Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.04.2018, Az.: 11 A 7110/17

inländische Fluchtalternative; Pakistan

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.04.2018
Aktenzeichen
11 A 7110/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74169
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Pakistan, inländische Fluchtaternative

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Der 1995 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. August 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 18. Juli 2017 gab der Kläger ausweislich des Anhörungsprotokolls im Wesentlichen Folgendes an: Bei einem Streit zwischen zwei Gruppen auf dem College sei im Dezember 2014 eine Person erschossen worden. Er – der Kläger - habe keiner der Gruppen angehört. Es seien alle bei der Polizei angezeigt worden. Die Polizei habe sich bei ihm nach dem Täter erkundigt. Den Aufenthaltsort des Täters habe er nicht gekannt. Vier Tage später sei er von Angehörigen der Gruppe des Verstorbenen zusammengeschlagen worden. Sie hätten den Aufenthaltsort des Täters erfahren wollen. Vier Tage später sei er auf dem Basar erneut mit Mitgliedern dieser Gruppe zusammengestoßen und erneut zusammengeschlagen worden. Als er später wieder zum College gegangen sei, sei er wieder befragt und zusammengeschlagen worden. Er sei dann im März 2015 ausgereist.

Mit Bescheid vom 25 Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als ab, versagte subsidiären Schutz und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Es forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf, drohte ihm im Falle der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Pakistan an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Der Kläger hat am 3. August 2017 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft zur Klagebegründung sein Vorbringen aus der persönlichen Anhörung beim Bundesamt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten,

ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und

den Bescheid des Bundesamtes vom 25. Juli 2017 aufzuheben, soweit er der jeweiligen Verpflichtung entgegensteht.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf ihren Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer hat den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann über die Klage trotz Ausbleibens des Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil mit der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist mit dem Haupt- und den Hilfsanträgen unbegründet.

Der streitige Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG oder des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO)..

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung (vgl. auch Art. 1 GFK, Art. 2 RL 2011/95/EU) liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 19). Der bei der Gefahrenprognose maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 32). Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint; insoweit geht es also um die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14/89 –, juris Rn. 13).

Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es Sache des Schutzbegehrenden, die Gründe für seine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Hierzu gehört, dass der Schutzbegehrende zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405/89 –, juris Rn. 8). Der Kläger muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Heimatland zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 22. März 1983 – 9 C 68/81 –, juris Rn. 5).

Vorliegend kann dahinstehen, ob das Vorbringen des Klägers überhaupt glaubhaft ist. Denn jedenfalls muss sich der Kläger selbst bei Wahrunterstellung seines Vortrags auf inländische Fluchtalternativen (§ 3e AsylG) in Pakistan verweisen lassen. Die Größe des Landes und seine Vielfalt eröffnen interne Ausweichmöglichkeiten. Insbesondere besteht die Möglichkeit, in den Schutz der größeren Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Personen handelt, die bereits überregional bekannt geworden sind. Dies wird auch von Vertretern unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als Ausweichmöglichkeit gesehen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Pakistan, 22. März 2017, aktualisiert am 7. Dezember 2017, S. 114-116; UK Home Office, Pakistan: Background information, including actors of protection, and internal relocation, 26. Juni 2017, S. 6; UK Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Background Information, including actors of protection and internal relocation, 6. Oktober 2014, S. 8-10). In den Städten, vor allem den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan, leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Land. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der islamischen Republik Pakistan vom 20. Oktober 2017, S. 20). Es ist nicht ersichtlich, dass die vermeintlichen Verfolger den Einfluss und den Willen hätten, den Kläger landesweit aufzuspüren. Ein besonderes Interesse der Verfolger gerade an dem Kläger ist weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Es geht ihnen alleine darum zu erfahren, wo sich der Täter befindet. Dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan zu jetzigen Zeitpunkt, also mehr als drei Jahre nach der Tat darüber verlässlich Auskunft geben könnte, ist nicht wahrscheinlich. Inwiefern die Mitglieder der Gruppe im Falle einer Rückkehr auf den Kläger überhaupt aufmerksam werden sollten, erschließt sich dem Gericht nicht, zumal in Pakistan kein funktionierendes Meldewesen existiert (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15. Januar 2014 an das VG Leipzig; Nr. 3, und vom 2. Mai 2017 an das VG Gießen, Frage 3). Infolgedessen ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG finden kann (vgl. auch BVwG (Österreich), Urteil vom 26. Januar 2015 – L512 1428544-1, S. 32-33, 51-53; VG Stade, Urteil vom 29. November 2017 – 6 A 1153/16, S. 5-6; VG Osnabrück, Urteil vom 7. November 2017 – 5 A 1468/16, S. 17-18; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2017 – 2 A 137/17, S. 12-13; VG Oldenburg, Urteil vom 26. Juni 2017 – 5 A 3565/17, S. 6-7; VG Göttingen, Urteil vom 7. Februar 2017 – 2 A 304/15 –, juris Rn. 27-30; VG Braunschweig, Urteil vom 1. Februar 2017 – 5 A 109/15, S. 6-9; VG Augsburg, Urteil vom 1. August 2016 – Au 3 K 16.30589 –, juris Rn. 36-39 m.w.N.; VG München, Urteil vom 12. Juni 2015 – M 23 K 13.31345 –, juris Rn. 24 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 29. April 2014 – 14 K 7578/13.A –, juris Rn. 45-50 m.w.N.).

Die Inanspruchnahme internen Schutzes ist dem Kläger auch zumutbar. In den Großstädten und in anderen Landesteilen kann der Kläger als erwerbsfähiger Mann ein ausreichendes Einkommen finden. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis. Selbst ungelernten Menschen ist es in der Regel möglich, sich durch Gelegenheitsjobs oder kleine Geschäfte ihren Lebensunterhalt zu sichern (vgl. Auskunft von Dr. Wagner an VG Karlsruhe vom 9. November 2011, S. 5; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan 2013 vom Juni 2013, S. 76; BVwG (Österreich), Urteil vom 26. Januar 2015 – L512 1428544-1, S. 52-53; VG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2017 - 2 A 137/17, S. 13 m.w.N.; VG Göttingen, Urteil vom 7. Februar 2017 – 2 A 304/15 –, juris Rn. 30 m.w.N.). Dass der Kläger nicht in der Lage sein könnte, sich eine Lebensgrundlage zu erwirtschaften, ist daher nicht ersichtlich und auch nicht dargetan. Er kann außerdem auch Unterstützung durch seine Familienangehörigen erhalten.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, denn auch insofern müsste sich der Kläger ebenfalls auf den internen Schutz in Pakistan nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3e AsylG verweisen lassen.

Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach Pakistan gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist (§ 60 Abs. 5 AufenthG), liegen nicht vor. Dem Kläger droht auch keine konkrete individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen könnte.

Auch die gemäß §§ 36 Abs. 1, 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig.

Ermessensfehler bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG sind weder substantiiert geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich. Der Kläger hat keine schutzwürdigen Belange vorgetragen, die das Bundesamt bei seiner Ermessensentscheidung zu Unrecht nicht berücksichtigt hat.

Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Bescheides verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.