Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.01.1998, Az.: 2 U 259/97

Bestimmung des zu verkaufenden Grundstücks in der notariellen Urkunde sowohl durch eine bestimmte Grenzziehung unter Bezugnahme auf einen Plan als auch durch eine ungefähre Flächenangabe; Bestimmtheit eines Lageplans; Anforderungen an die Geschäftsgrundlage bei dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (WGG); Unvermögen bei einem möglichen Rückerwerb vom berechtigten Dritten; Verurteilung eines Schuldners zur Leistung ohne Beweiserhebung über eine etwaige Unmöglichkeit; Streitwertfestsetzung bei dem Anspruch auf Auflassung eines Grundstücks

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.01.1998
Aktenzeichen
2 U 259/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 16107
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0114.2U259.97.0A

Fundstellen

  • MDR 1998, 1406-1407 (Volltext mit red. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 254-255

Amtlicher Leitsatz

Grundstückskaufvertrag: Differenz zwischen Lageplan als Anlage und Größenangabe im Vertrag.

Gründe

1

Der Kläger hat gegen den Beklagten aus dem notariellen Kaufvertrag vom 18.12.1996 gemäß §§ 433, 873, 925 BGB einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an dem im Tenor der angefochtenen Entscheidung bezeichneten Grundstück.

2

1.)

Der Kaufvertrag ist nicht aufgrund eines versteckten Einigungsmangels gemäß § 155 BGB unwirksam. Die Parteien haben sich vielmehr in § 1 des Kaufvertrags darüber geeinigt, daß das Grundstück verkauft werden sollte, welches sich aus den Grenzen des beigefügten Lageplans ergibt. Insoweit liegen zwei übereinstimmende Willenserklärungen vor. Die aus den Grenzen im angegebenen Plan folgende Fläche von etwa 3.560 qm weicht allerdings von derjenigen ab, welche die Parteien wiederum übereinstimmend im notariellen Vertrag mit ca. 3.100 qm beziffert haben. Wird jedoch eine noch nicht vermessene Geländefläche verkauft und der Kaufgegenstand in der notariellen Urkunde sowohl durch eine bestimmte Grenzziehung unter Bezugnahme auf einen Plan als auch durch eine ungefähre Flächenmaßangabe bestimmt, so geht in der Regel der objektive Inhalt sowohl der Verkäufer - als auch der Käufererklärung dahin, daß bei einer Differenz zwischen der angegebenen Bezifferung und der der angegebenen Grenzziehung entsprechenden Flächengröße die Bezifferung ohne Bedeutung und die Umgrenzung allein maßgeblich ist (BGH WM 1967, 489; BGH WM 1980, 1013; BGH WM 1984, 941, 942).

3

Eine andere Auslegung kommt in derartigen Fällen allerdings dann in Betracht, wenn sich die Abweichung von der ungefähren Flächenbezifferung besonders groß - etwa 50 % oder mehr - darstellt (BGH WM 1967, 489). Eine derartig hohe Abweichung liegt hier jedoch nicht vor, da die durch den Plan umgrenzte Fläche nur etwa 15 % größer ist als die bezifferte.

4

Zwar behauptet der Beklagte, der Plan habe lediglich dazu gedient, die örtliche Lage des Kaufgrundstücks kenntlich zu machen. Dem für diese Behauptung angetretenen Zeugenbeweis ist jedoch nicht nachzugehen. Der Erklärungswert der Willenserklärungen der Parteien ergibt sich aus einer Auslegung des Textes des notariellen Grundstückskaufvertrags. Zwar käme eine vom Wortlaut der schriftlichen Erklärungen abweichende Auslegung in Betracht, wenn die Parteien übereinstimmend den Vertragstext anders, als er objektiv auszulegen ist, verstanden haben sollten. Ein solcher vom Vertragstext abweichender gemeinsamer Wille der Parteien wird jedoch vom Beklagten weder behauptet noch gar unter Beweis gestellt. Seine Beweisantritte beziehen sich vielmehr insoweit lediglich auf die von ihm vorgetragene Rechtsansicht zur Auslegung des Vertrags.

