Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 18.07.2023, Az.: 3 A 132/21

Flüchtlingsschutz; Kolumbien; Sozialaktivist; Flüchtlingsschutz für Sozialaktivisten in Kolumbien

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
18.07.2023
Aktenzeichen
3 A 132/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 48590
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0718.3A132.21.00

[Tatbestand]

Die Kläger sind kolumbianische Staatsangehörige, die Klägerin zu 2. auch venezuelanische Staatsangehörige, und lebten vor ihrer Ausreise zuletzt in Bogota. Sie sind seit dem 07.12.2020 verheiratet. Der Kläger zu 1.) ist der Bruder des Klägers zu 1.) im Verfahren 3 A 225/20, in dem der Einzelrichter die Beklagte mit Urteil vom 15.03.2023 verpflichtet hat, dem Bruder des Klägers und dessen Ehefrau - insoweit aufschiebend bedingt - die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Am 11.12.2020 reisten die Kläger aus ihrer Heimat aus und am 15.12.2020 über Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellten sie förmlich am 22.02.2021 Asylanträge, zu deren Gründen sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 25.01.2021 angehört worden sind.

Bei ihrer Anhörung gab die Klägerin zu 2.) im Wesentlichen an, sie lebe seit Juni 2019 in Kolumbien. Sie habe Venezuela verlassen, weil sie und ihre Familie dort überfallen und beraubt worden seien. Sie sei auch ihrer Studienunterlagen beraubt worden, weshalb sie ihr Studium abgebrochen habe. In Kolumbien hätten sie aus Sicherheitsgründen seit dem 15.11.2020 mit ihrer Schwiegermutter und dem jüngeren Bruder ihres Mannes zusammengelebt. Sie habe große Angst um ihren Mann, der sich sozial engagiert habe. Sie selbst habe sich nicht sozial engagiert und sei auch nicht persönlich bedroht worden. Wegen der Ereignisse in Venezuela habe sie psychische Probleme.

Der Kläger zu 1.) gab bei seiner Anhörung im Wesentlichen an, er habe seit 2015, wie sein Bruder und seine Mutter, für die soziale Organisation ASVIVIR gearbeitet. Er habe damals in Fusagusaga gelebt und die dortige Sektion koordiniert. Diese Tätigkeit sei ehrenamtlich erfolgt neben seiner beruflichen Tätigkeit. Die Organisation ASVIVIR kümmere sich um Gewaltopfer und leiste z.B. psychische Betreuung oder Hilfe bei der Wiedererlangung verlorenen Besitzes oder bei der Beantragung staatlicher Unterstützung wie z.B. Wohnraum. Ihre Organisation habe sich um 250-300 Gewaltopfer gekümmert. Sie seien so ca. 15-20 ehrenamtlich Tätige Helfer gewesen. Seine Aufgabe sei es gewesen, die Opferlisten zu erstellen und zu verwalten. Er sei auch Protokollführer auf den Versammlungen gewesen, auf denen beschlossen worden sei, was konkret gemacht werden solle. Auf diesen Versammlungen seien nicht nur Mitarbeiter der Organisation, sondern auch Empfänger der Hilfeleistungen anwesend gewesen. Er habe seit 2009 ständig Drohungen bekommen. Seine letzte Anzeige bei der Polizei habe im Jahr 2010 stattgefunden. Es sei aber von der Polizei nichts unternommen worden. Auf die Polizei in Kolumbien sei kein Verlass, weshalb er weitere Anzeigen nicht erstattet habe. Die Drohungen die ihn erreicht hätten, seien bis zum Oktober 2020 allgemein gehalten gewesen und hätten sich gegen die Organisation ASVIVIR gerichtet. Im Oktober 2020 allerdings sei ein Drohbrief der Aguilas Negras ihnen direkt in ihrer Wohnung unter der Tür durchgeschoben worden. Hiermit seien die Bedrohungen gegen ihn und seine Frau dann so konkret geworden, dass sie zu seiner Mutter gezogen seien und alles für eine Ausreise vorbereitet hätten. Diese sei dann schließlich am 11.12.2020 auch erfolgt.

