers in jenem Verfahren keinerlei Konsequenzen für die Frage der Zulässigkeit der vom Kläger in diesem gestellten Klageanträge hat, d.h. nicht vorgreiflich ist.

42

VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.