Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 27.04.2018, Az.: 12 A 60/17
Anfechtung; atypischer Fall; Aufenthaltszweck; Aufnahmeanordnung; Auslegung; Ermessen; Verpflichtungserklärung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 27.04.2018
- Aktenzeichen
- 12 A 60/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 154 BGB
- § 133 BGB
- § 121 Abs 1 BGB
- § 23 Abs 1 AufenthG
- § 68 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Verpflichtungserklärungen nach § 68 AufenthG sind in entsprechender Anwendung von §§ 133, 154 BGB unter Würdigung der der Abgabe zugrundeliegenden Umstände auszulegen. Maßgeblich ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn die Ausländerbehörde bei objektiver Würdigung aller maßgeblichen Begleitumstände und des Zwecks der Erklärung verstehen durfte. Dabei kann auch späteres Verhalten der Beteiligten als Indiz für die Auslegung von Bedeutung sein. Hiervon ausgehend endet die im Zusammenhang mit der Niedersächsischen Anordnung zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 23 Abs. 1 AufenthG für syrische Flüchtlinge eingegangene Verpflichtung mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach einer anderen Rechtsgrundlage.
2. Da die Haftung des Verpflichtungsgebers für Leistungen, die nach diesem Zeitpunkt erbracht worden sind, weit über die Haftung hinausgehen würde, die nach den Vorstellungen der obersten Landesbehörde gewollt war, handelt es sich jedenfalls um einen atypischen Fall mit der Folge, dass die erstattungsberechtigte Behörde im Wege des Ermessens zu entscheiden hat, ob und in welcher Höhe der Erstattungsanspruch geltend gemacht wird.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 14.09.2016 wird aufgehoben, soweit die Beklagte von dem Kläger die Erstattung von mehr als 281,04 Euro verlangt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG.
Am 30.09.2014 verpflichtete er sich gegenüber der Ausländerbehörde der Beklagten, die Kosten für den Lebensunterhalt seiner Schwester, einer syrischen Staatsangehörigen, nach § 68 AufenthG zu tragen. Die Verpflichtungserklärung erfolgte auf dem bundeseinheitlich verwendeten Formular der Bundesdruckerei (Ausgabe 2011) mit der Artikel-Nr. 10150. Zur Dauer der Verpflichtung heißt es auf Seite 1 unten: "vom Tag der voraussichtlichen Einreise am 01.10.2014 bis zur Beendigung des Aufenthalts des o.g. Ausländers/in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck." Auf Seite 2 oben des Formulars werden in einem vorgedruckten Text die öffentlichen Mittel aufgelistet, die von der Verpflichtung zur Erstattung umfasst sind, wie etwa Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Außerdem heißt es dort:
„Ich bestätige, zu der Verpflichtung aufgrund meiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage zu sein.“
In dem auf Seite 2 des Formulars unter der Unterschrift des Klägers angebrachten Feld "Bemerkungen" ist folgender Text hinzugefügt:
„Anordnung nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); Runderlass des Nds. Innenministeriums für Inneres und Sport vom 30.08.2013 – 12230/1-8 (§ 23 Abs. 1 AufenthG)“
In einem weiteren Formular, das sich in der die Schwester des Klägers betreffenden Ausländerakte befindet, gab der Kläger zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an, dass er selbständig sei und ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.915,17 Euro erziele. Diese Angaben werden in einem in der Ausländerakte der Schwester befindlichen Schreiben des Steuerberaters des Klägers bestätigt.
Schließlich hatte der Kläger bereits unter dem 24.09.2014 eine „Erklärung des Verpflichtungsgebers vor der Ausländerbehörde der Beklagten zur Abgabe der Verpflichtungserklärung“ unterzeichnet. In dieser Erklärung heißt es unter anderem:
„2. Dauer der eingegangenen Verpflichtungen:
…
Im Regelfall endet die Verpflichtung mit dem Ende des vorgesehenen Gesamtaufenthaltes oder dann, wenn der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dafür ein neuer Aufenthaltstitel erteilt wurde.“
Die Schwester des Klägers reiste am 09.11.2014 mit einem Visum in das Bundesgebiet ein. Als Grund für die Erteilung des Visums hatte die Ausländerbehörde der Beklagten in der Erklärung über die Vorabzustimmung zur Visumerteilung angegeben “Aufnahmeanordnung Syrien, § 23 Abs. 1 AufenthG“. Am 19.11.2014 erteilte die Ausländerbehörde der Beklagten der Schwester des Klägers eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, gültig bis zum 18.11.2016. Am 13.10.2015 stellte die Schwester des Klägers einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 28.12.2015 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihr die Flüchtlingseigenschaft zu. Am 13.01.2016 erteilte ihr die Ausländerbehörde der Beklagten eine bis zum 12.01.2019 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG.