Mit Bescheid vom 23.04.2021, zugestellt am 03.05.2021, lehnte es die Beklagte ab, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Ihre Anträge auf Asylanerkennung lehnte sie ebenfalls ab. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss ihres Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Kolumbien androhte. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Zur Begründung gab die Beklagte im Wesentlichen an, die gegen den Kläger zu 1.) gerichteten Bedrohungen hätten auf einem niederschwelligen Niveau stattgefunden. Trotz der Drohungen habe er viele Jahre unbehelligt in Kolumbien leben können. Jedenfalls sei kein kausaler Zusammenhang zwischen der Bedrohung und der Ausreise der Kläger zu erkennen. Der kolumbianische Staat sei überdies schutzbereit und -fähig. Die Kläger hätten jedoch polizeilichen Schutz gar nicht erst gesucht. Die Klägerin zu 2.) sei zudem nicht, wie ihre Ehemann, sozial engagiert. Ein innerstaatlicher Konflikt bestehe in Kolumbien nicht.

Hiergegen haben die Kläger am 17.05.2021 Klage erhoben.

Zu deren Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Sie verweisen auf das Verfahren des Bruders des Klägers zu 1.) und dessen Ehefrau (3 A 225/20) und weisen darauf hin, dass die Mutter des Klägers zu 1.) mittlerweile ebenfalls in Deutschland lebe.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 23.04.2021 zu verpflichten,

den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz bezogen auf Kolumbien vorliegen.

Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,

die Klage abzuweisen.

Die Kläger sind in mündlicher Verhandlung zu ihren Asylgründen informatorisch angehört worden. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten in diesem und im Verfahren 3 A 225/20 gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten der Stadt C-Stadt Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.04.2021 ist - mit Ausnahme der Ablehnung der Asylanerkennung, die nicht streitgegenständlich ist - rechtswidrig und die Kläger haben - bezüglich der Klägerin zu 2.) aufschiebend bedingt - einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegensprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - Qualifikationsrichtlinie - (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.

Es obliegt bei alledem dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 - 9 C 32/87; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90, jeweils zitiert nach juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet dabei die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Lässt der Kläger es an der Schilderung eines zusammenhängenden und in sich stimmigen, im wesentlichen widerspruchsfreien Sachverhalts mit Angabe genauer Einzelheiten aus seinem persönlichen Lebensbereich fehlen, so bietet das Klagevorbringen seinem tatsächlichen Inhalt nach keinen Anlass, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsgefahr näher nachzugehen (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405/89, juris Rn. 8). Es ist auch von Verfassungs wegen unbedenklich, wenn ein in wesentlichen Punkten unzutreffendes oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchliches Vorbringen ohne weitere Nachfragen des Gerichts unbeachtet bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90, juris Rn. 14 ff.). Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84, zitiert nach juris).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Gemessen an diesen Vorgaben, steht den Klägern ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zur Seite.

Das Gericht nimmt zunächst Bezug auf seine Ausführungen im Verfahren des Bruders des Klägers zu 1 (3 A 225/20), in dem es ausgeführt hat:

