Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 21.02.2006, Az.: 3 A 141/04

Kopieren und Auslesen der Festplatte eines Computers von der Polizei; Annahme eines Rehabilitierungsinteresses bei Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen durch einen Verwaltungsakt; Erhebung von Daten über potentielle Straftäter; Befugnis zur Erfassung von Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder auch persönlicher Daten aus dem privaten Bereich; Grundrechtlicher Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten; Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahme; Gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr als konkretes Gefährdungsdelikt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
21.02.2006
Aktenzeichen
3 A 141/04
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2006, 19690
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2006:0221.3A141.04.0A

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2006, 542-544 (Volltext mit amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

Das aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung berechtigt jeden Einzelnen zur selbständigen Bestimmung über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten. Datenerhebung zur präventivpolizeilichen Gefahrenbekämpfung ist nur zulässig, wenn gegen den von der Maßnahme Betroffenen der Verdacht des Begehens einer Straftat begründbar ist und der Eingriff verhältnismäßig ist. Dies muss in der Verfügung ausdrücklich niedergelegt werden, um den Eingriff von einer Ausforschungsmaßnahme zu unterscheiden.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2006
durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Siebert,
die Richterin am Verwaltungsgericht Sandgaard,
den Richter am Verwaltungsgericht Kirschner sowie
die ehrenamtlichen Richter Zietz und Aschenbrenner
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2004 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger wehrt sich dagegen, dass die Festplatte seines Computers von der Polizei kopiert und ausgelesen worden ist.

2

Die umstrittene Polizeimaßnahme fand vor dem Castortransport im Herbst 2004 statt. Im Vorfeld des Castortransports wurde die Kunstaktion "Stille Tage in Gorleben" abgehalten, wozu der Künstler HA. Schult "trash people" (Müllmenschen) aufgestellt hatte. Diese trash people bestanden aus gepresstem Wohlstandsmüll, der mit Montageschaum zusammengehalten wurde. Sie hatten jeweils ein Gewicht von rund 30 - 40 kg und waren 180 cm groß. In Gedelitz im Landkreis Lüchow-Dannenberg wurden 800 dieser trash people aufgestellt. Sie standen auf einer Metallplatte, die mit Betonsteinen beschwert war. Die Ortsdurchfahrt war gesperrt. Jeweils fünf trash people standen in einer Reihe quer auf der gesamten Fahrbahn. Es waren auch rund 100 Figuren im Salzstock Gorleben aufgestellt worden. Die trash people haben in den vergangenen Jahren unter anderem am Matterhorn gestanden, an der Chinesischen Mauer und auf dem Roten Platz in Moskau.

3

Am 30. September 2004 wurden drei trash people entwendet. Die Täter flüchteten, nachdem sie angesprochen worden waren. Nach einem Bekennerschreiben stand die Entwendung der Skulpturen im Zusammenhang mit dem Castorprotest, und es wurde angekündigt, dass die Figuren zu gegebener Zeit am geeigneten Ort wieder auftauchen würden.

4

Am 11. Oktober 2004 kurz nach Mitternacht wurden bei Leitstade in der Nähe von den Bahngleisen für den Castor-Transport verschiedene Gegenstände von der Polizei aufgefunden, unter anderem eine Figur der entwendeten trash people. Auch wurden Plakate mit Castorbezug entdeckt. Gegen zwei Uhr wurde neben einer anderen Person auch der Kläger in der Nähe zum Fundort der sichergestellten Gegenstände von der Polizei angetroffen, und er hatte Trassierband bei sich. Die Wohnung des Klägers wurde durchsucht. Im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen wurde auch sein Computer sichergestellt. Es wurde vermutet, dass die aufgefundenen Plakate mit einem PC erstellt worden waren.

5

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ordnete am 15. Oktober 2004 an, Computer und Trassierband wieder an den Kläger herauszugeben. In dem entsprechenden Vermerk wurde ausgeführt: Da die trash people wieder auftauchen sollten, wäre dies eine bloße Gebrauchsanmaßung und kein Diebstahl. In Betracht komme allerdings eine Sachbeschädigung, weil bei der aufgefundenen Skulptur zwei Dosen herausgebrochen seien.

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Insoweit seien von einer Auswertung des Computers jedoch keine Erkenntnisse für die Täterschaft zu erwarten, im Übrigen sei der Nachweis eines Beschädigungsvorsatzes zweifelhaft. In dem staatsanwaltschaftlichem Vermerk heißt es sodann:

"Nach telefonischer Rücksprache mit Frau ... von der Bezirksregierung Lüneburg kommt eine Beschlagnahme von Computer und Trassierband nach dem SOG nicht in Betracht."