In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 31.05.2016 gewährte die Stadt A-Stadt im Auftrag der Beklagten der Schwester des Klägers Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von insgesamt 3.513,00 Euro. Am 23.05.2016 zog die Schwester von der Wohnung des Klägers in A-Stadt in eine Wohnung in der C..
Unter dem 24.08.2016 hörte die Stadt A-Stadt den Kläger zu ihrer Absicht an, die der Schwester des Klägers gewährten Leistungen von ihm zurückzufordern. Der Kläger machte daraufhin geltend: Seine Schwester habe diese Leistungen erst nach ihrer Anerkennung als Flüchtling erhalten, seine Verpflichtungserklärung komme daher nicht mehr zum Tragen.
Mit Bescheid vom 14.09.2016 forderte die Stadt A-Stadt namens und im Auftrag der Beklagten die der Schwester gewährten Leistungen in Höhe von 3.513,00 Euro zurück: Entgegen der Auffassung des Klägers sei in dem fraglichen Zeitraum weder der Aufenthalt der Schwester in Deutschland beendet gewesen noch der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dafür eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 30.09.2016 - entsprechend der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung - Widerspruch: Seine Schwester sei Ende 2015 als Flüchtling anerkannt worden und seit Anfang Januar 2016 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Er selbst sei seit Februar 2016 arbeitslos und habe kein Einkommen.
Unter dem 02.11.2016 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass gegen den Bescheid der Stadt A-Stadt richtigerweise Klage zu erheben sei. Daraufhin bat der Kläger die Beklagte unter dem 14.11.2016, sein als „Widerspruch“ bezeichnetes Schreiben als Klage gegen den Bescheid der Stadt A-Stadt an das Verwaltungsgericht Hannover weiterzuleiten.
Dieser Bitte kam die Beklagte mit Schreiben vom 18.11.2016, das am 21.11.2016 beim Gericht eingegangen ist, nach.
Zur Begründung seiner Klage wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend trägt er vor: Eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG diene der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich die Sicherung des Lebensunterhalts voraussetze. Seine Verpflichtungserklärung sei dementsprechend im Zusammenhang mit dem Visum, das seiner Schwester erteilt worden sei, erfolgt. Aus diesem Zweck ergäben sich auch die Grenzen seiner Haftung. Zwar würden Verpflichtungserklärungen grundsätzlich bis zur Ausreise des Ausländers gelten. Die Haftung ende jedoch, wenn der ursprüngliche Aufenthaltszweck durch einen anderen ersetzt und dies aufenthaltsrechtlich anerkannt werde. Davon sei hier auszugehen, da seine Schwester als Flüchtling anerkannt und ihr eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Der Aufenthaltszweck sei sogar bereits durch den zuvor gestellten Asylantrag geändert worden. Diese Modifizierung des Aufenthaltszwecks werde durch die Regelung des § 55 Abs. 3 AsylG anerkannt, weil der Asylantrag seiner Schwester letztlich zur Flüchtlingszuerkennung geführt habe. Außerdem habe er mündlich durch die Ausländerbehörde erfahren, dass seine Verpflichtung erlösche, sobald der davon Begünstigte als Flüchtling anerkannt worden sei. Dies habe - so die Ausländerbehörde - das Niedersächsische Innenministerium mitgeteilt. Im Vertrauen hierauf habe er die Verpflichtungserklärung abgegeben. Da ihm „dieser Sachverhalt“ erst jetzt bekannt geworden sei, fechte er die Verpflichtungserklärung an. Seine Inanspruchnahme für die seiner Schwester gewährten Leistungen sei auch unverhältnismäßig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, wenn dessen finanzielle Belastbarkeit geprüft worden sei und nichts dafür spreche, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könne. Eine solche Prüfung habe die Beklagte jedoch nicht durchgeführt. Er habe gegenüber der Ausländerbehörde der Beklagten erklärt, dass er 1.750,00 Euro netto monatlich verdiene und eine Frau und ein Kind zu versorgen habe. Unter Berücksichtigung seiner Einkommensverhältnisse und des Umstandes, dass er für mehrere Personen Verpflichtungserklärungen abgegeben habe, hätte die von der Behörde durchzuführende Prüfung ergeben, dass er nicht in der Lage sei, den Lebensunterhalts für elf Personen zu sichern.