Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 14.01.2009, Az.: L 3 KA 44/08 ER

Rechtswidriges Handeln des Beschwerdeausschusses bei Zweifeln desselben an den Verordnungsdaten; Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.01.2009
Aktenzeichen
L 3 KA 44/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 17795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0114.L3KA44.08ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover, S 24 KA 87/08 ER vom 18.04.2008

Amtlicher Leitsatz

Zweifelt der Beschwerdeausschuss bei der Richtgrößenprüfung selbst die Richtigkeit von Dateien an, die mindestens 5% der Verordnungssumme ausmachen, und rechnet er diese Dateien lediglich bei der Festsetzung des Regresses heraus, ohne die Auswirkungen der Zweifel für den Anscheinsbeweis der Richtigkeit der Gesamtdaten zu untersuchen, so handelt er rechtswidrig. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 1. gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 18. April 2008 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1. als Gesamtschuldner je zur Hälfte mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 8., die diese selbst tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 36.450,65 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Antragsteller ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in C. niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Regressforderung in Höhe von 145.802,59 EUR.

2

Die Geschäftsstelle der Prüfungseinrichtungen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung informierte den Antragsteller mit Schreiben vom 21. Juli 2005 darüber, dass die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit nach Richtgrößen für das Jahr 2001 durchgeführt werde und sich danach für den Antragsteller - bei Vorliegen von Brutto-Verordnungskosten für Arzneimittel iHv 2.972.668,40 DM - ein unter Berücksichtigung der Günstigkeitsregelung ermittelter - potentieller - Nettoregressbetrag in Höhe von 1.112.813,68 DM (= 568.972,60 EUR) ergebe. Grundlage dieser Festsetzung sei § 10 Abs. 3 der Vereinbarung vom 16. September 2000 über die Festsetzung von Richtgrößen gemäß § 84 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - SGB V - und die Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 106 SGB V i.d.F. der Ergänzungsvereinbarung zu den Richtgrößen-Vereinbarungen 2000/2001 vom 13. November 2003 und der ersten Nachtragsvereinbarung vom 12. Juli 2005 - veröffentlicht im Niedersächsischen Ärzteblatt 12/2000, Seite 110; 4/2004, Seite 88; 9/2005, Seite 73 - im Folgenden: RgV 2001 -, aus der sich ein Richtgrößenbetrag von insgesamt 1.288.471,38 DM ergebe.

3

Der Antragsteller wandte sich mit Schreiben vom 14. Oktober 2005 hiergegen. Er rügte insbesondere die schlechte Datenqualität, welche sich aus der hohen Anzahl fehlerhafter Verordnungen ergebe. So fehlten Versicherungsnummern für Patienten, was eine Identifikation und Überprüfung der Daten unmöglich mache. Weiter fehlten Bezeichnungen von Medikamenten und es seien unbekannte Pharmazentralnummern gelistet bzw. diese sei nicht siebenstellig angegeben. Damit ergebe sich eine Summe an fehlerhaften Daten in Höhe von 269.301,60 DM. Weiter wies er auf seine fünfzig "teuersten Patienten" hin, welche einen Kostenblock von 203.092,17 DM verursachten. Außerdem sei seine große Landarztpraxis von einer besonderen Praxisstruktur geprägt. Dies betreffe sowohl die Praxisöffnungszeiten als auch die vollständige fachärztliche Therapie und Versorgung unter Konsultation entsprechender Fachärzte, woraus sich ein gesteigertes Verordnungsvolumen ergebe.

4

Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 (Datum des Postausgangs) setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 447.306,24 DM (= 228.704,05 EUR) fest. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 Widerspruch ein, da die zugrundeliegenden Daten fehlerhaft seien. Eine von ihm vorgelegte Regressanalyse zeige, dass unter Berücksichtigung der fehlerhaften Daten und der vorhandenen Praxisbesonderheiten ein Überschreiten des Verordnungsvolumens nicht vorliege und der Regress somit unbegründet festgesetzt worden sei. Bezüglich der Datenlage zeige die Regressanalyse auf, dass Verordnungen in Höhe von 61.589,73 DM auf der ihm überlassenen CD-ROM enthalten seien, bei denen eine Identifikation der Daten durch fehlende Versicherungssummen nicht möglich sei. Darüber hinaus seien Verordnungen in Höhe von 100.867,56 DM enthalten, bei denen eine Identifikation der Daten aufgrund unbekannter Pharmazentralnummern bzw. ungültiger Versicherungsnummern nicht möglich sei. Schließlich legte er dar, dass aufgrund abweichender Preise gegenüber "Amis" 3.649,76 DM zu Unrecht belastet bzw. Patientenzuzahlungen in Höhe von 36.750,00 DM nicht berücksichtigt worden seien.

