Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 08.02.2006, Az.: 1 A 75/03

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
08.02.2006
Aktenzeichen
1 A 75/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44577
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2006:0208.1A75.03.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist bereits beachtlich.

  2. 2.

    § 28 Abs. 1 AsylVfG betrifft nur den Asylstatus, nicht den Flüchtlingsstatus.

  3. 3.

    Die Anerkennung subjektiver wie objektiver Nachfluchtgründe gehört zum Mindeststandard des Flüchtlingsschutzes (GFK) und des internationalen Schutzes.

  4. 4.

    § 28 Abs. 2 AsylVfG ist völkerrechtlich, gemeinschaftsrechtlich und in Orientierung am GG nur bei enger Auslegung rechtmäßig: Die dort aufgestellte Regel wird zur Ausnahme in Missbrauchsfällen; § 28 Abs. 2 AsylVfG ist daher in zahlreichen Fällen unanwendbar.

  5. 5.

    Zu den Verhältnissen und zur Verfolgungslage in Vietnam aufgrund einer - erforderlichen - Gesamtschau der Verwaltungs- und Polizeipraxis.

Tatbestand

1

Dem Kläger geht es um die Feststellung eines Abschiebungsverbots bzw. von Abscheibungshindernissen gem. § 60 AufenthG.

2

Der 1970 geborene Kläger vietnamesischer Staatsangehörigkeit und buddhistischen Glaubens (Volksgruppe der Kinh) kam - nach längerem Aufenthalt in der ehemaligen CSFR - Anfang der 90er-Jahre in das Bundesgebiet und stellte hier erstmals einen Asylantrag, der durch Bescheid des Bundesamtes abgelehnt wurde. Die dagegen gerichtete Klage war erfolglos (Urteil des VG Lüneburg - 1 A 862/91 - und Beschluss des Nds. OVG vom 30.11.1994 - 9 L 4523/94 -).

3

Am 24. Januar 2003 stellte der Kläger mit der Begründung einen Asylfolgeantrag, er sei seit 1994 für den "Verein der vietnamesischen Flüchtlinge in Hamburg" aktiv (seit 1998 Mitglied) und außerdem seit dem 1. September 2002 in der "Organisation für die Angelegenheiten der Vietnam-Flüchtlinge" - OAVD - mit Sitz in Bremen. Beide Organisationen führten regelmäßig Besprechungen und Sitzungen durch, seien in vielen Ländern der Welt systemkritisch aktiv, gäben exilpolitische Zeitungen heraus und seien in Vietnam verboten, so dass ihre Mitglieder in Vietnam inhaftiert, gefoltert und verfolgt würden. Er sei in Deutschland exilpolitisch sehr aktiv, was sich als Fortsetzung seiner schon früher vorhandenen Einstellung darstelle und was er mit Fotos und Unterlagen belegen könne (Bl. 27 ff. der VerwV). Mit Bescheid vom 7. April 2003 - per Übergabe-Einschreiben zugestellt (abgesandt am 8.4. 03) - lehnte die Beklagte nach einer Anhörung des Klägers die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor; zugleich wurde der Klägeraufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, wobei ihm die Abschiebung nach Vietnam (oder einen anderen Staat) für den Fall angedroht wurde, dass er die Frist nicht einhalte.

4

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 11. April 2003 per Fax bei der erkennenden Kammer Klage - 1 A 75/03 - erhoben und zugleich erfolgreich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (1 B 22/03). Er vertieft seinen Standpunkt, dass er bei einer Rückkehr nach Vietnam mit Strafe und Verfolgung zu rechnen habe, weil er als exilpolitisch aktiver Asylbewerber und Angehöriger eines buddhistischen Glaubens, der früher der Hoa-Hoa-Religion zugeneigt gewesen sei, die falsche Gesinnung für das vietnamesische Regime habe.

5

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 7. April 2003 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als es dem Kläger gemäß seinem Antrag um die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG geht.

10

Im Übrigen - wegen der ursprünglich begehrten Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16 a Abs. 1 GG (Nr. 1 der Klageschrift v. 11.4.2003) - ist die Klage nach der Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung kostenpflichtig einzustellen (§§ 92 Abs. 3, 155 Abs. 2 VwGO).

11

1. Das Folge- und Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 VwVfG ist gestuft, so wie das in der Rechtsprechung seit langem anerkannt ist (HambOVG, NVwZ 1985, 512: "gute Möglichkeit einer Asylanerkennung"; h.M. der Verwaltungsrechtsprechung; vgl. auch Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung, Band 2, § 71 Rdn. 85 m.w.N.; BVerfG, InfAuslR 1993, 3o4; BVerwGE 39, 234; 44, 338; 77, 325; VG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 217). Diese Prüfungsabfolge in Stufen ist auch in Anlehnung an die Richtlinie 2005/85/ EG d. Rates v. 1. Dezember 2005 geboten. Nur dann, wenn ein Vorbringen nach jeder Betrachtungsweise völlig ungeeignet ist, zur Asylberechtigung bzw. zu einem Abschiebungsverbot zu verhelfen, kann ein Folgeantrag als unbeachtlich bewertet werden (BVerfG, DVBl. 1994, 38; BVerfG, InfAuslR 1993, 229/233). Ein derartiger Einzel- und Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

12

2. Soweit im Bescheid die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG angesprochen worden sind, ist es so, dass eine Änderung der Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) im Hinblick auf das ab dem 1.1.2005 geltende Zuwanderungsgesetz mit § 60 Abs. 1 AufenthG iVm der Genfer Flüchtlingskonvention v. 28.7.1951 (BGBl. 1953 II, S. 559), aber auch hinsichtlich der Richtlinie 2004/83/ EG des Jahres 2004 gegeben ist. Daneben rechtfertigen die Belege für eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Lage in Vietnam (Sachlage iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), die Unterdrückung der Religions- und Meinungsfreiheit einschließlich der dort gehandhabten "Willkür" und der unsystematischen Verhaftungen eine Befassung mit dem Folgeantrag. Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die h.M. der "Asylgerichte" zur bloßen Substantiierungspflicht in der 1. Stufe (s.o. 1) sei nicht zwingend, das Gesetz sei strenger auszulegen, liegen neben der Sache.

13

3. Sind die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen gem. den §§ 71 AsylVfG, 51 VwVfG - wie hier - erfüllt, hat das Verwaltungsgericht durchzuentscheiden (§§ 113 Abs. 5 u. 86 Abs. 1 VwGO; vgl. BVerwGE 106, 171 = DVBl. 1998, 725 = NVwZ 1998, 861 m.w.N.).

14

4. Dem Kläger droht bei einer Rückführung nach Vietnam prognostisch für den Zeitpunkt Februar 2006 eine asylerhebliche Beeinträchtigung oder Schädigung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG.

15

Diese Vorschrift enthält in Anlehnung an Art. 33 GFK unter Einbeziehung auch der selbstgeschaffenen subjektiven Nachfluchtgründe ein Abschiebungsverbot zugunsten rassisch, religiös oder sonst - durch existenzielle Gefahren - politisch Verfolgter. Hierbei reicht eine bloße Bedrohung aus. Verfolgungshandlungen und -gründe ergeben sich aus Art. 9 und Art. 10 der jedenfalls richterlich bereits berücksichtigungsfähigen Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004 (Amtsbl. der EU v. 30.9.2004 / L 304/12 ).

16

4.1 § 60 Abs. 1 AufenthG hat das Verhältnis zur Asylanerkennung (Art. 16 a GG) tiefgreifend verändert (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, 1. Teil Kap. 5 III 3, § 60 AufenthG, Rdn. 12). Mit § 60 Abs. 1 AufenthG hat sich unter dem Eindruck der Richtlinie 2004/ 83/EG v. 30.9. 2004 - L 304/12 - ein Perspektivwechsel zu einer prognostischen Opferbetrachtung vollzogen (vgl. dazu VG Stuttgart, Urteil v. 17.1.2005 - A 10 K 10587/04 - m.w.N.; Urteil der Kammer v. 7.9. 2005 - 1 A 240/02 -). Vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, 1. Teil Kap. 5 III 3, § 60 AufenthG Rdn. 13:

17

"Unter das Abschiebungsverbot des Abs. 1 fällt nach alledem jeder politisch Verfolgte (vgl auch § 3 AsylVfG), u. zwar ohne Rücksicht darauf, ob er den Verfolgungstatbestand erst nach Verlassen des Heimatstaats geschaffen hat u. deshalb uU nicht als politisch Verfolgter iSd Art. 16 a I GG angesehen werden kann (dazu Art 16 a GG Rn 49 ff)."