5

2.)

Die Wirksamkeit des Vertragsschlusses scheitert auch nicht an einer mangelnden Bestimmtheit des durch Bezugnahme auf den dem Kaufvertrag anliegenden Lageplan bezeichneten Grundstücks. Insbesondere ist es unschädlich, daß die äußeren, roten Umgrenzungslinien der laut Lageplan zu verkaufenden Fläche teilweise zwei bis drei Millimeter dick sind. Eine sach- und interessengerechte Auslegung des § 1 des Kaufvertrags in Verbindung mit dem anliegenden Plan läßt nur den Schluß zu, daß die Parteien erklären wollten, daß das auf dem Kartenausschnitt der Teilungsgenehmigung des Landkreises O vom 05.12.1996 eingezeichnete und von den Parteien nachträglich mit einem roten Stift über den Umgrenzungslinien gekennzeichnete Grundstück Kaufobjekt sein solle. Maßgeblich sind damit allein die zweifelsfrei exakten und dünnen Umgrenzungslinien aus dem Kartenausschnitt der Teilungsgenehmigung, welche unter den rot überzeichneten Linien auf dem dem Kaufvertrag beigefügten Plan auch noch erkennbar sind.

6

3.)

Der Kaufvertrag ist nicht aufgrund einer Anfechtung gemäß §§ 119 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB nichtig (wird ausgeführt).

7

4.)

Der Kaufvertrag ist auch nicht nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 242 BGB aufzulösen oder zu ändern. Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung die bei dem Vertragsschluß bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem zukünftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (BGH NJW 1981, 1551, 1552 [BGH 20.03.1981 - V ZR 81/80]; BGH NJW-RR 1994, 434, 435 [BGH 18.11.1993 - IX ZR 34/93]; BGH NJW 1995, 1425, 1428 [BGH 23.02.1995 - IX ZR 29/94]; BGH NJW-RR 1995, 1360). Vorliegend ist bereits nicht feststellbar, daß die Vorstellung, das zu verkaufende Grundstück sei lediglich ca. 3.100 qm groß, Geschäftsgrundlage geworden ist. Eine derartige Erwartung mag auf seiten des Beklagten für den Vertragsschluß erheblich gewesen sein. Einseitige Erwartungen, die für die Willensbildung einer Partei maßgeblich sind, gehören jedoch nur zur Geschäftsgrundlage, wenn sie in den dem Vertrage zugrunde liegenden gemeinschaftlichen Geschäftswillen beider Parteien aufgenommen worden sind. Dazu genügt es nicht, daß eine Partei ihre Erwartung der anderen mitgeteilt hat; entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten des anderen Teils nach Treu und Glauben als bloße Kenntnisnahme oder als Einverständnis und Aufnahme der Erwartung in die gemeinsame Grundlage des Geschäftswillens zu werten ist (BGH NJW-RR 1989, 752, 753 [BGH 16.02.1989 - IX ZR 256/87]; BGH NJW-RR 1993, 773, 774 [BGH 17.02.1993 - XII ZR 232/91]; Palandt-Heinrichs, § 242 Rdnr. 17). Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat der Beklagte weder ausreichend vorgetragen noch gar unter Beweis gestellt (wird ausgeführt).

8

Eine Vertragsanpassung oder Aufhebung kommt zudem nur in Betracht, wenn das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht auf einer Verwirklichung eines Risikos beruht, das derjenige zu tragen hat, der sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage beruft (BGH NJW 1979, 1818, 1819; BGH NJW 1992, 2690, 2691) [BGH 17.06.1992 - XII ZR 253/90]. Das Risiko der Richtigkeit der Bezifferung der Größe der zu verkaufenden Fläche hat vorliegend aber der Beklagte zu tragen. Denn die Angaben stammen insoweit aus seiner Sphäre und nicht aus der des Klägers.