5

Mit Bescheid vom 05. Februar 2008 (Datum des Postausgangs) hob der Antragsgegner den festgesetzten Regress in Höhe von 162.141,16 DM (= 82.901,46 EUR) auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück, sodass eine Regresssumme in Höhe von 285.165,08 DM (= 145.802,59 EUR) verblieb. Die vom Antragsteller erhobenen formalen Bedenken gegen die Durchführung der Richtgrößenprüfung des Jahres 2001 bestünden nicht. Im Übrigen wurden vom Antragsgegner nach Überprüfung der Daten bzw. Datensätze weitere Abzüge bereinigt und auch weitere Praxisbesonderheiten anerkannt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.

6

Der Antragsteller hat gegen den Bescheid vom 05. Februar 2008 am 08. Februar 2008 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen S 24 KA 30/08 anhängig ist. Am 06. März 2008 hat er dort einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gestellt. Zur Begründung hat er sich auf die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides berufen. Der Antragsgegner habe es versäumt, seinen nachvollziehbaren Bedenken gegen die Richtigkeit der Daten nachzugehen. Dies hätte geschehen müssen, wenn - wie hier - nach den Unterlagen erhebliche und statistisch relevante Abweichungen zu den erhobenen elektronischen Daten vorlägen und die Prüfgremien mehrfach unter Vorlage der Analysen und Unterlagen des Antragstellers auf diese Abweichungen hingewiesen worden seien. Auf eine Nachprüfung im Einzelfall anhand der Originalrezepte könne dann nicht verzichtet werden. Die Prüfgremien seien aufgrund von § 20 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - SGB X - verpflichtet, die Originalverordnungsblätter einzufordern, wenn bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arzneimittelverordnungen von Vertragsärzten substantiierte Einwendungen erhoben würden. Der Anscheinsbeweis der Richtigkeit elektronisch ermittelter Verordnungsdaten entfalle, wenn wenigstens 5 % der so erfassten Verordnungskosten dem Arzt zu Unrecht zugeordnet würden. In diesem Fall sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 02. November 2005 - B 6 KA 63/04 R) das Verordnungsvolumen anhand sämtlicher noch erreichbarer Verordnungsblätter zu ermitteln und der Regressbetrag um einen Sicherungsabschlag zu vermindern. Er habe Fehler in Höhe von 8,17 % der Verordnungskosten substantiiert nachgewiesen und Einsicht in die Originalrezepte beantragt. Dem sei der Antragsgegner nicht nachgekommen. Schon deshalb sei der Regress rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten.

7

Mit Beschluss vom 18. April 2008 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Bei der zu treffenden allgemeinen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner keine ausreichenden Umstände dargelegt habe, die sein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung deutlich machten. Die für das Jahr 2001 erst im Jahr 2005 eingeleitete Richtgrößenprüfung bedinge nicht ein besonders schützenswertes Interesse des Antragsgegners an einer sofortigen Vollziehung. Dem stehe das wirtschaftliche Interesse des (verschuldeten) Antragstellers an der Fortführung seiner Praxis gegenüber. Die Kammer schließe eine Gefährdung der Existenz der Praxis des Antragstellers nicht aus für den Fall, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Niedersachsen - wie sie mit Schreiben vom 27. Februar 2008 angekündigt habe - in Ausführung des Bescheids des Antragsgegners vom 05. Februar 2008 den Regressbetrag mit den nächsten Abschlagzahlungen verrechne.

8

Die KV Niedersachsen hat am 24. April 2008 vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hiergegen Beschwerde eingelegt. Der Antragsgegner, dem der SG-Beschluss am 21. April 2008 zugestellt worden ist, hat am 16. Mai 2008 Beschwerde eingelegt.

