Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.02.2006, Az.: 1 B 68/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.02.2006
- Aktenzeichen
- 1 B 68/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44596
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2006:0220.1B68.05.0A
Gründe
I.
Der Antragsgegner schrieb in seinem Geschäftsbereich zum 1. Januar 2006 die Stelle einer Amtstierärztin / eines Amtstierarztes im Amt für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung aus. In der Stellenbeschreibung war darauf hingewiesen worden, dass sich die Besoldung der Stelle nach der Niedersächsischen Kommunalbesoldungsordnung (Besoldungsgruppe A 14) richte und durch eine mögliche Veränderung des Stellenzuschnitts sich ein Aufstieg in die Besoldungsgruppe A 15 ergeben könne. Auf diese Stelle bewarben sich neben weiteren Mitbewerbern der Antragsteller mit Schreiben vom 1. November 2005.
Nachdem der Antragsgegner und ein anderer Landkreis im November 2005 zu dem Ergebnis gelangten, eine geplante Kooperation auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung zur Zeit nicht zu realisieren, entschied der Antragsgegner, in erster Linie die zum 1. Januar 2006 bei ihm frei werdende Stelle des Leiters des Amtes für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung und für den Fall, dass die Auswahl auf dessen Stellvertreter, dem Antragsteller falle, zusätzlich dessen Stelle (Besoldungsgruppe A 14) zu besetzten. Dies wurde den in die nähere Auswahl gezogenen und schließlich verbliebenen drei Bewerbern mündlich mitgeteilt.
Am 9. Dezember 2005 fand mit den drei Bewerbern ein erstes Vorstellungsgespräch mit dem Landrat des Antragsgegners statt. Dem Kreisausschuss des Antragsgegners stellten sich der Antragsteller und die Beigeladene, die schließlich als Bewerber verblieben waren, am 13. Dezember 2005 vor, begründeten ihre Bewerbung und beantworteten Fragen. Der Kreisausschuss entschied sich für die Beigeladene als Amtsleiterin; diesem Votum schloss sich der Kreisstag am 13. Dezember 2005 an.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller - wie schon zuvor mündlich am 14. Dezember 2005 - mit, dass beabsichtigt sei, die ausgeschriebene Stelle einem anderen Bewerber zu übertragen. Gegen die Ablehnung seiner Bewerbung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 Widerspruch beim Antragsgegner ein.
Bereits am 28. Dezember 2005 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz im vorliegenden Verfahren nachgesucht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO - Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung - insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen - zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 123 Rn. 6). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
1. Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Eilentscheidung, ist gegeben. Denn durch die Übertragung der Planstelle an die Beigeladene und die beabsichtigte Ernennung würde der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch auf fehlerfreie Auswahlentscheidung im Grunde vereitelt werden. Mit Vollzug der beabsichtigten Übertragung der Planstelle wird zugleich die gerichtliche Überprüfung der schon getroffenen Auswahlentscheidung praktisch hinfällig.
2. Dem Antragsteller steht auch der erforderliche Anordnungsanspruch zur Seite. Die von dem Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung ist rechtlich zu beanstanden.
Die Auswahlentscheidung des Dienstherrn unterliegt als Akt wertender Erkenntnis einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle: Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschrift) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.8.2001 - 2 A 3.00 -, DVBl 2002, 132; OVG Lüneburg, Beschl. v. 27. 5. 2005 - 5 ME 57/05 und Beschl. vom 26. 8. 2003 - 5 ME - 162/03 -, jeweils m.w.N.).
Die Entscheidung des Dienstherrn über die Übertragung eines öffentlichen Amtes und bei der Beförderungsauswahl hat sich an dem Leistungsgrundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § 8 Abs. 1 NBG) zu orientieren, der besagt, dass die Auswahl unter den Bewerbern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen ist. Bei der Beurteilung der Frage, welcher der Bewerber am besten geeignet und befähigt sowie am leistungsstärksten ist, hat der Dienstherr in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellsten Beurteilungen. Haben die Bewerber dabei als Gesamturteil auf der jeweiligen Notenskala unterschiedliche Notenstufen erreicht, ist grundsätzlich der Bewerber mit der besseren Gesamtnote auszuwählen. Sind die Bewerber mit der gleichen Gesamtnote beurteilt, ist für die Auswahlentscheidung zunächst auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Diese können sich aus sogenannten Binnendifferenzierungen innerhalb der Notenstufe und/oder aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale oder aus älteren dienstlichen Beurteilungen ergeben, deren zusätzliche Berücksichtigung geboten ist, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern zu treffen ist. Als weitere leistungsbezogene Kriterien können auch die bei einem strukturierten, nach festgelegten Kriterien bewerteten Auswahlgespräch gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt werden und ausschlaggebend sein. Erst wenn alle diese unmittelbar leistungsbezogenen Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und die Bewerber immer noch im Wesentlichen gleich einzustufen sind, sind sogenannte Hilfskriterien heranzuziehen (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urt. v. 21.8.2003 - 2 C 14.02 -, ZBR 2004, 101; Urt. v. 27.2.2003 - 2 C 16.02 -, NVwZ 2003, 1397; OVG Lüneburg, Beschl. v. 13. 4. 2005 - 5 ME 29/05 -, Beschl. v. 23.7.2004 - 5 ME 39/04 -; Beschl. v. 26.8.2003 - 5 ME 162/03 -, NVwZ-RR 2004, 197, jeweils m.w.N.).