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 14.09.2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus: Der Kläger habe lediglich für eine Person, nämlich für seine Schwester, eine Verpflichtungserklärung abgegeben. Die von dem Kläger eingegangene Verpflichtung ende nicht mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes oder mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Anfechtung der Verpflichtungserklärung sei entgegen § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht unverzüglich, nachdem der Kläger von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt habe, erfolgt. Denn er habe bereits seinen Widerspruch mit der zwischenzeitlich erfolgten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der daraufhin erteilten Aufenthaltserlaubnis begründet. Es handele sich auch nicht um einen atypischen Fall, der sie verpflichten würde, im Wege des pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der grundsätzlich bestehende Erstattungsanspruch geltend gemacht werde. Der Kläger sei über die Dauer der von ihm eingegangenen Verpflichtung belehrt worden. Für das Gegenteil trage er die Beweislast. Auch im Beratungsgespräch sei ihm mitgeteilt worden, dass die Ausländerstelle entgegen der Auffassung des Niedersächsischen Innenministeriums von der Fortgeltung der Verpflichtungserklärung ausgehe. Ohne Bedeutung für die Frage der Erstattungspflicht sei schließlich auch die inzwischen möglicherweise eingetretene Arbeitslosigkeit des Klägers. Insoweit könne dem Kläger lediglich eine seinen finanziellen Verhältnissen entsprechende Rückzahlungsvereinbarung eingeräumt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten einschließlich der die Schwester des Klägers betreffende Ausländerakte Bezug genommen; ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat überwiegend Erfolg.
Sie ist zulässig und in dem im Tenor genannten Umfang begründet.
Soweit die Beklagte den Kläger zur Erstattung von mehr als 281,04 Euro heranzieht, ist der Bescheid vom 14.09.2016 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.d.F. vom 08.08.2016, der nach § 68a Satz 1 AufenthG auch für Verpflichtungserklärungen gilt, die - wie hier - vor diesem Zeitpunkt abgegeben worden sind.
Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat derjenige, der sich einer Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendung auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruht. Die Verpflichtung bedarf der Schriftform (§ 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Der Erstattungsanspruch steht der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG).
a) Der Kläger hat sich am 30.09.2014 gegenüber der Ausländerbehörde der Beklagten schriftlich verpflichtet, die Kosten für den Lebensunterhalt seiner Schwester vom Tag der voraussichtlichen Einreise am 01.10.2014 „bis zur Beendigung des Aufenthalts oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ zu tragen. Damit ist er eine Verpflichtung nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eingegangen. Die Verpflichtungserklärung ist auch wirksam, weil sie dem Schriftformerfordernis des § 68 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genügt, als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung keiner förmlichen Annahme bedurfte (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 1 C 33.97 -, juris Rdnr. 26) und nicht aufgrund der Anfechtung des Klägers nach § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Dahingestellt bleiben kann insoweit, ob sich der Kläger überhaupt in einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum befand. Denn er hat die Anfechtung entgegen § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls nicht ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erklärt. Die Frist beginnt mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes, also des Irrtums. Bloßes Kennenmüssen genügt ebenso wenig wie das Vorliegen von Verdachtsgründen. Erkennt der Anfechtungsberechtigte jedoch, dass sich Wille und Erklärung möglicherweise nicht decken, ist zur Fristwahrung eine Eventualanfechtung geboten (vgl. Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. 2018, § 121 BGB Rdnr. 2). Bereits im Rahmen der Anhörung hatte der Kläger geltend gemacht, seine Schwester habe die Leistungen erst nach ihrer Anerkennung als Flüchtling erhalten, seine Verpflichtungserklärung komme daher nicht mehr zum Tragen. Seinen unter dem 30.09.2016 eingelegten Widerspruch hatte der Kläger damit begründet, dass seine Schwester Ende 2015 als Flüchtling anerkannt und seit Anfang Januar 2016 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei. Dieses Vorbringen macht deutlich, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt seiner Anhörung bzw. im Zeitpunkt seines Widerspruchs wusste, dass die Beklagte - anders als er selbst - davon ausging, dass seine Verpflichtung aus der Erklärung vom 30.09.2014 über den Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung seiner Schwester hinaus andauert. Gleichwohl hat er - ohne hierfür Gründe zu nennen - die Anfechtung seiner Erklärung erst mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.07.2017 und damit nicht unverzüglich erklärt.
