Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.1993, Az.: 3 L 184/90

Landwirtschaft; Milcherzeugung; Milchquote; Eigenbedarf; Anerkennung der Anlieferungs-Referenzmenge; Anlieferungs-Referenzmenge

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.03.1993
Aktenzeichen
3 L 184/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 13687
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0322.3L184.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade 30.08.1990 - 1 A 47/89
nachfolgend
BVerwG - 24.11.1994 - AZ: BVerwG 3 C 25/93

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer Stade - vom 30. August 1990 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Milchviehhaltung in einer Größe von ca. 47 ha mit einer Referenzmenge von 72.874 kg, den er seit dem 1. Oktober 1985 von seiner Mutter gepachtet hat.

2

Am 23. Februar 1988 beantragte der Kläger bei der Kreisstelle Rotenburg der Beklagten, ihm nach § 9 Abs. 2 Nr. 3 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV) zu bescheinigen, daß vom Beigeladenen auf ihn eine Referenzmenge übergegangen sei. Zur Begründung machte er geltend, daß er eine 4,7156 ha große, von seinem Großvater an den Beigeladenen bis Oktober 1987 verpachtete landwirtschaftliche Nutzfläche, die der Milcherzeugung gedient habe, am 1. Oktober 1987 aus der Verpachtung zurückgenommen habe. Mit Bescheid vom 8. Juni 1988 lehnte die Kreisstelle Rotenburg der Beklagten die Ausstellung der vom Kläger begehrten Bescheinigung mit der Begründung ab, daß die Fläche kleiner als 5 ha sei und der Beigeladene Pächterschutz genieße. Auf einen Eigenbedarf könne der Kläger sich nicht berufen. Der Buchführungsabschluß für das Wirtschaftsjahr 1986/87 weise eine relativ hohe bereinigte Eigenkapitalbildung aus, so daß er auf die Referenzmenge für die Milcherzeugung nicht angewiesen sei. Den am 6. Juli 1988 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1989 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei nicht auf den Übergang einer Referenzmenge angewiesen. Eine Existenzgefahr liege für seinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht vor. Nach dem in Niedersachsen angewendeten einheitlichen Berechnungsverfahren sei ein Betrieb nur dann auf den Übergang einer Referenzmenge angewiesen, wenn die Veränderung des Eigenkapitals des Betriebes in einem Bereich zwischen Minus 5.000,-- DM und Plus 5.000,-- DM liege. Das treffe im Falle des Klägers nicht zu. Aus dem Buchführungsabschluß für seinen Betrieb für das Wirtschaftsjahr 1986/87 ergebe sich mit 20.274,-- DM eine weit höhere Eigenkapitalveränderung.

3

Der Kläger hat am 12. Juni 1989 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Das Bundesverwaltungsgericht habe im Urteil vom 30. November 1989 festgestellt, daß der in § 7 Abs. 3 a MGV geregelte Pächterschutz nichtig sei. Der durch die 14. Änderungsverordnung zur Milch-Garantiemengen-Verordnung rückwirkend bestimmte Pächterschutz finde ebenfalls im Gemeinschaftsrecht keine Rechtsgrundlage. Das Gemeinschaftsrecht sehe nur Pächterschutz für die Pächter ganzer Betriebe vor.

4

Der Kläger hat beantragt,

5

den Bescheid der Kreisstelle Rotenburg der Beklagten vom 8. Juni 1988 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. Mai 1989 aufzuheben und sie zu verpflichten, ihm die beantragte Bescheinigung nach § 9 Abs. 2 Nr. 3 MGV auszustellen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

7

die Klage abzuweisen.

8

Sie hat die Auffassung vertreten, daß die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien.

9

Der Beigeladene hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Er hat vorgetragen: Seit dem Inkrafttreten der Milch-Garantiemengen-Verordnung im April 1984 habe er die gepachtete Fläche nicht mehr für die Milcherzeugung genutzt. Der Kläger sei auf den Übergang der Milchquote nicht angewiesen. Das ergebe sich bereits daraus, daß er ohne Inanspruchnahme von Fremdkapital einen Boxenlaufstall für mindestens 200.000,-- DM gebaut und zudem eine Erbschaft seines Vaters, bestehend aus einem landwirtschaftlichen Betrieb und einem vermieteten Wohnhaus, gemacht habe. Er selbst sei dringend auf die Milchquote aus finanziellen und persönlichen Gründen angewiesen.