18

Da inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in Kraft getreten ist, sind auch deren Standards im Wege der Auslegung des § 60 AufenthG jedenfalls richterlich - ohne dass Kläger das beanspruchen könnte - schon beachtlich (vgl. auch EuGH, Urt. v. 9.3.2004 - C 397/01 - Pfeiffer, Rn. 101 ff), u.zw. auch angesichts des Art. 38 Abs. 1 d. Richtlinie (vgl. VGH Baden-Württ., Beschl. v. 12.5.2005 - A 3 S 358/05 - , InfAuslR 2005, S. 296 m.w.N; VG Braunschweig Urt. v. 8.2.2005 - 6 A 541/04 -; VG Stuttgart InfAuslR 2005, 345.; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.3. 2005 - A 2 K 10264/03 -; VG Köln Urt. v. 10.6.2005 - 18 K 4074/04.A - ; BGH, NJW 1998, 2208) Vgl. auch Meyer/ Schallenberger, NVwZ 2005, 776:

19

"Damit haben sich die EU-Mitgliedstaaten erstmals auf eine gemeinsame Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention geeinigt. Soweit § 60 I AufenthG (vgl. § 51 I AuslG) die Genfer Flüchtlingskonvention in Bezug nimmt, wird bei seiner Auslegung unmittelbar auf die im Folgenden zu besprechende Richtlinie zurückzugreifen sein. Dies gilt auch schon vor der Umsetzung der Richtlinie, soweit die Richtlinie den Begriff des Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention definiert."

20

Diese Beachtlichkeit der gen. Richtlinie gilt auch deshalb, weil die Bundesregierung in den Ratsgremien bereits auf der Grundlage des Entwurfs eines Zuwanderungsgesetzes verhandelt, also selbst eine Interdependenz zwischen Richtlinie und Zuwanderungsgesetz hergestellt hat (vgl. V 3.4.2 des Berichtes der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, August 2005, S. 512 m.w.N.). Nur deshalb besteht in Deutschland ein geringer Änderungsbedarf:

21

"Aufgrund der Wechselwirkung zwischen der Richtlinie und dem Zuwanderungsgesetz ist der Änderungsbedarf im deutschen Asyl- und Flüchtlingsrecht grundsätzlich nicht so umfassend. Im Hinblick auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft enthält die Richtlinie...... sehr detaillierte Regelungen." - Bericht, a.a.O., S. 513 -

22

Vgl. hierzu auch den "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union" der Bundesregierung v. 3. Januar 2006, durch den auch subjektive Nachfluchtgründe berücksichtigungsfähig werden sollen (s. Duchrow, Asyl-info 2006, S. 4 f/S. 9).

23

Entscheidend ist damit, welche Bedrohung im Falle einer "sonstigen Rückführung" (so § 13 Abs. 1 AsylVfG) aufgrund einer Gesamtschau aller Umstände zu erwarten ist. Hierfür ist eine zukunftsgerichtete Wahrscheinlichkeitseinschätzung dazu abzugeben, ob es zumutbar ist, in den Heimatstaat zurückzukehren (BVerwGE 55, 82 und BVerwGE 87, 52).

24

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Bedrohung ist somit aufgrund einer individuellen Prüfung (Art. 4 Abs. 3 Richtlinie) dann zu bejahen, wenn bei zusammenfassender Wertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgungsfurcht (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie) sprechenden Umstände nach Lage der Dinge ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Umständen nach richterlicher Wertung qualitativ überwiegen (vgl. dazu BVerfGE 54, 341/354; BVerwG, DÖV 1993, 389; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.8.1993 - 11 L 5666/92 ). Vgl. dazu OVG Frankfurt/Oder v. 14.4.2005 - 4 A 783/01 - :

25

"Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise i.S. einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn auf Grund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht."

26

Auf eine Kausalität zwischen einer Verfolgung oder Bedrohung in der Vergangenheit und einer daraus resultierenden Flucht kommt es - mangels erlittener Verfolgung und mangels Flucht - bei einer solchen prognostischen Beurteilung der "Furcht vor Verfolgung" oder der künftigen Gefahr, "einen ernsthaften Schaden zu erleiden" (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie), nicht an. Entscheidend ist das tatsächliche Vorliegen von Anknüpfungsmerkmalen im Jahre 2006, deretwegen (Flüchtlings-) Verfolgung aller Voraussicht nach in Zukunft stattfinden wird.

27

Solche Anknüpfungsmerkmale, die unter Wertungs- und Abwägungsgesichtspunkten z.Z. für eine berechtigte Verfolgungsfurcht des Klägers sprechen, sind hier gegeben.

28

4.2 Ein Überwiegen der für eine Verfolgungsfurcht des Klägers sprechenden Umstände ist hier deshalb anzunehmen, weil der Kläger zum einen gläubiger Anhänger des Buddhismus ist und er sich zum andern exilpolitisch betätigt hat, als solcher aber aufgrund seiner Gesinnung und der gewandelten Verhältnisse in Vietnam im Falle einer Rückkehr im Jahre 2006 ernsthaft bedroht ist.

29

4.2.1 Ausgangspunkt dabei ist, dass eine Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. § 28 Rdn. 7 u. 8 m.w.N.) dazu führt, dass die Sicherheit u.a. vor einer Abschiebung - § 51 Abs. 1 AuslG bzw. jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG - von dieser Vorschrift überhaupt nicht erfasst, vielmehr von ihr ausschließlich der Asylstatus, nicht aber der Flüchtlingsstatus berührt wird.

30

Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 24.2.1993 - 2 BvR 1959/92 - in InfAuslR 1993, 179:

31

"Das Oberverwaltungsgericht hat bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 AuslG die vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 26. November 1986 (BVerfGE 74, 51 (65 f.)) entwickelten Grundsätze zur Asylerheblichkeit selbstgeschaffener Nachfluchtgründe angewendet und damit den einfachrechtlich verbürgten Abschiebungsschutz einschränkend interpretiert, ohne dass diese Auslegung im Wortlaut der Vorschrift einen Anhaltspunkt fände....

32

Auch in der nachfolgenden Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht immer wieder darauf hingewiesen, dass § 51 Abs. 1 AuslG dann praktische Bedeutung erlange, wenn politische Verfolgung wegen eines für die Asylanerkennung unbeachtlichen Nachfluchtgrundes drohe (vgl. nur...)."

33

Somit konnten und können mit Blick auf einen Abschiebungsschutz (aus § 51 AuslG bzw. aus jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) grundsätzlich subjektive Nachfluchtgründe aller Art vorgebracht werden.

34

4.2.2 Erst durch § 28 Abs. 2 AsylVfG und allein im Folgeverfahren wird - zeitlich begrenzt ("nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung" des Erstantrages) - der Flüchtlingsstatus mit einer im Absatz 2 neu eingeführten Regel berührt. Hiergegen waren im Gesetzgebungsverfahren allerdings erhebliche Bedenken des Bundesrates vorgebracht worden (Stellungnahme des Bundesrates v. 4. Jan. 2002 - BR-Drucks. 921/01, S. 64 - zu § 28 Abs. 2 AsylVfG):

35

"Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren § 28 Abs. 2 AsylVfG-E so zu ändern, dass die Regelung mit dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vereinbar ist.

36

Begründung:

37

Der Ausschluss von Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat (sogenannte selbstgeschaffene oder subjektive Nachfluchttatbestände), in Asylfolgeverfahren ist mit dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - (BGBl. 1953 II S. 560) nicht vereinbar. Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) differenziert nicht danach, ob ein Fluchtgrund selbst verursacht wurde oder nicht (Artikel 1 A GFK). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 26. November 1986 (vgl. BVerfGE 74, 51,67) ausgeführt, dass gegenüber der Abschiebung in einen Staat, von dem einem Ausländer politische Verfolgung droht, Schutz nach Maßgabe von Artikel 33 GFK besteht. Diese Rechtsbindungen seien "selbstverständlich auch in allen Fällen von Nachfluchttatbeständen, die der Asylrelevanz ermangeln, zu beachten"...

