Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.04.2018, Az.: 6 A 10814/17
Ninawa; subsidiärer Schutz; Yezide
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 25.04.2018
- Aktenzeichen
- 6 A 10814/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74148
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zuerkennung subsidiären Schutzes für ein in Deutschland geborenes Kind yezidischer Eltern aus der irakischen Provinz Ninawa.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen. Der Bescheid der Beklagten vom 12.10.2017 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten je zur Hälfte.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und weiter hilfsweise die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten.
Der 2017 in Deutschland geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens.
Seine Eltern und seine Schwester reisten eigenen Angaben zufolge am 18.01.2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 26.05.2016 einen Asylantrag. In ihrer persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gaben sie zur Begründung im Wesentlichen Folgendes an: Sie hätten zuletzt in Shekhan in der Provinz Ninawa gelebt und zwar zunächst in einer angemieteten Wohnung und ca. ab September 2014 in einem Flüchtlingslager in Baadre. Der Vater des Klägers habe ca. acht Jahre lang in Erbil in einem Restaurant gearbeitet und dort unter der Woche auch gewohnt. Nach dem Angriff des IS und auch weil sie immer weniger Geld gehabt hätten, seien seine Eltern in das Flüchtlingslager gegangen. Dort hätten sie ca. 1 ½ Jahre gelebt, bevor sie dann ausgereist seien. Sie seien ausgereist, weil sie als Yeziden im Irak kein schönes Leben mehr gehabt hätten.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag der Eltern des Klägers mit Bescheid vom 17.05.2017 in vollem Umfang ab und führte zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Eine eigene Verfolgung hätten die Eltern des Klägers selbst nicht behauptet. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes scheide ebenfalls aus. In den kurdisch kontrollierten Gebieten des Nordiraks bestehe kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Auch sonst habe ihnen kein ernsthafter Schaden gedroht. Abschiebungsverbote seien nicht gegeben.
Die Eltern des Klägers haben gegen diesen Bescheid Klage erhoben, die das erkennende Gericht mit Urteil vom heutigen Tag wegen Versäumnis der Klagefrist als unzulässig abgewiesen hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil in diesem Verfahren (6 A 6134/17) verwiesen.
Mit Schreiben vom 18.08.2017, bei der Beklagten am selben Tag eingegangen, teilte die zuständige Ausländerbehörde die Geburt des Klägers mit. Mit Schreiben vom 18.08.2017 teilte die Beklagte den Eltern des Klägers mit, dass mit diesem Tag der Asylantrag für den Kläger als gestellt gelte. Sie gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme, wovon jedoch kein Gebrauch gemacht wurde.
Die Beklagte erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 12.10.2017, diesem zugestellt am 23.10.2017, weder die Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) noch subsidiären Schutz (Ziffer 3) zu. Den Asylantrag lehnte sie ab (Ziffer 2). Ferner stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4). Sie forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung in den Nordirak an (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Sie bestimmte, dass der Kläger nicht in den Zentral- oder Südirak abgeschoben werden darf (Ziffer 7). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, eine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung scheide bereits wegen der Geburt des Klägers in Deutschland aus. Im Übrigen verwies die Beklagte auf die negative Entscheidung bezüglich der Eltern des Klägers, mit denen er gemeinsam abgeschoben werden würde.
Der Kläger hat am 06.11.2017 Klage erhoben. Zur Begründung verweist er auf den Vortrag seiner Eltern in deren Verfahren.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides von 12.10.2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf ihre angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Diese sind ebenso wie die in der Ladung genannten Erkenntnismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin, der die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat (§ 76 Abs. 1 AsylG). Sie kann trotz Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung ergehen, weil diese form- und fristgerecht geladen worden ist und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Im Hauptantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage unbegründet (1.). Hinsichtlich des 1. Hilfsantrages ist die Klage jedoch begründet, weil die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen (2.). Der Bescheid vom 12.10.2017 ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GFK - (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
Als Verfolgungsgründe sind nach § 3 b Abs. 1 AsylG zu berücksichtigen die Rasse, die Religion, die Nationalität einschließlich der Zugehörigkeit zu einer kulturellen und ethnischen Gruppe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, worunter auch die Zugehörigkeit aufgrund des Geschlechts gehört, sowie die politische Überzeugung.