7

Unter dem 21, Oktober 2004 erging die im vorliegenden Verfahren streitige Verfügung der Polizeibehörde. Hierin wird ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft von einer strafprozessualen Durchsicht des PC Abstand genommen habe, und es heißt:

"Dennoch ist nach hiesiger Auffassung eine Durchsicht der auf Ihrem Rechner befindlichen Daten zur Gefahrenabwehr erforderlich. Daher wurde heute eine Kopie vom Festplatteninhalt Ihres PC auf einen externen Datenträger angefertigt, um anschließend diesen Datenbestand gem. der Aufgabenzuweisung aus § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 Nds. SOG zur Vorsorge für die Verfolgung sowie zur Verhütung von Straftaten durchsehen zu können.

Ermächtigung für diese Datenerhebung ist § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG."

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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die trash people entwendet worden seien und ein Bekennerschreiben zurückgelassen worden sei. Weiter heißt es:

"Unter Berücksichtigung der vorgenannten Tatsachen und Ihrem Antreffen am 11.10.2004 unmittelbar am Gleiskörper der Castor-Transportstrecke an einer unüblichen Stelle zu einer unüblichen Zeit unter den oben beschriebenen Umständen sowie der einschlägigen polizeilichen Erkenntnisse zu Ihrer Person, ist nach hiesiger Ansicht die Prognose gerechtfertigt, dass Sie auch künftig, insbesondere im Vorfeld bevorstehender sowie bei laufenden Castor-Transporten einschlägige Straftaten wie z.B. gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr, Landfriedensbruch, Nötigung, Widerstand begehen werden.

9

Dafür spricht insbesondere auch, dass im Rahmen einer Nachsuche bei Tageslicht, nur wenige Stunden nach Ihrem Antreffen an dieser Örtlichkeit, in unmittelbarer Nähe zu Ihrem Antreffungsort weitere Gegenstände (u.a. Sturmhaube, Eisenstange, speziell präpariertes Funkgerät) aufgefunden werden konnten, die auf Planung und Konspiration hindeuten, so dass Ihnen weitere "Aktionen" zu unterstellen sind, die auch strafrechtlich relevant sein könnten.

10

Die Durchsicht Ihrer Festplattendaten kann Erkenntnisse zu derartigen geplanten Straftaten liefern.

11

Zur Vorsorge sowie insbesondere zur Verhütung der bei Ihnen zu prognostizierenden Straftaten ist die Datenerhebung im Datenbestand Ihrer Festplatte auch erforderlich, da es dazu aus hiesiger Sicht derzeit keine gleich wirksame, Sie weniger belastende Maßnahme gibt. Insbesondere würde Sie die weitere Einbehaltung des kompletten PC-Systems bis zu dessen Auswertung stärker belasten."

12

Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.

13

Mit Schreiben vom 1. November 2004 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Daten zwischenzeitlich durchgesehen worden seien, relevante Daten seien nicht festgestellt worden, die Kopie des Festplatteninhaltes sei gelöscht worden.

14

Der Kläger hat am 10. November 2004 Klage erhoben, weil er den polizeilichen "Anschlussgewahrsam" seines persönlichen Computers und das Kopieren und Lesen seiner persönlichen Daten im Wege des Sofortvollzuges für rechtswidrig hält.

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Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2004 sowie dessen Sofortvollzug rechtswidrig waren und ihn in seinen Rechten verletzen,

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hilfsweise,

den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen mit der Frage, ob § 31 Abs. 2 Nds. SOG mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (informationelles Selbstbestimmungsrecht) vereinbar ist.

17

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

18

Sie verteidigt die angefochtene Verfügung.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist zulässig und begründet.