38

Die Erstreckung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 74, 51) entwickelten Grundsätze zum Asylstatus, welcher durch eine retrospektive Kausalität von Verfolgung und Flucht gekennzeichnet ist, auch auf den Flüchtlingsstatus, bei dem diese Kausalität fehlt, ist so ohne weiteres nicht möglich, weil "Nachfluchtgründe" auf eine prognostisch erst noch zu bewertende Bedrohung grundsätzlich nicht passen - mögen sie subjektiver oder objektiver Art sein. Daher ist die Unterscheidung im Flüchtlingsrecht - anders als im Asylrecht - ein Fremdkörper:

39

"Die Anerkennung von objektiven wie subjektiven Nachfluchtgründen wird daher folgerichtig zum Mindestbestand des Schutzes nach der GK u. gleichzeitig auch des subsidiären Schutzstatus gezählt..." - Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, GG 3, Rdn. 139 -

40

4.2.3 Der Bezug des § 28 Abs. 2 AsylVfG zu dessen Absatz 1 (vgl. oben 4.2.1) macht allerdings deutlich, dass nach dem Gesetz subjektive Nachfluchtgründe in der Regel ausgeschlossen sein sollen (Ausnahme: BVerwGE 90, 127) u.zw. - in Anlehnung an den Asylstatus und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu - vor allem solche, die nicht bereits "einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung" entsprechen.

41

Da es einen objektiven Nachfluchttatbestand darstellt, wenn sich die politische Einstellung des Heimatstaates gegenüber regimekritischen Organisationen bzw. Betätigungen verändert (Renner, aaO., § 28 Rdn. 10 u. GG 3, Rdn. 54; BVerwG, EZAR 206 Nr. 4) und somit im Heimatstaat prognoserelevant veränderte Verhältnisse herrschen, ist es dem Kläger hier nicht verwehrt, sich auf die in den letzten Jahren feststellbaren Verschärfungen in Vietnam, vor allem auf die massive Verfolgung von Religionsanhängern dort - Christen wie Buddhisten -, zu berufen. Auf derartige Ereignisse (Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) hat der Kläger keinen Einfluss. Ihre Veränderung kann nach der Gesetzeslage zur Anerkennung führen - gerade auch mit Blick auf § 28 Abs. 1 AsylVfG.

42

Im Übrigen ergreift der Regelausschluss (allein) rein subjektiver Nachfluchtgründe nicht auch unveränderliche persönliche Merkmale - z.B. ethnische oder körperliche Merkmale (Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 28 AsylVfG Rdn. 9). Vor allem die religiöse Überzeugung ist rechtlich ein objektiver Nachfluchttatbestand (Marx, Kommentar zum AsylVfG, 3. Aufl., § 28, Rdn. 15) - jedenfalls solange sie inhaltliche Kontinuität aufweist (BVerfG, InfAuslR 1990, 197). Der Kläger buddhistischen Glaubens ist also nicht mit seinem Vortrag etwa ausgeschlossen.

43

4.2.4 Das gilt angesichts der gen. Richtlinie 2004/83/EG mit ihrer grundsätzlichen Anerkennung von Nachfluchtgründen objektiver wie auch subjektiver Art, die allesamt einen "Bedarf an internationalem Schutz" hervorrufen (Art. 5), in ganz besonderem Maße, so dass geänderte Einstellungen und Verschärfungen im Herkunftsland bei § 28 AsylVfG als objektiver Nachfluchttatbestand beachtlich und iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bedrohungsrelevant sind.

44

Die Richtlinie ist im vorliegenden Bedeutungszusammenhang gesetzessystematisch und rechtsmethodisch auch heranzuziehen, wobei die vom OVG Münster (Urt. v. 12.7.2005 - 8 A 780/04.A -, Asylmagazin 10/2005, S. 26/27) angenommene Eindeutigkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG mit seinem Bezug zu Abs. 1 und dem dort geregelten Asylstatus nur solange besteht, wie die völkerrechtlichen Rechtsbindungen ausgeblendet werden und die Vorschrift nur "für sich genommen" betrachtet wird. Diese Bindungen sind jedoch nach dem gesamten Regelungszusammenhang einzubeziehen und zu beachten (Renner, aaO, GG 3 Rdn. 138). Der Ausschluss konventionsrechtlichen Schutzes ist daher nicht zulässig, weil die GFK "umfassenden Schutz gewährt" (Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 6. Auflage 2005, § 28 Rdn. 131), u.zw. auch im Sinne einer Verfestigung (Marx, aaO., Rdn. 133). Ein möglicher Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie ist mithin stets zu bedenken (Marx, Rdn. 134 und 136). Vergl. dazu BVerfGE 74, 51 f.:

45

"Bei alledem darf nicht übersehen werden, daß das Asylrecht im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht die einzige Rechtsgrundlage für einen Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet oder jedenfalls für ihren Schutz vor Abschiebung darstellt. Steht jemandem das Asylgrundrecht nicht zu, ist keineswegs ausgeschlossen, daß ihm - etwa nach Maßgabe der Regelungen des Ausländergesetzes, die insoweit teilweise weite Ermessensspielräume einräumen - ein Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet zuerkannt wird. Gerade in Fällen, in denen - ungeachtet des Fehlens der Asylberechtigung - die Gewährung eines gesicherten Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland aus politischen oder anderen Gründen sich nahelegen mag, stehen diese Möglichkeiten offen. Und gegenüber der Abschiebung in einen Staat, von dem ihm politische Verfolgung droht - oder einen Drittstaat, der ihn in einen solchen Staat möglicherweise ausliefert -, besteht für jeden Ausländer Schutz nach Maßgabe von Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559), § 14 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353), möglicherweise auch Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686). Diese gesetzlichen, teilweise auch völkerrechtlich begründeten Rechtsbindungen sind selbstverständlich auch in allen Fällen von Nachfluchttatbeständen, die der Asylrelevanz ermangeln, zu beachten."

46

Der Gesetz- wie auch Richtliniengeber hat sich ausdrücklich zu den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention bekannt (§ 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG, Erwägungsgründe (3) der Richtlinie; Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG: "Unbeschadet der GFK") und damit im Falle subjektiver Nachfluchtgründe - bei objektiven ohnehin - deutlich einen "Schutzbedarf" anerkannt. Das wird in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung v. 3.1.2006 zu dem "Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union" betont, wenn es dort zu Nr. 17 der Änderungen des AsylVfG u.a. heißt:

47

"Zunächst wird klargestellt, dass die Verfolgungsgefahr grundsätzlich auch auf Ereignissen und Aktivitäten beruhen kann, die nach Ausreise aus dem Herkunftsland entstanden sind bzw. durchgeführt wurden (Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie)."

48

Die Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie iSe Klarstellung unterstreicht den gegebenen gesetzessystematischen Zusammenhang sehr deutlich.

49

4.2.5 Da der Richter an einzelne Gesetze nur als Teil des gesamten Rechts gebunden ist, er nur den im gesetzlichen Zusammenhang zweifelsfrei zum Ausdruck gelangten Gesetzeszweck mit seinen Grundgedanken zu respektieren hat (so schon Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, § 51 II 4a; Betti, Allgemeine Auslegungslehre, S. 600 ff.), kann hier nicht daran vorbeigegangen werden, dass mit § 60 Abs. 1 AufenthG und der gen. Richtlinie zugleich auch ganz ausdrücklich und sehr bewusst die Genfer Flüchtlingskonvention v. 28.7.1951 als "Leitlinie" anerkannt und in den Gesetzeszusammenhang aufgenommen worden ist.

50

4.2.6 Dieser gesetzgeberisch ausdrücklich anerkannte Schutzbedarf modifiziert das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 28 Abs. 2 AsylVfG erheblich: Der neu eingefügte § 28 Abs. 2 AsylVfG ist nicht nur im Hinblick auf die Richtlinie 2004/83/EG v. 29.4.2004 (Amtsblatt der EU L 304/12) und den dort anerkannten Schutzbedarf bei Nachfluchtgründen (Art. 5) äußerst einschränkend auszulegen (vgl. dazu die Rechtsprechung der Kammer, z.B. Urteile v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -, v. 29.6.2005 - 1 A 212/02 - und v. 6.7.2005 - 1 A 4/02 - sowie v. 17.8.2005 - 1 A 233/02 -), sondern auch deshalb, weil er andernfalls mit dem Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28.7. 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) und mit dem - dieses Verbot sowie jenes aus Art. 3 EMRK umsetzenden - Sinngehalt des § 60 Abs. 1 AufenthG erheblich kollidierte.