12

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 30. August 1990 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

13

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Der in § 7 Abs. 3 a MGV geregelte Pächterschutz finde im Gemeinschaftsrecht eine Ermächtigungsgrundlage. Nach Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 590/85 könnten die Mitgliedsstaaten für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen habe, vorsehen, daß die auf den Betrieb bzw. den gepachteten Teil des Betriebes entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben werde, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen wolle. Auf einen Eigenbedarf könne der Kläger sich nicht berufen. Auf den Übergang der auf der 4,7156 ha großen Pachtfläche ruhenden Referenzmenge sei er nicht angewiesen. Eine Existenzgefährdung des Betriebes des Klägers liege nicht vor. Im Wirtschaftsjahr 1986/87 habe sich sein Eigenkapital um 20.274,15 DM erhöht. Der Kläger habe ohne Inanspruchnahme von Fremdkapital einen Boxenlaufstall für mindestens 200.000,-- DM gebaut und zudem eine größere Erbschaft gemacht.

14

Gegen diese Entscheidung führt der Kläger Berufung. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trägt er vor: Die Mengenbegrenzung in § 7 Abs. 2 MGV und der Pächterschutz in § 7 Abs. 3 a MGV widerspreche dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Flächenakzessorietät der Referenzmenge. Er sei im übrigen auf den Übergang der Referenzmenge angewiesen. Er habe nach einer entsprechenden Ausbildung den elterlichen Betrieb übernommen. Die ihm zur Verfügung stehende Milchquote von 97.000 kg reiche für eine erfolgreiche Bewirtschaftung des übernommenen Betriebes nicht aus. Er müsse seine Eltern unterhalten und könne mit einer Milchquote von nicht mehr als 97.000 kg keine eigene Familie gründen.

15

Der Kläger beantragt,

16

1. eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu der Frage einzuholen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für den Eigenbedarf des Verpächters in § 7 Abs. 3 a MGV im Gemeinschaftsrecht eine Rechtsgrundlage finden,

17

2. das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu erkennen.

18

Die Beklagte beantragt,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Sie erwidert: Aufgrund der durch den Buchführungsabschluß für das Wirtschaftsjahr 1990/91 nachgewiesenen positiven Eigenkapitalbildung für den Betrieb des Klägers von 16.316,94 DM sei er auf den Übergang der Referenzmenge nicht angewiesen.

21

Der Beigeladene beantragt,

22

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

23

Er ist unter Hinweis auf die vom Kläger in den Jahren von 1989 bis 1991 vorgenommenen Investitionen und den Verkauf eines Baugrundstücks der Ansicht, daß er auf den Übergang einer Referenzmenge nicht angewiesen sei.

24

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren in ihrem wesentlichen Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

25

II.

Die vom Kläger erstmals im Berufungsverfahren beantragte Vorlage der Frage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 25. März 1957 (BGBl II S. 766) - EWG-Vertrag -, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für den Eigenbedarf des Pächters in § 7 Abs. 3 a der Verordnung über die Abgaben im Rahmen von Garantiemengen im Bereich der Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (Milch-Garantiemengen-Verordnung) vom 25. Mai 1984 (BGBl I S. 720) in der jetzt geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 1992 (BGBl I S. 1323) - MGV - mit späteren Änderungen im Gemeinschaftsrecht einer Rechtsgrundlage finden, kommt nicht in Betracht. Die Gültigkeit oder die Auslegung von Gemeinschaftsrecht stellt sich bei dieser Frage nicht. Die Rechtsfrage, ob eine nationale Regelung im Gemeinschaftsrecht eine Rechtsgrundlage hat, ist von den nationalen Gerichten zu beurteilen und die nationale Regelung gegebenenfalls für unwirksam zu erklären, soweit diese Frage verneint wird (vgl. BVerwG, Urt. vom 30. 11. 1989 - BVerwG 3 C 47.88 - RdL 1990, 219). Selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, daß sich im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Eigenbedarf des Verpächters ".... auf die Referenzmenge für die Milcherzeugung für sich, seinen Ehegatten oder seine Kinder angewiesen ist; in ...." in § 7 Abs. 3 a MGV auch noch die Frage der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts stellt, sieht der Senat aufgrund des ihm in Art. 177 EWG-Vertrag eingeräumten Ermessens keinen Anlaß, diese Frage dem EuGH vorzulegen. Art. 7 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Art 5 c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl EG Nr. L 90/13) - VO (EWG) Nr. 857/84 - in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 590/85 des Rates vom 26. Februar 1985 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 857/84über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Art. 5 c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl EG Nr. L 68/1) - VO (EWG) Nr. 590/85 - bestimmt:

26

Für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen hat, können die Mitgliedsstaaten vorsehen, daß die auf den Betrieb bzw. den gepachteten Teil des Betriebs entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben wird, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen will.

27

Diese Vorschrift läßt dem nationalen Verordnungsgeber freie Hand, ob und in welchem Umfang er einen Pächterschutz hat gewähren wollen. Die Mitgliedstaaten konnten dem Pächter im Hinblick auf seine bisherige Referenzmenge alles oder nichts oder jedwede Teilmenge zubilligen, gleichgültig, ob Gegenstand der Rückübertragung ein Betrieb oder Betriebsteil war (BVerwG, Urt. vom 10. 12. 1992 - 3 C 29.90 -). Eine solche weitreichende Gestaltungsfreiheit des nationalen Verordnungsgebers schließt nach Ansicht des Senats die in § 7 Abs. 3 a MGV geregelte Einengung des Pächterschutzes im Falle des Eigenbedarfs des Verpächters mit ein, ohne daß damit der Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung in irgendeiner Weise überschritten worden wäre.

28

Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten, mit denen sie als zuständige Landesstelle nach § 1 der Verordnung zur Übertragung von Aufgaben im Rahmen der Milch-Garantiemengen-Regelung auf die Landwirtschaftskammern vom 4. Juli 1984 (Nds. GVBl S. 173), an dessen Stelle jetzt § 1 Nr. 9 der Verordnung über die Übertragung von Aufgaben an die Landwirtschaftskammern vom 6. Mai 1987 (Nds. GVBl S. 93) getreten ist, gegenüber dem Kläger die Bescheinigung eines Referenzmengenüberganges nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 MGV abgelehnt hat, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

29

Nach Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 857/84 i.V.m. Art. 7 Nr. 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1546/88 der Kommission vom 3. Juni 1988 mit Durchführungsbestimmungen für die Zusatzabgabe nach Art. 5 c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 (ABl EG Nr. L 139/12) - VO (EWG) Nr. 1546/88 -, durch die die Verordnung (EWG) Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 mit den Durchführungsbestimmungen über die Zusatzabgabe nach Art. 5 c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 (ABl EG Nr. L 132/11) - VO (EWG) Nr. 1371/84 - aufgehoben worden ist (Art. 20 VO (EWG) Nr. 1546/88), und § 7 Abs. 2, 3 a MGV geht grundsätzlich, wenn - wie hier - einzelne Betriebsflächen durch Verkauf oder Verpachtung oder Vererbung übertragen werden, die nach ihrem objektiven Zuschnitt und den Vorstellungen der Beteiligten keinen selbständigen Betrieb darstellen, sondern nur als Teilfläche eines landwirtschaftlichen Betriebes anzusehen sind, eine entsprechende Referenzmenge nach den für die Milcherzeugung verwendeten Flächen oder nach anderen von den Mitgliedsstaaten aufgestellten objektiven Kriterien, die der nationale Verordnungsgeber bisher nicht bezeichnet hat, auf den übernehmenden Erzeuger über. Diese Bestimmung ist gemäß Art. 7 Nr. 3 VO (EWG) Nr. 1546/88 (ebenso Art. 5 Nr. 3 VO (EWG) Nr. 1371/84) sinngemäß auch im Falle der Rückgewähr einer gepachteten landwirtschaftlichen Nutzfläche bei Pachtende anzuwenden (vgl. EuGH, Urt. vom 13. 7. 1989 - Rs 5/88 - EuGHE 1989, 2633 = AgrarR 1990, 118; BVerwG, Urt. vom 30. 11. 1989 - BVerwG 3 C 47.88 - BVerwGE 84, 140 = RdL 1990, 219; Urt. d. Sen. v. 14. 4. 1988 - AgrarR 1988, 327). Voraussetzung dafür ist jedoch, daß die Pachtfläche nach dem Inkrafttreten der Milch-Garantiemengen-Regelung am 2. April 1984 (Art. 13 VO (EWG) Nr. 857/84) zurückgegeben und während der Pachtzeit für die Milcherzeugung verwendet worden ist. Das ist hier der Fall. Der Beigeladene hat im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten am 15. April 1988 die formularmäßige Erklärung abgegeben, daß er die streitigen Pachtflächen zur Milcherzeugung genutzt hat. Soweit er im gerichtlichen Verfahren (Schriftsatz vom 12. Oktober 1989 - Gerichtsakte Bl. 24) vorgetragen hat, daß er die gepachteten Flächen seit April 1984 nicht mehr zur Milcherzeugung genutzt habe, ist sein Vorbringen unbeachtlich, weil damit die Nutzung der Pachtfläche zur Milcherzeugung und deren Auswirkung auf die Höhe der Referenzmenge im Referenzjahr 1983 nicht in Frage gestellt wird. Im übrigen hat der Beigeladene für seine unsubstantiierte Behauptung auch keinen Beweis angeboten. Dem danach dem Kläger zu bescheinigenden Referenzmengenübergang steht jedoch der dem Beigeladenen nach § 7 Abs. 3 a MGV zu gewährende Pächterschutz entgegen.