"Das von den Klägern übereinstimmend, insbesondere aber von dem Kläger zu 1.), geschilderte Verfolgungsvorbringen ist zur Überzeugung des Einzelrichters glaubhaft. Der diesbezügliche Vortrag ist detailliert, lückenlos und unter emotionaler Anteilnahme an dem Erlebten schlüssig vorgetragen. Danach hat der Kläger zu 1.) ab 2011 in der von seiner Mutter, einer 2004 selbst von Guerillas von ihrem Grund und Boden vertriebenen Frau, gegründeten sozialen Organisation ASVIVIR und der übergeordneten Dachgesellschaft Mesa Nacional mitgewirkt. Dabei hat er staatlich finanzierte Projekte organisiert und durchgeführt, die das Ziel hatten, Opfer von Vertreibung zu fördern und sie so dem Einfluss der Drogenbanden und Guerillaorganisationen zu entziehen. Seine Hauptaufgabe hat darin bestanden, diese Opfer aus einer nationalen Datenbank herauszufiltern, sie zu kontaktieren und sie sodann darüber zu informieren, welche Möglichkeiten der Aus- und Fortbildung oder auch der sozialen Absicherung sie haben. Daneben hat er öffentlichkeitswirksam gemeinsam mit seiner Mutter an Informationsveranstaltungen von ASVIVIR oder Mesa Nacional zu diesem Thema oder Demonstrationen teilgenommen, in denen es ebenfalls um die Rechte und die Förderung der Opfer von Vertreibung gegangen ist. Seine Mutter ist seit etwa 2007 wegen dieser Tätigkeit bedroht worden. Nach verschiedenen Aufenthalten in anderen kolumbianischen Städten erstreckte sich die Tätigkeit seit Ende 2014 wieder auf Bogota. Seine Mutter sei in das Schutzprogramm der UNP aufgenommen worden. Nachdem sie zunächst noch durch regelmäßige Patrouillen geschützt worden war und teilwiese sogar einen gepanzerten Wagen gestellt bekommen hat, wurden die Schutzmaßnahmen nach und nach abgebaut und im Jahr 2017 schließlich eingestellt, bevor sie nach dem Attentat auf den Kläger im Jahre 2018 wieder aufgenommen worden sind. Nachdem seine Mutter früher noch persönlich bedroht worden war, richteten sich die Drohungen im Jahr 2017 zunächst gegen die Organisation ASVIVIR und die dort tätigen Mitarbeiter; später dann, war es wieder seine Mutter, die sowohl schriftlich wie auch telefonisch persönlich bedroht worden ist. Die Drohungen, fast ausschließlich ausgehenden von den "Aguilas Negras", sind durch zahlreiche von den Klägern vorgelegte Drohschreiben belegt. Adressat der Drohungen waren neben seiner Mutter auch der Kläger zu 1.) und dessen älterer Bruder, der mittlerweile ebenfalls in Deutschland lebt. Am 19.04.2018 ist dann auf den Kläger zu 1.) ein Messerattentat verübt worden, dass nach seinen auch insoweit glaubhaften Schilderungen mit seiner Tätigkeit als Sozialaktivist in Verbindung gestanden hat. Obwohl dies nicht zu irgendwelchen staatlichen Schutzmaßnahmen zugunsten des Klägers zu 1.) geführt hat, hat er dennoch von der UNP, seinen auch insoweit schlüssigen Aussagen zufolge, den Rat erhalten, seinen Wohnort regelmäßig zu wechseln, damit man ihn nicht so schnell finden können sollte. So ist der Kläger in der Folge vorgegangen, auch nachdem er seine spätere Frau kennen gelernt hatte. Erst als unbekannte Personen, die sich fälschlich als Freunde der Kläger ausgegeben hatten, in der Wohnanlage auftauchten, in der die Kläger vermeintlich sicher und unerkannt gelebt haben, entschlossen sie sich zur Ausreise aus Kolumbien. Die Angriffe auf den Kläger zu 1.) haben sich durch Bedrohungen in Wort und Person bis zur Ausreise der Kläger fortgesetzt. Sie sind damit vorverfolgt aus Kolumbien ausgereist."

