Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 09.07.2014, Az.: S 33 AS 199/13
Berechnungsfehler; Nachentrichtung; Überzahlungen; Unterkunftskosten
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 09.07.2014
- Aktenzeichen
- S 33 AS 199/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42416
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 18 Abs 1 GasGVV
- § 22 Abs 8 SGB 2
- § 22 Abs 1 SGB 2
- § 36 SGB 12
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Nachentrichtungen nach Berechnungsfehlern nach § 18 GasGVV stellen keine Unterkunftskosten im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II dar, sondern sind als Schulden nach § 22 Abs. 8 SGB II oder § 36 SGB XII übernahmefähig.
Tenor:
Die Klagen werden abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Übernahme einer Nachforderung ihres Energieversorgers.
Die Kläger bewohnen seit August 2004 ein Wohnhaus mit einer Wohnfläche von 220 qm. Geschuldet sind eine Nettokaltmiete von 650 Euro sowie Vorauszahlungen auf die Betriebskosten in Höhe von 50 Euro. Ein Teil des Hauses wird an Herrn O. vermietet. Dieser zahlt eine Untermiete von 280 Euro zzgl. Vorauszahlungen auf die Nebenkosten in Höhe von 45 Euro. Für den Zeitraum Januar bis Dezember 2011 waren monatliche Abschläge in Höhe von 50 Euro für Gas und in Höhe von 100 Euro auf Strom zu bezahlen.
Der Kläger zu 2.) beantragte im Dezember 2011 Leistungen bei der für den Beklagten handelnden Stadt P. (im Folgenden einheitlich: der Beklagte). Der Beklagte bewilligte Leistungen zunächst vorläufig für den Zeitraum Dezember 2011 bis Februar 2012. Mitte Januar 2012 rechnete der Versorger über die Kosten ab. Danach verrechnete der Versorger die Gesamtabschläge in Höhe von 1.800 Euro (1.200 Euro Strom und 600 Euro Gas) wie folgt: Es ergab sich ein tatsächlicher Gasverbrauch in Höhe von 228,79 Euro. Das sich daraus ergebende Guthaben auf die Gasabschläge in Höhe von 371,21 Euro verrechnete der Beklagte mit einem Defizit bei den Stromabschlägen in Höhe von 151,19 Euro – die Gesamtkosten für Strom betrugen 1.351,19 Euro. Außerdem bestand noch eine Restforderung von 3 Euro. Weiterhin ergaben sich fällige Abschläge in Höhe von 113 Euro für Strom und 50 Euro für Gas. Ursprünglich hatte der Versorger 21 Euro pro Monat angesetzt. Der Versorger nahm jedoch eine Erhöhung auf 50 Euro vor (Abrechnung vom 20. Januar 2012). Die sich so ergebende Gesamtforderung von insgesamt 317,19 Euro verrechnete der Versorger mit dem Guthaben in Höhe von 372,21 Euro, so dass sich ein Überschuss von 54,02 Euro ergab. Diesen Überschuss zahlte der Versorger am 1. Februar 2012 auf das Konto der Klägerin zu 1.) ein.
Mit Änderungsbescheid vom 27. Januar 2012 änderte der Beklagte die ursprüngliche Bewilligung. Wegen einer Erkrankung des Klägers zu 2.) berücksichtigte er ab Februar kein Einkommen mehr. Mit Änderungsbescheid vom 8. Februar 2012 berücksichtigte der Beklagte die Abrechnung über die Heizkosten und rechnete einen Betrag von 321,21 Euro auf die Kosten der Unterkunft und Heizung an. Hiergegen legte die Klägerin am 17. Februar 2012 Widerspruch ein und machte geltend, dass allein der tatsächliche Zufluss des Überschusses zu berücksichtigen sei, welcher jedoch erst im Februar 2012 erfolgt sei und auch nur 54,02 Euro betragen habe. Das Guthaben sei im Wesentlichen durch eigene Ansparungen entstanden und nicht durch eine Leistung des Beklagten. Den Widerspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück. Hiergegen war das Klageverfahren S 33 AS 450/12 anhängig.
Auf den Folgeantrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Februar 2012 Leistungen für den Zeitraum März 2012 bis Mai 2012. Danach hob der Versorger im März die Abschläge von bisher 50 Euro auf nunmehr 250 Euro an. Hintergrund war gewesen, dass er bei der letzten Ablesung einen Fehler am Zähler fand. Die Manipulation hatte schon seit 2004 bestanden und war unstreitig nicht auf die Kläger zurückzuführen. In Ansehung der höheren Abschläge erhöhte sich die vom Untermieter geforderte Untermiete. Der Erhöhung der Abschläge trug der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 8. März 2012 Rechnung.