21

1.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Das erforderliche besondere Interesse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Beklagten vom 21. Oktober 2004 ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitation. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert den Rechtsweg auch bei Rechtsverletzungen, die in der Vergangenheit erfolgt und durch Zeitablauf abgeschlossen sind, wenn daraus eine gegenwärtige Beschwer folgt, und das gerichtliche Verfahren dazu dient, die gegenwärtige Beschwer auszuräumen. Ein solches Rehabilitierungsinteresse kann etwa angenommen werden, wenn der Verwaltungsakt das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beeinträchtigt. So ist es im vorliegenden Fall: Der Bescheid stützt sich auf § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG. Danach können Daten erhoben werden über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie künftig Straftaten begehen werden. Wird dem Kläger durch Anwendung dieser Vorschrift unterstellt, bei ihm sei die Annahme gerechtfertigt, er werde Straftaten begehen, wird er in seiner persönlichen Integrität betroffen. Wird er verdächtigt, Straftaten zu begehen, beeinträchtigt dies sein Persönlichkeitsrecht und diskriminiert ihn in seiner Persönlichkeit. Er muss diesen staatlichen Vorwurf, möglicher Straftäter zu sein, nicht ohne die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Richtigkeit des Vorwurfes und der Rechtmäßigkeit der Maßnahme erdulden.

22

2.

Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet. Es ist festzustellen, dass die Verfügung der Beklagten vom 21. Oktober 2004 rechtswidrig ist.

23

3.

Es kann hingegen nicht festgestellt werden, dass der Sofortvollzug des Bescheides rechtswidrig war und der Kläger in seinen Rechten verletzt ist. Denn nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kann das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt erledigt hat, nur aussprechen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Von einer förmlichen Abweisung des im Klageantrag enthaltenen weitergehenden Begehrens hat die Kammer abgesehen, weil davon auszugehen ist, dass der Kläger sein Klagebegehren dem § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechend sachdienlich hat stellen wollen, so dass die Kammer an die wörtliche Fassung des Klageantrages nicht gebunden ist (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO).

24

Die Verfügung stützt sich auf § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG. Diese Vorschrift lautet:

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Die Polizei darf, wenn dies zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung von Straftaten erforderlich ist, über Absatz 1 hinaus Daten erheben über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie künftig Straftaten begehen werden.

26

a)

Die Kammer lässt offen, ob die Vorschrift aus formellen Gründen ganz oder teilweiseverfassungsgemäß ist. Möglicherweise ist es nicht verfassungsgemäß, die Polizei - wie es§ 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG erlaubt - auch "zur Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten" zu ermächtigen.

27

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Juli 2005 zu § 33 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG (-1 BvR 668/04 -, NJW 2005 Seite 2603) ausgeführt, das Land Niedersachsen habe seine Gesetzgebungskompetenzen überschritten, soweit das Land in § 33 Nds. SOG die Telekommunikationsüberwachung "zur Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten" vorgesehen habe. Denn die Vorsorge für die Verfolgung noch gar nicht begangener, sondern in ungewisser Zukunft bevorstehender Straftaten gehöre zum Strafverfahren, für welches der Bundesgesetzgeber die Kompetenz habe.

28

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes könnte Anlass geben, auch die Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG aus formellen Gründen näher zu überprüfen. Denn ebenso wie die gerügte Vorschrift des § 33 a Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG enthält § 31 Abs. 2 Nr. 1 NSOG die Möglichkeit, "zur Vorsorge für die Verfolgung (...) von Straftaten" in Bürgerrechte einzugreifen.

29

b)

Die Kammer lässt auch offen, ob § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG dem reinen Wortlaut nach materiell verfassungsgemäß ist, insbesondere ob die Vorschrift hinreichend bestimmt ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt.

30

Der Bestimmtheitsgrundsatz fordert, dass der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden müssen (BVerfG, Urt. vom 27. 7. 2005, a.a.O.). Überlegungen zum Bestimmtheitsgebot könnten angebracht sein, weil § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG ganz allgemein und nicht näher eingegrenzt eine Datenerhebung erlaubt. Es ist im Wortlaut der Vorschrift nicht geregelt, ob die Vorschrift nur allgemein zugängliche Daten erfasst, das heißt Daten aus ' allgemein zugänglichen Quellen, oder auch persönliche Daten aus dem privaten Bereich. Gerade bei einer Kontrolle von Daten, die ein Bürger auf seinem privaten Computer hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch personenbezogene Dinge betroffen sind, die sich auf den Kernbereich höchstpersönlicher Lebensgestaltung beziehen. Insoweit besteht nicht nur Anlass zur Prüfung, ob der Normenanwendungsbereich zu weitgehend und unbestimmt ist, sondern auch Anlass zur Prüfung, ob - wie es das Bundesverfassungsgericht für § 33 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG gefordert hat - eine gesetzliche Regelung fehlt zur Vorkehrung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Im Rahmen dieser Überlegungen wäre auch zu entscheiden, ob die Vorschrift nicht durch die Fachgerichtsbarkeit verfassungsgemäß eingegrenzt und grundrechtskonform ausgelegt werden könnte.

