Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 08.12.2003, Az.: 7 A 4333/02
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 08.12.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 4333/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40716
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2003:1208.7A4333.02.0A
Fundstelle
- JWO-VerkehrsR 2004, 58
Amtlicher Leitsatz
Die Einleitung eines Zwangsstilllegungsverfahrens wegen fehlenden Hapfpflichtversicherungsschutzes nach § 29 d Abs. 2 StVZO gegen den früheren Halter eines Kraftfahrzeugs ist nach den Grundsätzen der Anscheinsstörerhaftung rechtmäßig, wenn dieser die Veräußerung entgegen § 27 Abs. 3 Satz 1 StVZO der Zulassungsstelle nicht angezeigt hat (wie VG Braunschweig, Urteil vom 6. November 2002 - 6 A 22/02 - Nds. RPfl. 2003, 157)
Tenor:
...
Tatbestand:
Die Klägerin war Halterin des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ...-.. ...
Am 8. Juli 2002 ging bei der Beklagten eine Mitteilung der Europa-Sachversicherung AG vom 29. Juni 2002 ein, wonach das Haftpflichtversicherungsverhältnis für das genannte Fahrzeug am 4. Juni 2002 erloschen sei.
Mit Bescheid vom 8. Juli 2002, zugestellt am 10. Juli 2002, forderte die Beklagte die Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, bis zum 15. Juli 2002 die Kennzeichenschilder entstempeln zu lassen und den Fahrzeugschein abzuliefern. Anderenfalls werde das Fahrzeug zwangsweise stillgelegt. Dies könne nur dann vermieden werden, wenn innerhalb der Frist eine vollständig ausgefüllte gültige Versicherungsdoppelkarte vorgelegt werde. Im Falle der Veräußerung des Kraftfahrzeugs müssten die Daten des Erwerbers schriftlich mitgeteilt werden. Für den Bescheid sind Gebühren in Höhe von 21,00 Euro erhoben worden.
Mit Bescheid vom 16. Juli 2002 setzte die Beklagte für die zwangsweise Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs Gebühren in Höhe von 112,00 Euro fest. Am 17. Juli 2002 um 12.45 Uhr hat die Polizei das Fahrzeug der Klägerin auf Grund einer Ausschreibung der Beklagten in W., Ortsteil A., zwangsentstempelt.
Mit einem weiteren Schreiben vom 16. Juli 2002 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass das Finanzamt Wilhelmshaven sie beauftragt habe, das Fahrzeug zwangsweise stillzulegen, weil Kfz-Steuern in Höhe von 187,83 Euro nicht gezahlt worden seien. Die Klägerin solle den Betrag innerhalb von 14 Tagen zahlen oder eine schriftliche Veräußerungsanzeige vorlegen. Anderenfalls werde ein Zwangsstilllegungsverfahren eingeleitet.
Am 24. Juli 2002 teilte die Klägerin der Beklagten unter Vorlage eines schriftlichen Kaufvertrages mit, dass sie das Fahrzeug bereits am 28. Februar 2002 an eine Person, die in Grünberg/Hessen wohnhaft sei, veräußert habe.