9

Der Antragsgegner weist zur Begründung seiner Beschwerde darauf hin, dass die 24. Kammer des SG erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Bescheids nicht festgestellt habe. Der diesbezügliche Vortrag des Antragstellers überzeuge nicht. Bei unklarer Rechtslage genüge es nicht, dass die Regressforderung einen spürbaren und empfindlichen Nachteil darstelle. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners sei durch die gesetzliche Regelung begründet, wonach die Klage kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung habe. Die vom Antragsteller vorgetragenen Zweifel an der Datenlage seien von der Antragsgegnerin überprüft und ausgewertet und - soweit erforderlich - korrigiert worden. Fehlerhafte Verordnungsdaten seien entsprechend bereinigt worden. Eine mögliche Fehlerquote von mehr als 5 % liege nach der Datenbereinigung durch den Antragsgegner nicht mehr vor. Für eine Heranziehung der Originalverordnungsblätter oder Printimages habe daher nach der Rechtsprechung des BSG keine Notwendigkeit bestanden. Die Originalverordnungsblätter bzw. Printimages seien daher auch nicht Aktenbestandteil und könnten - da gar nicht vorhanden - nicht eingesehen werden. Dementsprechend habe der Aufforderung zur Einsicht in die Originalverordnungsblätter bzw. Printimages nicht entsprochen werden können. Dies sei dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers auch mitgeteilt worden.

10

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

11

den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 18. April 2008 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 08. Februar 2008 abzulehnen.

12

Die KV, die der Senat im Lauf des Beschwerdeverfahrens (zu 1.) beigeladen hat, weist darauf hin, dass dem Antragsteller aufgrund eines Stundungsantrages Stundung gewährt und eine Frist zur ratenweisen Rückzahlung bis zum 23. Dezember 2008 - beginnend ab 15. April 2008 - eingeräumt worden sei. Diesbezüglich fänden sich keine Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss des SG, sodass sich insoweit die Frage nach der Zulässigkeit des Antrages stelle. Der Beigeladenen lägen keine Unterlagen vor, in denen der Antragsteller die besondere Existenzgefährdung seiner Praxis dargelegt habe.

13

Die Beigeladene zu 1. beantragt sinngemäß,

14

den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 18. April 2008 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 08. Februar 2008 abzulehnen.

15

Der Antragsteller beantragt,

16

die Beschwerden zurückzuweisen.

17

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1. sei bereits unzulässig, weil sie erstinstanzlich nicht beigeladen worden sei und deshalb auch keine Beschwerde einlegen könne. Im Übrigen hält er die Entscheidung des SG für zutreffend und wiederholt sein bisheriges Vorbringen.

18

Die Beigeladenen zu 2. bis 8. stellen keinen Antrag.

19

II. Die Beschwerden sind zulässig. Das gilt auch für die Beschwerde der Beigeladenen zu 1 ... Denn diese ist neben den gesetzlichen Krankenkassen Beteiligte in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung i.S.d. § 106 SGB V. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, worauf die Beigeladene zu 1. zutreffend hingewiesen hat (vgl. Urteil vom 28. April 2004 - B 6 KA 8/03 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 5). Die im erstinstanzlichen Verfahren unterbliebene Beiladung der Beigeladenen zu 1. hat der Senat nachgeholt, sodass die prozessualen Voraussetzungen zur Stellung von Anträgen im Verfahren nunmehr vorliegen. Die Beiladung verschafft die Möglichkeit, bereits eingelegten Rechtsmitteln - hier: des Antragsgegners - beizutreten, soweit der Beigeladene durch das Urteil bzw. den Beschluss beschwert ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 9. Aufl. § 75 RdNr. 19).

20

Die Beschwerden sind aber nicht begründet. Allerdings ist der angefochtene Beschluss des SG nur im Ergebnis zutreffend.

21

Rechtsgrundlage für die begehrte Entscheidung ist § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen kann, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Ob die Anordnung - die unabhängig von der Möglichkeit der ratenweisen Stundung durch die KV beantragt werden kann - erfolgt, entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belastenden Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts abzuwägen ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 86 b RdNr. 12 ff. m.w.N.). Im Rahmen der Abwägung ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, der die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Festsetzung eines Regresses durch den Beschwerdeausschuss nach Durchführung einer Richtgrößenprüfung in § 106 Abs. 5 a Satz 11 SGB V ausdrücklich ausgeschlossen und damit das besondere Interesse an der effektiven Umsetzung der vereinbarten Richtgrößen zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der Krankenkassen betont hat (vgl. Begründung zum Entwurf des Gesundheits-Strukturgesetzes, BT-Drs. 12/3608, S. 100); auf die Geltendmachung darüber hinausgehender schützenswerter Interessen am Sofortvollzug durch den Antragsgegner kommt es entgegen der Auffassung des SG deshalb nicht an. Angesichts dessen kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur in Betracht, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheides zu einer unbilligen Härte für den Antragsteller führen würde. Bei der nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Abwägung lehnt sich der Senat damit in Fällen der Festsetzung von Honorarkürzungen bzw. -rückforderungen oder von Regressen wegen der insoweit grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage an die Kriterien des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG an.