In dieses Vorbringen passt sich dasjenige des Klägers zu 1.) nahtlos und widerspruchsfrei ein. Der Kläger zu 1.) hat sich ebenso wie sein Bruder in der Nichtregierungsorganisation ASVIVIR zum Wohle der im Zuge des Bürgerkrieges oder anderweit vertriebenen Personen eingesetzt. Auch er ist als Mitglied und Mitarbeiter dieser Organisation vielfach und vielfältig bedroht worden. Zuletzt erreichten ihn die, zuvor an die Organisation ASVIVIR gerichteten, Drohungen unmittelbar in seiner Wohnung und trafen ihn und seine Frau, die Klägerin zu 2.) damit im persönlichsten Bereich. Die Drohungen sind, anders als die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid ausführt, auch nicht etwa niederschwellig. Ihnen ist ein über die Zeit gesteigertes Bedrohungspotential zu entnehmen, mit der nun nicht mehr verhohlenen Aussage, die Angreifer wüssten, wo der Kläger zu 1.) lebt. Es ist dem Kläger zu 1.) nicht zuzumuten, erst abzuwarten, bis die Bedroher ihre Ankündigungen in die Tat umsetzen, wie dies bei seinem Bruder im Jahre 2018 der Fall gewesen ist. Die Drohungen waren vielmehr so konkret, dass sie als Verfolgungshandlung im Sinne von § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG anzusehen sind.

Diese Verfolgung ist eine politische Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Gemäß § 3 b Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist unter politischer Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3 c AsylG genannten potentiellen Verfolger sowie deren Politiken und Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Die Resozialisierung von Guerilleros Vertriebenen ist einerseits nach dem Friedensschluss 2016 Staatsdoktrin und damit fester Bestandteil der kolumbianischen Politik. Zum anderen betrifft diese Politik die wirtschaftliche Existenz und Nachwuchsgewinnung der Guerillaorganisationen und der Paramilitärs, mithin deren gegenläufige eigene Politik. Sozialpolitik und ihre Gegnerschaft lassen sich in der Folge des Friedensabkommens von 2016 in Kolumbien nicht dem rein kriminellen Milieu zuordnen; sie haben politischen Charakter.

Da die Kläger vorverfolgt ausgereist sind, spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht wird. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09, juris Rn. 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Da die Vermutung nicht zu widerlegen ist, bzw. von der Beklagten nicht widerlegt worden ist (vgl. zu dieser Beweislastumkehr, Marx, Handbuch zur Qualifkationsrichtlinie, § 26 Rn. 82), ist davon auszugehen, dass die Kläger bei einer Rückkehr in ihre Heimatregion erneut verfolgt würden.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheitert nicht daran, dass die von den Klägern geschilderte Verfolgung von nicht staatlichen Akteuren ausgeht. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass der kolumbianische Staat zwar grundsätzlich in der Heimatregion der Kläger, Bogota, in der Lage und willens ist, i. S. d. § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Im Fall der Kläger hat er sich vor ihrer Ausreise jedoch im Einzelfall als schutzunfähig erwiesen. Gemäß § 3 d Abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gemäß Satz 2 der Vorschrift gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Einen vollständigen Schutz vor jeglichen kriminellen Übergriffen vermag kein Staat zu bieten. Verlangt wird durch die genannten Vorschriften, dass der Staat die Verfolgungsgefahr durch effektiven Schutz minimiert. Selbst wenn es nicht ausreichen sollte, dass die zuständigen Behörden ihr Bestes tun, wenn der Ausländer darlegen kann, dass das Beste ineffektiv ist und er glaubhaft gemacht hat, dass der Staat zur erforderlichen Schutzgewährung nicht fähig ist (vgl. in diesem Sinne Marx, a. a. O. § 3 d Rn. 33), muss hier von einer solchen Gefahr ausgegangen werden. Eine derartige Darlegung ist den Klägern gelungen. Sie haben übereinstimmend und nachvollziehbar berichtet, dass sie staatlichen Schutz sowohl bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft (Fiscalia) als auch bei der UNP gesucht, aber nicht gefunden haben. Lediglich die Mutter des Klägers zu 1.), und zwar bis 2017 und erneut ab dem Attentat auf den Kläger im April 2018, hat Schutz durch die UNP erhalten. Dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft in Einzelfällen nicht in der Lage sind, staatlichen Schutz effektiv zu gewähren, ist bekannt (vgl. nur ai an die erkennende Kammer vom 14. April 2022). Aber auch die UNP (Unidad Nacional de Proteccion) kann verlässlichen Schutz nicht gewähren. So wurden z.B. im Jahr 2020 von insgesamt 24.904 bis November gestellten Schutzgesuchen nur 4.303 positiv beschieden (Antwortschreiben vom 25.11.2020 an Rechtsanwalt A., Az.: OF 120-00032032). Zwar bedeutet das Angebot staatlichen Schutzes keine Garantie, nicht getötet oder verletzt zu werden (SFH, a.a.O.). Dies bestätigt die UNP in ihrer ergänzenden Antwort an Rechtsanwalt A. vom 15.12.2020, Az.: OF 120-00034569, wonach zwischen 2017 und 2020 9 Personen, denen die UNP Schutz gewährt hatte, währenddessen getötet wurden. Allerdings ist in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Mordanschlags zu werden in Anbetracht von ca. 25.000 Schutzzusagen in diesem Zeitraum sehr gering (0,036 %). Den Klägern ist nach ihren überzeugenden Darlegungen Schutz in Bogota aber gar nicht angeboten worden.

