Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 20.05.2014, Az.: S 17 U 52/12

Anerkennung und Entschädigung eines Ereignisses als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
20.05.2014
Aktenzeichen
S 17 U 52/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 40764
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wir abgewiesen.

  2. 2.
  3. 3.

    Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung und Entschädigung eines Ereignisses vom 27.08.2011 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit Schreiben vom 31.10.2011 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten und teilte mit, dass sie am 29.09.2011 (später mit Schreiben vom 02.11.2011 korrigiert auf den 27.08.2011) einen Unfall erlitten habe. Durch Gewitter sei zu diesem Zeitpunkt mehrfach der Strom ausgefallen, sie habe daher ihren Mann nicht per Telefon erreichen können. Sie sei im Dunkeln beim Versuch des alleinigen Aufstehens auf dem Weg zum Schutzschalter hingefallen und habe sich einen Rippenbruch und einen heftigen Bluterguss am rechten Becken zugezogen. Am 07.12.2011 erließ die Beklagte einen Bescheid, mit welchem sie eine Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 27.08.2011 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ablehnte. Nach den von der Klägerin selbstgemachten Angaben habe sie sich im Unfallzeitpunkt in ihrem persönlichen Lebensbereich aus eigenwirtschaftlichen Gründen aufgehalten. Der Unfallversicherungsschutz beginne jedoch erst, wenn die private Sphäre verlassen und die betriebliche Sphäre erreicht werde. Die Klägerin habe sich zum Unfallzeitpunkt jedoch noch im ausschließlich privat genutzten Teil ihres Hauses und damit nicht im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung befunden. Grundsätzlich könne zwar Versicherungsschutz auch für Tätigkeiten im Haushalt des landwirtschaftlichen Unternehmens bestehen, ein solcher versicherter Haushalt bestehe jedoch im vorliegenden Fall nicht. Aufgrund der Größe und Struktur des bei der Beklagten veranlagten Unternehmens ergäben sich keine objektiven Anhaltspunkte, dass der Haushalt dem Unternehmen wesentlich diene. In einem Zwischenbericht vom 20.12.2011 berichtete Prof. Dr. D. (E.) unter anderem über einen "Zustand nach Fraktur der Rippe rechts und Prellung des rechten Beckens (Unfall vom 27.08.2011)". In dem Bericht wird ausgeführt, dass nach Angaben der Klägerin der Sturz geschehen sei, weil in der Nacht ein Stromausfall bestanden habe. Die Tiere auf dem Hof seien unruhig geworden. Sie habe ihren Mann wecken wollen. Das Telefon habe nicht funktioniert. Beim Versuch des Aufstehens sei sie heftig gestürzt. Mit Schreiben vom 23.12.2011 legte die Klägerin vorsorglich gegen alle ergangenen Ablehnungen Widerspruch ein. Zur Begründung führte die Klägerin aus, dass sie habe aufstehen müssen, um ihren Mann zu holen. Denn die Tiere im Stall seien immer lauter geworden. Am 20.02.2012 erließ die Beklagte einen Widerspruchsbescheid, mit welchem sie den Widerspruch der Klägerin zurückwies. Das Ausüben einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt sei nicht mit Gewissheit bewiesen. Mit Schreiben vom 30.10.2011 habe die Klägerin angegeben, nach einem Stromausfall im Dunkeln beim Versuch des alleinigen Aufstehens auf dem Weg zum Schutzschalter im Hausflur gestürzt zu seien. Diese Tätigkeit sei der privaten Sphäre zuzurechnen. Im Widerspruchsverfahren habe die Klägerin mitgeteilt, dass die Tiere im Stall immer lauter geworden seien, so dass sie aufgestanden sei, um ihren Mann zu holen und dabei sofort gestürzt sei. Sie habe damit das Schlafzimmer noch nicht verlassen. Auch wenn das Zurücklegen eines mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges zum Ort der Tätigkeit dem Grund nach als versicherte Tätigkeit anzusehen sei, beginne der Weg jedoch erst mit dem Erreichen der betrieblichen Sphäre, sofern sich Wohnung und Arbeitsstätte auf demselben Gelände befänden. Der Übergang von einer privaten und daher unversicherten Verrichtung zu einer betrieblichen Tätigkeit sei nicht schon wegen der Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben, dieser zuzurechnen. Zum Unfallzeitpunkt sei die Klägerin gerade aus dem Bett aufgestanden und habe sich somit noch in ihrem Schlafzimmer befunden. Dies sei dem privaten Bereich und nicht der betrieblichen Sphäre zuzurechnen. Somit sei auch nach dem im Widerspruchsverfahren vorgetragenen ergänzenden Angaben eine versicherte Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt nicht festzustellen. Hiergegen hat die Klägerin am 16.03.2012 Klage vor dem Sozialgericht Osnabrück erhoben. Sie sei in der fraglichen Nacht wach geworden, da die in den Stallungen des Hofes befindlichen Tiere sehr unruhig geworden seien und ungewöhnliche Geräusche von sich gegeben hätten. Sie habe nach dem Erwachen feststellen müssen, dass es einen vollständigen Stromausfall auf dem gesamten Grundstück gegeben habe. Offenbar habe dies die Tiere verunsichert. Es sei daher zwingend erforderlich gewesen, nach den Tieren zu schauen und auch die Ursache für den Stromausfall zu beheben. Die Klägerin habe daher versucht, ihren Ehemann zu erreichen, der für die Tiere zuständig sei. Aufgrund des Stromausfalles habe das Telefon jedoch nicht funktioniert. Sie habe daher das eigene Bett verlassen und sich zu Fuß zum Schlafzimmer des Ehemannes bewegen müssen. Dieser habe offensichtlich so tief geschlafen, dass er die immer lauter werdenden Geräusche der Tiere in den Stallungen nicht mitbekommen habe. Auf dem Weg zu ihrem Ehemann sei sie dann gestürzt und gegen einen Eichenschrank gefallen. Es sei kein Widerspruch, dass sie zunächst selbst darauf hingewiesen habe, dass sie auf dem Weg zum Schutzschalter gewesen sei. Denn der Schutzschalter befinde sich zusammen mit dem Sicherungskasten auf dem Weg zwischen den beiden Schlafzimmern. Sie habe aber nicht nur den Strom wieder anstellen wollen, sondern auch ihren Ehemann wecken wollen, damit dieser nach den Tieren schaue. In vergleichbaren Fällen sei es bereits vorgekommen, dass sich einzelne Tiere losgerissen hätten und danach wieder hätten eingefangen werden müssen. Der Ehemann der Klägerin habe auch, nachdem er in den Stall gegangen sei, feststellen müssen, dass sich eins der Tiere bereits losgerissen habe und sich ungehindert im Stall habe bewegen können. Es wäre dem Tier bereits möglich gewesen, die Stalltür zu öffnen und ins Freie zu gelangen. Dies hätte auch anderen Tieren gelingen können. Insoweit habe ein Notfall bestanden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