22

Ausgehend von diesen Kriterien war dem Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu entsprechen. Denn nach summarischer Prüfung der Rechtslage bestehen nach Auffassung des Senats gegenwärtig ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Regressbescheides vom 05. Februar 2008.

23

Dabei bestehen keine Bedenken gegen die Anwendung der RgV 2001 vom 16. September 2000, die im Dezember 2000 im Heft 12/2000 des Niedersächsischen Ärzteblattes (NdsÄBl., S. 110 ff.) und damit noch rechtzeitig vor Beginn des Prüfjahres 2001 (vgl. hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 11) veröffentlicht worden ist. Die Vorgaben der RGV stehen auch mit höherrangigem Recht in Übereinstimmung. Sie beruhen auf § 84 Abs. 3 SGB V (hier in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-SolG - vom 19. Dezember 1998 anzuwenden), wonach die Vertragspartner für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach § 106 SGB V einheitliche arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen der je Arzt verordneten Leistungen, insbesondere von Arznei-, Verband- und Heilmitteln, vereinbaren. Verwertbare Gesichtspunkte, aus denen die Unrichtigkeit der vorliegend vereinbarten Richtgrößen abgeleitet werden könnte, sind dem Vortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen.

24

Allerdings kann sich der Antragsteller hier - und das macht den angefochtenen Bescheid nach summarischer Prüfung der Rechtslage rechtswidrig - auf eine fehlerhafte Erfassung seiner Verordnungsdaten berufen. Nach der Rechtsprechung des BSG zur Richtgrößenprüfung, die der Senat für überzeugend hält und der er sich nach inhaltlicher Prüfung anschließt, ist entschieden, dass die Prüfgremien substantiiert dargelegten Fehlern in den elektronisch erfassten Verordnungsdaten nachzugehen haben, indem sie (auch) die Verordnungsblätter bzw. die entsprechenden Images von den Krankenkassen beiziehen müssen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 11 RdNr. 33 f.). Das BSG führt in seiner Entscheidung (ebda.) dazu wörtlich folgendes aus:

25

" Sofern sich allerdings im Rahmen einer solchen Einzelüberprüfung der Verordnungslisten aufgrund substantiierter Einwendungen herausstellt, dass die für den Arzt gemeldeten Verordnungskosten in erheblichem Umfang fehlerhaft sind, ist dem Anscheinsbeweis insgesamt zutreffend elektronisch erfasster Verordnungskosten die Grundlage entzogen. Der Senat geht davon aus, dass Unrichtigkeiten in einem den Anscheinsbeweis ausschließenden Umfang vorliegen, wenn wenigstens 5 % der für den betroffenen Vertragsarzt elektronisch erfassten Verordnungskosten nach Durchführung einer Einzelprüfung in Abzug zu bringen sind. In einem solchen Fall müssen die vom Arzt tatsächlich veranlassten Verordnungskosten durch individuelle Auswertung sämtlicher noch vorhandener Verordnungsblätter bzw. Images ermittelt werden. Gelingt die vollständige Beiziehung der Verordnungsblätter bzw. Images aller nach den Verordnungslisten vom geprüften Arzt getätigten Verordnungen nicht, haben die Prüfgremien der damit verbundenen Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Arztes durch Gewährung eines entsprechend bemessenen Sicherheitsabschlags von dem auf der Grundlage der vorhandenen Verordnungsblätter ggf. festzusetzenden Regress Rechnung zu tragen (vgl. BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 9, jeweils RdNr. 20)."

