Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 05.03.2014, Az.: S 4 SO 12/11

Erstattungsanspruch eines überörtlichen Sozialhilfeträgers für teilstationäre Eingliederungshilfe und Grundsicherung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
05.03.2014
Aktenzeichen
S 4 SO 12/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 15963
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2014:0305.S4SO12.11.0A

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Kostenerstattung für teilstationäre Eingliederungshilfe und Grundsicherung. Hintergrund der Erstattungsstreitigkeit sind die Leistungen für den 1968 geborenen Hilfeempfänger G ... Dieser hatte seinen Wohnsitz zunächst im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, der H ... Bei ihm besteht eine seelische Behinderung. Seit dem 15. September 2001 war der Hilfeempfänger in der Werkstatt für behinderte Menschen tätig. Kostenträger war zunächst die Agentur für Arbeit I. und seit dem 15. September 2003 die Beklagte, die als vom überörtlichen Sozialhilfeträger herangezogene kommunale Körperschaft mit Schreiben vom 08. September 2003 ein entsprechendes Kostenanerkenntnis abgegeben hat. Zum 01. April 2005 zog der Hilfeempfänger nach J. in den Zuständigkeitsbereich des Klägers um. Mit Schreiben vom 14. April 2005 forderte der Kläger von der Beklagten unter Hinweis auf seine örtliche Zuständigkeit die Leistungsakte an. Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 21. April 2005 ihr Kostenanerkenntnis aus dem Jahr 2003 auf und stellte die Leistungen für den Hilfeempfänger zum 01. April 2005 ein. Mit Bescheid vom 28. April 2005 gab der Kläger ein Kostenanerkenntnis für die Zeit ab dem 01. April 2005 für teilstationäre Eingliederungshilfe ab. Seit dem 01. März 2009 befindet sich der Hilfeempfänger teilstationär in der Werkstatt für behinderte Menschen in K ... Mit Schreiben vom 05. März 2009 machte der Kläger bei der Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch für die Zeit ab dem 01. März 2008 geltend. Die teilstationären Eingliederungshilfeleistungen seien zu Unrecht erbracht worden, da die Zuständigkeit der Beklagten für den Kläger fortbestehe. Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen ist, erhob der Kläger am 13. Januar 2011 Klage zum Sozialgericht I ... Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 17. August 2012 das L. beigeladen. Der Kläger hält an seinem Erstattungsverlangen fest. Er beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 39 165,55 EUR als Erstattung für die an Herrn Theodor Wübben bis Oktober 2011 erbrachten Leistungen zu zahlen; 2. festzustellen, dass die Beklagte als zuständige Leistungsträgerin verpflichtet ist, ab dem 01. November 2011 Herrn G. als Träger der Sozialhilfeleistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte zu erbringen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Die Beklagte hat zunächst darauf hingewiesen, dass der Rechtsweg zum Sozialgericht nicht eröffnet sei, da es sich um eine Streitigkeit zwischen zwei kommunalen Trägern handele, die jeweils für die Wahrnehmung der Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers herangezogen worden seien. Die Aufwendungen für den Hilfeempfänger seien über quotale System abgerechnet worden. Darüber hinaus sei die Leistungsgewährung durch den Kläger gerade keine vorläufige Leistungserbringung; vielmehr sei eine endgültige, aber irrtümliche Leistungserbringung erfolgt. Das beigeladene Landesamt weist darauf hin, dass in der nunmehr maßgeblichen Fassung der Durchführungsverordnung zum Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum SGB XII (DV Nds. AG SGB XII, vom 13.6.2006, Nds. GVBl. S. 229) in § 3 Abs. 2 ein Kostenerstattungsanspruch vorgesehen sei. Dieser müsse auch gerichtlich durchsetzbar sein. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Klägers verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt, der Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom 26. Februar 2014, die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. November 2011 und der Beigeladene mit Schriftsatz vom 27. Februar 2014.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) entscheiden. Die vorliegende Klage ist unzulässig. Auf Seiten des Klägers fehlt die Klagebefugnis, jedenfalls aber das Rechtschutzbedürfnis. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich nämlich um einen unzulässigen, so genannten In-Sich-Prozess, der im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise zulässig ist. 1. Bei einem In-Sich-Prozess handelt es sich um ein sozialgerichtliches Verfahren, das eine Behörde führt, um die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung einer anderen Behörde desselben Rechtsträgers im zuständigkeitsrechtlicher oder sachlich rechtlicher Hinsicht überprüfen zu lassen (so BSG, Urteil vom 28. Januar 2004 - B 6 KA 4/03 R -, Rdnr. 18, m.w.N.). a) Zwar handelt es sich beim Kläger als Landkreis und bei der Beklagten als kreisfreier Stadt jeweils um unterschiedliche Rechtsträger, die im eigenen Namen tätig werden (vgl. § 9 Abs. 5 Satz 1 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - [Nds. AG SGB XII] und zuvor § 5 Abs. 1 Satz 3 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundessozialhilfegesetz [Nds. AG BSHG]). b) Mit der Entscheidung im eigenen Namen wird indes einer Besonderheit des niedersächsischen Kommunalrechts Rechnung getragen, dass nämlich eine Organleihe nicht stattfindet (vgl. J. Ipsen, Niedersächsisches Kommunalrecht, 3. Aufl. 2006, Rdnr. 165 ff., insbes. 