51

Zur Vermeidung völkerrechtswidriger, gemeinschaftsrechtlich unzulässiger und auch verfassungswidriger Folgen ist der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG daher nicht zu folgen:

52

"Sollte also § 28 II AsylVfG bewirken, dass § 60 I AufenthG einer Abschiebung nicht entgegensteht, obwohl Art. 33 I GFK entgegensteht, widerspräche sich das Zuwanderungsgesetz selbst, da es § 60 I AufenthG und § 28 II AsylVfG gleichzeitig in Kraft gesetzt hat. Dieser Widerspruch lässt sich dadurch ausräumen, dass bei einem Verstoß gegen Art. 33 I GFK eine Ausnahme von der Regel des § 28 II AsylVfG gemacht wird. Dadurch wird zwar die Ausnahme zur Regel, denn der Anwendungsbereich des § 28 II AsylVfG bleibt auf etwaige Fälle beschränkt, in denen der Abschiebungsschutz des § 60 I AufenthG über Art. 33 I GFK hinausgeht. Das dürfte aber nicht schwer wiegen, denn § 28 II AsylVfG könnte ohnehin kaum die Erwartung des Gesetzgebers erfüllen, dass der "bislang bestehende Anreiz" entfällt, durch Folgeverfahren mit neu geschaffenen Nachfluchtgründen zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (BTDrucks.15/538 a.a.O.). Auch bei Gefahren i.S. des § 60 II, 3, 5 oder 7 AufenthG, die nicht unter Art. 33 I GFK fallen, soll nämlich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, die schließlich zur Niederlassungserlaubnis führen kann (§§ 25 III S. 1, 26 IV AufenthG)."

53

- so VG Stuttgart, Urt. v. 18.4.2005 - A 11 K 12040/03 - , InfAuslR 2005, S. 345 -

54

Auch das VG Göttingen (Urt. v. 2.3.2005 - 4 A 38/03 - ; ähnlich VG Magdeburg, Urt. v. 11.7.2005 - 9 A 272/04 MD -) wendet die Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG deshalb sehr folgerichtig dann nicht mehr an, wenn sie nach ihrem Sinn und Zweck nicht in Betracht kommen kann (vgl. auch VG Mainz Urt. v. 27.4.2005 - 7 K 755/04.MZ - ).

55

Das VG Meiningen (Urteil v. 20.9.2005 - 2 K 20124/04.Me - ) prüft insoweit zur Vermeidung einer Schutzlücke, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG besteht und meint, falls das so sei, entstehe keine Schutzlücke und liege also wohl auch der Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylVfG vor. Für exilpolitisch tätige Vietnamesen bejaht es ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG, zumal es sich hierbei jetzt um eine Sollvorschrift handele und keine besonderen Umstände vorlägen, die eine Abweichung vom Schutz gem. § 60 Abs. 7 AufenthG rechtfertigten. Allerdings hält auch das VG Meiningen § 28 Abs. 2 AsylVfG in den Fällen für nicht mehr anwendbar, in denen der Ausländer das Risiko selbst geschaffener Nachfluchtgründe gar nicht habe "bewusst" auf sich nehmen können, weil ihm vor Inkrafttreten des § 28 Abs. 2 AsylVfG am 1.1.2005 eine "Abschätzung seines Risikos" noch nicht möglich gewesen sei. Das sei bei den Fällen aus "früherer Zeit" in weiten Teilbereichen so, führe mithin auch zur Unanwendbarkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG - abgesehen davon, dass der Gesetzgeber einen Asylbewerber, der "aus tiefer Überzeugung ein von ihm abgelehntes politisches System in seiner Heimat bekämpft", gar nicht im Blick gehabt, ihn vielmehr "völlig außer Acht" gelassen habe.

56

Ebenso beschränkt auch Renner (Ausländerrecht, 8. Auflage, aaO.,Rdn. 22) § 28 Abs. 2 AsylVfG durch verfassungskonforme Auslegung auf echte Missbrauchs- und damit Ausnahmefälle.

57

Unter solchen Umständen kann bei Einbeziehung der gesetzgeberischen Ziele, Zwecke und Intentionen - u.a. der Anerkennung eines Refoulementverbots (Art. 33 GFK) - nicht mehr nur von einer bloßen "Rückausnahme" (OVG Münster, Urt. v. 12.7. 2005 - 8 A 780/04.A -) ausgegangen werden. Denn diese ließe - bei engem Verständnis - die grundlegenden Gesetzesziele und -zwecke, die der Gesetzgeber offenkundig verfolgt, leer laufen. Das hat der völkerrechtlich gebundene Gesetzgeber nicht gewollt.

58

4.2.7 Somit ist § 28 Abs. 2 AsylVfG im Gesamtzusammenhang des Normengefüges (Art. 16 a Abs. 1 GG, Art. 3 EMRK, Art. 33 GFK, Richtlinie 2004/83/EG, § 60 AufenthG) richterlich nur als äußerst eng zu interpretierende Ausnahme anwendbar.

59

§ 28 Abs. 2 AsylVfG vermag somit die Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG nur noch ganz ausnahmsweise, nämlich dann zu sperren, wenn ausnahmslos rein subjektive Nachfluchtgründe geltend gemacht werden. In allen anderen Fällen, vornehmlich dann, wenn subjektive und objektive Nachfluchtgründe nur miteinander verwoben sind, besteht ein "Bedarf an internationalem Schutz" gem. Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 2004/83/EG. Demzufolge ist auch die in § 28 Abs. 2 AsylVfG enthaltene Regel eng auszulegen und jede von ihr abweichende Ausnahme - gemäß dem grundsätzlichen Schutzbedarf - großzügig und weit.

60

§ 28 Abs. 2 AsylVfG findet daher bei zahlreichen Konstellationen keine Anwendung (vgl. etwa Marx, Kommentar zum AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 28 Rdn. 120 f.) - u.a. jener, dass sich ein enger Zusammenhang mit den im Erstverfahren geprüften Gründen ergibt oder zunächst als unerheblich bewertete Gründe nunmehr als entscheidungserheblich erscheinen. Auch dann, wenn unbeachtliche Gründe "in einem anderen Licht" erscheinen, findet § 28 Abs. 2 AsylVfG keine Anwendung (Marx, aaO., Rdn. 121).

61

Somit können im Rahmen des § 28 AsylVfG auch subjektive Nachfluchtgründe aller Art zur Anerkennung führen. Das gilt ganz besonders und vor allem dann, wenn sie auf eine schon im Herkunftsland erkennbar betätigte Überzeugung (Abs. 1) oder aber (mit Blick auf einen Folgeantrag iSv Art. 5 Abs. 3 Richtlinie bzw. § 28 Abs. 2 AsylVfG) auf Umstände zurückgehen, die schon vor der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung des früheren Antrags entstanden sind. Bei Verhaltensweisen, die bei wertender Betrachtung typischerweise nicht von dem Zweck erfasst werden, der die Unerheblichkeit des Nachfluchtverhaltens begründet (etwa bei Wahl des Ehepartners mit anschließender christlicher Erziehung, BVerwGE 90, 127/131), kommt auch bei subjektiven Nachfluchtgründen eine Anerkennung stets in Betracht.

62

4.2.8 Auf diesem Hintergrund liegt es hier zunächst so, dass der Kläger noch in Vietnam miterleben musste, wie sein Onkel als Teilnehmer einer "boat-people-Aktion" auf der Flucht festgenommen und anschließend für 3 Jahre ins Gefängnis kam. Der Kläger entwickelte schon damals eine abwehrende Einstellung gegen den vietnamesischen Staat, der von einer "einzigen Partei regiert" wird (Protokoll v. 8.2.2006, S. 2). Des weiteren hat der Kläger aus Angst vor polizeilicher Festnahme bei einer Rückkehr nach Vietnam - wegen "eigenmächtigen Verbleibens im westlichen Ausland" (S. 5 des Bescheides v. 30.9.1991) - zu dem Mittel gegriffen, den Arbeitsausweis eines Kollegen an sich zu bringen, was seine bereits im Erstverfahren vorgetragene Furcht in einem neuen Lichte erscheinen lässt.

63

Damit handelt es sich bei der exilpolitischen Betätigung des Klägers in Deutschland (vgl. Bl. 59 und Bl. 69 ff GA), die angesichts seiner Erfahrungen mit dem vietnamesischen Regime offensichtlich einer schon im Herkunftsland angelegten "Ausrichtung" (Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie) bzw. dort gewachsenen Überzeugung entspricht, nicht um einen (nachträglich) erst aus eigenem Entschluss geschaffenen Nachfluchttatbestand iSv § 28 Abs. 1 AsylVfG, sondern vielmehr um eine Betätigung, welche sich auf eine "Überzeugung" (§ 28 Abs. 1 AsylVfG) bzw. "Ausrichtung" (Art. 5 Abs. 2 Richtlinie) gründet, die bereits in Vietnam bzw. im Erstverfahren ihre Wurzeln hat ("Ausdruck und Fortsetzung" einer entsprd. "Ausrichtung", Art. 5 Abs. 2). Zudem reagiert der vietnamesische Staat auf seine Glaubenshaltung inzwischen (2005) anders - nämlich härter - als früher (Verwobensein objektiver und subjektiver Gründe).

