Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.03.1993, Az.: 6 M 531/93

Rechtmäßigkeit einer an einen landwirtschaftlichen Betrieb heranrückenden Wohnbebauung in Hinblick auf die Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch landwirtschaftliche Immissionen; Maßgeblichkeit der Prognose von Art und Umfang der von einer landwirtschaftlichen Tierhaltung ausgehenden Immissionen bei einem 140 Meter von der Wohnsiedlung entfernt gelegenen Rinderhof; Ermittlung des Umfangs nachbarschützender Festsetzungen in einem Bebauungsplan für außerhalb des Plangebiets liegende Grundstücke

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.03.1993
Aktenzeichen
6 M 531/93
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1993, 23561
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0310.6M531.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 22.12.1992 - AZ: 2 B 88/92.OS

Fundstellen

  • BRS 1993, 232-233
  • BauR 1993, 444-445 (Volltext mit amtl. LS)
  • DÖV 1993, 872-873 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZfBR 1993, 202 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer Baugenehmigung (Nachbarwiderspruch)

- vorläufiger Rechtsschutz -.

Der 6. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat am 10. März 1993beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer - vom 22. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,-- DM (i. W. zehntausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig, aber unbegründet. Bei summarischer Prüfung im Rahmen der Entscheidung nach§ 80a Abs. 3 und § 80 Abs. 5 VwGO spricht Überwiegendes dafür, daß die angefochtene Baugenehmigung vom 5. Juni 1992 für den Bau einer Werkstatt und eines Wohnheimes für Behinderte mit Stellplätzen auf dem Flurstück xxx der Flur xxx in xxx keine Nachbarrechte der benachbarten Antragsteller verletzt. Nachbarliche Abwehrrechte im Hinblick auf den mindestens 140 m südwestlich gelegenen Hof der Antragsteller mit der dortigen Rinderhaltung im Außenbereich kommen nur unter dem Gesichtspunkt des bebauungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme in Betracht (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Denn der Bebauungsplan Nr. xxx "xxx", der das Grundstück des Beigeladenen als Gemeinbedarfsfläche für eine Schule festsetzt, enthält keine nachbarschützenden Festsetzungen zugunsten des Hofes der Antragsteller außerhalb des Plangebiets. Auch § 93 Abs. 2 NWG hat keine nachbarschützende Funktion, so daß die Antragsteller sich auf eine etwaige Verletzung dieser Vorschrift nicht berufen können.

2

Die Besorgnis der Antragsteller, sie müßten infolge des genehmigten Vorhabens des Beigeladenen in der Nähe ihres Hofes mit Rinderhaltung mit Betriebseinschränkungen rechnen, erscheint nicht gerechtfertigt. Zwar muß eine heranrückende Wohnbebauung auf einen landwirtschaftlichen Betrieb im Außenbereich Rücksicht nehmen. Dabei kommt es jedoch im einzelnen auf Art und Umfang der von einer landwirtschaftlichen Tierhaltung ausgehenden Immissionen an. Eine Schweinemast kann größere Abstände verlangen als eine Rinderhaltung, weil von dieser wesentlich geringere Geruchsbelästigungen ausgehen. Während es für Schweinehaltungen das technische Regelwerk der VDI-Richtlinie 3471 gibt, die bestimmte Mindestabstände zur Wohnbebauung vorschlägt, fehlt es an einem entsprechenden Regelwerk für Rinderställe. Selbst eine Umrechnung vorhandener Rinder-Großvieheinheiten auf solche für Schweine ist bisher nicht vorgesehen. Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht haben sich auf eine Stellungnahme der Landwirtschaftskammer vom 19. September 1990 gestützt, wonach ein Abstand von rund 145 m vom Hof der Antragsteller einzuhalten sei. Diese Stellungnahme begegnet ebenso wie die vom 6. Januar 1993 schon im Ansatz erheblichen Bedenken: Sie hält dem Hof der Antragsteller nämlich eine fiktive Sauenhaltung in der Größenordnung von rund 58 Großvieheinheiten zugute, obwohl die Antragsteller weder Schweine halten noch dies in unmittelbarer Zukunft beabsichtigt ist. Vielmehr zeigt die am 12. Januar 1993 erteilte Genehmigung eines neuen Boxenlaufstalls, daß der vorhandene Rinderbestand (43 Milchkühe und 58 Jungrinder) beibehalten werden soll. Selbst bei großzügiger Annahme, daß auch gewisse Entwicklungsmöglichkeiten eines landwirtschaftlichen Betriebes zu berücksichtigen sein können, kommt eine rein theoretische Berechnung von Mindestabständen nicht in Betracht, die von einer unrealistischen Schweinehaltung ausgeht. Für die alten und neuen Stallungen der Antragsteller ist aber maßgeblich, daß Rinder als Wiederkäuer mit umfangreichem Verdauungssystem die im Futter enthaltenen Nährstoffe wesentlich besser abbauen als Schweine oder gar Geflügel. Rindergülle ist vergleichsweise geruchsarm (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 2.2.1993 - 1 M 6364/92 -, S. 7 u. v. 4.12.1981 - 1 OVG B 113/81 = 1-8998). Nach dieser Erkenntnis und der Erfahrung des Senats mit vergleichbaren Sachverhalten hat das Vorhaben des Beigeladenen nicht mit objektiv unzumutbaren Geruchsbelästigungen durch den Hof der Antragsteller zu rechnen, der mit dem genehmigten neuen Boxenlaufstall für Milchkühe mindestens 140 m entfernt liegt. Hinzukommt die günstige Lage zur Hauptwindrichtung: Der neue Stall der Antragsteller liegt nicht westlich des Vorhabens des Beigeladenen, sondern in Richtung Südsüdwest, von wo der Wind nur gelegentlich weht. Außerdem kann der Beigeladene mit der Ansiedlung seines Vorhabens am Ortsrand in der Nähe eines Hofes und landwirtschaftlicher Nutzflächen mit Gülledüngung nicht beanspruchen, von Tiergerüchen aller Art verschont zu bleiben. Auch er muß vielmehr Rücksicht auf die vorgegebene Situation nehmen und könnte nur Immissionen abwehren, die nicht als ortsüblich (vgl. § 906 BGB) anzusehen wären.

3

Nach alledem sieht der Senat unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 27.8.1992 - 1 L 91/91) zu vergleichbaren Fällen keinen Anlaß, die Ausführung des dem Beigeladenen genehmigten Vorhabens zu verzögern, bis über den Widerspruch der Antragsteller abschließend entschieden ist. Dieser wird voraussichtlich ebenso wie eine etwa anschließende Klage ohne Erfolg bleiben.

4

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 GKG.

5

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).

Dr. Sarnighausen Behrens Dr. Jenke