167). Sie ändert indes nichts daran, dass die Heranziehung für Aufgaben des überörtlichen Trägers dem übertragenen Wirkungskreis zuzuordnen ist. Die Heranziehung von Kläger und Beklagter ergibt sich dabei jeweils aus § 8 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 Nr. 1 a), Abs. 3 Satz 2 Nds. AG SGB XII bzw. zuvor aus § 100 Abs. 1 Nr. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Nds. AG BSHG. Die Zuordnung der Aufgabenwahrnehmung als herangezogene kommunale Körperschaft für den überörtlichen Sozialhilfeträger zum übertragenen Wirkungskreis ergibt sich zum einen daraus, dass die Zuweisung zum eigenen Aufgabenkreis der kommunalen Körperschaften sich nur auf die Aufgaben des örtlichen Sozialhilfeträgers erstreckt (so § 1 Satz 1 Nds. AG SGB XII, zuvor § 1 Nds. AG BSHG). Zum anderen fehlt den Aufgaben des überörtlichen Trägers in jedem Fall der örtliche Bezug, der erforderlich wäre, um eine solche Aufgabe als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises ansehen zu können. Damit sind vorliegend die Regeln des In-Sich-Prozesses anzuwenden. 2. Ein solcher In-Sich-Prozess ist ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn eine Behörde in eigenen Rechten verletzt sein kann und sich aus dem materiellen Recht klagefähige Rechtspositionen ergeben, kraft derer eine Behörde ähnlich wie ein Bürger ihre Befugnisse gegenüber der staatlichen Hoheitsgewalt verteidigt. Ausgeschlossen ist ein In-Sich-Prozess jedoch zumindest dann, wenn die beteiligten Behörden im Verhältnis von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde zueinander stehen - das ist hier nicht der Fall - oder wenn der Streit durch eine für beide streitenden Behörden gemeinsame Entscheidungsspitze geklärt werden kann (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 19 f.). Die gemeinsame Entscheidungsspitze darf sich nicht einer streitentscheidenden Klärung verweigern und die streitenden Behörden stattdessen auf den Weg der gerichtlichen Konfliktlösung verweisen. So liegt der Sachverhalt hier. a) Kläger und Beklagte sind beide als herangezogene kommunale Körperschaften gemäß § 8 Abs. 2 Nds. AG SGB XII, § 4 Abs. 2 Nds. AG BSHG tätig geworden. Sie nehmen dadurch ausdrücklich eine Aufgabe des Landes als überörtlichen Träger der Sozialhilfe wahr (§ 2 Nds. AG SGB XII, zuvor § 2 Nds. AG BSHG). Damit kann das M., als gemeinsame Fachaufsichtsbehörde eine Klärung der Angelegenheit herbeiführen. Es kann insofern nach neuem Recht insbesondere von seinem Rückholrecht nach § 9 Abs. 2 S. 2 Nds. AG SGB XII Gebrauch machen. Einer gerichtlichen Entscheidung bedarf es daher nicht. b) Dem steht die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (im Einzelnen: VG Göttingen, Urteil vom 27.1.2005 - 2 A 379/03 -; nachgehend OVG Lüneburg, Urteil vom 25.7.2007 - 4 LC 87/07 -) nicht entgegen. Die dortige Rechtsprechung befasst sich mit einer Übertragung durch Verwaltungsvereinbarung durch einen überörtlichen Träger in N ... Sie ist daher auf die Rechtslage in Niedersachsen nicht übertragbar. Dies stellt das Urteil des VG O. auch ausdrücklich klar (a.a.O., Rdnr. 16 f., zit. n. [...]). c) Überdies können weder der Kläger noch die Beklagte im Rahmen der sogenannten Klagebefugnis eigene Rechte als möglicherweise verletzt ins Feld führen. Zwar ist die Wahrnehmung der Aufgaben des überörtlichen Sozialhilfeträgers als herangezogene kommunale Körperschaft nicht ohne finanzielle Relevanz; den Rahmen der Heranziehungsregelungen sind jedoch differenzierte Regelungen über den Kostenausgleich getroffen worden (vgl. § 12 ff. Nds. AG SGB XII, §§ 6 b u. 6 c Nds. AG BSHG). d) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass - im Gegensatz zur Ansicht des Beigeladenen - aus dem Vorhandensein des Kostenerstattungsanspruches für vorläufige Leistungen gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 der DV Nds. AG SGB XII nicht automatisch folgt, dass dieser Anspruch auch gerichtlich durchsetzbar sein muss. Zum einen hält es die Kammer für höchst fraglich, ob hier überhaupt ein Fall des § 3 Abs. 2 DV Nds. AG SGB XII gegeben ist. Zum anderen setzt die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 DV Nds. AG SGB XII gerade die Klärung der örtlichen Zuständigkeit voraus, der sich der Beigeladene bislang entzogen hat. Die Klage ist damit unzulässig und unterliegt der Abweisung. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Für die Streitwertfestsetzung ist die vom Kläger mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2011 vorgenommene Bezifferung der Erstattungsforderung zuzüglich des Regelstreitwertes von 5.000, EUR für den weiter gestellten Feststellungsantrag berücksichtigt worden.