  1. 1)

    den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2012 aufzuheben,

  2. 2)

    die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 27.08.2011 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid. Das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit zum Zeitpunkt des angeschuldigten Ereignisses sei nicht mit Gewissheit bewiesen. Zunächst sei vorgetragen worden, dass sie nach einem Stromausfall im Dunkeln beim Versuch des alleinigen Aufstehens auf dem Weg zum Schutzschalter im Hausflur gestürzt sei. Später sei ausführt worden, dass die Tiere im Stall lauter geworden seien, so dass die Klägerin aufgestanden sei, um ihren Ehemann zu holen und dabei gestürzt sei. Übereinstimmend ergebe sich, dass sich die Klägerin noch im privaten Bereich des Hauses befunden habe. Der Übergang von einer privaten (unversicherten) Verrichtung zu einer betrieblichen Tätigkeit sei nach der Rechtsprechung nicht schon wegen der Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben, dieser zuzurechnen. Dass ein Notfall im Sinne eines befürchteten Ausbruchs von Vieh vorgelegen habe, sei von der Klägerin weder mit der Unfallmeldung noch im Rahmen des Widerspruchsschreibens vorgetragen worden. Das Losreißen einzelner Tiere innerhalb eines verschlossenen Stalls sei mit einer derartigen Notlage auch nicht vergleichbar. Die Kammer hat die Beteiligten vor Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 03.04.2014 angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 105 SGG konnte das Gericht im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vor Erlass ordnungsgemäß gehört wurden. Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 27.08.2011 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt. Nach § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) besteht ein Anspruch auf Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere auf Heilbehandlung und/oder Verletztenrente, nur nach Eintritt eines Versicherungsfalles. Dessen Eintritt setzt in der gesetzlichen Unfallversicherung eine bestimmte Abfolge ursächlich miteinander verknüpfter Umstände und Ereignisse voraus. Erforderlich ist insoweit, dass es infolge der versicherten Tätigkeit zu einem Arbeitsunfall kommt, das heißt, zu einem plötzlich auf den Körper einwirkenden Ereignis, das seinerseits zu einem unmittelbaren Gesundheitsschaden, dem so genannten Primärschaden, führt (haftungsbegründende Kausalität). Bleibt das Ereignis im Rechtssinne folgenlos, so liegt schon kein Unfall vor (vgl. im Einzelnen: Ricke, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 2, § 8 SGB VII, Rn. 19 ff.). Sind hingegen die genannten Voraussetzungen für einen Versicherungsfall erfüllt, so sind unter den weiteren Erfordernissen der einzelnen Leistungsfälle als Folgeschäden auch solche Unfallfolgen zu entschädigen, die ihrerseits ursächlich auf die eingetretenen Primärschäden zurückzuführen sind (haftungsausfüllende Kausalität). Um einen Versicherungsfall feststellen und dem Versicherten darüber hinaus bestimmte Leistungen zusprechen zu können, muss das Gericht die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse zur vollen Überzeugung, das heißt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, als zutreffend betrachten. Dies setzt eine so hohe Wahrscheinlichkeit voraus, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überblickender Mensch noch Zweifel hat (BSGE 6, 142, 144; 32, 203, 209; 45, 285, 286) und gilt insbesondere auch hinsichtlich des Unfallereignisses und seiner für die Beurteilung der Schadensursächlichkeit bedeutsamen Einzelheiten. Es bedarf insoweit des Vollbeweises, bei dem der Versicherte die materielle Beweislast trägt. Lediglich für die Bejahung der jeweiligen Ursächlichkeit eines bewiesenen Umstandes, nämlich für die Ursachenzusammenhänge zwischen versicherter Tätigkeit, Unfall- und Unfallfolgen, genügt der Maßstab hinreichender Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 32, 203, 207 ff.; 61, 127, 128 f.). Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit erlaubt ein größeres Maß an Zweifeln, so lange das deutliche Übergewicht für die zu beweisende Tatsache spricht: Ein Ursachenzusammenhang ist dann wahrscheinlich, wenn nach Feststellung, Prüfung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - im sozialmedizinischen Bereich auch unter Berücksichtigung (nur) der gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse - insgesamt deutlich mehr für als gegen das Bestehen eines Ursachenzusammenhanges spricht (Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 5. Auflage 2003, S. 90). Die bloße Möglichkeit einer Tatsache einschließlich des Ursachenzusammenhanges reicht jedoch nicht aus. Ausgehend von diesen gesetzlichen Vorgaben lässt sich nicht im erforderlichen Vollbeweis feststellen, dass die Klägerin sich bei dem unfallbringenden Sturz am 27.08.2011 bei einer versicherten Tätigkeit befunden hat. Nach dem Vortrag der Klägerin sowohl im Verwaltungs- als auch im Gerichtsverfahren hat sie sich im Zeitpunkt des Sturzes in ihrem privaten Schlafzimmer befunden. Dabei hat die Klägerin zunächst im Verwaltungsverfahren vorgetragen, dass sie aufgestanden sei, um sich zum Schutzschalter im Sicherungskasten zu bewegen. Erst im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens wurde seitens der Klägerin geltend gemacht, dass die Tiere im Stall lauter und unruhiger geworden seien und sie deshalb ihren Mann habe verständigen wollen, um nach den Tieren zu sehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind Unfälle in räumlich abgegrenzten und daher unversicherten privaten Wohnbereichen auf dem Weg zu Betriebsräumen trotz Vorliegen eines betrieblichen Anlasses für den Weg grundsätzlich nicht dem betrieblichen Bereich zuzuordnen. Zwar sieht das Bundessozialgericht eine Ausnahme vor, wenn dem Unfall eine besondere Situation zu Grunde liegt, wie beispielsweise die Eilbedürftigkeit aufgrund eines Notfalles (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 51). Ein solcher Notfall lässt sich zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Verfahren nicht feststellen. Es ist zunächst nochmals darauf hinzuweisen, dass die Angaben der Klägerin erst im laufenden Verfahren umfangreicher hinsichtlich der Betreuungsbedürftigkeit des Viehs geworden sind. Die Erstangaben erstrecken sich ausdrücklich nicht auf Probleme mit den Tieren im Stall. Darüber hinaus lässt sich ein Notfall im Sinne dieser Rechtsprechung nicht darstellen. Die Klägerin hat zunächst nur vorgetragen, dass die Tiere im Stall lauter geworden seien. Erst nach dem gerichtlichen Hinweis auf die oben genannte Rechtsprechung hat die Klägerin vorgetragen, dass sie den Weg zum Telefon unternommen habe, um einen möglichen Ausbruch von Jungvieh zu vermeiden, da es in der Vergangenheit bereits vorgekommen sei, dass Tiere in Panik gerieten und ausgebrochen seien. Auch erst zu diesem Zeitpunkt wurde vorgetragen, dass eine Gefahr bestanden habe, dass sich Tiere losreißen, die Stalltür öffnen und ins Freie gelangen. Unter Beachtung der besonderen Bedeutung, welche den Erstangaben zukommt, vermag dieser erst im Klageverfahren nach gerichtlichem Hinweis dargebrachte Vortrag die Kammer nicht zu überzeugen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.