9

5.)

Die Leistungsverpflichtung des Beklagten ist nicht wegen eines nachträglich eingetretenen Unvermögens gemäß § 275 BGB entfallen. Zwar ist ein Teil des vom Kläger begehrten Grundstücks an Dritte, nämlich die Eheleute R, übereignet worden. Ein Unvermögen mangels Rechtsinhaberschaft einer verkauften Sache liegt in einem derartigen Fall jedoch nicht vor, wenn ein Rückerwerb vom berechtigten Dritten möglich ist (BGH NJW 1997, 938, 939; Palandt-Heinrichs, § 275 Rdnr. 15 m. w. N.). Daß der Beklagte zu einem Rückerwerb nicht in der Lage ist, steht derzeit jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest. Allein aus dem Schreiben der Eheleute R vom 09.02.1997 ergibt sich dies entgegen der Ansicht des Beklagten nicht. Zwar heißt es dort u. a.: "Wir betonen ausdrücklich, daß wir nicht bereit sind, auch nur einen Quadratmeter weniger als die angegebenen 8.023 zu akzeptieren." Diese Äußerung bezieht sich jedoch ersichtlich auf die Abwicklung des Grundstückskaufvertrags zwischen den Eheleuten R und dem Beklagten. Eine Aussage darüber, ob die Eheleute R gegen ein Entgelt zur Rückübertragung bereit wären, läßt sich dem genannten Schreiben nicht entnehmen.

10

Ist aber - wie vorliegend - die Unmöglichkeit streitig, kann ein Schuldner ohne Beweiserhebung über die Unmöglichkeit der Leistung verurteilt werden, sofern feststeht, daß eine etwaige Unmöglichkeit von ihm zu vertreten ist (BGH NJW 1974, 1552, 1554 [BGH 21.06.1974 - V ZR 164/72]; BGH NJW 1997, 938). Daß vom Beklagten ein möglicherweise vorliegendes Unvermögen zu vertreten ist, folgt aus dem Grundsatz, daß ein Schuldner alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun hat, um bei Fälligkeit leisten zu können (Palandt-Heinrichs, § 275 Rdnr. 23). Dieser Verpflichtung ist der Beklagte nicht nachgekommen, da er nicht für seine Leistungsfähigkeit gesorgt hat. Er hat vielmehr das dem Kläger verkaufte Grundstück - teilweise - schon vor Abschluß des Kaufvertrags mit dem Kläger an die Eheleute R verkauft und später an diese aufgelassen.

11

6.)

.....

12

7.)

Bei der Streitwertfestsetzung hat der Senat sich an dem geschätzten wirtschaftlichen Interesse des Klägers orientiert. Zwar ist grundsätzlich bei einem Anspruch auf Auflassung eines Grundstücks gemäß § 6 ZPO dessen Verkehrswert maßgeblich. Im Einzelfall schließt dieser

13

Grundsatz richtigerweise eine wirtschaftliche Betrachtungsweise jedoch nicht aus (Schneider, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rdnr. 351 m. w. N.). Vorliegend besteht das wirtschaftliche Interesse des Klägers darin, nicht nur das vom Katasteramt in der Liegenschaftskarte vom 27.02.1997 bezeichnete Grundstück zur Größe von 3.100 qm, sondern ein mit der vorgenannten Fläche teilidentisches Grundstück mit einer Größe von ca. 3.560 qm zu erhalten. Streitig ist zwischen den Parteien wirtschaftlich betrachtet die sich daraus ergebende Flächendifferenz. Es ist daher angemessen, den Streitwert anhand der - geschätzten - Differenz zwischen dem Wert der unstreitig geschuldeten Fläche von ca. 3.100 qm und der vom Kläger verlangten Fläche von ca. 3.560 qm festzusetzen.