Schließlich steht dem Kläger zu 1.) interner Schutz i. S. v. § 3 e Abs. 1 AsylG nicht zur Seite.

Gemäß § 3 e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und

2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Ein solch interner Schutz steht dem Kläger zu 1.) zur Überzeugung des Gerichts nicht in den kolumbianischen Großstädten zur Verfügung, die nicht zu den zwischen der Guerilla und der Regierung umstrittenen Gebieten Kolumbiens gehören. Grundsätzlich bejaht das Gericht einen solchen, zumutbar zu erreichenden internen Schutz. Sämtliche dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel berichten von gezielten Übergriffen von Banden und Guerilleros auf die Zivilbevölkerung lediglich in den nach Rückzug der FARC-Rebellen umkämpften Regionen Kolumbiens. In diesen Gebieten, in denen es nach dem Rückzug der FARC-Rebellen infolge des Friedensabkommens 2016 zu Territorial- und Streitereien um Drogen und Rohstoffe gekommen ist, zeigt der kolumbianische Staat, wie oben dargelegt, kaum effektive Präsenz auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Erkenntnisse darüber, dass der kolumbianische Staat außerhalb der umkämpften Gebiete nicht sein staatliches Gewaltmonopol durchsetzt, hat das Gericht nicht. Keine der aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Lise ersichtlichen Erkenntnismittel berichtet über Derartiges.

Hierzu gehört insbesondere die Hauptstadt Bogota wie auch andere Millionenstädte wie Cali nicht. Es ist für Personen, die von Verfolgung betroffen sind, grundsätzlich möglich, sich innerhalb des Staatsgebiets Kolumbiens einer solchen Bedrohung zu entziehen. Für Personen, die dem der staatlichen Schutzprogramm der UNP (Unidad Nacional de Proteccion) unterfallen, gibt es sogar staatliche Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen, bis hin zu Reisekostenunterstützung (vgl. BFA vom 28.05.2021 Auskunft an das erkennende Gericht, S. 3 f., 7 f.). Deswegen bejaht das Gericht in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes (vgl. nur Urteil vom 17.11.2021 -3 A 94/19-; ebenso VG Lüneburg, Urteil vom 25.08.2021 -1 A 13/20-; VG Oldenburg, Gerichtsbescheid vom 06.10.2021 -13 A 116/21-).

Belegen aber die Erkenntnismittel, dass die nichtstaatlichen Akteure ihre Verfolgungen landesweit ausüben können und muss von einem Verfolgungsinteresse ausgegangen werden, kann von dem Asylbewerber nicht erwartet werden, in anderen Landesteilen Schutz zu suchen (Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 4 Rn. 141). So liegt der Fall hier.

