Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 16.04.2018, Az.: 13 B 2481/18

Einreiseland; Frankreich; Visum

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
16.04.2018
Aktenzeichen
13 B 2481/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74124
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei einer Zuständigkeit nach Art. 12 Abs. 1, Abs. 4 Dublin-III-VO kommt es nicht auf das Land an, in dem der Asylbewerber erstmals eingereist ist.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylG durch den Einzelrichter.

Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der am 29.03.2018 erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 20.03.2018 anzuordnen,

bleibt ohne Erfolg.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs (§ 80 Abs. 1 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei prüft das Gericht zum einen, ob im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet wurde. Zum anderen trifft das Gericht eine eigene Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des bzw. der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse) und dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse). Bei dieser Interessenabwägung sind wiederum zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des bzw. der Antragsteller in der Hauptsache zu berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind. Bestehen bereits bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und wird der Rechtsbehelf deshalb in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, ist dem Antrag regelmäßig stattzugeben, denn ein überwiegendes öffentliches (oder anderes privates) Interesse am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kommt nicht in Betracht. Bestehen solche Zweifel nicht, erweist sich also der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel abzulehnen. So liegt es hier.

Die Abschiebungsanordnung nach Frankreich wird sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen. Zu Recht hat die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt, weil die Französische Republik für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig ist. Gründe, die diese Zuständigkeit in Frage stellen könnten, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht

Zwar beruft sich der Antragsteller darauf, er sei zuerst in Italien eingereist. Folglich sei Italien für die Durchführung des Asylverfahrens grundsätzlich zuständig und nicht Frankreich.

Einmal abgesehen davon, dass sich ein Asylbewerber nicht innerhalb des Geltungsbereiches der Dublin III- VO frei denjenigen Staaten aussuchen kann, indem er gerne sein Asylverfahren durchgeführt haben möchte und dass er die Ersteinreise in Italien nicht belegt hat, kommt es hier auch nicht auf das Land an, in dem der Antragsteller zum ersten Mal westeuropäischen Boden betrat.

Die Französische Republik ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers aufgrund des dem Antragsteller ausgestellten Visums gemäß Art. 12 Abs. 1, Abs. 4 Dublin III-VO i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b Dublin III-VO zuständig.

Eine Überstellung in nach Frankreich ist auch zulässig. Es besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO auszuüben, weil in Frankreich die ordnungsgemäße Durchführung des Asylverfahrens nicht gewährleistet wäre.

Damit die Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen zum Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen, obliegt es ihnen nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u.a., juris), einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Staat“ im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) ausgesetzt zu sein (EuGH, a.a.O., Rn. 94). Ist eine Überstellung danach nicht möglich, muss der Mitgliedsstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, prüfen, ob anhand eines der nachrangigen Kriterien ein anderer Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist; erforderlichenfalls muss er den Antrag gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO selbst prüfen (EuGH, a.a.O., Rn. 96 ff.).

Nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) besteht dabei eine Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht, wobei nicht ausgeschlossen werden könne, dass das der Dublin-VO zugrunde liegende System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar sei. Allerdings berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedsstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedsstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Dublin-VO (EuGH, a.a.O., Rn. 82). Es wäre mit den Zielen und dem System der Dublin-VO nicht vereinbar, wenn schon geringere Verstöße gegen europäische Asyl-Richtlinien genügen würden, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedsstaat zu vereiteln, weil mit der Dublin-VO eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden sollte, mit der rasch bestimmt werden könne, welcher Mitgliedsstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig sei.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09 M.S.S./Belgien u. Griechenland, NVwZ 2011, 413) darf ein Konventionsstaat im Hinblick auf Art. 3 EMRK einen Asylbewerber nicht in einen Mitgliedsstaat abschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Asylbewerber im Aufnahmeland tatsächlich Gefahr läuft, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Abschiebung ist nach Auffassung des EGMR auch unzulässig, wenn keine Gewähr besteht, dass der Asylantrag von den Behörden des Aufnahmestaates ernsthaft geprüft werde (Urt. v. 21.01.2011, a.a.O.).