Gemäß § 3c AsylG kann die Verfolgung von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Staat eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Die Befürchtung einer Verfolgung ist grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn dem Ausländer für seine Person bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles solche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Beachtlich im vorgenannten Sinne ist die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung dann, wenn bei zusammenfassender Bewertung des Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 - juris Rdnr. 37). Dieser Maßstab entspricht dem für die Verfolgungsprognose unionsrechtlich einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab der "tatsächlichen Gefahr" ("real risk") eines Schadenseintritts, der unabhängig davon Geltung beansprucht, ob der Ausländer verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25/10 - juris Rdnr. 22).
Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Ausländer selbst gerichteten, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Diese ursprünglich für die staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar (BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 - juris Rdnr. 14).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21. April 2009 - 10 C 11.08 -, juris Rdnr. 13) setzt die Feststellung einer Gruppenverfolgung Folgendes voraus:
„Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. <204 f.>). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG (entsprechend Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie ) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 21 f.).
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 24).
An den für die Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäben ist auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten. Das Konzept der Gruppenverfolgung stellt der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und steht insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Qualifikationsrichtlinie in Einklang. Die relevanten Verfolgungshandlungen werden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert. Auch dem - allerdings in anderem Zusammenhang ergangenen - Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C 465/07 - Elgafaji - Rn. 37 ff., InfAuslR 2009, 138) dürften im Ansatz vergleichbare Erwägungen zugrunde liegen, wenn dort im Rahmen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie der Grad der Bedrohung für die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe eines Landes zur individuellen Bedrohung der einzelnen Person in Beziehung gesetzt wird.“
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU - QRL - ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Antragsteller "erneut von einem solchen Schaden bedroht wird", setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris dnr. 31). Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rdnr. 21). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie erstreckt. Zu beachten ist, dass eine Vorverfolgung nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden kann. Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer vor der Ausreise aus dem Irak eine interne Schutzmöglichkeit zur Verfügung gestanden hat. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie greift auch dann ein, wenn sich der Ausländer vor seiner Ausreise aus dem Heimatland nicht landesweit in einer ausweglosen Lage befunden hat (BVerwG, Urt. v. 24.11.2009 - 10 C 24.08 - juris Rdnr. 18; VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rdnr. 27).
Bei der Beurteilung der Frage, ob stichhaltige Gründe gegen die Wiederholung einer gleichartigen Verfolgung sprechen, sind auch die Schwere der drohenden Rechtsgutverletzungen und das Ausmaß der drohenden Gefahr zu berücksichtigen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 - juris Rdnr. 19; OVG Lüneburg, Urt. v. 28.07.2014 - 9 LB 2/13 - juris Rdnr. 30). Der Nachweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie liegt der Gedanke zugrunde, dass es einem vor seiner Ausreise unmittelbar von Verfolgung bedrohten Ausländer nicht zuzumuten ist, das Risiko einer Verfolgungswiederholung zu tragen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 07.03.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rdnr. 26; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 08.03.2017 - 15a K 5929/16.A - juris Rdnr. 38). Für die erforderliche Gefahrenprognose ist bei einer nicht landesweiten Gefahrenlage regelmäßig auf die Herkunftsregion des Ausländers abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 - juris Rdnr. 13 zu § 60 Abs. 7 AufenthG).
Ist der Schutzsuchende dagegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
Gemessen an diesen Maßstäben befindet sich der Kläger nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Irak. Da der Kläger bereits in Deutschland geboren wurde, scheidet eine Vorverfolgung aus. Das Gericht geht aber davon aus, dass er für den Fall seiner Rückkehr in den Irak aufgrund seiner yezidischen Religionszugehörigkeit nicht von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure unmittelbar bedroht wäre.
Die Eltern des Klägers haben im Sommer 2014 und damit im Zeitpunkt des Einmarsches der Kampftruppen des IS in dem Dorf Bahzani in der Nähe der Stadt Mosul in der Provinz Ninawa gelebt und sind yezidischer Religionszugehörigkeit. Dies wird auch vom Bundesamt nicht erkennbar bezweifelt, sodass für den Kläger ebenfalls von seiner yezidischen Religionszugehörigkeit ausgegangen wird und für den Fall seiner Rückkehr auf die Herkunftsregion seiner Eltern und damit auf Ninawa abzustellen ist.