30

Zu Recht weist der Kläger darauf hin, daß der zunächst in § 7 Abs. 3 a MGV geregelte Pächterschutz, wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 30. November 1989 (BVerwG 3 C 47.88 - aaO) im einzelnen ausgeführt hat, keine Ermächtigungsgrundlage im Gemeinschaftsrecht hatte. Nach Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 in der ab 8. März 1985 geltenden und durch die Verordnung (EWG) Nr. 590/85 des Rates vom 26. Februar 1985 (ABl EG Nr. L 68/1) geänderten Fassung können die Mitgliedsstaaten "für auslaufende Pachtverträge ..., Pächterschutz unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen vorsehen". Von dieser Ermächtigung hat der nationale Verordnunggeber durch die rückwirkende Neufassung der Absätze 2 und 3 a des § 7 MGV zum 8. März 1985 durch die 14. Änderungsverordnung vom 21. März 1990 (BGBl I S. 546) Gebrauch gemacht. Danach geht für 5 ha überlassener Fläche keine Referenzmenge über, wenn, wie zunächst durch das Gemeinschaftsrecht zu ergänzen war (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. 2. 1992 - BVerwG 3 C 51.88 - E 90, 18 = AgrarR 1992, 370 = RdL 1992, 370) und nunmehr durch die 26. Verordnung zur Änderung der Milch-Garantiemengen-Verordnung vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2470) geregelt worden ist, das Pachtverhältnis ausläuft, der Pächter die Milcherzeugung fortsetzen will und keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Einer Verlängerung des bis zum Oktober 1987 vereinbarten Pachtverhältnisses hat der Kläger im Auftrag seiner Mutter als Eigentümerin der Flächen mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten, Rechtsanwälte Dr. Rinck und Partner, vom 8. September 1986 ausdrücklich widersprochen.