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung besteht, seien die absehbaren Konsequenzen einer Rückführung zu berücksichtigen und zwar im Lichte der Gesamtsituation vor Ort, aber auch anhand der persönlichen Verhältnisse des Asylbewerbers (EGMR, Beschl. v. 02.04.2013, Nr. 27725/10, M.S. u.a./Niederlande und Italien, ZAR 2013, 336). Eine zentrale Bedeutung komme hierbei dem Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten über die individuellen Bedürfnisse des Asylbewerbers zu (EGMR, Beschl. v. 02.04.2013, a.a.O.; Beschl. v. 18.06.2013, Nr. 53852/11 H./Österreich und Italien, ZAR 2013, 338).

Dabei folge aus Art. 3 EMRK keine Verpflichtung des Aufnahmestaates, jede Person mit einem Obdach zu versorgen oder Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Auch gewähre Art. 3 EMRK Ausländern, die von einer Ausweisung betroffen sind, grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Verbleib im Aufenthaltsstaat, um dort von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Art. 3 EMRK schütze auch nicht davor, dass es dem Asylbewerber im Aufnahmestaat wirtschaftlich schlechter gehe (EGMR, Beschl. v. 02.04.2013, a.a.O.). Nötig seien zwingende humanitäre Gründe.

Eine Abschiebung ist danach unzulässig, wenn es systemische Mängel des Asylsystems und/oder der Aufnahmebedingungen gibt. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR müssen im Hinblick auf eine mögliche Verletzung von Art. 3 EMRK - darüber hinaus - die persönlichen Verhältnisse des Asylbewerbers in den Blick genommen werden.

In diesen Fällen ist der Mitgliedsstaat zwar nicht verpflichtet, den Asylantrag auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO selbst zu prüfen, er ist aber verpflichtet, den Asylbewerber nicht an den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen (EuGH, Urt. v. 14.11.2013, C-4/11, Rn. 36 f., juris).

Nach derzeitigem Kenntnisstand kann nicht angenommen werden, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Frankreich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Gefahr droht. Das Gericht geht nach den vorliegen vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass Frankreich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist. Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die es rechtfertigten, diese Vermutung für das Königreich Spanien im Falle des Antragstellers als entkräftet anzusehen. Das Gericht hat auch sonst keinen Anlass an der Rechtmäßigkeit des Asylverfahrens in Frankreich zu zweifeln, zumal der Antragsteller hierzu weder etwas vorgetragen noch dem Gericht sonst ersichtlich ist, an welchen Mängeln das französische Asylverfahren (vgl. auch VG Hannover, Beschl. v. 26.08.2014 – 13 B 11194/14, vom 29.06.2017 – 13 B 2936/15 und vom 04.10.2017 – 13 B 8599/17 -).

Die Abschiebung kann ferner auch durchgeführt werden. Zielstaatsbezogene (hier im Hinblick auf Frankreich) oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die das Bundesamt im Rahmen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG mit zu prüfen hat, liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.

Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Antragsteller auch nach Italien abgeschoben werden dürfte, bedarf es an dieser Stelle nicht. Die Antragsgegnerin hat die Abschiebung nach Frankreich angeordnet, nicht nach Italien. Im Übrigen würde das Gericht auch hinsichtlich Italien nicht die Pflicht zum Selbsteintritt der Antragsgegnerin sehen (vgl. dazu auch Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteile vom 4., 6. und 9. April 2018 - Az. 10 LB 90/17, 10 LB 91/17, 10 LB 92/17, 10 LB 93/17, 10 LB 94/17, 10 LB 95/17, 10 LB 96/17, 10 LB 98/17, 10 LB 166/17 und 10 LB 168/17).

Im Übrigen wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).