Im Sommer 2014 standen große Teile der Provinz Ninawa mit der Hauptstadt Mosul unter der Kontrolle der Dschihadistengruppe Islamischer Staat - IS -. In diesem Zusammenhang hat der IS schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Sinne des § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG und damit die Gewährung von Flüchtlingsschutz rechtfertigende Verfolgungshandlungen begangen. Nach Auffassung des UN-Menschrechtsrats hat der IS an den Yeziden Völkermord begangen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verübt (vgl. UN-Menschenrechtsrat, „They Came to Destroy“: ISIS Crimes Against the Yazidis, 15.06.2016, S. 1). Es kam zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen, Menschenhandel, Rekrutierung von Kindersoldaten, Zwangsvertreibungen und Massenmord (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 4; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.02.2017, S. 12). Diese Verfolgungshandlungen knüpften im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG an die yezidische Religionszugehörigkeit und damit an ein asylerhebliches Merkmal an, das der Kläger mit den von diesen Handlungen betroffenen Dritten teilt. Der IS fokussierte seinen Angriff von Beginn an aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit auf die Yeziden und strebte systematisch ihre Vernichtung an (vgl. UN-Menschenrechtsrat, „They Came to Destroy“: ISIS Crimes Against the Yazidis, 15.06.2016, S. 1). Für die Extremisten des IS sind die Yeziden „Ungläubige“, sogenannte „Teufelsanbeter“, die mit dem Tod bestraft werden können (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.02.2017, S. 18). Diese religiöse Deutung bestimmt(e) das Verhalten der IS-Kämpfer während des Angriffs auf die Sindschar-Region und die daran anschließende Misshandlung von yezidischen Männern, Frauen und Kindern. Die Tötung nicht konvertierender yezidischer Männer und Jungen, die sexuelle Ausbeutung und Versklavung von yezidischen Frauen und Mädchen, die Entführung, Indoktrinierung und Rekrutierung von yezidischen Jungen knüpfte nahtlos an den religiösen Auftrag der IS-„Gelehrten“ hinsichtlich der Behandlung von yezidischen Gefangenen an. Während und nach dem Angriff vom 03.08.2014 zerstörte der IS yezidische Heiligtümer und Tempel in der Sindschar-Region. Yezidische Häuser wurden als solche markiert und geplündert (vgl. UN-Menschenrechtsrat, „They Came to Destroy“: ISIS Crimes Against the Yazidis, 15.06.2016, S. 29-30).
Das erkennende Gericht geht deshalb in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Yeziden aus der Provinz Ninawa zumindest in dieser Zeit einer unmittelbar drohenden Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt waren. Eine derartige Vorverfolgung ist nach Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass für den Fall der Rückkehr die Furcht vor erneuter Verfolgung begründet ist. Es sprechen derzeit keine stichhaltigen Gründe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie dagegen, dass derartig vorverfolgte Yeziden aus Ninawa erneut von Verfolgung bedroht werden.
Aufgrund der derzeitigen politischen Lage im Irak kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass Yeziden aus der Provinz Ninawa keine Gefahr mehr durch den IS droht. Zwar wurden ab dem 3. November 2017 die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, von den irakischen Streitkräften zurückerobert und laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 % jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welche er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - BFA - der Republik Österreich vom 24. August 2017/23. November 2017, S. 8, 18, 20, 48 ff.). Am 9. Dezember 2017 hat der irakische Premierminister al-Abadi die Niederlage des IS im gesamten Staatsgebiet verkündet und im Hinblick darauf, dass nationale Sicherheitskräfte das Staatsgebiet kontrollieren, den Krieg gegen die Gruppierung für beendet erklärt (ACCORD, 9. Dezember 2017, unter Hinweis auf BBC-News bzw. Radio Free Europe/ Radio Liberty).
Allerdings gehören immer noch kleinere Wüstengebiete zum IS-Terrain (vgl. hierzu das täglich aktualisierte Kartenmaterial unter https://isis.liveuamap.com/, abgerufen am 26.04.2018). Der IS befindet sich auch noch in Teilen der Provinzen Ninawa, Salah-Din und Anbar. Einzelne Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu den Gebieten, die für die Streitkräfte noch schwer zu halten sind. (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - BFA - der Republik Österreich vom 24. August 2017/23. November 2017, S. 8, 18, 20, 48 ff.). Bei einem Überfall des IS am 18.02.2018 nahe der Stadt Kirkuk wurden mindestens 27 Kämpfer einer regierungstreuen Miliz getötet. Viele IS-Anhänger sind untergetaucht und noch immer verübt der IS im Irak regelmäßig Angriffe (vgl. „Terror im Irak“, Spiegel Online vom 19.02.2018). Es sind immer noch IS-Kämpfer unterwegs und diese dürften verstärkt auf Terroranschläge sowie eine Guerilla-Taktik setzen, wie sie es bereits in der Vergangenheit getan haben (vgl. „Ende der Kämpfe – Irak verkündet Sieg gegen den IS, Spiegel Online vom 09.12.2017). Auf „Spiegel Online“ wurde jüngst sogar von der Rückkehr des IS und dessen erneutem Erstarken berichtet (vgl. „Terror im Irak – Die Rückkehr des IS“, Spiegel Online vom 25.04.2018). Auch das Auswärtige Amt geht in seiner aktuellen Reisewarnung davon aus, dass der IS zwar Ende Dezember 2017 auf irakischem Staatsgebiet militärisch in der Fläche besiegt werden konnte, es allerdings im Land noch immer Gruppen von Kämpfern gibt, von denen weiterhin Gefahr ausgeht. Es müsse deshalb landesweit mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und Sicherheitskräften gerechnet werden. Dies gelte ganz besonders für die Provinz Ninawa (Auswärtiges Amt, Landesspezifische Sicherheitshinweise, Stand 23.04.2018).