b) Die Verpflichtung des Klägers endete auch nicht bereits mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft am 28.12.2015 und erst recht nicht - wie der Kläger offenbar meint - bereits mit der Asylantragstellung, was zur Folge hätte, dass der Kläger die seiner Schwester erst ab dem 01.01.2016 bewilligten Leistungen auch nicht teilweise zu erstatten hätte. Denn nach dem insoweit eindeutigen, keiner Auslegung bedürftigen Wortlaut der Verpflichtungserklärung endete die Verpflichtung erst mit Erteilung eines Aufenthaltstitels (zu einem anderen Aufenthaltszweck). Bei der Aufenthaltsgestattung handelt es sich jedoch nicht um einen Aufenthaltstitel, der von der Ausländerbehörde zu erteilen ist. Vielmehr tritt die Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG (im Zeitpunkt des Asylantrags der Schwester noch AsylVfG) unter den dort genannten Voraussetzungen kraft Gesetzes ein (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 05.07.2013 - 4 LC 317/11 -, juris Rdnr. 31). Darüber hinaus haftet der Verpflichtungsgeber nach dem insoweit ebenfalls eindeutigen Wortlaut der Verpflichtungserklärung (Seite 2) auch für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Diese Leistungen erhält nicht nur der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst b) AsylbLG), sondern auch der Asylbewerber, dessen Aufenthalt gestattet ist (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG).
c) Die von dem Kläger mit seiner Erklärung vom 30.09.2014 eingegangene Verpflichtung endete jedoch am 12.01.2016 mit der Folge, dass die Beklagte die Erstattung von Leistungen, die sie nach diesem Zeitpunkt erbracht hat, nicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlangen kann. Denn am 13.01.2016 hat die Beklagte der Schwester des Klägers eine Aufenthaltserlaubnis „zu einem anderen Aufenthaltszweck“ im Sinne der Verpflichtungserklärung erteilt.
Der Inhalt der von dem Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung ist unter Würdigung der der Abgabe der Erklärung zugrundeliegenden Umstände in entsprechender Anwendung von §§ 133, 154 BGB im Wege der Auslegung zu ermitteln. Danach ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an einem buchstäblichen Sinne des Erklärten zu haften. Maßgeblich ist allerdings nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger - hier also die Ausländerbehörde - bei objektiver Würdigung aller maßgeblichen Begleitumstände und des Zwecks der Erklärung verstehen durfte (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 09.12.2015 - 9 C 28.14 -, juris Rdnr. 26; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.07.2017 - 11 S 2338/16 -, juris Rdnr. 29 m.w.N.). Trotz des Verbots der Buchstabeninterpretation hat die Auslegung vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Maßgeblich ist im Zweifel der allgemeine Sprachgebrauch, bei Texten die sich an Fachleute richten, die fachsprachliche Bedeutung. Ähnlich wie bei der Gesetzesauslegung sind auch bei Willenserklärungen der sprachliche Zusammenhang (grammatikalische Auslegung) und die Stellung der Formulierung im Gesamtzusammenhang des Textes (systematische Auslegung) zu berücksichtigen. Lediglich als Hilfsmittel können auch die Argumentationsformen herangezogen werden, die bei der Gesetzesauslegung verwandt werden (vgl. Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. 2018, § 133 Rdnr. 14). Nach der Ermittlung des Wortsinnes sind in einem zweiten Schritt die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Als relevante Begleitumstände kommen vor allem die Entstehungsgeschichte der Erklärung, die Interessenlage und der mit der Erklärung verfolgte Zweck sowie Äußerungen der Beteiligten über den Inhalt der Erklärung in Betracht. Obwohl die Erklärung mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderlichen Erklärungswert erhält, kann auch späteres Verhalten der Beteiligten zumindest als Indiz für die Auslegung von Bedeutung sein (vgl. Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. 