Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.02.2002, Az.: 7 A 5183/01
Hilfe zum Lebensunterhalt; Internet; Internetzugang; Internetzugangsmöglichkeit; Jugendliche; Jugendlicher; notwendiger Lebensunterhalt; PC; Personalcomputer; Schüler; Schülerin; Sozialhilfe; Zugang; Zugangsmöglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 07.02.2002
- Aktenzeichen
- 7 A 5183/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43810
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 11.06.2003 - AZ: 4 LB 279/02
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 2 S 1 BSHG
- § 12 BSHG
- § 21 Abs 1a BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein internetfähiger PC gehört nicht zum notwendigen Lebensunterhalt einer Schülerin
Tatbestand:
Die 1986 geborene Klägerin, eine Schülerin, die von der Beklagten laufende ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht, begehrt eine einmalige Beihilfe zur Anschaffung eines Computers.
Anfang August 2001 beantragte die Klägerin durch ihre gesetzliche Vertreterin einen gebrauchten internetfähigen PC.
Mit Bescheid vom 24.08.2001 lehnte die Landeshauptstadt Hannover den Antrag mit der Begründung ab, Personalcomputer gehörten nicht zum notwendigen Lebensunterhalt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den die Landeshauptstadt Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2001, zugestellt am 30.10.2001, zurückwies.
Die Klägerin hat am 29.11.2001 Klage erhoben.
Sie trägt vor: fast alle Schüler der Sekundarstufe I würden im häuslichen Bereich über einen Computer verfügen. In ihrer Klasse verfügten entsprechend alle - außer sie selbst - über einen Computer und könnten das Internet nutzen. Nur sie hätte keinen und würde dadurch ausgegrenzt. Die Nutzung des Internets sei in den Unterricht eingebunden. Sie brauche den Internetzugang, um entsprechende Recherchemöglichkeiten zu haben. Die Nutzung von Bibliotheken koste demgegenüber zu viel Zeit. Eine frühestmögliche Gewöhnung an die neuen technischen Voraussetzungen sei erforderlich. Nicht erforderlich sei hingegen, dass ihr das Eigentum an einem PC verschafft werde. Ihr Bedarf könne auch durch ein leihweise zur Verfügung gestelltes Gerät gedeckt werden. In der mündlichen Verhandlung führte sie weiter aus: Der Computer ihrer Mutter sei seit letztem Sonnabend defekt. Es habe sich aber auch um ein altes Gerät noch mit MS-DOS und Windows 3.1 gehandelt. Moderne Lernprogramme, deren Nutzung ebenfalls erforderlich sei, liefen darauf nicht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Landeshauptstadt Hannover vom 24.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2001 zu verpflichten, an sie eine einmalige Beihilfe für die Anschaffung eines gebrauchten Computers, mit dem ein Internetzugang möglich ist und auf dem Lernprogramme abspielbar sind, zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, die Klägerin werde nicht ausgegrenzt, wenn ein Internetzugang im Haushalt fehle. Ein Internetzugang werde in der Schule und in Internetcafes angeboten. Letztere zeigten bereits, dass eine flächendeckende Versorgung im häuslichen Bereich nicht vorhanden sei. Sonst könnten diese Einrichtungen wirtschaftlich nicht überleben.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 21.12.2001 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine einmalige Leistung zur Anschaffung eines Personalcomputers.
Hinsichtlich des Personalcomputers selbst hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie über ein derartiges Gerät verfüge. Zwar soll der Rechner seit einigen Tagen nicht mehr funktionieren. Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage in Sozialhilfesachen ist jedoch der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Im Oktober 2001 hat das Gerät noch funktioniert. Soweit es um den Personalcomputer selbst geht, ist in diesem Verfahren die Klägerin nach alledem auf die Nutzung des Rechners ihrer Mutter hinzuweisen. Auch an einem alten Rechner lässt sich unter Windows 3.1 ein Internetzugang einrichten und ein entsprechendes Modem anschließen.
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, sie müsse auch Lernsoftware benutzen, ist dies erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden und war bislang nicht Gegenstand der Prüfung durch die Beklagte. Davon abgesehen, ist es aber auch zumutbar, auf ältere Lernsoftware zurückzugreifen, die unter MS-DOS bzw. Windows 3.1 lauffähig ist.
Unabhängig davon scheitert die Klage aber auch bereits an dem Umstand, dass die Nutzung eines Personalcomputers - sei es mit Internetzugang, sei es als eine Art "Nachhilfelehrer" durch die Nutzung von Lernprogrammen - nicht sozialhilferechtlich angemessen ist.