64

Somit kann keine Rede davon sein, dass der Kläger sein Folgevorbringen nur auf "Umstände" iSv § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die erst nach Ablehnung seines früheren Antrages (neu) entstanden sind (§ 28 Abs. 2 AsylVfG) und die sich als solche darstellen, die er allein "aus eigenem Entschluss" sich selbst neu geschaffen hat (§ 28 Abs. 1 AsylVfG). Vgl. insoweit Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, 4. Teil § 28 IV Rdn. 21:

65

"Der Ausschluss nach Abs 1 greift dann ausnahmsweise nicht ein, wenn die Aktivitäten auf einer bereits früher geäußerten Einstellung beruhen u. z B wegen des jugendlichen Alters oder anderen objektiven Gründen nicht bereits früher unternommen wurden."

66

Exilpolitische Aktivitäten sind zudem ausnahmsweise auch dann asylrelevant, "wenn eine ´Vortätigkeit´ im Herkunftsstaat objektiv unmöglich war" (Renner, aaO, § 28 AsylVfG, Rdn. 18) - etwa wegen zu geringen Lebensalters oder einem noch mangelhaft entwickelten politischen Bewusstsein (Renner, aaO., § 28 AsylVfG, Rdn. 18 m.w.N.). Der Kläger war hier noch "ziemlich jung" (18 Jahre), als er Vietnam verließ (Protokoll v. 8.2.06, S. 2), so dass seine erst späteren Aktivitäten nicht nur flüchtlings-, sondern auch asylrelevant sind.

67

4.2.9 Weiterhin liegt es hier so, dass der Kläger aus einer Buddhistenfamilie stammt (Protokoll v. 8.2.06, S. 2/3), was im Erstverfahren - obwohl damals grundsätzlich schon bekannt (Niederschrift zum Asylantrag v. 4.12. 1990) - keinerlei Berücksichtigung und Würdigung gefunden hat. Da dieser Gesichtspunkt bereits im Erstverfahren vorhanden und nicht etwa erst danach neu "entstanden" war, ist die Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG auf ihn ohnehin nicht anwendbar. § 28 Abs. 1 AsylVfG kommt insoweit ebenfalls nicht zum Zuge, weil das Moment der risikolosen Verfolgungsprovokation fehlt: Der Kläger hat seine Überzeugung und seinen Glauben, der schon seit langem zu seinem Wesen gehören, nicht erst hier in Deutschland gefunden. Vielmehr hat er fortgesetzt, was seine "Eltern schon getan haben" (Protokoll v. 8.2.06, S. 3 oben). Zwar hat er erst später zur VBKV gefunden (Protokoll v. 8.2.06, S. 2), aber er war damit grundsätzlich schon immer ein vom Glauben geprägter Mensch. Ein Missbrauch seiner Religionszugehörigkeit, die gem. Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/83/EG theistische, nichttheistische und auch atheistische Glaubensüberzeugungen umfasst, ist deshalb auszuschließen.

68

Verfolgungsmaßnahmen könnten dem Kläger bei dieser Lage der Dinge in hohem Maße deshalb drohen, weil er buddhistischen Glaubens ist (vgl. Niederschr. v. 4.12.1990, Protokoll v. 8.2.2006).

69

Die lokalen Behörden in Vietnam empfinden die Tendenzen religiöser Orientierung in Nord-, Nordwest- und Mittelvietnam "als bedrohlich und reagieren darauf mit Medienkampagnen, Einschüchterung und teilweise sogar mit Verhaftungen" (so schon Lagebericht des AA v. Mai 2001, S. 6). Mehr als 150.000 Angehörige des Hmong-Volkes z.B. sind zum christlichen Glauben übergetreten und deshalb 2002-2004 mit großer Brutalität verfolgt worden. "Die Unruhen im zentralen Hochland Vietnams im Februar 2001 müssen im Kontext dieses religiösen Konflikts gesehen werden..." (so AA, aaO.). Ähnlich ist mit strenggläubigen Buddhisten besonders der VBKV verfahren worden, welcher der Kläger angehört.

70

Die Bedrohungslage ergibt sich dabei auch aus Strafvorschriften, die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften stark beschränken (Art. 81 c vietn StGB - Verbreitung von Zwietracht - und Art. 199 vietn-StGB - Betreiben abergläubischer Praktiken -). Sämtliche kirchlichen Aktivitäten unterliegen einer Registrierungspflicht und bedürfen einer gesonderten Genehmigung (AA an VG Darmstadt v. 18.2.2002). Neuerdings ist zudem ein neuer "Religionserlass" in Kraft getreten, der als "Festschreibung der staatlichen Kontrolle über alle Aspekte des religiösen Lebens" verstanden und kritisiert wird (ai-Jahresbericht 2005, S. 358).

71

Nach Pressemitteilungen der IGFM sind im Laufe des Jahres 2001 alle bedeutenden Persönlichkeiten der buddhistischen, evangelischen und der katholischen Religionsgemeinschaften sowie der Hoa-Hao-Religion in Vietnam - ohne Gerichtsverfahren - inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt worden. Versammlungen von Religionsgemeinschaften seien von der Volkspolizei und der Armee "brutal aufgelöst" worden. Aus Protest gegen die religiöse Unterdrückung haben sich im Jahre 2001 zwei Buddhisten selbst verbrannt.

72

"Besonders rigide war das Vorgehen der Behörden gegen Gläubige der verbotenen Vereinigten Buddhistischen Kirche Vietnams (VBKV), deren führende Vertreter nach wie vor unter Hausarrest standen" - so ai-Jahresbericht 2005, S. 358.

73

Nach neuesten Berichten und Pressemitteilungen werden Gläubige in Vietnam misshandelt, schikaniert und gefoltert (vgl. Radio Vatikan v. 21.9. 2005: "Abschwören oder fliehen"; Kath.net v. 27.10.2005: "Christen nach geheimen Anweisungen der KP verfolgt"; Jesus.ch v. 7.10.2005: "Grenzschutzsoldaten misshandeln Christen"). In einer Meldung des "Radio Vatikan", asianews, v. 21.9.2005 heißt es:

74

"Behörden in der Provinz Yuang Nai haben die Häuser von vier christlichen Familien zerstört, weil diese sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören. Das meldet die Nachrichtenagentur asianews. Nach ihren Angaben ist in Vietnam weiter eine richtiggehende Christenverfolgung in Gang."

75

Schüler eines Pfarrers sollen wegen ihres Engagements "bereits mehrmals verhaftet, zusammengeschlagen und gefoltert" worden, "um falsche Geständnisse zu erpressen". Politisches, soziales oder sonstiges Engagement ist den Religionsgemeinschaften daher inzwischen strikt untersagt und wird staatlich verfolgt. Vgl. insoweit auch das Schicksal des religiösen Truong Vinh Chau, der im August 2005 in die USA ausreisen konnte (Jesus.ch v. 25.8.2005). Vgl. auch schon ai-Jahresbericht 2004 S. 417.

76

Da der Kläger gläubiger Buddhist der VBKV ist und regelmäßig die Pagode in Hamburg besucht hat (Protokoll v. 8.2.06, S. 3 oben), also einem Glauben anhängt, der von der kommunistischen Führung in Vietnam ebenso wenig toleriert wird wie jeder andere Glaube, ist er in besonderem Maße bedroht. Das kommunistische Regime betrachtet nämlich Gläubige, besonders strenggläubige Anhänger einer Religion, als Abtrünnige des vietnamesischen Staates. Hierbei verbietet sich eine Unterscheidung nach öffentlichem und privatem Bereich religiöser Betätigung, weil ein öffentlicher Bereich in der Richtlinie 2004/83/ EG nicht mehr gesondert genannt wird (vgl. VGH Baden-Württ. InfAuslR 2005, S. 296/S. 298).