2018, § 133 Rdnr. 15 - 18). Bei der Auslegung dürfen allerdings nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder für ihn erkennbar waren. Auf seinen „Horizont“ und seine Verständnismöglichkeit ist die Auslegung abzustellen, und zwar auch dann, wenn der Erklärende die Erklärung anders verstanden hat und auch verstehen durfte. Der Empfänger darf der Erklärung allerdings nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen. Er ist nach Treu und Glauben verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit zu prüfen, was der Erklärende gemeint hat. Entscheidend aber ist im Ergebnis nicht der empirische Wille des Erklärenden, sondern der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert seines Verhaltens (vgl. Palandt/Ellenberger, 77. Aufl. 2018, § 133 BGB Rdnr. 9).
Hiervon ausgehend, ist die Erklärung des Klägers dahin auszulegen, dass die von ihm eingegangene Verpflichtung zur Erstattung von Leistungen bereits mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einer anderen Rechtsgrundlage endete.
aa) Das Bundesverwaltungsgericht ist allerdings in seinem Urteil vom 26.01.2017 (- 1 C 10.16 -, juris Rdnr. 27ff.) zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Begriff „Aufenthaltszweck“ im Ansatz von den verschiedenen Abschnitten des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes auszugehen sei. Der Begriff des "Aufenthaltszwecks" im Sinne der Verpflichtungserklärungen erfasse daher grundsätzlich jeden Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, wie sie - unter dieser Überschrift - vom Gesetzgeber im Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes zusammengefasst seien. Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass eine von den übergreifenden Aufenthaltszwecken des Aufenthaltsgesetzes abweichende Auslegung, also ein auf den einzelnen Aufenthaltstitel verengtes Verständnis des "Aufenthaltszwecks", bereits nicht mit der Formulierung des Beendigungstatbestands in den Verpflichtungserklärungen in Einklang stehe. Denn danach (nach dem Wortlaut) beende nicht jede anschließende Erteilung eines Aufenthaltstitels nach einer anderen Rechtsgrundlage die Verpflichtung, sondern nur eine solche zu einem anderen Aufenthaltszweck (vgl. BVerwG, a.a.O., Rdnr. 31). Diese Auffassung übersieht jedoch, dass es hier nicht um die - unter anderem anhand der Gesetzessystematik - vorzunehmende Auslegung eines vom Aufenthaltsgesetz verwendeten Begriffs geht, sondern um die - anhand der oben genannten Kriterien vorzunehmende - Auslegung eines Begriffs in einer Willenserklärung. Dann aber lässt der Wortlaut der Wendung „zu einem anderen Aufenthaltszweck“ in der von dem Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung - auch aus der Sicht des fachkundigen Mitarbeiters einer Ausländerbehörde - eine Auslegung zu, wonach sich der Aufenthaltszweck auf die jeweilige Rechtsgrundlage der erteilten Aufenthaltserlaubnis bezieht. Dies gilt ebenso für die insoweit gleichlautende Formulierung in der Erklärung vom 24.09.2014. Denn jede der in Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes geregelten Rechtsgrundlagen für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen knüpft an unterschiedliche Tatbestände an und regelt somit jeweils unterschiedliche - humanitäre - Aufenthaltszwecke. Während etwa § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigten voraussetzt, werden in den §§ 25a und 25b AufenthG bestimmte Anforderungen an die Integration des betreffenden Ausländers gestellt. Darüber hinaus wäre eine Formulierung, wonach die Verpflichtung mit der Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels „nach einer anderen Rechtsgrundlage“ endet, eindeutig und einer Auslegung gar nicht bedürftig.
bb) Steht somit der Wortlaut der Verpflichtungserklärung der hier vertretenen Auslegung nicht entgegen, sprechen auch die in einem zweiten Schritt heranzuziehenden Begleitumstände dafür, dass nach dem Inhalt der abgegebenen Erklärung die Verpflichtung des Klägers, die für den Lebensunterhalt seiner Schwester aufgewendeten Leistungen zu erstatten, mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einer anderen Rechtsgrundlage endete.