Erneute Übergriffe auf die religiösen Minderheiten in der Region und damit auch die Yeziden können daher nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Und auch wenn damit die Provinz Ninawa nicht mehr unter der Kontrolle des IS steht, reicht dies im Hinblick auf die massiven Rechtsgutverletzungen, die den Yeziden durch Angehörige des IS drohen, nicht aus, um die aus Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie abzuleitende Vermutung einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr hinreichend zu entkräften. Dafür haben sich die Verhältnisse in der Provinz Ninawa noch nicht ausreichend stabilisiert.
Da dem Kläger aber mangels Vorverfolgung die Privilegierung und Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie nicht zu Gute kommt, scheidet für ihn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus. Denn trotz der oben geschilderten derzeitigen Verhältnisse in Ninawa kann aktuell nicht mehr von einer Gruppenverfolgung der Yeziden ausgegangen werden. Die oben dargelegten Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung liegen derzeit nicht mehr vor. Die dafür erforderliche Verfolgungsdichte dürfte trotz der zuvor geschilderten weiterhin bestehenden Gefährdungslage für die aktuelle Annahme einer Gruppenverfolgung nicht mehr ausreichen.
2. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sind hier gegeben. Danach gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (entsprechend Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU). Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - C-285/12 -, Leitsatz). Für die Frage, ob eine Person bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist auf die tatsächlichen Verhältnisse in ihrer Herkunftsregion abzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 16, und vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, juris Rn. 17). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder ähnlichen Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen der Fall ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 22).
Nach diesen Maßgaben ist hier davon auszugehen, dass für den Kläger im Falle einer Rückkehr in den Irak eine individuelle Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt. In Ninawa stehen sich mit Einheiten der Volksmobilisierung al-Hashd al-Shaab, irakischen Söldnern, dem türkischen Militär, Peschmerga und Guerilla der PKK verschiedene rivalisierende und bewaffnete Gruppen mit gegenläufigen Interessen gegenüber, deren jeweiliges Ziels es ist, ohne Rücksicht auf die dort (noch) lebende Bevölkerung die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Hinzu kommt die oben beschriebene Gefahr verstärkter terroristischer Anschläge durch den IS nach dessen territorialer Zurückdrängung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar 2018, Seite 15).
Zwar genügt es grundsätzlich nicht, dass im Herkunftsstaat des Ausländers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, der zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Denn für die individuelle Betroffenheit bedarf es einer Feststellung zur Gefahrendichte, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasst. Erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, ist eine wertende Gesamtbetrachtung zur individuellen Betroffenheit des Klägers möglich, für den keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände festgestellt worden sind (BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24).
Hier ist im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung zur individuellen Betroffenheit allerdings zu berücksichtigen, dass es, wie ausführlich dargestellt, in jüngster Vergangenheit zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Yeziden in der Provinz Ninawa gekommen ist. Es kam zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen, Menschenhandel, Rekrutierung von Kindersoldaten, Zwangsvertreibungen und Massenmord (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016, S. 4; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar 2018, S. 11). Zwar sind mittlerweile teilweise Bewohner in diese Region zurückgekehrt, große Teile der Bevölkerung, die nicht getötet worden sind oder sich noch immer in den Händen des IS befinden, lehnen eine Rückkehr aber derzeit ab, weil sie eine fortbestehende Gefahrenlage annehmen, der sie sich auszusetzen nicht bereit sind, weil eine Rückkehr von dritter Seite aus gezielt verhindert wird oder wesentliche Teile der Region völlig zerstört sind und ein Wiederaufbau noch nicht begonnen hat. Bei dieser Ausgangslage ist eine realistische Einschätzung des Gefährdungsrisikos nicht möglich. Dies kann jedoch nicht zu Lasten des Klägers gehen.
