Amtsgericht Hildesheim
Urt. v. 25.09.2008, Az.: 47 C 185/08

Anfertigung; Arbeitsergebnis; Augenoptiker; Augenschmerz; Brille; Erfolg; Fehler; Fehlsichtigkeit; Geringfügigkeitsgrenze; Haftung; Hemmung; Herstellung; Kopfschmerz; Mangel; Mangelhaftigkeit; Meinungsaustausch; Mängelanspruch; Optiker; Refraktion; Schadensersatz; Schadensminderungspflicht; Schmerzensgeld; Sehstärkenbestimmung; Verhandlung; Verjährung; Verjährungshemmung; Werkvertrag; Werkvertragsrecht

Bibliographie

Gericht
AG Hildesheim
Datum
25.09.2008
Aktenzeichen
47 C 185/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 55134
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
LG - 19.12.2008 - AZ: 1 S 57/08
LG - 08.01.2009 - AZ: 1 S 57/08

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ansprüche gegen einen Optiker wegen Lieferung einer mangelhaften Brille bestimmen sich nach Werkvertragsrecht, und zwar auch dann, wenn der Optiker eine Brille nach Werten hergestellt hat, die er zuvor im Rahmen einer selbst durchgeführten Sehstärkenbestimmung (Refraktion) ermittelt hat und der Mangel darauf beruht, dass dem Optiker bei der Refraktion ein Fehler unterlaufen ist.

Die Verjährung werkvertraglicher Ansprüche gegen einen Optiker wegen einer mangelhaften Brille bestimmt sich nach § 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB, und zwar auch dann, wenn der Mangel darauf beruht, dass dem Optiker bei der von ihm durchgeführten Sehstärkenbestimmung ein Fehler unterlaufen ist.

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Kläger, die Eheleute I. und S. B. sowie ihre Kinder C. B. und J. B., suchten im Frühjahr 2006 die Beklagte auf, die ein Optikergeschäft in Bad S. betreibt, um ihre Sehkraft untersuchen und sich jeweils Brillen zur Korrektur einer eventuell festgestellten Fehlsichtigkeit anfertigen zu lassen. Der Geschäftsführer der Beklagten, G., führte bei jedem Kläger eine subjektive Refraktion durch und stellte jeweils Fehlsichtigkeiten fest. Sodann fertigte die Beklagte verabredungsgemäß entsprechend der gemessenen Werte Brillen für die Kläger an.

2

Mit Rechnung vom 18.03.2006 stellte die Beklagte für die Brille des J. B. einen Betrag in Höhe von 167,72 € in Rechnung. Mit Rechnungen vom 03.04.2006 machte die Beklagte für die Brillen von S. B. und I. B. 587,10 € bzw. 472,70 € geltend. Der Betrag für die Brille des J. B. wurde am 27.03.2006 gezahlt; an diesem Tag nahm J. B. seine Brille auch entgegen. Die Rechnungsbeträge für die Brillen der S. B. und des I. B. wurden am 18.04.2006 beglichen; zeitgleich nahmen S. B. und I. B. ihre Brillen entgegen. Die Brille der C. B. wurde zwar auch am 18.04.2006 bezahlt (224,22 €), doch wurde an einem Glas eine Abplatzung festgestellt, so dass ein Glas neu hergestellt werden musste. C. B. musste deshalb auf ihre Brille noch etwas warten; sie nahm ihre Brille am 10.05.2006 in Empfang.

3

Alle vier Kläger erhielten die von ihnen bestellten und entsprechend der gemessenen Refraktionswerte hergestellten Brillen.

4

Die Kläger behaupten, die ihnen gelieferten Brillen seien mangelhaft. Bei Benutzung ihrer Brillen hätten alle Kläger feststellen müssen, dass sie jeweils Kopf- und Augenschmerzen bekamen. Sie hätten ihre Sehkraft deshalb im Frühjahr 2008 - also etwa zwei Jahre später - von einem Augenarzt überprüfen lassen. Diese Überprüfung habe ergeben, dass von der Beklagten falsche Brillenglasstärken verwendet worden seien. Tatsächlich hätten die Kläger andere Fehlsichtigkeiten als von der Beklagten im Frühjahr 2006 festgestellt bzw. gar keine Fehlsichtigkeit. Die Beklagte habe mithin die Refraktion nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Die Kläger fordern deshalb das für die Brillen gezahlte Entgelt von der Beklagten zurück und verlangen jeweils ein angemessenes Schmerzensgeld von der Beklagten wegen ihrer erlittenen Kopf- und Augenschmerzen. Ferner verlangen sie von der Beklagten Erstattung der ihnen entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