Die Konrad Adenauer Stiftung macht die Frage der internen Sicherheit davon abhängig, wie stark die verfolgte Person exponiert ist und von welchen Akteuren sie verfolgt wird (Auskunft an die erkennende Kammer vom 26.04.2021). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O. S. 6) führt dazu aus, es sei schwierig, Aussagen über die Wirksamkeit von Umsiedlungen einer bedrohten Person in eine andere Region oder Stadt zu machen. Wenn die kriminelle Gruppe eine lokal organisierte Drogenhändlerbande sei, könnte eine solche Umsiedlung den Drohungen ein Ende setzen. Doch wenn diese Drohungen von einer wichtigeren Organisation kämen, die auf nationaler Ebene tätig sei, sei es sehr wahrscheinlich, dass die Person auch in einer größeren Stadt bedroht werde.

Schließlich führt das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 21.02.2022 an die erkennende Kammer aus, dass von Gewaltandrohung Betroffene oft versuchen sich in anderen Landesteilen und/oder Großstädten in Sicherheit zu bringen. Allerdings könne eine erneute Verfolgung nicht ausgeschlossen werden. Bewaffnete Gruppen seien gut vernetzt und könnten - bei besonderem Interesse an der Person - mit entsprechendem Aufwand Personen landesweit ausfindig machen. Dies gelte für alle Gruppen von Verfolgten; sie seien alle gefährdet, wenn sie über Informationen verfügten, die für die Verfolger ein Risiko darstellten. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes mache es keinen signifikanten Unterschied, von welcher Gruppe von Verfolger (staatliche Behörden, Kriminelle, Guerilla oder Paramilitärs) ausgehe, da diese gerade in den Konfliktregionen häufig miteinander verwoben seien und staatliche Behörden zudem oft von kriminellen Gruppen infiltriert seien. Der kolumbianische Staat gehe im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen diese kriminellen Gruppen vor, sei jedoch nicht in der Lage, seine Bürger*innen umfänglich und erfolgreich gegen diese kriminellen Aktivitäten zu schützen.

Aktuell finden sich diese Erkenntnisse bestätigt durch die Angaben der EUAA (Country Focus Colombia, Dezember 2022). So heißt es in Abschnitt 4.3 (S. 69 der deutschen Version), die Präsenz des bewaffneten Konflikts in städtischen Gebieten sei nicht neu. In den Jahren 2021 und 2022 habe er an Relevanz gewonnen, da die Verbindungen zwischen den bewaffneten Strukturen auf nationaler Ebene und den lokalen Banden/Combos durch Outsourcing-Beziehungen verstärkt worden seien. In Abschnitt 5.3.4 (S. 110 der deutschen Version) heißt es, städtische kriminelle Straßenbanden seien inzwischen für einen wachsenden Anteil der Gewalt in Kolumbien verantwortlich. Diese Gruppen würden auch häufig von größeren Gruppen wie AGC (anderer Begriff für Clan del Golfo oder Aguilas Negras) und ELN unter Vertrag genommen, um ihre "städtischen Schmuggelrouten" zu betreiben. AGC zeichne sich besonders dadurch aus, dass sie Franchise-Gruppen einsetzte, bei denen es sich häufig um kleinere, lokalisierte Banden in ganz Kolumbien handele, die unter dem Banner der größeren Gruppe und mit einem hohen Maß an Autonomie als "ausgelagerte" Banden operierten. In Abschnitt 5.8 (S. 132 der deutschen Version) heißt es weiter, dass kriminelle Gruppen definitiv in der Lage seien, Zielpersonen aufzuspüren. Dies geschehe hauptsächlich durch Mundpropaganda und landesweite Netzwerke von "städtischen Kollaborateuren" oder durch die Anwerbung lokaler städtischer Kontakte. Es sei umso wahrscheinlicher, dass eine solche Gruppe jemanden aufspüren könne, je nationaler die Gruppe sei. Eine FARC-Dissidentengruppe, die ELN oder die AGC wären also eher dazu in der Lage als eine lokale kriminelle Gruppe. Auf den folgenden Seiten wird diese Aussage vertieft und dargelegt, dass die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verfolgung von der verfolgten Person, der Art ihrer Tätigkeit, dem Verfolgungsinteresse des Verfolgers sowie - in weitaus geringstem Maße - von seinen logistischen Fähigkeiten abhängt. Auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 21.02.2022 ergibt sich, dass paramilitärischen Gruppen aufgrund ihrer Beziehungen und Verflechtungen mit staatlichen Stellen in der Lage sein werden, den Kläger aufzuspüren. Das Gericht geht davon aus, dass das Interesse der Aguilas Negras an der Verfolgung des Klägers zu 1.) auch bei einem gedachten Umzug fortbestehen wird.