Ende März 2012 teilte der Versorger mit, dass nach Entdeckung der Manipulation am Zähler Korrekturrechnungen für die letzten drei Jahre erstellt wurden. Danach ergab sich mit Fälligkeit zum 10. April 2012 ein Betrag von insgesamt 8.230 Euro für die Jahre 2009, 2010 und 2011. Im April 2012 beantragte die Klägerin zu 1.) die Übernahme des Betrages. Mit Bescheid vom 23. Mai 2012 bewilligte der Beklagte daraufhin eine Nachzahlung von 572 Euro und verrechnete diesen Betrag mit der Forderung in Höhe von 321,21 Euro aus dem Parallelverfahren. Der Beklagte legte die im Jahre 2011 angemessen Heizkosten zugrunde und bewilligte die Differenz zwischen diesem Betrag und den bislang bewilligten Leistungen.
Im Juni 2012 änderte der Versorger die Berechnung und reduzierte die Forderung auf ca. 4.500 Euro. Die Kläger schlossen eine Ratenzahlungsvereinbarung ab und tilgten monatlich mit Raten in Höhe von ca. 100 Euro.
Gegen den Bescheid vom 23. Mai 2012 legten die Kläger Widerspruch ein. Im Verwaltungsverfahren haben sie geltend gemacht, dass sich der Anspruch auf Übernahme der Kosten aus § 22 Abs. 1 SGB II ergebe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2013 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Anspruch auf laufende Kosten der Unterkunft scheide aus. Die geänderte Korrekturrechnung sei erst im Juni fällig gewesen. Jedoch erhielten die Kläger Leistungen nur bis Mai.
Die Kläger haben am 28. Februar 2013 Klage erhoben.
Sie beantragen,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2013 den Beklagten zu verurteilen, die Heizkostennachzahlung in voller Höhe als Zuschuss zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kammer hat die Verwaltungsakte sowie die Prozessakte nebst Beiakten zum Verfahren Q. beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klagen haben keinen Erfolg.
Sie sind als kombinierte Anfechtungs- und Leitungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Es liegt eine subjektive Klagehäufung vor.
Die Klagen sind unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf Anpassung der Bewilligungsentscheidung für April 2012 nach § 48 SGB X. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt nicht vor. Die Kläger haben keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II. Unerheblich ist dabei, dass die Forderung bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs fällig wurde (siehe dazu LG Itzehoe, Urteil vom 5. Mai 2014, Az.: 6 O 416/13, juris, Rn. 68). Denn es handelt sich vorliegend nicht um einen laufenden Bedarf an Heizkosten. In der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, dass laufende Unterkunfts- und Heizkosten im Monat der Fälligkeit als Bedarf zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Betriebs- und Heizkostenabrechnungen, so dass für diese insbesondere kein eigener Antrag erforderlich ist (BSG, Urteil vom 22. März 2010, Az.: B 4 AS 62/09 R, juris, Rn. 13 f.). Dies gilt jedoch nur, wenn es sich um eine reguläre jährliche Heizkostenabrechnung handelt, nicht dagegen umfasst sind Korrekturrechnungen nach § 18 Abs. 1 GasGVV bzw. nach den entsprechenden vertraglichen Ansprüchen, soweit die GasGVV per AGB einbezogen sind. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Nicht zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung gehören Schadensersatzansprüche wegen Fehlgebrauchs der Sache (Luik, in: Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 22, Rn. 55) sowie Verzugszinsen (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Dezember 201, L 5 AS 21/09, juris, Rn. 37–41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Mai 2012, Az.: L 13 AS 3213/11, juris, Rn. 16–21). Diesen Ansprüchen ist gemeinsam, dass sie keine Gegenleistung für laufende Unterkunft darstellen, sondern der Korrektur vertragswidriger Zustände dienen und einen rechtmäßigen Zustand wiederherstellen sollen.
So verhält es sich auch mit dem Anspruch nach § 18 Abs. 1 GasGVV. Es handelt sich der Sache nach um einen gesetzlichen Bereicherungsanspruch – bzw. um einen vertraglich geregelten Bereicherungsanspruch, wenn die GasGVV über AGB einbezogen sind – ohne die Privilegierungen nach § 818 BGB. Er stellt eine Korrektiv für Fälle bereit, in welchen ein Kunde einen höheren Verbrauch hatte als ursprünglich angenommen. Ob es sich dabei um eine Eingriffs- oder Leistungskondiktion handelt ist dabei unerheblich. Entscheidend ist, dass regelmäßig rückschauend höhere Kosten entstanden sind als ursprünglich gedacht. Er wird erst fällig, nachdem der Versorger abrechnet (LG Itzehoe, a. a. O., Rn. 52 unter Verweis auf § 17 GasGVV). Darin unterscheidet sich der Anspruch auch vom gesetzlichen Anspruch aus § 546a Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Mieter dem Vermieter bei verspäteter Rückgabe zum Ersatz verpflichtet. Dieser Anspruch wird nach § 271 Abs. 1 BGB sofort fällig. Er tritt an die Stelle des Anspruchs auf Miete und ist wirtschaftlich nicht anders zu behandeln als eine Mietzahlung.