Die Ausländerbehörde der Beklagten hat die Verpflichtungserklärung des Klägers im Zusammenhang mit der Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (im Folgenden: Niedersächsisches Innenministerium) vom 30.08.2013 zur „Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für syrische Flüchtlinge, die eine Aufnahme durch ihre in Niedersachsen lebenden Verwandten beantragen“ (im Folgenden Aufnahmeanordnung) entgegengenommen. Das folgt schon aus dem in das Bemerkungsfeld aufgenommenen Text, in dem auf diese Anordnung ausdrücklich Bezug genommen wird. Der Inhalt dieser Anordnung ist damit ein in die Auslegung der Verpflichtungserklärung einzubeziehender Begleitumstand, der Aufschluss über die Bedeutung der Wendung „Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ geben kann.
In der Aufnahmeanordnung vom 30.08.2013 - ebenso wie bereits in der Vorgängeran-ordnung vom 03.03.2014 und der nachfolgenden Anordnung vom 22.12.2014 (Az. jeweils - 12230/1-8 -, https://www.nds-fluerat.org/infomaterial/erlasse-des-niederschsichen-ministeriums/) - heißt es unter II.:
„Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern ordne ich hiermit die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG an, wenn die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind …
3.1 Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzt voraus, dass eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben wurde.“
Die Aufnahmeanordnung regelt damit lediglich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG und fordert - im Einklang mit Satz 2 der Vorschrift - die Abgabe einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG. Sie enthält dagegen keine Regelung für den Fall, dass der Verpflichtungsbegünstigte einen Asylantrag stellen und im Falle der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erhalten sollte. So gehen etwa die Anwendungshinweise des Niedersächsischen Innenministeriums vom 03.09.2013 zur Aufnahmeanordnung vom 30.08.2013 davon aus, dass die einladenden Verwandten ihre Angehörigen in ihren Räumlichkeiten unterbringen und hierfür ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht. Davon kann jedoch wegen der grundsätzlichen - und auch im Falle des Besitzes eines Aufenthaltstitels mit einer Gültigkeit von weniger als sechs Monaten bestehenden - Verpflichtung eines Asylbewerbers, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG), und wegen der möglichen Zuweisung des Asylbewerbers an einen anderen Wohnort nicht immer ausgegangen werden.
Ein weiteres Indiz dafür, dass die Verpflichtungserklärung, die nach der Aufnahmeanordnung Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG war, mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG enden sollte, ergibt sich aus der Begründung des Niedersächsischen Innenministeriums dafür, dass es mit der Aufnahmeanordnung vom 22.12.2014 die Kosten für Leistungen bei Krankheit etc. ausdrücklich von der Verpflichtung ausgenommen hat. Dies wurde nämlich damit begründet, dass „diese Leistungen nach §§ 4, 6 AsylbLG von den zuständigen Behörden gewährt werden“. Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erhalten jedoch keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch oder - wie die Schwester des Klägers - nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und fallen somit nicht - mehr - unter die Aufnahmeanordnung. Dass die Aufnahmeanordnung lediglich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG regeln wollte mit der Folge, dass eine auf der Grundlage der Aufnahmeanordnung eingegangene Verpflichtung zur Erstattung öffentlicher Mittel mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einer anderen Rechtsgrundlage nach dem insoweit maßgeblichen Verständnis der Ausländerbehörde enden sollte, belegt auch folgende Äußerung des Niedersächsischen Innenministeriums in seiner Antwort vom 17.01.2018 (LT-Drs. 18/185) auf eine Kleine Anfrage vom 18.12.2017 (LT-Drs. 18/94):
„Obgleich das Landesprogramm nicht darauf ausgerichtet war, dass die Einreisenden im Bundesgebiet einen Asylantrag stellen - eine Aufenthaltsperspektive hatten die hiervon Begünstigten bereits unmittelbar aufgrund des Programmes -, kam es in der Folge teilweise zu Asylanträgen, die auch mit einer Schutzanerkennung nach dem Asylgesetz beschieden wurden.“
Ein weiterer Begleitumstand, der Aufschluss darüber gibt, wie die Ausländerbehörde der Beklagten die Erklärung des Klägers verstehen durfte, ist folgende Äußerung des Niedersächsischen Innenministeriums über den Inhalt der im Zusammenhang mit der Aufnahmeanordnung abgegebenen Verpflichtungserklärungen. In dessen Erlass vom 09.12.2014 (https://www.nds-fluerat.org/infomaterial/erlasse-des-niederschsichen-ministeriums/) wird ausgeführt:
„Der Systematik des Aufenthaltsgesetzes folgend, bezieht sich der Aufenthaltszweck auf die jeweilige spezielle Erteilungsgrundlage … .
