Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 03.12.2003, Az.: 7 A 4433/02

Berufsfreiheit; Fleisch; Joghurt; Milcherzeugnis; Reinheitsgebot; Verhältnismäßigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
03.12.2003
Aktenzeichen
7 A 4433/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48329
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 4 Abs. 1 Nr. 3 FlV ist, soweit es das Inverkehrbringen von Fleisch mit Joghurtanteil verbietet, wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip unwirksam. Ein milderes Mittel, welches eine Verbrauchertäuschung verhindert, ist eine Etikettierungspflicht.

Tatbestand:

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Die Klägerin, die ihren Sitz in der beklagten Stadt hat, stellt u.a. das in einer Verpackung in Verkehr gebrachte Produkt „Puten-Wiener mit 25 % Joghurt“ her und vertreibt dieses.

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Am 27. November 2001, 16. Januar 2002 und 27. Mai 2002 haben der Landkreis Celle, der Landkreis Rotenburg und die Stadt Göttingen in Verbrauchermärkten jeweils Proben des genannten Erzeugnisses entnommen. In Berichten vom 20. Februar, 13. und 29. August 2002 hat das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - Lebensmittelinstitute Oldenburg und Braunschweig - beanstandet, dass das erwähnte Produkt gegen § 4 der Fleisch-Verordnung (FlV) verstoße, weil Fleisch mit Milch bzw. Milcherzeugnissen in den Verkehr gebracht werde.

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Mit Schreiben vom 16. September und 8. Oktober 2002 hat die Beklagte die Klägerin aufgefordert, den Zusatz von Joghurt künftig zu unterlassen, anderenfalls sei mit der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zu rechnen.

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Am 24. Oktober 2002 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Sie trägt im Wesentlichen vor: § 4 FlV sei, soweit die Vorschrift ein absolutes Verkehrsverbot enthalte, wegen Verstoßes gegen Art. 12 GG unwirksam. Auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 1980 (- 1 BvR 274/79 -) sei davon auszugehen, dass eine Kennzeichnung der Inhaltsstoffe ausreichend sei, um eine Täuschung der Verbraucher zu verhindern. Wegen der Etikettierung ihres Produkts sei eindeutig erkennbar, dass darin Joghurt enthalten sei. Eine Verbrauchertäuschung sei auszuschließen. Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei bei fertig verpackter Ware die Zutatenliste der richtige Ort, um dem Verbraucher vor Augen zu führen, welche Zusammensetzung das Erzeugnis aufweise. In der sog. Becel-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1992 (- 3 C 33.89 -) sei ausgeführt, dass das Irreführungsverbot nach der Etikettierungsrichtlinie 79/112/EWG beurteilt werden müsse. Danach sei dem Zutatenverzeichnis entscheidende Bedeutung zuzumessen. Hierbei sei auf die einschlägigen Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit der Europäischen Gemeinschaft abzustellen.

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Die Klägerin beantragt,

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festzustellen, dass das Inverkehrbringen ihres Erzeugnisses „Puten-Wiener mit 25 % Joghurt“ nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über Fleisch und Fleischerzeugnisse (Fleisch-Verordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1982 (BGBl. I S. 89), zuletzt geändert durch Verordnung vom 14. Oktober 1999 (BGBl. I S. 2053), verboten ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert im Wesentlichen: Die Kenntlichmachung des Joghurtanteils in dem fraglichen Produkt der Klägerin stehe einem Verstoß gegen § 4 FlV nicht entgegen. An diese Vorschrift sei sie gem. Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Zweck des Verbotes sei der Ausschluss pflanzlicher Stoffe und die Beschränkung nichtfleischlicher Zutaten auf das technisch erforderliche Maß. Aus den zahlreichen Änderungen der FlV in den letzten Jahren sei zu ersehen, dass der Verordnungsgeber deren § 4 bewusst nicht habe aufheben wollen. Es sollten dabei besondere Verbrauchergewohnheiten in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt werden. Hier würden 60 % der Fleischerzeugnisse unverpackt verkauft. Die Verbrauchererwartung, reines Fleisch ohne wesentliche Zusätze zu erhalten, sei in Deutschland stärker ausgeprägt als in anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft.

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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

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Nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 FlV dürfen Fleischerzeugnisse grundsätzlich gewerbsmäßig nicht in den Verkehr gebracht werden, wenn - wie bei dem fraglichen Produkt der Klägerin - bei ihrer Herstellung Milch, Milcherzeugnisse, ausgenommen Milchzucker, verwendet worden sind. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen der § 4 Abs. 2 FlV, § 5 FlV i.V.m. den Anlagen 2 und 3 zur FlV sind, wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, nicht erfüllt.

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§ 4 Abs. 1 Nr. 3 FlV verstößt jedoch, jedenfalls soweit die Vorschrift das Inverkehrbringen des Erzeugnisses der Klägerin verbietet, gegen Art. 12 Abs. 1 GG und ist daher mindestens in diesem Umfang unwirksam.

15

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 16. Januar 1980 - 2 BvR 249/79 - BVerfGE 53, 135 [BVerfG 16.01.1980 - 1 BvR 249/79] <143>) stellen absolute Verkehrsverbote des Lebensmittelrechts Regelungen der Berufsausübung dar. Eine Einschränkung derselben kann danach nur durch oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), welches durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls getragen und verhältnismäßig ist.

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Das Verkehrsverbot des § 4 Abs. 1 Nr. 3 FlV dient als sog. Reinheitsgebot (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Rn. 7 zu § 4 FlV) dem Verbraucherschutz. In der Bundesrepublik Deutschland soll herkömmlich die Erwartung vorherrschen, dass Fleischprodukte ganz oder ganz überwiegend auch aus Fleisch bestehen. Nichtfleischliche Zusätze sollen deshalb auf das aus fabrikationstechnischen Gründen erforderliche Maß reduziert werden. Anderenfalls bestehe die Gefahr von Täuschungen (vgl. die amtliche Begründung zur FlV 1959, abgedruckt in: Zipfel/Rathke, a.a.O., Rn. 1 ff. vor § 1 FlV; vgl. auch EuGH, Urteil vom 2. Februar 1989 - Rs 274/87 - NJW 1989, 1428 <1429>).

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Die Vorschrift lässt sich jedoch, soweit sie hier von Bedeutung ist, nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbaren.

18

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. a.a.O. <S. 145 f.>) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 33.89 - BVerwGE 89, 320 <325>), der sich die Kammer anschließt, kann die Täuschung der Verbraucher r e g e l m ä ß i g durch ein weniger einschneidendes Mittel, nämlich der Verpflichtung, die Zusammensetzung des Produkts ausreichend zu deklarieren, verhindert werden.

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Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass für das von § 4 Abs. 1 Nr. 3 FlV erfasste Produkt der Klägerin, auf dessen Verpackung der Joghurtanteil hervorgehoben ist, ausnahmsweise etwas anderes gilt. Der Europäische Gerichtshof hat in dem bereits zitierten Urteil vom 2. Februar 1989 (a.a.O.) gerade auch für § 4 FlV klargestellt, dass der Verbrauchererwartung, reines Fleisch zu erhalten, durch Kennzeichnungsvorschriften Rechnung getragen werden kann.