5

Die Kläger beantragen deshalb,

6

die Beklagte zu verurteilen,

7

I. 1. an den Kläger zu 1) einen Betrag in Höhe von 472,70 €,

8

2. an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von 587,10 €,

9

3. an die Klägerin zu 3) einen Betrag in Höhe von 224,22 €,

10

4. an den Kläger zu 4) einen Betrag in Höhe von 167,72 €

11

jeweils zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 29.05.2008 zu zahlen,

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II. an die Kläger jeweils ein angemessenes Schmerzensgeld, wobei ein Betrag in Höhe von jeweils 500,00 € für angemessen erachtet wird, zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 29.05.2008 zu zahlen,

13

III. an die Kläger als Gesamtgläubiger vorgerichtliche Anwaltskosten von 591,91 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte behauptet zunächst, die geltend gemachten Forderungen seien allesamt verjährt. Weiter trägt die Beklagte vor, alle Brillen seien handwerksgerecht und mängelfrei angefertigt worden. Die ärztlichen Unterlagen aus dem Jahre 2008 hätten keinerlei Aussagekraft darüber, inwieweit die im Jahr 2006 gelieferten Sehhilfen mangelhaft geliefert worden seien.

17

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

18

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

19

1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 634 Nr. 4 BGB, denn derartige Ansprüche wären verjährt.

20

a) Auch wenn der Brillenbestellung der Kläger bei der Beklagten eine subjektive Refraktion vorausging, die von der Beklagten bei jedem Kläger vorgenommen wurde, so ist doch einheitlich Werkvertragsrecht anwendbar. Denn nicht nur die Herstellung einer Brille entsprechend zuvor festgestellter Fehlsichtigkeit ist als werkvertragliche Leistung zu werten. Auch eine von einem Optiker vorgenommene Sehstärkenbestimmung (Refraktion) beurteilt sich nach dem Rechtsregime des Werkvertragsrechts, da der Optiker insofern einen Erfolg - die Feststellung einer vorhandenen Fehlsichtigkeit und ihres Ausmaßes - schuldet. Unerheblich ist, dass das im Sinne des werkvertraglichen Erfolges geschuldete Arbeitsergebnis als solches unkörperlicher Natur ist (Palandt- Sprau , 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 631 Rn. 1). Die Situation ist vergleichbar mit der Erstattung eines Gutachtens (hierzu Palandt- Sprau , 67. Aufl. 2008, Einf. v. § 631 Rn. 24). Mängelansprüche wie die, die von den Klägern geltend gemacht werden, bestimmen sich also allein nach den §§ 631 ff. BGB (ebenso Amtsgericht Mönchengladbach, Urteil vom 27.05.2003, 5 C 587/01; Amtsgericht Mönchengladbach, Urteil vom 19.12.2002, 5 C 243/02; Amtsgericht Nürnberg, Urteil vom 31.03.2000, 31 C 9405/99, NJW-RR 2001, 992).

21

b) Die Verjährung etwaiger Mängelansprüche der Kläger bestimmt sich mithin gemäß § 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB. Vorliegend ist eine einheitliche Betrachtung der Sehstärkenbestimmung durch die Beklagte einerseits und der Herstellung von Brillen entsprechend der festgestellten Fehlsichtigkeit andererseits geboten, da die Parteien nicht jeweils zwei getrennte Verträge schlossen, sondern die Kläger die Beklagte mit der Anfertigung von Brillen beauftragten, mit denen sie ihre Fehlsichtigkeit korrigieren konnten. Dies bedeutet, dass Vertragsgegenstand im Sinne des § 634a BGB einheitlich die Herstellung einer Sache im Sinne der Nr. 1 dieser Norm war. Die Verjährungsfrist betrug danach zwei Jahre ab Abnahme.