77

Der Kläger dürfte im Hinblick auf seinen buddhistischen Glauben und seine AsylantragsteIlung somit als Andersdenkender, als "Abtrünniger" angesehen werden, falls er nach Vietnam zurückzukehren hätte (vgl. insoweit auch VG Meiningen, B. v. 18.6.2002 - 2 E 20341/02.Me -).

78

4.2.10 Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - Februar 2006 - stellt sich im Übrigen die Sach- und Rechtslage gegenüber dem Zeitpunkt der bundesamtlichen Verwaltungsentscheidung des Jahres 2003 so dar, dass sich die Verhältnisse in Vietnam sehr deutlich verschärft haben.

79

Für die Frage, ob staatliche Maßnahmen auf die "politische Einstellung des Betroffenen" abzielen und sich als Bedrohung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG darstellen, kommt es auf die "Gesamtverhältnisse im Herkunftsland" an sowie auf dortige Veränderungen. Somit ist eine Bedrohungslage - unter Berücksichtigung der EMRK und der gen. Richtlinie 2004/83/EG - im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG schon bei einer Gesamtschau (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Loseblattsammlung Bd. 2 / Std. Sept. 2000, § 71 Rdn. 88) gegeben (Art. 4 Abs. 3 a der gen. Richtlinie 2004/83/EG; VG Gießen, NVwZ 1997, Beilage Nr. 9, S. 69 f). Diesbezüglich kann auf die bisherige Rechtsprechung der Kammer Bezug genommen werden (vgl. u.a. Urteile v. 7.9.2005 - 1 A 240/02 - und v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -), wobei folgendes betont sei:

80

Es reicht methodisch nicht aus, für eine Gesamtschau lediglich die Lageberichte des Auswärtigen Amtes in den Blick zu nehmen. Denn "Vietnam gehört zu den Schwerpunktländern der deutschen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (EZ)", "Deutschland ist einer der größten bilateralen Geber Vietnams" (so die ständig aktualisierte Darstellung des Auswärt. Amtes zu den deutsch-vietnamesischen Beziehungen / Stand: Juli 2005). Hiervon abgesehen berücksichtigt z.B. der jüngste Lagebericht des AA vom 28.8.2005 nach eigener Darstellung weder den ai-Jahresbericht 2005 (Vietnam, S. 356) noch denjenigen des US-Department of State, Country Reports on Human Rights Practices 2004 - Vietnam - v. 28. Febr. 2005. Vielmehr werden vom Auswärtigen Amt anstelle der aktuellen Berichte nur die jeweils älteren Berichte des Vorjahres einbezogen. Der Menschenrechtsreport 38 der "Gesellschaft für bedrohte Völker" - GfbV - v. 28. April 2005 und der IGFM-Jahres-bericht 2004 werden weder erwähnt noch verwertet. Es ist fraglich, ob sonstige Presseberichte berücksichtigt sind. Damit ist die Aussagekraft der Lageberichte des AA stark eingeschränkt, da die neuere Entwicklung in Vietnam, wie sie von anderen Seiten berichtet wird, nur sehr unzureichend wahrgenommen und dargestellt ist.

81

Somit müssen gerade mit Blick auf die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam und die unzureichende Aussagekraft der Lageberichte des AA auch andere Erkenntnisse - nach Möglichkeit solche aus einer breit gestreuten Vielfalt von Quellen - in eine richterlich ausgewogene Bewertung einbezogen und ausgewertet werden.

82

Selbst nach den letzten Lageberichten des AA (v. 28.8.2005 und v. 12.2.2005) ist es jedoch so, dass regierungskritische Aktivitäten in Vietnam nicht nur mit "größter Aufmerksamkeit", sondern ggf. sogar eben auch mit polizeilich-justiziellen Maßnahmen "verfolgt", öffentliche Kritik an Partei und Regierung und die Wahrnehmung von Grundrechten nicht toleriert werden und Dissidenten Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt sind. Aktive Gegner des Sozialismus können nach den weit gefassten und (willkürlich) weit verstandenen Vorschriften jederzeit nach Belieben inhaftiert und bestraft werden. Amnestien des Jahres 2005 (vgl. dazu die Pressemitteilung des AA v. 8.9.2005) verweisen insoweit "nicht auf einen grundsätzlichen Wandel" in Vietnam (ebenso Lagebericht AA v. 28.8. 2005).

83

Für die erforderliche Gesamtschau und -bewertung ist die Einschätzung von Sachkennern, Gutachtern und Beobachtern der vietnamesischen Verhältnisse zu berücksichtigen, die in Urteilen der Kammer dargestellt ist (vgl. z.B. Urteile v. 7.9.2005 - 1 A 240/02 - und v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -). Darauf kann hier Bezug genommen werden.

84

Das Engagement eines Einzelnen ist in Vietnam offenkundig nur ein Anknüpfungspunkt für staatliche (Gegen-) Aktionen, Reaktionen und Repressionen. Politische Opposition wird nämlich in Vietnam in gar keiner Weise toleriert: "Dissidenten sind Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt" (so Lagebericht AA v. 28.8.05 und v. 12.2.05, S. 5). Insoweit ist heute - 2006 - zu berücksichtigen, dass sich Vietnam inzwischen "als eines der repressivsten Regime in Asien" erwiesen hat (so D. Klein in "Aus Politik und Zeitgeschehen", hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, B 21-22/2004, S. 5):

85

"Vietnam erwies sich auch 2003 als eines der repressivsten Regime in Asien...; offene Gewalt auf der Straße, Telefonterror und willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung. Vietnam gehört zweifellos zu den schlimmsten Feinden der Menschenrechte und Unterdrückern der Pressefreiheit in Südostasien" (Klein, aaO., S. 5)

86

Inhaftiert oder bestraft werden in Vietnam nicht nur aktive Gegner des Sozialismus und des "Alleinherrschaftsanspruchs der KPV", sondern auch solche, die (möglicherweise fälschlich) nur dafür gehalten werden - woran "auch das neue StGB nichts ändert" (Lageberichte v. 12.2.05 und v. 28.8.05).

87

"Trotz der wirtschaftlichen Öffnung hat sich die Lage der Menschenrechte nicht gebessert und ist das Land heute von Freiheit und Demokratie weiter denn je entfernt. Noch immer ist Vietnam ein Ein-Parteien-Staat, in dem die Kommunistische Partei einen absoluten Machtanspruch vertritt. Vor allem die Glaubens-, Presse- und Meinungsäußerungs- sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden von den vietnamesischen Behörden systematisch verletzt. Auch in den Vereinten Nationen zeigt Hanoi keine Bereitschaft zu einem konstruktiven Dialog über die Defizite bei der Durchsetzung der Menschenrechte im eigenen Land. Ganz im Gegenteil... " - Progrom/bedrohte Völker, Heft 3/2005, S. 34 -.

88

Deshalb werden "alle elektronischen und Printmedien des Landes durch die Regierung überwacht, das Internet eingeschlossen" (so Lagebericht v. 12.2.05):

89

"Dessen Kontrolle wurde durch einen neuen Erlass - gemeinsam unterzeichnet von den Ministerien für Öffentliche Sicherheit, Kultur, Planung und Telekommunikation! - am 14.07.2005 weiter verschärft. Danach müssen die Betreiber von Internet-Cafés (wo die überwältigende Mehrheit der Vietnamesen Zugang zum Internet hat) die Personalien der Nutzer und die von ihnen aufgesuchten Webpages registrieren." (so Lagebericht des AA v. 28.8.05).

90

Viele Journalisten üben daher schon "Selbstzensur", so dass sachkundige Berichte über die Verhältnisse in Vietnam nur noch vereinzelt auftauchen.

91

"Journalisten in Vietnam stehen laut Pressegesetz unter der Staatskontrolle: "Journalisten haben die Aufgabe, die offizielle Linie der Kommunistischen Partei und der Regierung zu propagieren. Alle Informationen müssen dem Interesse des Landes und des Volkes dienen. Journalisten werden mit Geldstrafen belegt, wenn ihre Berichte die legitimen Wirtschaftsinteressen von Organisationen und Einzelpersonen verletzen, selbst wenn die Berichte der Wahrheit entsprechen". Wie oft hat die Regierung Druck auf Journalisten ausgeübt, damit diese wissen, daß nur die Wirtschaft, aber nicht die Politik liberalisiert wird." - so menschenrechte Nr. 2 / 2005, hrg. v. IGFM, S. 25 -

92

Versuche, mit Flugblättern oder Zeitungen über Sachverhalte zu informieren und eine Resonanz in der Bevölkerung zu erzeugen, "werden strikt unterbunden" (Lagebericht v. 12.2.05,. S. 6) - nach zwei Aufständen: Den vom Februar 2001, in dessen Folge zahlreiche Menschen nach Kambodscha und von dort in die USA flohen, und jenen vom April 2004, bei dem es zu 3 Todesopfern kam (Lagebericht AA v. 28.8.2005).