Dies gilt auch für Verpflichtungserklärungen, die im Rahmen meines Runderlasses vom 03.03.2014 („Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für syrische Flüchtlinge, die ein Aufnahme durch ihre in Niedersachsen lebenden Verwandten beantragen“ …) abgegeben wurden und werden.“
Diese Auffassung wird vom Niedersächsischen Innenministerium weiterhin vertreten. In seiner Antwort vom 17.01.2018 (LT-Drs. 18/185) auf die Kleine Anfrage vom 18.12.2017 (LT-Drs. 18/94) heißt es:
„Am 10.04.2015 wurden die niedersächsischen Ausländerbehörden ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
„(…) wurden Sie darauf hingewiesen, dass nach hiesiger Auffassung ein Aufenthaltstitel bei Aufenthaltsgewährung durch die oberste Landesbehörde (§ 23 Abs. 1 AufenthG) im Vergleich zu einem Aufenthaltstitel für anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Konvention (§ 25 Abs. 2 AufenthG) einen anderen Aufenthaltszweck begründet. Folglich endet danach die Dauer der Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG für im Rahmen der niedersächsischen Aufnahmeanordnung eingereiste Syrer mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 2 AufenthG.
Diese Auffassung wird auch weiterhin vertreten.“
Wenn die Beklagte gleichwohl geltend macht, ihre Ausländerstelle habe dem Kläger in einem Beratungsgespräch mitgeteilt, dass sie entgegen der Auffassung des Niedersächsischen Innenministeriums von der Fortgeltung der Verpflichtungserklärung ausgehe, verkennt sie, dass für die Auslegung der Verpflichtungserklärung maßgeblich ist, wie der Empfänger - hier also die Ausländerbehörde - die Erklärung bei objektiver Würdigung aller maßgeblichen Begleitumstände und des Zwecks der Erklärung verstehen durfte, und nicht wie der Empfänger sie subjektiv aufgrund seiner persönlichen Rechtsauffassung verstehen wollte.
2. Selbst wenn sich die Verpflichtungserklärung des Klägers entgegen der hier vertretenen Auffassung auf den gesamten hier relevanten Zeitraum vom 01.01.2016 bis 31.05.2016, für den die Beklagte Kostenerstattung verlangt, erstrecken und die übernommene Verpflichtung nicht bereits mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG am 12.01.2016 geendet haben sollte, wäre der angefochtene Bescheid in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang rechtswidrig und würde den Kläger in seinen Rechten verletzen, da die Beklagte ein von ihr auszuübendes Ermessen nicht ausgeübt hätte.
Der aus einer Erklärung nach § 68 AufenthG Verpflichtete ist zwar im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Regelfall etwa vor, wenn die Voraussetzungen der Aufenthaltsgenehmigung einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten ggf. eingeräumt werden. Wann in diesem Sinne ein Ausnahmefall vorliegt, ist anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden und unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 1 C 33.97 -, juris Rdnr. 60; Urt. v. 13.03. 2014 - 1 C 4.13 -, juris Rdnr. 16).