Bei einer Schädigung durch nichtstaatliche Akteure ist Voraussetzung, dass der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des § 3 d AsylG zu bieten. Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehend sein. Dies ist nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln derzeit anzunehmen.
3. Es besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für den Kläger keine zumutbare inländische Fluchtalternative (§ 3 e AsylG).
Nach § 4 Abs. 3, § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG wird einem Ausländer der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keinen ernsthaften Schaden zu befürchten hat oder Zugang zu Schutz gegen einen solchen nach § 3d AsylG hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Dem Kläger steht vor der ihm drohenden Gefahr eines ernsthaften Schadens eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG in anderen Landesteilen des Irak derzeit nicht zur Verfügung (ebenso VG Hannover, Urt. v. 26.10.2017 - 6 A 7844/17 und 6 A 9126/17 -; VG Oldenburg, Urt. v. 23.08.2017 - 3 A 3903/16 -, juris Rdnr. 38ff, und 28.06.2017 - 3 A 4969/16 -, juris Rdnr. 39 – 43; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 08.03.2017 - 15a K 5929/16.A -, juris Rdnr. 103ff). Personen, die aus der Provinz Ninawa fliehen, haben nur eingeschränkten Zugang zu sicheren Gebieten in anderen Landesteilen, da strenge Einreise- und Niederlassungsbeschränkungen bestehen, die u.a. an den Nachweis eines Bürgen, eine Meldung bei den örtlichen Behörden und eine erfolgreiche Sicherheitsprüfung durch verschiedene Sicherheitsbehörden geknüpft sind (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 10f). Die Zugangs- und Niederlassungsvoraussetzungen sind in den Provinzen unterschiedlich ausgestaltet, und mitunter gibt es sogar innerhalb einer Provinz je nach (Unter-)Distrikt unterschiedliche Regelungen. Teilweise werden vollständige Einreisestopps für Flüchtlinge aus Konfliktgebieten verhängt. Zugangsbeschränkungen an Kontrollpunkten sind nicht immer klar definiert und können je nach Sicherheitslage unterschiedlich angewandt bzw. willkürlich geändert werden. Die Voraussetzungen für eine Bürgschaft entbehren einer Rechtsgrundlage und werden oftmals willkürlich geändert. Sie können an den einzelnen Kontrollpunkten und je nach diensthabendem Personal unterschiedlich gehandhabt werden. Auch wenn Personen alle angegebenen Voraussetzungen an die Bürgschaft erfüllen, ist der Zugang zu einem relativ sicheren Gebiet nicht garantiert, und selbst Menschen mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen wurde schon der Zugang verwehrt. Insbesondere ethnische und religiöse Erwägungen können darüber entscheiden, ob der Zugang gewährt oder verwehrt wird. Es besteht das Risiko einer Ausbeutung und Misshandlung, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, da einige Bürgen Geld oder „Dienste“ für die Übernahme der Bürgschaft verlangen. Es kann passieren, dass Schutz suchende Personen ohne Zugang zu grundlegender Versorgung an den Kontrollpunkten festsitzen, weil diese geschlossen sind oder ihnen der Zutritt zu bestimmten Orten verwehrt wird. Binnenvertriebene werden zunehmend daran gehindert, städtische Gebiete zu betreten, und - bisweilen gegen ihren Willen - in Lager verbracht, in denen ihre Freizügigkeit ohne legitime sicherheitsbezogene oder sonstige Gründe beschränkt wird. Auch sind die Flüchtlingslager im Nordirak sämtlich überfüllt und die humanitären Verhältnisse in den Lagern sehr schlecht (vgl. zum Vorstehenden UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 10f; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12.02.2018, S. 18, 22-23). Auch das Auswärtige Amt weist darauf hin, dass sich die kurdische Regionalregierung auch wegen der eigenen Finanzkrise kaum noch in der Lage sehe, weiter Flüchtlinge aufzunehmen und die Versorgung der Flüchtlinge schon jetzt nur durch umfangreiche internationale <Unterstützung möglich sei (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.02.2018, S. 18).
Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in einem anderen Landesteil des Irak Aufnahme finden kann. Denn Anhaltspunkte dafür, dass sich Familienangehörigen in einem nicht umkämpften Landesteil außerhalb eines Flüchtlingslagers in gesicherten Verhältnissen aufhalten, sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.