31

Überlegungen zur Vereinbarkeit des § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könnten angebracht sein, weil die Vorschrift die Datenerhebung ermöglicht, ohne dass die "Tatsachen" - die die Annahme rechtfertigen, dass die Person künftig Straftaten begehen wird - durch den Wortlaut des Gesetzes näher eingegrenzt und spezifiziert werden. Möglicherweise muss aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Telekommunikationsüberwachung die Vorschrift des § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG eingeengt werden hinsichtlich der Anhaltspunkte für die Begehung künftiger Straftaten, für die Intensität der Gefährdung oder für den Grad der Wahrscheinlichkeit eines auf eine Straftat hindeutenden Ablaufs. Auch insoweit wäre zu untersuchen, ob die Reduktion der Vorschrift durch den Gesetzgeber erfolgen muss oder durch die Gerichte vorgenommen werden kann.

32

c)

Auch wenn man von der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG ausgeht, hat die Klage Erfolg. Denn die Voraussetzungen zur Anwendung der Vorschrift haben nicht vorgelegen. Vielmehr verstößt der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2004 und die darauf fußende Kopie der Festplatte des Computers des Klägers sowie die anschließende Auslesung der Daten gegen das Persönlichkeitsrecht des Klägers, sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegen die ihm zustehende Unschuldsvermutung. Die Verfügung ist auch unverhältnismäßig.

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Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Die Vorschrift erfasst jedes menschliche Verhalten. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert deshalb auch den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. Das Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten zu bestimmen. Jedermann hat ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Vorschrift dient auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen kann, wenn der Einzelne nicht mehr sicher sein kann, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Gerade bei Polizeiaktionen ist auch die Unschuldsvermutung zu beachten, die eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ist und damit Verfassungsrang hat. Es bedarf daher - gerade wenn die Staatsanwaltschaft aus strafrechtlichen Erwägungen eine Datenerhebung nicht für erforderlich hält - einer eingehenden Begründung der Polizei, ob noch (weiter gehendere) Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen, die eine Datenerhebung zur präventivpolizeilichen Gefahrenbekämpfung rechtfertigen. Eine unverzichtbare Voraussetzung der Datenerhebung ist deshalb der Straftatverdacht, der - hier gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG -im Einzelnen zu begründen ist.

34

Schließlich werden dem staatlichen Handeln auch durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot Grenzen gesetzt. Der Eingriff, der mit der Erhebung von Daten einhergeht, muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der zur besorgenden Straftat und der Stärke des Tatverdachtes stehen. Dem staatlichen Interesse an einer wirksamen Gefahrenabwehr stehen die rechtlich geschützten Interessen des Bürgers gegenüber. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zur ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der auf dem Datenträger vermuteten Informationen sowie die Unbestimmtheit eines Auffindeverdachtes einer Datenerhebung auf einem privaten Computer entgegenstehen (vgl. hierzu im Einzelnen BVerfG, Beschl. v. 12. 4. 2005 - 2 BvR 1027/02 -, NJW 2005 Seite 1917; Beschl. v. 16. 5. 2002 - 1 BvR 2257/01 -, NJW 2002 Seite 32, 31; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Auflage 2001, Abschnitt J, Randnr. 531 ff., insbesondere 543 ff.). In diesem Zusammenhang ist stets zu berücksichtigen, dass sich der mit der Datenerhebung eingehende Eingriff auf mögliche zukünftige Aktivitäten bezieht, bei denen noch offen ist, ob sie sich zu einer Rechtsgutsverletzung im strafrechtlichen Bereich weiterentwickeln. Gleichwohl muss der den Anlass des Eingriffs bildende Straftatenverdacht durch die Eingriffsbehörde so umschrieben werden, dass das im Bereich der Vorfeldermittlung besonders hohe Risiko einer Fehlprognose verfassungsrechtlich noch hinnehmbar ist. Das gefährdete Gut muss eingegrenzt und genau bestimmt werden, es müssen aber auch hinreichende tatsächliche Grundlagen für die Annahme einer dieses Schutzgut gefährdenden Handlung angegeben werden. Stets muss gewährleistet sein, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben. Nur bei entsprechender Konkretisierung können die Gerichte eine Rechtskontrolle durchführen.

