Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 06.11.2014, Az.: S 13 KR 164/14
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 06.11.2014
- Aktenzeichen
- S 13 KR 164/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42434
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 9. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2014 wird festgestellt, dass der Antrag der Klägerin vom 16. Oktober 2013 auf Versorgung mit einer zirkulären Dermofettresektion mit T-Schnitt und einer Mammareduktionsplastik im Sinne einer Brustlateralen Thoraxstraffung beidseitig als genehmigt gilt.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin begehrt die Versorgung mit zwei Operationen, einer zirkulären Dermofettresektion und einer Brustverkleinerung. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Leistungsantrag der Klägerin auf diese Leistungen als genehmigt gilt, weil die Beklagte nicht innerhalb von fünf Wochen über den Antrag entschieden hat.
Am 16. Oktober 2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenübernahme für eine zirkuläre Dermofettresektion mit T-Schnitt und für eine Mammareduktionsplastik im Sinne einer Brust- und lateralen Thoraxstraffung beidseitig.
Ein Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDK) untersuchte die Klägerin am 6. November 2013 und gelangte zu dem Ergebnis, dass keine medizinische Indikation für die begehrten Leistungen vorläge. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 9. Januar 2014 ab, gegen den die Klägerin Widerspruch erhob.
Mit der am 21. Mai 2014 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr Leistungsantrag vom 16. Oktober 2014 als genehmigt gilt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingetreten sei.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin nach Einholung eines weiteren Gutachtens des MDK mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2014 zurück. Hiergegen hat die Klägerin ebenfalls Klage erhoben (Az. S 13 KR 270/14).
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 9. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2014 festzustellen, dass ihr Antrag vom 16. Oktober 2013 bei der Beklagten auf Übernahme der Kosten für
1. eine zirkuläre Dermofettresektion mit T-Schnitt und
2. eine Mammareduktionsplastik im Sinne einer Brustlateralen Thoraxstraffung beidseitig
als genehmigt gilt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig, da die Feststellungsklage subsidiär zur Anfechtungs- und Leitungsklage sei, mit der die Klägerin ihr Begehren geltend machen könne. Die Klage sei auch unbegründet, da die Versäumung der Frist nach § 13 Abs. 3a SGB V nicht automatisch einen Anspruch auf die beantragte Leistung auslöse. Sinn und Zweck der Vorschrift sei die Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens, nicht jedoch die Bewilligung medizinisch nicht erforderlicher Leistungen. § 13 Abs. 3a SGB V eröffne Versicherten die Möglichkeit, sich medizinisch erforderliche Leistungen selbst zu beschaffen, wenn die Krankenkasse über den Antrag auf Leistungen nicht spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen bzw. fünf Wochen nach Antragseingang entscheidet.
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die erhobene Feststellungsklage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegen. Denn gemäß § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin konnte nur unter der Voraussetzung der Aufhebung des entgegenstehenden ablehnenden Bescheides der Beklagten entsprochen werden. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des Vorsitzenden nach 106 Abs. 1 SGG zudem einen entsprechenden Antrag gestellt.
Die Sachentscheidungsvoraussetzungen der gegen den Bescheid vom 9. Januar 2014 erhobenen Anfechtungsklage sind erfüllt. Insbesondere war das erforderliche Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgeschlossen.
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, dass ihr Leistungsantrag als genehmigt gilt. Ein Interesse ist berechtigt, wenn es nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigt ist; es kann rechtlicher oder als schutzwürdig anzuerkennender tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher oder ideeller Art sein (Scholz in Roos/Wahrendorf Sozialgerichtsgesetz, § 55 Rn 21 mit weiteren Nachweisen). Die Klägerin hat ein solches Feststellungsinteresse, weil mit der gerichtlichen rechtskräftigen Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion die Klägerin ohne Kostenrisiko sich die begehrten Leistungen selbst beschaffen und Kostenerstattung gegenüber der Beklagten geltend machen kann.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V vor Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides vom 9. Januar 2014 eingetreten ist.
Gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
Die Beklagte hat die Fünfwochenfrist nach § 13 Abs. 3a SGB V nicht eingehalten und der Klägerin die Gründe hierfür nicht vor Ablauf der Frist und damit rechtzeitig mitgeteilt. Gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gelten die von ihr beantragten Leistungen damit als genehmigt. Die Kammer legt die Regelung nicht entgegen ihres Wortlauts einschränkend dahingehend aus, dass ihr keine eigenständige Bedeutung zukommt (vgl. Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2014, L 16 KR 154/14 B ER). Hiergegen spricht die differenzierte Regelung zwischen der Genehmigungsfiktion in Satz 6 und der Normierung eines Kostenerstattungsanspruchs in Satz 7. Dieser differenzierten Regelung hätte es nicht bedurft, wenn ein Fristversäumnis ausschließlich zur Folge hätte, dass der Versicherte sich die erforderliche Leistung beschaffen und Kostenerstattung geltend machen könnte. Unerheblich ist, dass die Genehmigungsfiktion systemfremd in die Regelungen des § 13 SGB V zu Kostenerstattungen integriert wurde. Unerheblich ist auch, ob der Gesetzgeber möglicherweise etwas anderes gewollt hat. Denn maßgeblich ist das erlassene Gesetz und nicht der Wille des Gesetzgebers, wenn der Wortlaut einer Regelung eindeutig und keiner Auslegung zugänglich ist. Eine dem Wortlaut widersprechende Auslegung überschritte dann die Grenzen einer zulässigen Auslegung. Ein solcher Fall der unzulässigen Auslegung läge vor, wenn der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V keine Bedeutung beigemessen würde. Denn dies hieße die Regelung in Gänze zu ignorieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).