26

Entsprechend dieser Rechtsprechung war der Antragsgegner nach summarischer Prüfung vorliegend verpflichtet, im Rahmen der Richtgrößenprüfung von den Krankenkassen die Vorlage sämtlicher Verordnungsblätter im Original oder als Images zu verlangen und anhand dieser Prüfung den Einwendungen des Antragstellers nachzugehen (so auch Stork, GesR 2005, 533, 536). Denn der Antragsteller hat sich bereits im Verwaltungsverfahren darauf berufen, dass die von ihm gerügten fehlerhaften Daten in Höhe von 243.530,67 DM, die anhand von Listen vorgetragen wurden, 8,16 % der Bruttoverordnungskosten (= 2.972.668,40 DM) ausmachten. Ob das Vorbringen des Antragstellers in dieser Höhe als substantiiert angesehen werden kann, kann offen bleiben. Denn der Antragsgegner ist in seinem Bescheid vom 05. Februar 2008 selbst zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtigkeit von Daten über Verordnungen im Wert von (zumindest) 188.074,41 DM zweifelhaft ist. Dabei handelt es sich um Hilfsmittelverordnungen und nicht dem Datensatzformat entsprechende Datensätze, die in Anlage 2 des Bescheids aufgelistet sind. Dieser Betrag macht 6,3 % der Bruttoverordnungssumme aus, mithin eindeutig mehr als die vom BSG aaO. festgelegte Mindestgrenze.

27

Seine Pflicht, nunmehr anhand der Originalverordnungen bzw. der Printimages zu prüfen, ob der Antragsteller tatsächlich entsprechende Arzneimittelkosten veranlasst hat, kann der Antragsgegner vorliegend nicht dadurch umgehen, dass er den genannten Betrag von 188.074,41 DM ohne Einzelprüfung der Originalunterlagen einfach in Abzug bringt, ohne hieraus Konsequenzen für die übrigen Verordnungsdaten zu ziehen. Bei zweifelhaften Verordnungen im Umfang von weniger als 5 % der Verordnungssumme dürfte dies aus Sicht des Vertragsarztes zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden sein, weil dieser im Ergebnis nur begünstigt wird, wenn das Prüfgremium alle zweifelhaften Daten streicht, anstatt sie im Rahmen einer Einzelprüfung mit den Originalunterlagen abzugleichen. Bei Erreichen oder Überschreiten des Quorums von 5 % kann der Arzt dagegen hierdurch benachteiligt werden. Denn hätte die eigentlich durchzuführende Einzelprüfung der Originalunterlagen ergeben, dass 5 % oder mehr der elektronisch dokumentierten Verordnungskosten zu Unrecht regressiert worden sind, müsste der Beschwerdeausschuss - wie dargelegt - auch alle anderen Verordnungen anhand der Originalunterlagen untersuchen, weil der Anscheinsbeweis der Richtigkeit der elektronischen Daten insgesamt erschüttert wäre. Als Ergebnis dieser Untersuchungen können sich u.U. noch weitaus umfangreichere Datenfehler ergeben, die unentdeckt bleiben, wenn das Gremium - wie hier der Antragsgegner - die zweifelhaften Dateien nur aus der Regresssumme herausrechnet.

28

Fraglich könnte für das weitere Vorgehen allenfalls noch sein, ob der Antragsgegner nunmehr ohne weiteres an seine Entscheidung gebunden ist, 6,3 % der Verordnungskosten für zu Unrecht erfasst zu halten; in diesem Fall müssten im Hauptsacheverfahren in jedem Fall sämtliche übrige Verordnungen oder Printimages - falls noch greifbar - untersucht werden (zur diesbezüglichen gerichtlichen Ermittlungspflicht vgl. BSG aaO. RdNr. 36). Denkbar ist auch, diese umfassenden Ermittlungen nur anzustellen, wenn die vom Antragsgegner unterlassene Einzelfallprüfung der in Anlage 2 genannten Verordnungen nachgeholt wird und wirklich ergibt, dass 5% oder mehr der Verordnungen zu streichen waren. Dies ist indes im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Das bedeutet für die vorliegend zu treffende vorläufige Entscheidung jedoch nicht, dass der Ausgang des Klageverfahrens offen ist. Vielmehr sind die möglichen Auswirkungen des dargelegten Verfahrensfehlers als so schwer wiegend anzusehen, dass sie ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des gesamten Bescheids rechtfertigen. Anhaltspunkte dafür, die demnach zu treffende Anordnung nur auf einen Teil des Regressbetrags zu beschränken, liegen angesichts der Ungewissheit des weiteren Verfahrensverlaufs nicht vor.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 sowie aus §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

30

Die Bemessung des Streitwertes ergibt sich aus der Anwendung der §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie folgt in entsprechender Anwendung des Streitwertkataloges für die Sozialgerichtsbarkeit (vgl. Ziffer B.7.1., NZS 2007, 472, 474), wobei der Senat in ständiger Rechtsprechung in Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes von einem Viertel des streitbefangenen Regressbetrages ausgeht.

31

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).