35

Daraus folgt für den vorliegenden Fall: In der Verfügung der Beklagten vom 21 Oktober} 2004 ist nicht deutlich gemacht, welche Straftaten des Klägers zu besorgen sind und verhütet werden sollen. Wenn es in dem Bescheid heißt, dass die Durchsicht der Festplatte Erkenntnisse zu Straftaten liefern "kann", handelt es sich um weniger als eine vage Möglichkeit. Die Formulierung legt nahe, dass es der Polizei um eine Ausforschung gleichsam in alle möglichen Richtungen gegangen ist, und nicht um die Untersuchung eines konkreten Verdachtes, eines konkreten Strafvorwurfs und einer konkreten Straftat. Insbesondere ist nicht erkennbar, und es wird auch nicht in der Verfügung dargelegt, dass im Hinblick auf den Kläger strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen werden sollen. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Kläger im November 2002 der Vorwurf des gefährlichen Eingriffes in den Bahnverkehr gemacht worden ist (ICE-Nothalt), und die Beklagte ihm andere Vorwürfe aus dem strafrechtlichem Bereich im Zusammenhang mit Anti-Castor-Aktionen macht, ergibt sich hieraus nicht, welche Rechtsgüter durch welche Handlungen des Klägers aktuell betroffen sind. Der Umstand allein, dass der Kläger in der Nähe der Castoreisenbahntransportstrecke aufgegriffen worden ist, und er Trassierband in der Hand hatte, belegt unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung noch nicht" dass er konkret Straftaten im Bezug auf den Castortransport begehen wollte. Allerdings hat alles darauf hingedeutet, dass der Kläger Aktionen geplant hat, um seinen Protest gegen den Castortransport zum Ausdruck zu bringen. Die in der Nähe aufgefundene Figur des trash-people, Sturmhaube, Eisenstange, Plakate, Funksprechgerät und der Umstand, dass der Kläger in der Nähe der Gegenstände mit Trassierband zu ungewöhnlicher Nachtzeit in Gleisnähe angetroffen worden ist, legen die Absicht von Anti-Castor-Aktionen ohne Weiteres nahe. Dass er die Figur des trash-people auf die Gleise bringen wollte, wird in der Verfügung allerdings nicht konkret behauptet. Selbst wenn dies zu befürchten gewesen wäre, hätte die Beklagte begründen müssen, ob dies eine Straftat im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG gewesen wäre: Immerhin ist § 315 StGB - gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr - ein konkretes Gefährdungsdelikt, das zur Annahme einer Strafbarkeit voraussetzt, dass durch die Maßnahme Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutenden Wert gefährdet werden. Eine solche konkrete Gefährdung bedürfte einer - zumindest groben - Begründung in der Verfügung, falls die Castor-schienenstrecke - was nicht weiter aufgeklärt ist - zu dieser Zeit wegen des bevorstehenden Castor-Transportes dem allgemeinen Personennahverkehr nicht (mehr) zur Verfügung gestanden haben sollte. Welche Tatsachen dafür sprechen, dass der Kläger Landfriedensbruch, Nötigung, Widerstand begehen wird - diese Straftaten sind in der Verfügung genannt -, wird nicht mder Verfügung dargelegt. Die Ausführungen, dass die aufgefundenen Gegenstände wie Sturmhaube, Eisenstange, Funkgerät "auf Planung und Konspiration hindeuten", ist nicht belegt und unsubstantiiert. Planung und Konspiration sind keine Straftaten, und nur bei Straftatenverdacht ist eine Maßnahme nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 Nds. SOG zulässig. Den Kläger aufgrund diffuser Anhaltspunkte pauschal zu verdächtigen und ihn unter strafrechtlichen Generalverdacht zu stellen, lässt sich mit seinem Persönlichkeitsrecht, mit der ihm zustehenden Unschuldsvermutung und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbaren. Schließlich hat die Beklagte in der Verfügung auch nicht deutlich gemacht, warum gerade durch Einsichtnahme der Daten des Computers in Beziehung auf irgendwelche Straftaten weiter gehende Aufklärung erwartet werden kann. Gerade aufgrund des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft keinen Anlass gesehen hat, den Computer auszuwerten, weil für die Staatsanwaltschaft insoweit keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten waren, hätte eine besondere Notwendigkeit bestanden, im Einzelnen darzulegen, welche weiteren Verdachtsmomente gegen den Kläger bestehen, und in welcher Weise eine Auslesung der Daten zur präventivpolizeilichen Gefahrenbekämpfung beitragen kann. Hieran fehlt es.

36

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt1 aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Siebert
Kirschner
Sandgaard