Beide Gesichtspunkte (Exponiertheit und Interessenlage) sprechen dafür, dass der Kläger zu 1.) internen Schutz in einer beliebigen kolumbianischen Großstadt nicht wird finden können. Der Kläger zu 1.) wird als aktiver Sozialarbeiter, der sich in der Vergangenheit nicht gescheut hat, gezielt gegen die Interessen der Aguilas Negras und anderer Paramilitärs zu agieren und deren fundamentale wirtschaftliche und organisatorischen Interessen zu torpedieren, in jeder kolumbianischen Stadt zur Zielscheibe potentieller Angreifer. Er ist sowohl auf öffentlichen Versammlungen als Unterstützer der Vertriebenen als auch als Künstler auf landesweiten Events des Dachverbandes von ASVIVIR öffentlichkeitswirksam aufgetreten. Er hat sich damit öffentlich gegen die Interessen der Aguilas Negras und anderer paramilitärischer Organisationen exponiert. Unabhängig von der Frage, ob das die Gefahr überhaupt verringern könnte, kann vom Kläger zu 1.) nicht verlangt werden, dass er seine Tätigkeit aufgibt, um den rechtswidrigen Übergriffen der Paramilitärs zu entgehen. Einem Ausländer, der sich rechtstreu verhält und von seinen Grundrechten durch Wahl seines ehrenamtlichen Engagements nach seinem Wunsch Gebrauch macht, darf nicht angesonnen werden, diese rechtmäßige Verhaltensweise aufzugeben, um rechtswidrigem Druck von verbrecherischen Organisationen zu entgehen. Ebenso wenig wie von Verfolgten verlangt werden kann, nicht mehr ihr Haus zu verlassen, um sich vor etwaiger Verfolgung zu schützen, kann verlangt werden die ehrenamtliche Tätigkeit zu wechseln, um sich einer Verfolgung zu entziehen.

Diese, den Kläger zu 1.) betreffenden Ausführungen, lassen sich nicht auf die Klägerin zu 2.), seine Ehefrau, übertragen. Diese war keinerlei asylerheblichen Handlungen oder Übergriffen ausgesetzt. Sie ist lediglich als Familienangehörige des Klägers zu 1.) betroffen. Dem trägt die Regelung in § 26 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AsylG Rechnung, indem sie der Klägerin zu 2.) einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz zubilligt. Die familiäre Gemeinschaft bestand schon in Kolumbien; die Eheschließung erfolgte am 07.12.2020. Allerdings besteht dieser Anspruch gemäß § 26 Abs. 3 Nr. 1 AsylG erst, wenn die Entscheidung in Bezug auf den Stammberechtigten unanfechtbar geworden ist. Deshalb erfolgt die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin zu 2.) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen unter der aufschiebenden Bedingung der Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dass der Ausspruch in Bezug auf die Klägerin zu 2.) unter einer aufschiebenden Bedingung steht, wertet das Gericht dabei als geringfügiges Unterliegen. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbar stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.