31

Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen gegenüber der Rückwirkung des § 7 Abs. 3 a MGV auf den 8. März 1985, den Zeitpunkt des Inkrafttretens der den Pächterschutz regeltenden Verordnung (EWG) Nr. 590/85, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar verbietet das Rechtsstaatsprinzip aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich die Rückwirkung von Rechtsvorschriften. Im Verwaltungsrecht muß jedoch das Vertrauen, das der Bürger in den Fortbestand der jeweiligen Rechtslage setzt, schutzwürdig sein. Daran fehlt es, wenn die betroffenen Kreise mit einer Rechtsänderung rechnen mußten (vgl. BVerfGE 13, 261 f, 272 [BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59];  14, 277 f, 298 [BVerfG 07.08.1962 - 1 BvL 16/60];  30, 367 f, 387)oder wenn es darum geht, nichtiges Recht durch gültiges Recht zu ersetzen (vgl. BVerfGE 13, 261 f, 272 [BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59];  18, 429 f, 439 [BVerfG 31.03.1965 - 2 BvL 17/63];  19, 487 f;  195, 197;  30, 567 f;  388). Das war auch bei dem zunächst ohne Ermächtigungsgrundlage im Gemeinschaftsrecht geregelten nationalen Pächterschutz der Fall. Im übrigen konnte in dem hier fraglichen Zeitraum berechtigterweise kein Verpächter damit rechnen und darauf vertrauen, daß er im Falle der Rückgabe der Pachtflächen eine darauf entfallende Referenzmenge ohne Berücksichtigung der Interessen des Pächters ungekürzt erhalten würde. Aufgrund der Regelung in der Milch-Garantiemengen-Verordnung mußte er vielmehr vom Gegenteil ausgehen. Ein dem rückwirkenden Erlaß der Pächterschutzbestimmung in § 7 Abs. 3 a MGV entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen der Verpächter war mithin nicht vorhanden (ebenso BayVGH, Urt. v. 30. 10. 1990 - 9 B 88.026-63 -).

32

Gegenüber dem dem Beigeladenen nach § 7 Abs. 3 a MGV zu gewährenden Pächterschutz kann sich der Kläger nicht auf einen Eigenbedarf im Sinne dieser Vorschrift berufen. Der Pächterschutz in dem in § 7 Abs. 3 a Satz 1 MGV beschriebenen Umfang gilt u.a. nicht, wenn der Verpächter nachweist, daß er auf die Referenzmenge für die Milcherzeugung für sich, seinen Ehegatten oder seine Kinder angewiesen ist. Wann der Verpächter nachgewiesen hat, daß er auf die Referenzmenge für die Milcherzeugung für sich, seinen Ehegatten oder seine Kinder angewiesen ist, hat der nationale Verordnungsgeber offengelassen und ist durch eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - soweit ersichtlich - bisher nicht geklärt. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "angewiesen" als eines unbestimmten Rechtsbegriffs bieten sich mehrere (vertretbare) Lösungen an. So läßt sich beispielsweise die Auffassung vertreten, daß jeder Landwirt, der auf den ihm nach Pachtablauf zurückgewährten landwirtschaftlichen Nutzflächen Milchviehhaltung betreiben will, auf die Referenzmenge angewiesen ist. Vertreten läßt sich auch die Auffassung, daß ein Verpächter dann auf die Referenzmenge angewiesen ist, wenn er ohne den Übergang der Referenzmenge das in landwirtschaftlichen Förderungsverfahren erforderliche vergleichbare außerlandwirtschaftliche Einkommen nicht erreicht. Vertretbar ist aber auch die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs, von der der Senat im Beschluß vom 4. September 1986 (3 OVG B 122/86 - AgrarR 1987, 25) ausgegangen ist, daß ein Eigenbedarf nur dann vorliegt, wenn der Verpächter eine erhebliche Existenzgefährdung seines landwirtschaftlichen Betriebes ohne den Übergang der Referenzmenge nachweist.