22

Unstreitig haben alle Kläger ihre Brillen vor dem 10.05.2006 bzw. spätestens am 10.05.2006 von der Beklagten erhalten. Mit Entgegennahme der Brillen wurden diese im Sinne des Werkvertragsrechts abgenommen. Wegen vermeintlicher Mängel der Brillen haben sich die Kläger - ebenfalls unstreitig - erstmals seit Abnahme mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.05.2008 an die Beklagte gewandt. Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits mehr als zwei Jahre seit Abnahme verstrichen. Zu diesem Zeitpunkt (13.05.2008) war mithin bereits Verjährung eingetreten. Die Beklagte hat sich auf Verjährung berufen.

23

c) Die Verjährung war auch nicht gemäß § 203 BGB wegen zwischen den Parteien schwebender Verhandlungen gehemmt. Das Aufforderungsschreiben vom 13.05.2008 begründet für sich genommen noch nicht die Aufnahme von Verhandlungen. Allenfalls das Antwortschreiben der Beklagten vom 21.05.2008 könnte den Beginn der Aufnahme von Verhandlungen markieren, doch ist auch dies mehr als fraglich, da für Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB ein Meinungsaustausch in der Sache erforderlich ist (vgl. BGH, NJW 2007, 587 [BGH 26.10.2006 - VII ZR 194/05]; Palandt- Heinrichs , 67. Aufl. 2008, § 203 Rn. 2 m.w.N.), mit diesem Schreiben aber gerade keine Erklärung zur Sache abgegeben wurde. Doch kommt es hierauf gar nicht an, da - wie ausgeführt - zu dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte das Aufforderungsschreiben der Klägervertreterin vom 13.05.2008 erhielt, die geltend gemachten Forderungen bereits verjährt waren. Schon deshalb konnte eine Verjährungshemmung gemäß § 203 BGB durch die mit Schreiben vom 13.05.2008 begonnene Korrespondenz nicht eintreten. Vorherige Korrespondenz gab es - wie ausgeführt - nicht.

24

d) Die vorstehenden Ausführungen zur Verjährung etwaiger Ansprüche der Kläger betreffen nicht nur unmittelbare Mängelansprüche, sondern gelten in gleicher Weise für etwaige Ansprüche der Kläger auf Zahlung von Schmerzensgeld gemäß § 634 Nr. 4 BGB i.V.m. §§ 280 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB (vgl. Palandt- Sprau , 67. Aufl. 2008, § 634a Rn. 5).

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2. Zwar unterliegen konkurrierende deliktische Ansprüche nicht der kurzen Verjährungsfrist des § 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB (vgl. Palandt- Sprau , 67. Aufl. 2008, § 634a Rn. 6). Doch können Schmerzensgeldansprüche auch nicht auf § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB gestützt werden. Denn selbst wenn die Kläger - wie behauptet - von der Entgegennahme ihrer Brillen im Frühjahr 2006 bis zu einer erneuten Prüfung ihrer Sehkraft durch einen Augenarzt im Frühjahr 2008 Kopf- und Augenschmerzen gehabt haben sollten und die Brillen tatsächlich mangelhaft sein sollten, weil die Werte, die im Rahmen der im Frühjahr 2006 vorgenommenen Refraktion gemessen worden waren, nicht korrekt erhoben worden waren, stünde den Klägern kein Schmerzensgeld zu. Denn sie hätten in einem solchen Fall so eklatant gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) verstoßen, dass Schmerzensgeld nicht zugesprochen werden könnte. Die Kläger können sich nicht darauf zurückziehen, sie hätten keinen Anlass gehabt, an der Richtigkeit ihrer Brillen zu zweifeln, und diese deshalb - ohne ein einziges Mal bei der Beklagten vorzusprechen und die empfundenen Beeinträchtigungen zu schildern - über einen Zeitraum von zwei Jahren (!) trotz Kopf- und Augenschmerzen getragen. Die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB hätte von den Klägern vielmehr verlangt, sich spätestens nach Verstreichen der bei neuen Brillen manchmal erforderlichen Eingewöhnungszeit von wenigen Wochen bei der Beklagten zu melden und eine Überprüfung ihrer Brillen und gegebenenfalls Mängelbeseitigung zu verlangen. Bis dahin etwa erlittene körperliche Beeinträchtigungen hätten die Geringfügigkeitsgrenze (vgl. hierzu Palandt- Heinrichs , 67. Aufl. 2008, § 253 Rn. 15) nicht überschritten.

26

3. Da die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche in der Hauptsache nicht begründet sind, steht den Klägern gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu.

II.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.