Für Ansprüche nach § 18 Abs. 1 GasGVV ist es nicht sachgerecht, diese unter § 22 Abs. 1 SGB II zu fassen. Die für die regulären jährlichen Abrechnungen entwickelte Rechtsprechung passt hier nicht. Das Bestreben des BSG laufende Abrechnungen als vom Antrag nach § 37 SGB II umfasst gelten zu lassen ist sinnvoll, nachvollziehbar und für jene Fallgestaltungen richtig. Denn diese Abrechnungen entstehen in vorhersehbarer Weise regelmäßig. Von der Höhe her sind sie üblicherweise vorhersehbar. Soweit sich gravierende Steigerungen ergeben, kann mit einer Kostensenkungsaufforderung reagiert werden. Wäre für diese Bedarfe ein gesonderter Antrag erforderlich, so würde dies zu unbilligen Ergebnissen führen. Obwohl allen Beteiligten klar ist, dass derartige Abrechnungen fällig werden, könnte bei Versäumung der Antragsfrist der Anspruch ausgeschlossen sein. Sie als vergangenen Bedarf zu werten, wäre wegen § 40 Abs. 1 SGB II problematisch und wegen des Grundsatzes, dass ein gegenwärtiger Bedarf zu decken ist.
Für Ansprüche nach § 18 Abs. 1 GasGVV gelten diese Erwägungen nicht. Dass sich bei der Prüfung der Messeinrichtungen Fehler ergeben, ist nach dem Gesetz die Ausnahme. Es handelt sich um einen Bedarf, welcher typischerweise nicht regelmäßig – auch nicht in größeren Abständen wie jährliche Kosten – auftreten kann. Der Abrechnungszeitraum ist mit drei Jahren auch deutlich länger als die Frist von einem Jahr.
Im Falle von § 18 Abs. 1 GasGVV kommt folgendes hinzu: § 18 Abs. 1 GasGVV umfasst auch Fälle, in welchen vorsätzliche Manipulationen des Kunden vorliegen. Dies ist hier zwar unstreitig nicht der Fall. Die tragenden Gründe haben jedoch auch über den konkreten Fall hinaus anwendbar zu sein und zu sinnvollen Ergebnissen zu führen. Im Falle einer vorsätzlichen Manipulation eines Kunden hätte der Beklagte Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II zu erbringen und könnte nur auf Kostenersatzansprüche nach § 34 SGB II verwiesen werden. Dies wäre unangemessen.
Andererseits ist nach der hier vertretenen Auffassung der Betroffene nicht generell von Leistungen ausgeschlossen. Es bleiben Ansprüche nach § 22 Abs. 8 SGB II. Hier sind im Einzelfall sogar Leistungen als Zuschuss möglich. Gleichzeitig kann im Rahmen der Rechtfertigung aber auch der Leistungsart (Zuschuss/Darlehen) die Frage der vorsätzlichen Manipulation von Messeinrichtungen berücksichtigt werden. Weiterhin können nach der hier vertretenen Auffassung sogar erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die nicht hilfebedürftig nach § 9 SGB II sind, nach § 21 S. 2 SGB XII i. V. m. § 36 SGB XII Darlehen oder Zuschüsse für die Übernahme derartiger Schulden erhalten.
Leistungen als Zuschuss für länger als ein zurückliegendes Abrechnungsjahr waren nach § 22 Abs. 8 nicht geboten, insbesondere, weil die Kläger in der Lage waren, sich mit Ratenzahlungen selbst zu helfen. Deswegen waren auch darlehensweise Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II von vornherein ausgeschlossen.
Soweit der Beklagte Leitungen für den zurückliegenden Abrechnungszeitraum von einem Jahr als Zuschuss anerkannt hat, war dies vertretbar, weil so die Kläger nicht schlechter gestellt sind als bei regulären jährlichen Abrechnungen. Zwingend geboten war es jedoch nicht. Denn der Versorger hat offenbar ganz bewusst regulär abgerechnet und die Korrekturrechnung unabhängig von der regulären Abrechnung erstellt. Außerdem ist es vom Zufall abhängig, wann derartige Abrechnungsfehler entdeckt werden.
Auf der Grundlage der Entscheidung des Beklagten im Ausgangsbescheid waren höhere Leistungen nicht zuzusprechen. Regelmäßig sind Leistungen als Darlehen zu erbringen. Eine Ermessensreduktion auf Null im Hinblick auf die Gewährung von Leitungen als Zuschuss bestand nicht. Zum einen hat der Beklagte bereits Leistungen erbracht. Zum anderen sind die Kläger in der Lage, sich im Rahmen einer Ratenzahlungsvereinbarung selbst zu helfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.