33

Das Tatbestandsmerkmal "angewiesen" kann als unbestimmter Rechtsbegriff jedoch nur eine Auslegung erfahren. Andernfalls wäre die Rechtsnorm wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Bestimmtheit verfassungswidrig. Diese Rechtsfolge läßt sich indessen bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Rechtsnorm unter Berücksichtigung der Systematik der Regelungen zueinander und bei einer an ihrem Wortlaut orientierten Auslegung vermeiden. Sie legen eine Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs und eine Konkretisierung der zunächst auch vertretbar erscheinenden Auslegungen in der Weise nahe, daß die Voraussetzungen der anzuwendenden Norm nur dann erfüllt sind, wenn - wovon auch die in Niedersachsen zuständigen Landesstellen (Landwirtschaftskammer Weser-Ems und Landwirtschaftskammer Hannover) in ihren gemeinsamen Erläuterungen zu § 7 MGV - Stand: Oktober 1985 - ausgehen, der Verpächter eine erhebliche Existenzgefährdung ohne einen Übergang der Referenzmenge nachweist und ein ausreichendes Eigenkapital bei vertretbaren Entnahmen nicht bildet. Der Senat hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urt. d. Sen. v. 14. 4. 1988 - 3 OVG A 307/87 -, Urt. v. 27. 10. 1988 - 3 OVG A 8/88 -) und bereits im Ansatz im Beschluß vom 4. September 1986 - aaO - vertretenen Ansicht fest. Aus der Bindung der Referenzmenge an die Fläche folgt kein anderes Ergebnis. Zwar ist die Referenzmenge im Grundsatz flächenakzessorisch. Diese Feststellung kann aber nur für den Fall des Verkaufs, der Verpachtung usw. eines gesamten Betriebes getroffen werden (vgl. Art. 5 Nr. 1 VO (EWG) Nr. 1371/84). Für den Fall des Verkaufs, der Verpachtung usw. eines Teils des Betriebes hat dieser Grundsatz sowohl nach den gemeinschaftsrechtlichen als auch nach den nationalen Vorschriften von vornherein eine Einschränkung erfahren. Art. 5 Nr. 2 VO (EWG) Nr. 1371/84 bestimmt u.a., daß bei der Verpachtung eines Teils des Betriebes die entsprechende Referenzmenge nach den für die Milcherzeugung verwendeten Flächen aufgeteilt wird und abgegebene Betriebsteile unter einer von den Mitgliedsstaaten zu bestimmenden Mindestfläche nicht berücksichtigt zu werden brauchen. Durch § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGV wird daher nicht der Grundsatz der Flächenakzessorietät wieder hergestellt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich vielmehr um eine Ausnahmeregelung, die als solche auch unter Berücksichtigung des Wortlauts "nachweist ... angewiesen" restriktiv auszulegen ist. Bei der danach gebotenen restriktiven Auslegung des in § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGV geregelten Eigenbedarfs des Verpächters ist danach nicht zu beanstanden, daß die Beklagte von einer Existenzgefährdung und einem Eigenbedarf des Verpächters nur in Ausnahmefällen und in den Fällen ausgegangen ist, wenn der landwirtschaftliche Betrieb des Verpächters bei vertretbaren Entnahmen ein Eigenkapital zwischen Minus 5.000,-- DM und Plus 5.000,-- DM bildet. Diese von der Beklagten angenommenen absoluten Werte tragen zunächst der insbesondere bei Massenverfahren gebotenen einheitlichen Verwaltungspraxis und damit dem Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) Rechnung und sind auch in ihrer Höhe nicht zu beanstanden, weil in Niedersachsen die durchschnittliche Eigenkapitalbildung in Futterbaubetrieben bei rund 15.000,-- DM im Durchschnitt der Wirtschaftsjahre von 1983/84 bis 1991/92 gelegen hat (vgl. Betriebsstatistik der Landwirtschaftskammer Hannover, Durchschnittsergebnisse aus dem Wirtschaftsjahr 1991/92, S. 209). Die Eigenkapitalbildung des Klägers mit 20.274,-- DM im Wirtschaftsjahr 1986/87 und 12.081,-- DM im Wirtschaftsjahr 1987/88 liegt erheblich über den von der Beklagten angenommenen Werten, so daß in seinem Fall von einer Existenzgefährdung für seinen landwirtschaftlichen Betrieb und Eigenbedarf im Sinne des § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGV nicht ausgegangen werden kann. Anhaltspunkte dafür, daß trotz der hohen Eigenkapitalbildung bei ihm eine Existenzgefährdung vorliegt, hat der Kläger nicht vorgetragen. Allein sein Hinweis, daß er seine Eltern unterhalten muß, und sein verständlicher Wunsch, durch eine höhere Milchquote seinen landwirtschaftlichen Betrieb rentabler bewirtschaften zu können, reicht für einen den Schutz des Pächters ausschließenden Eigenbedarf des Verpächters nicht aus.

34

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.

35

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil er durch die Stellung eigener Sachanträge ebenfalls ein Kostenrisiko eingegangen ist, so daß aus Gründen der Billigkeit seine außergerichtlichen Kosten der unterlegenen Partei aufzuerlegen sind.

36

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, weil der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Verpächter im Sinne des § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGV nachgewiesen hat, daß er, seine Ehefrau oder Kinder auf die Referenzmenge angewiesen ist, grundsätzliche Bedeutung zukommt.

37

Eichhorn

38

Schnuhr

39

Dr. Berkenbusch