Am 29. Juli 2002 erhob die Klägerin u.a. gegen die Bescheide der Beklagten vom 8. Juli und 16. Juli 2002 sowie das weitere oben erwähnte Schreiben der Beklagten vom 16. Juli 2002 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2002 hat die Bezirksregierung Weser-Ems den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 16. Juli 2002 zurückgewiesen. Am 18. Oktober 2002 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt im Wesentlichen vor: Die Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig. Vor der Verfügung vom 8. Juli 2002 hätte sie angehört werden müssen. Sie hätte dann sofort mitgeteilt, dass das Fahrzeug veräußert worden sei. Die Verpflichtung nach § 29 d StVZO treffe lediglich den Halter des Fahrzeuges. Die Verfügung der Beklagten vom 8. Juli 2002 sei zudem auf etwas tatsächlich Unmögliches gerichtet gewesen. Sie hätte weder das Kennzeichen noch den Fahrzeugschein vorlegen können. Das Fahrzeug sei bereits nach Hessen verbracht worden. Die Beklagte habe jedenfalls seit dem 24. Juli 2002 Kenntnis von der Fahrzeugveräußerung. Sie sei deshalb zumindest seit diesem Zeitpunkt verpflichtet, die Verfügung aufzuheben. Für den Bescheid vom 16. Juli 2002 fehle es deshalb an der erforderlichen vollstreckbaren Grundverfügung. Die Verfügung vom 8. Juli 2002 hätte auch nicht zwangsweise durchgesetzt werden können. Da sie nicht mehr Eigentümerin des Fahrzeugs gewesen sei, sei es ihr rechtlich unmöglich gewesen, den Anordnungen der Beklagten nachzukommen. Außerdem sei nicht erkennbar, dass bei der Beklagten Verwaltungsaufwand entstanden sei. Sie habe keinen Vollzugsbeamten beauftragt. Jedenfalls sei die Höhe der im Bescheid vom 16. Juli 2002 festgesetzten Gebühren nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2002, Aktenzeichen 32-00/065, den Bescheid vom 16. Juli 2002, Aktenzeichen ..., sowie den Kostenbescheid vom 16. Juli 2002, Aktenzeichen ..., in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 17. September 2002, Aktenzeichen ..., aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen: Im Bescheid vom 8. Juli 2002 sei die Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass für den Fall einer Veräußerung des Fahrzeugs eine unverzügliche Mitteilung erforderlich sei, da ihr sonst die Kosten für die Zwangsstilllegung zugerechnet würden. Die Klägerin habe die Maßnahmen veranlasst, da sie selbst danach noch zwei Wochen bis zur Vorlage einer Veräußerungsanzeige habe verstreichen lassen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Klage hat keinen Erfolg.
1.
Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, soweit die Klägerin sich gegen das Schreiben der Beklagten vom 16. Juli 2002 betreffend eine Zwangsstillegung ihres Fahrzeugs wegen rückständiger Kfz-Steuern richtet. Es ist nicht als sog. Abmeldungsbescheid nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KraftStG anzusehen, sondern lediglich als vorbereitendes Verwaltungshandeln. Der Klägerin ist darin die Durchführung eines Zwangsstilllegungsverfahrens lediglich angedroht worden. Es wurden auch keine Gebühren erhoben. Das Schreiben enthält dementsprechend keine Rechtsbehelfsbelehrung.
2.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
a.
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2002 ist rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Anordnung in dessen Ziff. 1 ist § 29 d Abs. 2 Satz 1 StVZO. Danach hat die Zulassungsstelle unverzüglich den Fahrzeugschein einzuziehen und das Kennzeichen zu entstempeln, wenn sie durch eine Anzeige des Versicherers nach § 29 c StVZO erfährt, dass für das Fahrzeug keine dem Pflichtversicherungsgesetz entsprechende Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung besteht.
Eine vorherige Anhörung der Klägerin war nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, 1 Abs. 1 Nds. VwVfG entbehrlich, weil eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig gewesen ist. Denn § 29 d Abs. 2 Satz 1 StVZO verlangt ein unverzügliches Handeln der Zulassungsstelle. Es besteht deshalb insbesondere keine Verpflichtung, dass sie sich zwecks Nachprüfung der Richtigkeit einer Erlöschensanzeige an den Halter des Fahrzeugs wendet (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1992 - 3 C 2.90 - BVerwGE 91, 109112).
Die Voraussetzungen des § 29 d Abs. 2 Satz 1 StVZO lagen vor. Insbesondere war die Klägerin richtige Adressatin des Bescheides vom 8. Juli 2002. Wie der Zusammenhang mit § 29 d Abs. 1 StVZO ergibt, ist dies zwar grundsätzlich der Halter des Fahrzeuges. Darüber hinaus ist aber auch derjenige verantwortlich, den die Zulassungsstelle als Halter ansehen durfte. Es kann daher als richtig unterstellt werden, dass die Klägerin das fragliche Fahrzeug bereits im Februar 2002 veräußert hat.
Die Klägerin hat bei der Beklagten jedenfalls in zurechenbarer Weise den Eindruck hervorgerufen, dass sie noch Halterin des Fahrzeuges ist. Sie ist deshalb nach den hier ergänzend anwendbaren ordnungsrechtlichen Grundsätzen der Anscheinsstörerhaftung verantwortlich (vgl. dazu allgemein: BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - I C 32.72 -, BVerwGE 45, 5158). Die Klägerin hat der Beklagten die Veräußerung des Fahrzeuges entgegen § 27 Abs. 3 Satz 1 StVZO nicht unverzüglich angezeigt (so für vergleichbare Fälle auch: VG Leipzig, Urteil vom 24. April 2003 - 1 K 648/01 -juris; VG Braunschweig, Urteil vom 6. November 2002 - 6 A 22/02 - Nds. RPfl. 2003, 157 f.).
Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1992, a.a.O.,S. 111 ff.) zu § 29 d Abs. 2 Satz 1 StVZO bestätigt. Danach ist für die Rechtmäßigkeit der Zwangsstilllegung die Richtigkeit der Anzeige nach § 29 c StVZO ohne Bedeutung. Es reicht mithin der Anschein einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Es ist nämlich ausreichend, dass die Kraftfahrzeugzulassungsstelle von einer solchen Anzeige "erfährt". Allein dies verpflichtet sie zu einem unverzüglichen Handeln. Das Ziel, die anderen Verkehrsteilnehmer vor unversicherten Fahrzeugen zu schützen, könnte nicht erreicht werden, wenn die Behörde zunächst zu langwierigen Ermittlungen verpflichtet wäre.
Es ist daher unerheblich, ob die Verfügung vom 8. Juli 2002 auf etwas für die Klägerin tatsächlich Unmögliches gerichtet war. Nach den oben erwähnten Grundsätzen der Anscheinsstörerhaftung kommt es lediglich darauf an, von welchen Voraussetzungen die Behörde ausgehen durfte.
Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Bescheid vom 8. Juli 2002 aufzuheben, nachdem die Klägerin die Veräußerung des Fahrzeugs am 24. Juli 2002 angezeigt hatte. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist nämlich der Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides. Der entscheidende Zeitpunkt ergibt sich aus dem zu Grunde liegenden materiellen Recht (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1994 - 3 C 17.92 - BverwGE 97, 7981f.. Nach den obigen Ausführungen verpflichtet § 29 d Abs. 2 StVZO die Zulassungsstelle zu unverzüglichem Handeln.
Rechtsgrundlage für die Erhebung der Verwaltungsgebühren in Höhe von 21,00 Euro (Ziff. 5 des Bescheides vom 8. Juli 2002) sind die §§ 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für das Straßenverkehrswesen vom 26. Juni 1970 (BGBl. I S. 865, 1298), soweit hier maßgeblich zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2199) - GebOSt - i.V.m. der Anlage zur GebOSt, Gebühren-Nr. 254. Danach können u.a. für sonst in dem Gebührenverzeichnis nicht aufgeführte Anordnungen nach der StVZO Gebühren in Höhe von 14,30 bis 286,00 Euro erhoben werden.
b.
Auch der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2002 ist rechtmäßig. Rechtliche Grundlage für die Erhebung der Verwaltungsgebühren in Höhe von 112,00 Euro sind ebenfalls §§ 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt i.V.m. der Anlage zur GebOSt, Gebühren-Nr. 254. Die Gebühr wird dabei auch fällig, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung erst nach Einleiten der Zwangsmaßnahme beseitigt werden.
Nach den obigen Ausführungen zu a. war die Klägerin insbesondere Veranlasserin der zu Grunde liegenden Amtshandlung, weil sie auch bei Beginn der Zwangsstilllegung des Fahrzeugs noch nicht mitgeteilt hatte, dass sie es veräußert hat.
Die Beklagte hat auch eine gebührenpflichtige Handlung durchgeführt. Sie hat der Polizei ein Fahndungsausschreiben vom 16. Juli 2002 übermittelt. Ferner musste sie die Zwangsstilllegung des Fahrzeuges durch die Polizei überwachen. Gegen die Höhe der festgesetzten Gebühr bestehen keine rechtlichen Bedenken. Sie ist geringer als der sich aus der Gebühren-Nr. 254 der Anlage zur GebOSt ergebende Mittelwert.
Die für die Zwangsstilllegung gemäß § 64 Abs. 1 NGefAG erforderliche vollziehbare Grundverfügung lag auf Grund des Bescheides der Beklagten vom 8. Juli 2002 vor. Soweit die Klägerin einwendet, von ihr sei etwas rechtlich Unmögliches verlangt worden, kann dies eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen. Nach den oben zu a. dargelegten Grundsätzen der Anscheinsverantwortlichkeit war es auch für die Vollziehung des Bescheides der Beklagten vom 8. Juli 2002 ausreichend, dass die Beklagte (weiter) davon ausgehen durfte, die Klägerin sei noch Eigentümerin des Fahrzeuges.
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