Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.01.2009, Az.: L 2 R 195/08
Anspruch auf Übergangsgeld nach stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation; Zwischenübergangsgeld bei stufenweiser Wiedereingliederung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 21.01.2009
- Aktenzeichen
- L 2 R 195/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 15831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0121.L2R195.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen, S 11 RJ 160/03 vom 04.03.2008
Rechtsgrundlagen
- § 18e AVG
- § 1241e RVO
- § 301 SGB VI
- § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI
- § 28 SGB IX
- § 51 Abs. 1 SGB IX
- § 51 Abs. 5 SGB IX
Redaktioneller Leitsatz
Wenn nach Abschluss von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eine stufenweise Wiedereingliederung erforderlich war und diese aus Gründen, die der Leistungsempfänger nicht zu vertreten hatte, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden konnte, so war vor dem 1.5.2004 und damit vor Inkrafttreten des § 51 Abs. 5 SGB IX eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 SGB IX geboten. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 4. März 2008 und der Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Übergangsgeld für den Zeitraum vom 24. Oktober bis 8. Dezember 2002 zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von (Zwischen-)Übergangsgeld für den Zeitraum vom 24. Oktober bis 8. Dezember 2002.
Die Beklagte gewährte dem zuvor als Schlosser tätigen Kläger nach vorausgegangener längerer Arbeitsunfähigkeit vom 24. September bis 15. Oktober 2002 eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der Rheumaklinik Bad J.; der Kläger wurde arbeitsunfähig entlassen. Ausweislich des Entlassungsberichts vom 15. Oktober 2002 wurde eine stufenweise Wiedereingliederung gemäß § 74 SGB V empfohlen, da dem Kläger die zuletzt ausgeübte Tätigkeit "auf Dauer wieder möglich" sein sollte.
Am 23. Oktober 2002 wurde der Kläger von seiner Krankenkasse ausgesteuert.
Nachdem letztere die Gewährung einer stufenweisen Wiedereingliederung abgelehnt hatte, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 31. Oktober 2002 bei der Beklagten die Gewährung einer Arbeits- und Belastungserprobung; entsprechend diesem Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 9. Dezember 2002 eine stufenweise Wiedereingliederung, wobei sie ihm für die Dauer dieser Maßnahme auch Übergangsgeld gewährte.
Den Antrag des Klägers vom 2. Dezember 2002, ihm auch für den Zwischenzeitraum vom 24. Oktober bis 8. Dezember 2002 Übergangsgeld zu gewähren, lehnte die Beklagte hingegen mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003 mit der Begründung ab, dass es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern um eine sog. sonstige Leistung im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gehandelt habe. Hiervon ausgehend sehe die Regelung des § 51 SGB IX nicht die Gewährung eines sog. Zwischenübergangsgeldes vor.
Zur Begründung der am 4. Juli 2003 erhobenen Klage hat der Kläger, der inzwischen bei seinem früheren Arbeitgeber als Standortlogistiker tätig ist, insbesondere geltend gemacht, dass das BSG bereits bei der früheren Vorschrift des § 1241e RVO im Wege der Analogie eine erweiternde Auslegung zur Vermeidung von Schutzlücken befürwortet habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2008, dem Kläger zugestellt am 6. März 2008, hat das Sozialgericht Bremen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf das Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 SGB IX in der 2002 maßgeblichen Fassung hingewiesen. Die Neuregelung des Abs. 5 dieser Vorschrift sei erst zum 1. Mai 2004 in Kraft getreten.
Mit der am 7. April 2008, einem Montag, eingelegten Berufung macht sich der Kläger die Begründung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. Februar 2007 (L 3 R 39/06) zu eigen.
Er beantragt, 1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 4. März 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2003 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, ihm Übergangsgeld für den Zeitraum vom 24. Oktober bis 8. Dezember 2002 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Auffassung, dass eine Notwendigkeit von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Entlassung des Klägers aus der stationären Heilmaßnahme nicht unbedingt erkennbar gewesen sei.
Der Senat hat eine Auskunft des Arbeitgebers des Klägers, der K. Erzeugung GmbH & Co. KG, vom 13. Oktober 2008 eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Übergangsgeld auch für den Zeitraum vom 24. Oktober bis 8. Dezember 2002. Dieser Anspruch ergibt sich aus der im vorliegenden Zusammenhang entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 51 Abs. 1 SGB IX. Diese Vorschrift ist für den vorliegenden Rechtsstreit nach § 301 SGB VI weiterhin gemäß ihrer im Jahr 2002 geltenden Fassung heranzuziehen. Die erst zum 1. Mai 2004 in Kraft getretene Vorschrift des § 51 Abs. 5 SGB IX, wonach sich ein Anspruch auf Übergangsgeld auch auf den Zeitraum zwischen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und einer im unmittelbaren Anschluss erforderlichen stufenweisen Wiedereingliederung erstreckt, kann daher im vorliegenden Rechtsstreit noch keine unmittelbare Berücksichtigung finden.