93

Dabei schreckt die vietnamesische Polizei und Justiz auch vor Folterungen (vgl. Art. 3 EMRK / Verbot der Folter) keineswegs zurück, wie die Meldung der IGFM (kath.net) v. 17.12. 2004 zeigt:

94

"Mindestens fünf der sechs inhaftierten mennonitischen Christen in Vietnam sind im Gefängnis fortgesetzt misshandelt worden. Zwei vor kurzem freigelassene Mennoniten berichteten der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), dass auch die infolge von Misshandlung psychisch krank gewordene Le Thi Hong Lien vor Schlägen nicht verschont blieb. Die IGFM wirft der vietnamesische Polizei vor, dass sie in allen ihren Gefängnissen die Gewalt bewusst eingesetzt hat, um falsche Geständnisse zu erzwingen."

95

Die Verschärfung der Lage in Vietnam zeigt sich auch daran, dass sämtliche Dokumente, die im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren gegen Personen stehen, denen Verstöße gegen die sog. "nationale Sicherheit Vietnams" zur Last gelegt werden, seit kurzem per Erlass als "Staatsgeheimnisse" eingestuft werden. In letzter Zeit wurden offiziell über 80 Todesurteile verhängt, davon 64 vollstreckt. Informationen hierüber sind inzwischen ebenfalls zum "Staatsgeheimnis" erklärt worden (ai-Jahresbericht 2005, S. 359), so dass auch darüber nicht mehr offiziell berichtet werden darf.

96

Gegen diese äußerst negative Gesamteinschätzung spricht nicht, dass einige der aus politischen Gründen inhaftierten Dissidenten aus der Haft entlassen wurden. Denn die allgemeine Menschenrechtslage, wie sie von sachkundigen Beobachtern der Lage in Vietnam beurteilt wird, hat sich dadurch nicht grundlegend verändert. Diese Einschätzung wird auch im Lagebericht des AA v. 28.8.05 geteilt.

97

Der vietnamesische Staat unternimmt bei seinen Verfolgungsmaßnahmen offenbar den Versuch, in den Augen der (Welt-)Öffentlichkeit weiterhin geachtet zu werden:

98

"In mehr als einhundert Fällen konnte nachgewiesen werden, daß die Polizei die Demonstranten bei Tage ungestört demonstrieren ließ und sie dann im Laufe der Nacht aufgriff. Mindestens 14 Personen wurden wegen "Landstreicherei" zwischen vier und fünfzehn Tagen eingesperrt."- so menschenrechte Nr. 2 / 2005, S. 22 -

99

4.2.11 Soweit die Beklagte daran festhält, dass erst ab einer erhöhten Tätigkeitsschwelle mit einer Bedrohung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bei einer Rückkehr nach Vietnam zu rechnen sei, entspricht das zum einen nicht mehr den neueren Verhältnissen und steht das zum andern im Widerspruch zu Art. 10 Abs. 1 e) der Richtlinie 2004/83/EG, derzufolge es "unerheblich" sein soll,

100

"ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist."

101

Darauf, ob eine Einreiseverweigerung wahrscheinlicher als eine Verfolgung in Vietnam sei (OVG Weimar, Urt. v. 2.8. 2001 - 3 KO 279/99 -), kommt es nicht an. Vgl. insoweit das VG Magdeburg, Urt. v. 30.1.2002 - 9 A 155/02 -

102

"Die Verweigerung der Wiedereinreise stellt für den Kläger politische Verfolgung dar. In der Rechtsprechung des BverwG ist geklärt, dass die Verweigerung der Wiedereinreise, soweit sie an asylerhebliche Merkmale anknüpft, politische Verfolgung darstellen kann, denn der Staat entzieht seinem Staatsbürger hiermit wesentliche staatsbürgerliche Rechte und grenzt ihn so aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit aus."

103

Im Übrigen ist auch eine solche Verweigerungshaltung des vietnamesischen Staates nicht maßgeblich. vgl. insoweit VG München, Urt. v. 13.8.2003 - M 17 K 03.50661 - Asylmagazin 2003, S. 30:

104

Die Auffassung des Auswärtigen Amtes, vor einer Bestrafung sei mit der Verweigerung der Einreise zu rechnen, spielt keine Rolle. Das Gericht hat die Verfolgungswahrscheinlichkeit für den Fall einer tatsächlichen Rückkehr zu beurteilen."

105

Unmaßgeblich für die vorliegende Entscheidung ist auch, ob die exilpolitischen Betätigungen von Auslandsvietnamesen und deren Kritik am vietnamesischen Regime in Vietnam wahrgenommen werden und dort ggf. eine mehr oder weniger "breite Öffentlichkeitswirkung" entfalten bzw. einen "nennenswerten Einfluss auf die Öffentlichkeit" haben: Entscheidend sind allein die Ängste und Befürchtungen des vietnamesischen Regimes im Falle der Rückkehr von Exilvietnamesen nach Vietnam.

106

Das Regime bekämpft in Vietnam ganz offenkundig schon die abweichende Gesinnung und politische Einstellung Einzelner (vgl. die dafür geschaffenen "Umerziehungslager", die jenen in Nordkorea ähneln - ai-journal 10/2005 S. 32), ohne hierbei darauf abzustellen, in welchem Maße deren Engagement oder abweichende Gedanken bereits von Deutschland aus irgendeine Breitenwirkung erzielt haben. Es geht nicht nur um einen "Gesichtsverlust" des vietnamesischen Regimes, sondern nach zwei Aufständen (Februar-Aufstand 2001 und April-Aufstand 2004) offensichtlich um die Abwehr freiheitlicher Meinungen und Bestrebungen, die in Vietnam schon von ihrer "Wurzel an" bekämpft werden. Aktive und überzeugte (Gesinnungs-)Gegner des Sozialismus und des Alleinherrschaftsanspruchs der KP müssen stets mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen und sind daher gefährdet (Lagebericht AA v. 28.8. 2005). Deshalb ist freiheitliches Denken bereits "verboten", deshalb sind die Parallelen zu Nordkorea unübersehbar. Gläubige, die den bloßen Verdacht erweckt haben, im Zusammenhang mit ihrer Religionsausübung oppositionelle Bestrebungen (nur) "zu unterstützen", werden "inhaftiert bzw. müssen mit ihrer Inhaftierung und Strafverfolgung rechnen" (so Urteil des VG Schwerin v. 27.2.2004 - 1 A 1580/01 As -). Das Regime befürchtet, Exilvietnamesen könnten in Vietnam - sind sie erst einmal in ihr Heimatland zurückgekehrt - Gedanken über Demokratie, Freiheit und Pluralismus großflächig in der vietnamesischen Bevölkerung verbreiten. Deshalb kommt es auf eine Öffentlichkeits- und Breitenwirkung von Deutschland aus nicht an.

107

4.2.12 Die dem Kläger als einem "Andersdenkenden" bei einer Rückkehr nach Vietnam drohenden Maßnahmen der vietnamesischen Sicherheitskräfte dürften seine leibliche Unversehrtheit, seine physische Freiheit sowie seine Versammlungs- und Meinungsfreiheit und vor allem seine "politische Überzeugung" zum Gegenstand haben (Art. 10 Abs. 1 e der Richtlinie). Er galt schon in Vietnam als Angehöriger einer unzuverlässigen Familie und ist in Deutschland in vielfacher und mehrfacher Hinsicht exilpolitisch aktiv gewesen und noch aktiv (vgl. die im Verfahren vorgelegten Unterlagen), was den vietnamesischen Sicherheitskräften nicht verborgen geblieben sein dürfte. Er hat an vielen exilpolitischen Tätigkeiten - u.a. Hungerstreiks - teilgenommen und war bei zahlreichen Demonstrationen dabei. Auf diese Weise ist er den vietnamesischen Sicherheitskräften bekannt, ist er als "Abweichler" und Dissident erfasst und registriert - u.zw. unabhängig davon, unter welchem Namen der Kläger tätig war bzw. ist. Denn er dürfte durch Digitalfotos, die abgespeichert werden, erfasst worden sein.