Danach wäre hier von einem atypischen Fall auszugehen. Dies folgt zwar nicht daraus, dass die Beklagte die finanzielle Belastbarkeit des Klägers nicht geprüft hat. Denn dieser hatte unter Vorlage einer Bescheinigung seines Steuerberaters - entgegen seinem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren - erklärt, dass er über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von durchschnittlich 2.915,17 Euro verfüge. Ausgehend davon, dass die Schwester des Klägers in dessen Wohnung gewohnt hat (und nach der Vorstellung der Aufnahmeanordnung auch wohnen sollte), hätte dieser Betrag unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen ausgereicht, selbst wenn der Kläger - wie er erstmals im gerichtlichen Verfahren angegeben hat - außer für seine Schwester noch für eine Frau und ein Kind aufkommen musste. Dass der Kläger - wie er behauptet - für weitere Personen Verpflichtungserklärungen abgegeben hat, kann schon mangels näherer Angaben des Klägers zu den angeblich Verpflichtungsbegünstigten nicht angenommen werden.
Ein atypischer Fall wäre hier jedoch aus folgenden Gründen anzunehmen: Die Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge stellt - wie bereits die Aufnahme bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge in den 1990er Jahren - auch eine öffentliche Angelegenheit dar (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 1 C 33.97 -, juris Rdnr. 61, das unter den damals gegebenen Umständen einen atypischen Fall bejaht hat). Dementsprechend sollten die mit der Aufnahme verbundenen Lasten und Risiken nach den - oben dargelegten - Vorstellungen des Niedersächsischen Innenministeriums lediglich für einen überschaubaren Zeitraum, nämlich bis zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach einer anderen Rechtsgrundlage, von Privaten getragen werden. Nach dem - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmenden - Inhalt der Verpflichtungserklärung würde die Haftung des Verpflichtungsgebers jedoch weit über die Haftung hinausgehen, die nach den Vorstellungen des Niedersächsischen Innenministeriums mit der Abgabe der Verpflichtungserklärung gewollt war. Dies würde einen atypischen Fall begründen mit der Folge, dass über das Ob und die Höhe der Erstattung für Leistungen, die nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erbracht worden sind, im Wege einer Ermessensentscheidung zu befinden wäre (vgl. OVG NRW, Urt. v. 08.12.2017 - 18 A 1125/16 -, Rdnr. 60).
Dieses Ermessen hat die Beklagte hinsichtlich der Erstattung von Leistungen, die nach dem 12.01.2016 erbracht worden sind, bisher nicht ausgeübt, so dass der angefochtene Bescheid insoweit ermessensfehlerhaft und damit auch aus diesem Grund aufzuheben wäre. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass eine die Erstattung verlangende Behörde bei ihren Ermessenserwägungen von der vom Niedersächsischen Innenministerium angenommenen - oben dargelegten - Lastenverteilung auszugehen hätte, so dass ein Rückgriff gegenüber dem Verpflichtungsgeber für Leistungen nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG nur ausnahmsweise in Fällen besonders guter Einkommensverhältnisse oder bei relativ geringen Forderungen in Betracht kommt (vgl. OVG NRW, Urt. v. 08.12.2017 - 18 A 1125/16 -, Rdnr. 63).
Da die von dem Kläger mit Erklärung vom 30.09.2014 übernommene Verpflichtung nach der hier vertretenen Auffassung mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG am 13.01.2016 endete, kann die Beklagte lediglich die Erstattung von Leistungen verlangen, die der Schwester des Klägers vor dem 13.01.2016 gewährt worden sind. Das sind Leistungen in Höhe von 281,04 Euro. Die Schwester hat monatliche Leistungen in Höhe von 702,60 Euro erhalten. Da Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch unabhängig von der Dauer des jeweiligen Monats stets in gleicher Höhe zu erbringen sind, sind die im Monat Januar erbrachten Leistungen durch 30 zu teilen und mit der Anzahl der Tage des Zeitraums, in dem der Kläger zur Erstattung der Leistungen verpflichten war, zu multiplizieren (= 702,60 Euro : 30 x 12) .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage der Dauer von Verpflichtungserklärungen, die aufgrund der Aufnahmeanordnung des Niedersächsischen Innenministeriums abgegeben worden sind, grundsätzliche Bedeutung hat.