Zwar sind zur Deckung des Bedarfs an besonderen Lernmitteln für Schüler bzw. zur Beschaffung von Gebrauchsgütern von längerer Gebrauchsdauer und von höherem Anschaffungswert gemäß § 21 Abs. 1 a BSHG vom örtlichen Träger der Sozialhilfe einmalige Leistungen zu gewähren. Ein Personalcomputer mit Internetzugangsmöglichkeit (d.h. mit den entsprechenden hard- und softwaremäßigen Voraussetzungen, insbesondere wohl mit Modem und entsprechenden Kabelverbindungen) ist zwar ein Gebrauchsgut von längerer Nutzungsdauer und höherem Anschaffungswert. Er gehört aber jedenfalls heute noch nicht zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des § 12 BSHG.
Nach der ständigen Rechtsprechung des 4. Senates des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg, der das Gericht folgt, orientiert sich der Begriff des notwendigen Lebensunterhaltes an dem in § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG festgelegten Grundsatz, dass dem Hilfeempfänger die Führung eines der Menschenwürde entsprechenden Lebens ermöglicht werden soll. Dies ist allerdings nicht schon dann gewährleistet, wenn das physiologisch Notwendige vorhanden ist; es ist vielmehr zugleich auf die jeweiligen Lebensgewohnheiten und Erfahrungen der Bevölkerung, insbesondere der Bürger mit niedrigem Einkommen, abzustellen. Dem Hilfeempfänger soll es ermöglicht werden, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (OVG Lüneburg, Urt. v. 31.01.1990 - 4 A 128/88 -, FEVS 41, 185, 186 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen gehört ein Personalcomputer mit Internetzugang nicht zum notwendigen Lebensunterhalt für eine Schülerin der 9. Klasse eines Gymnasiums. Nach Kenntnis des Gerichts ist ein PC mit Internetzugang für Kinder gerade in Familien mit geringem Einkommen auch heutzutage noch nicht üblich. Die Klägerin kann auch mit ihrem Hinweis auf eine Studie der Universität Hannover keinen Erfolg haben. In der von der Klägerin vorgelegten Studie selbst wird nur auf den "Zugang" zu einem PC abgestellt, was nicht zwangsläufig den Besitz einer entsprechenden Anlage beinhalten muss. Letztendlich kommt es darauf aber auch nicht an. Abzustellen ist nämlich nicht auf die Ausstattungsdichte bei Gymnasiasten insgesamt, sondern die Klägerin kann sich nur mit Nichthilfeempfängern mit geringem Einkommen vergleichen. Nur insoweit hat sie einen Anspruch darauf, ähnlich wie diese zu leben. Unter diesem Gesichtspunkt kann von einer Ausgrenzung der Klägerin aber nicht die Rede sein. Es mag sein, dass sich im Laufe der Zeit die Ansprüche wandeln werden und dass in einigen Jahren möglicherweise ein Internetzugang ebenso dazugehört wie heute ein Fernsehgerät, welches ja auch erst in neuerer Zeit zum notwendigen Lebensbedarf zählt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch nicht erforderlich, einen PC mit Modem zu Verfügung zu stellen, um Hilfeempfängern ein ähnliches Leben wie Nichthilfeempfängern mit geringem Einkommen zu ermöglichen.
Sofern die Schule die Nutzung des Internets verlangen sollte, ist die Schule auch gehalten, entsprechende technische Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Zur Erleichterung ihrer Arbeit ist der Klägerin darüber hinaus zuzumuten, andere Informationsmöglichkeiten - etwa die Recherche in einer Bibliothek - zu nutzen.
Im Übrigen kann die Klägerin die entsprechende Arbeitsgemeinschaft an ihrer Schule nutzen und auf diesem Weg im Internet recherchieren. Sie hat weiterhin - neben der von der Beklagten erwähnten Möglichkeit der - kostenpflichtigen! - Internetcafes - auch preiswerte Alternativen der Internetnutzung außerhalb der Schule. So ist dem Gericht bekannt, dass in der Stadtbibliothek Hannover an der Hildesheimer Straße mehrere Internet-Arbeitsplätze zur Zeit kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Im Freizeitheim Döhren, in dessen Einzugsbereich die Klägerin wohnt, gibt es ebenfalls gegen eine geringe Gebühr die Möglichkeit, ins Internet zu gelangen. Hinsichtlich der Nutzung von Lernspielen stellt sich zudem die Frage, ob die Klägerin nicht bei Schulfreunden - alle anderen sollen nach ihrem Vortrag ja über einen PC verfügen - gemeinsam mit ihnen dort ggf. auch einmal diese Lernspiele spielen kann.