108

Hierbei ist es unter Berücksichtigung der gen. Richtlinie an sich "unerheblich", ob der Kläger aufgrund seiner "Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung" in irgendeiner Weise "tätig geworden ist". Auch die politische Überzeugung Andersdenkender ist gem. Art. 10 der Richtlinie 2004/ 83/EG schon als solche geschützt, wobei hierzu jede Meinung zu jeder Angelegenheit zählt. Vgl. dazu die UNHCR-Richtlinie zum internationalen Schutz v. 7.5.2002 / HCR/GIP/ 02/01 Rdn. 32).

109

"Politische Überzeugung" sollte im weitesten Sinn verstanden werden und jede Meinung zu jeder Angelegenheit einschließen, auf die der Staatsapparat, die Regierung, die Gesellschaft oder die Politik Einfluss nehmen. Dazu kann auch eine Meinung zu den Rollenbildern der Geschlechter gehören. Auch unangepasstes Verhalten, das den Verfolger veranlasst, der Person eine politische Überzeugung zuzuschreiben, fällt in diese Kategorie. An sich gibt es in diesem Sinn keine immanent politische oder immanent unpolitische Tätigkeit, doch kann ihr Wesen anhand des Gesamtbildes des Falles bestimmt werden. Ein mit politischer Überzeugung begründeter Antrag setzt hingegen voraus, dass der Antragsteller oder die Antragstellerin Auffassungen vertritt oder vermeintlich vertritt, die von den Behörden oder der Gesellschaft nicht toleriert werden, da sie Ausdruck einer kritischen Haltung gegenüber ihrer Politik, Tradition oder Methodik sind. Voraussetzung ist ferner, dass diese Ansichten den Behörden oder den betreffenden Teilen der Gesellschaft zur Kenntnis gelangt sind oder gelangen könnten oder von diesen den Antragstellenden unterstellt werden. Eine solche Meinung muss nicht unbedingt zum Ausdruck gebracht worden sein, und es ist auch nicht erforderlich, dass bereits irgendeine Form von Diskriminierung oder Verfolgung stattgefunden hat. Unter diesen Umständen müssten bei der Entscheidung, ob begründete Furcht vorliegt oder nicht, die Folgen berücksichtigt werden, die Antragstellende mit einer bestimmten politischen Einstellung zu tragen hätten, wenn sie in dieses Land zurückkehren würden."

110

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubwürdig dargestellt, dass sein Engagement und seine Teilnahme an Demonstrationen (vgl. die diversen Bescheinigungen in den Akten und Beiakten) letztlich darauf abzielen, eine pluralistische Demokratie mit mehr Menschenrechten und mehr Freiheit nebst Medienfreiheit zu erreichen. Vor allem aber setzt er sich auch, da er Buddhist ist, für eine Religionsfreiheit in Vietnam ein. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass all diese Tätigkeiten des Klägers in Vietnam als eine den kommunistischen Staat "zersetzende Propaganda" eingeschätzt werden dürfte.

111

Zu Recht ist der Kläger daher der Meinung, dass man ihm diese Aktivitäten bei einer Rückführung nach Vietnam vorhalten werde, er im Falle der Rückkehr inhaftiert und eingesperrt werde (S. 3 d. Protokolls v. 8.2.2006), da seine Familie ohnehin schon als unzuverlässig gelte. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei Demonstrationen und Hungerstreiks gefilmt worden ist, die Botschaft also weiß, wer er ist. Auch seine Zugehörigkeit zu exilpolitisch tätigen Organisationen (OAVD, Verein der vietnamesischen Flüchtlinge in Hamburg e.V.) dürfte bekannt sein. Als überzeugter Anhänger einer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaftsform ist er daher in einem sehr hohen Maße gefährdet. Der Kläger wird im Hinblick auf sein Demonstrationsverhalten wie im Übrigen auch durch seine AsylantragsteIlung somit im vietnamesischen Ein-Parteien-Staat als aktiver Regimegegner und als Dissident angesehen werden.

112

4.2.13 Weiterer Anknüpfungspunkt für Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger ist die Tatsache, dass es in Vietnam sog. "administrative Haftstrafen" auf der Grundlage der Regierungsverordnung Nr. 31-CP v. 14. April 1997 (Lagebericht d. Ausw. Amtes v. 26.2. 1999) gibt. Auch dieser Aspekt ist in den jüngeren Urteilen der Kammer dargestellt worden, so dass darauf verwiesen werden kann (vgl. z.B. Urt. v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -).

113

4.2.14 Aufgrund dieser vielschichtigen Situation Vietnams ist eine Prognose zum Verhalten vietnamesischer Behörden nicht abzugeben - zumal ein politisch begründeter Entscheidungsspielraum einschließlich offener Willkür gegenüber unangepassten Andersdenkenden oder Oppositionellen bzw. solchen, die dafür nur gehalten werden, gerade bei Justizakten zum Staats- und Selbstverständnis Vietnams gehört. "An der Tatsache, dass die Justiz faktisch Partei und Staat unterstellt ist, hat die Reform jedoch nichts geändert" (Lagebericht v. 28.8.2005).

114

Demgemäss hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 22. Nov. 2005 - 2 BvR 1090/05 - den Vortrag der vietnamesischen Beschwerdeführerin zu einem gravierenden Mangel an Rechtsstaatlichkeit in Vietnam als entscheidungserheblich bewertet und u.a. ausgeführt:

115

"...Eine solche Prüfung ist geboten, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Beschwerdeführerin in Vietnam ein Verfahren droht, das gegen unabdingbare, von allen Rechtsstaaten anerkannte Grundsätze und damit gegen den völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard im Sinne des Art. 25 GG verstößt und die Tatverdachtsprüfung darüber Aufschluss geben kann (vgl. ...). Völkerrechtliche Mindeststandards könne auch verletzt sein, wenn im Strafverfahren eine Aussage als Beweis verwendet wird, die unter Folter erpresst wurde (vgl...). "

116

4.2.15 Auf die Rückführungsabkommen aus den 90er-Jahren kommt es heute nicht mehr an: Der Sachverständige Dr. Will hält an seiner Auffassung fest, dass Rückkehrer nach öffentlicher Kritik am vietnamesischen Regierungssystem in aller Regel auch mit Verfolgung rechnen müssen (vgl. Dr. Will im Gutachten v. 11.2.2003; vgl. auch Dr. Will v. 14.9. 2000, S. 1). Auch der Sachverständige Dr. Weggel (Stellungn. v. 10.8. 2003 an VG Darmstadt) ist der Ansicht, dass das Rückübernahmeabkommen von 1995 (nebst Briefwechsel) sich "als Schlag ins Wasser erwiesen" und die "vietnamesische Regierung der Rückführung jedes nur mögliche Hindernis in den Weg" gelegt habe.

117

Die "völkerrechtlichen Verpflichtungen" sind damit, da sie in Vietnam missachtet werden, bedeutungslos. Vgl. dazu ai-Jahresbericht 2003 u. Lagebericht des AA v. 1.4.2003: "Aushöhlung" des Dreierabkommens UNHCR-Vietnam-Kambodscha durch den vietnamesischen Staat, Vereinbarung eines "Memorandum of Understanding" (MOU) v. 25.1.2005 (Lagebericht AA v. 28.8.05).

118

Im Übrigen mag es sein, dass eine explizite Bestrafung speziell nur "wegen ungenehmigter Ausreise" in Vietnam nicht stattfindet, so wie das den Abkommen der 90er-Jahre zugrunde liegt. Jedoch werden Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen bis hin zu Strafen wegen abweichender Gesinnung, wegen Meinungsäußerungen, politischer Betätigung usw. ergriffen. Die Abkommen geben nichts für die Frage her, ob wegen anderer (exil-)politischer Betätigungen und wegen einer missliebigen Glaubenshaltung Bestrafungen erfolgen (so richtig VG Meiningen, Urt. v. 20.9. 2005 - 2 K 20124/04.Me -).

119

Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ist es daher prognostisch beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Vietnam "bedroht" ist (§ 60 Abs. 1 AufenthG). Er ist folglich als Flüchtling iSv § 3 AsylVfG anzuerkennen.

120

5. Eine Entscheidung zu Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG kann im Hinblick auf die zuvor dargestellte Entscheidung zu § 60 Abs. 1 AufenthG unterbleiben (§ 31 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 AsylVfG analog). Die Abschiebungsandrohung ist insoweit rechtswidrig, als eine Abschiebung nach Vietnam angedroht worden ist (§ 59 Abs. 3 AufenthG).

121

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.