Die hier angefochtene Auswahlentscheidung des Antragsgegners genügt den vorstehend dargelegten Anforderungen nicht.
Rechtsfehlerhaft ist, dass der Antragsgegner seine Auswahlentscheidung getroffen hat, ohne eine aktuelle und vergleichbare Beurteilung der Beigeladenen anzufordern. Da für die Auswahlentscheidung hinsichtlich Leistung und Eignung auf den aktuellen Stand und in erster Linie regelmäßig auf die Beurteilungen abzustellen sowie der Grundsatz der Chancengleichheit zu beachten ist, müssen für alle Bewerber zeitnahe dienstliche Beurteilungen vorliegen, die noch einen aktuellen Leistungsvergleich ermöglichen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.5.1995 - 5 M 1532/95 -, Nds.VBl. 1995, 212; Beschl. v.5.8.1999 - 2 M 2045/99 -, Nds.VBl. 2000, 151, Beschl. v. 10.9.2004 - 5 ME 87/04 - und Beschl. v. 27.5.2005 - 5 ME 57/05 -). Während für den Antragsteller, der bei dem Antragsgegner als Veterinäroberrat und stellvertretender Amtsleiter tätig ist, unter dem 16. November 2005 eine Beurteilung anlässlich seiner Bewerbung erstellt worden ist, ist für die Beigeladene, die im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung am 13. Dezember 2005 als Veterinärrätin im Beamtenverhältnis auf Probe beim Freistaat Bayern, Regierung H., Landratsamt I., tätig war, keine Beurteilung eingeholt worden. Für sie lagen dem Antragsgegner neben Prüfungszeugnissen und älteren Bescheinigungen lediglich das Arbeitszeugnis eines privaten Arbeitgebers vom 29. Mai 2001 sowie Arbeitzeugnisse des Instituts für Tierernährung des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin vom 4. Januar 1999 und 26. Februar 1998 vor. Die Personalakte war nicht beigezogen worden. Diese Zeugnisse sind für die getroffene Auswahlentscheidung weder hinreichend aktuell gewesen noch waren sie mit der dem Antragsteller erteilten Beurteilung vergleichbar. Die der Beigeladenen nachträglich unter dem 23. Dezember 2005 von der Regierung von Schwaben erteilte Beurteilung war dem Antragsgegner bei der Auswahlentscheidung nicht bekannt. Darüber hinaus ist diese mit der Beurteilung des Antragstellers ebenfalls nicht vergleichbar, da es sich lediglich um eine sogenannte Probezeitbeurteilung handelt, die weder Einzelnoten noch eine Gesamtnote enthält, sondern ihrem Zweck entsprechend lediglich die Eignung der Beigeladenen für eine Verwendung auf einem Dienstposten des Eingangsamtes ihrer Laufbahn und die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit feststellt.
Der Antragsgegner kann die getroffene Auswahlentscheidung auch nicht mit dem während des Vorstellungsgesprächs gewonnenen Eindruck von dem Antragsteller und der Beigeladenen rechtfertigen. Zum einen sind keinerlei Gesichtspunkte dafür ersichtlich, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise ein Absehen von der regelmäßig in erster Linie nach aktuellen Beurteilungen zu treffenden Auswahl im Rahmen der sog. Bestenauslese sprechen könnten. Insbesondere stellt die Art des Dienstpostens, Amtsleiter des Amtes für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung, keine derartige Besonderheit dar, die ein Absehen von einer aktuellen Beurteilung bei der Beigeladenen rechtfertigen könnte. Zum anderen vermag ein - wie hier - bloßes Vorstellungsgespräch - selbst bei im wesentlicher gleicher Beurteilung der Bewerber - allein keinen entscheidenden Ausschlag für oder gegen einen Bewerber geben. Denn anders als die bei einem strukturierten, nach festgelegten Kriterien bewerteten Auswahlgespräch gewonnenen Erkenntnisse können die während eines schlichten Vorstellungsgesprächs gewonnenen Eindrücke lediglich ein vorhandenes Leistungsbild abrunden, nicht aber entscheidend beeinflussen, weil sie kein tragfähiges Leistungsbild eines Bewerbers zu vermitteln vermögen (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 19.2.1999 - 2 B 11/99 -, DÖD 1999, 238).
Angesichts dieser eindeutigen und durchgreifenden Fehler, die zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung führen, bedarf es keines Eingehens mehr auf die anderen, gegen die Auswahlentscheidung vorgebrachten Einwände.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 Satz 1 und 5 Sätze 2 und 1 GKG.