In ihrer 2002 maßgeblichen Fassung sah § 51 Abs. 1 SGB IX unter folgenden Voraussetzungen einen Anspruch auf (Zwischen-)Übergangsgeld vor: Sind nach Abschluss von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben weitere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlich, während derer dem Grunde nach Anspruch auf Übergangsgeld besteht, und können diese aus Gründen, die die Leistungsempfänger nicht zu vertreten haben, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden, wird insbesondere das Übergangsgeld für diese Zeit weitergezahlt, wenn (Nr. 1) die Leistungsempfänger arbeitsunfähig sind und keinen Anspruch auf Krankengeld mehr haben oder (Nr. 2) ihnen eine zumutbare Beschäftigung aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht vermittelt werden kann.
Im vorliegenden Fall war der Kläger nach Abschluss der von der Beklagten in der Rheumaklinik Bad J. gewährten medizinischen Rehabilitation im streitigen Zeitraum vom 24. Oktober bis 8. Dezember 2002 weiterhin arbeitsunfähig, ohne einen Anspruch auf Krankengeld zu haben. Auch die Beklagte geht davon aus, dass bereits bei Abschluss dieser Leistung zur medizinischen Rehabilitation die Notwendigkeit einer stufenweise Wiedereingliederung im Sinne von § 28 SGB IX bestand, wie sie von ihr dem Kläger nachfolgend ab dem 9. Dezember 2002 auch gewährt worden ist.
Der Beklagten ist allerdings zuzugestehen, dass eine solche stufenweise Wiedereingliederung nach der gesetzlichen Systematik keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 16 SGB VI, sondern eine sonstige Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI darstellt.
Sie weist allerdings ihrer Grundstruktur nach größere Ähnlichkeiten zu einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben als zu einer Leistung der medizinischen Rehabilitation auf. Namentlich fehlt einer stufenweisen Wiedereingliederung typischerweise das medizinische Rehabilitationsleistungen prägende Ziel (vgl. dazu BSG, U.v. 12. August 1982 - 11 Rentenantrag 62/81 - E 54, 54) der Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustandes. Jedenfalls vor diesem Hintergrund erachtet der Senat für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 51 Abs. 5 SGB IX eine analoge Anwendung der erläuterten Vorschrift des § 51 Abs. 1 SGB IX in Fällen für geboten, in denen nach Abschluss von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eine stufenweise Wiedereingliederung geboten war und diese aus Gründen, die - wie im vorliegenden Fall - der Leistungsempfänger nicht zu vertreten hatte, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden konnte (vgl. im gleichen Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. Februar 2007, aaO.).
In derartigen Fallgestaltungen war § 51 Abs. 1 SGB IX unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Zielvorstellungen lückenfüllend analog anzuwenden (vgl. entsprechend zur früheren Vorschrift des § 18e AVG bereits BSG, U.v. 22. Juni 1989 - 4 RA 24/88 - SozR 2200, § 1241e RVO Nr. 18). Auch in einer solchen Konstellation war die durch § 51 Abs. 1 SGB IX bezweckte wirtschaftliche Sicherstellung des Versicherten während einer von ihm nicht zu vertretenden Rehabilitationspause zwischen zwei Maßnahmen zu gewährleisten, soweit dieser - wie im vorliegenden Fall - des Schutzes bedurfte, weil er weder als Arbeitsunfähiger Krankengeld noch als Beschäftigter Arbeitsentgelt bezog. Den Versicherungsträger traf auch insoweit die Verantwortung, dass der nicht durch Arbeitsentgelt oder Krankengeld gesicherte Betreute während einer für ihn unvermeidbaren Rehabilitationsunterbrechung wirtschaftlich nicht weiter absank. Das Bedürfnis des Rehabilitanden nach wirtschaftlicher Sicherung durch (Zwischen-)Übergangsgeld bestand unabhängig davon, von welcher Art die abgeschlossene und die erforderliche weitere (gesamtplanfähige) Maßnahme zur Rehabilitation waren (BSG, aaO.). Diesbezüglich bestand auch in Fällen der vorliegenden Art das spezifisch rehabilitationsbedingte Sicherungsbedürfnis fort (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BSG, U.v. 10. August 1989 - 4 RA 46/88 - SozR 2200, § 1241e RVO Nr. 19).
Für die Richtigkeit einer analogen Anwendung des § 51 Abs. 1 SGB IX in solchen Fallgestaltungen spricht überdies, dass der Gesetzgeber die zum 1. Mai 2004 in Kraft getretene zum gleichen Ziel führende gesetzliche Regelung in § 51 Abs. 5 SGB IX nicht als inhaltlich neue Bestimmung, sondern lediglich als Klarstellung verstanden wissen wollte (vgl. die Gesetzbegründung, BT-Drs. 15/1783, S. 23 des Abdrucks bei Hauck/Noftz). Dementsprechend wird auch in der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass mit der gesetzlichen Neufassung keine materiellrechtlichen Änderungen bewirkt worden sind (vgl. Schütze in Hauck/Noftz, § 51 SGB IX, Rn. 29a).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten gesetzgeberischen Klarstellung in § 51 Abs. 5 SGB IX nicht gegeben.