Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.02.2002, Az.: 12 A 1556/01
Akteneinsicht; Aktenübersendung; Ausweisungsverfügung; Ermessen; Gebühr; Kostentarif; Prozessbevollmächtigter; Widerspruchsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.02.2002
- Aktenzeichen
- 12 A 1556/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43907
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 VwKostG ND
- § 1 GebO ND
- § 10 Abs 2 AuslGebV
- § 11 Abs 2 VwKostG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Für die Akteneinsicht in einem (laufenden) Wider-spruchsverfahren gegen eine Ausweisungsverfügung kann die Ausländerbehörde eine Gebühr nach § 3 NVwKostG i.V.m. § 1 AllGO und der lfd. Nr. 87.1 des Kostentarifs (Anlage) nicht verlangen. Auch hinsichtlich der Aktenübersendung in das Büro des Prozessbevollmächtigten ist das Ermessen durch § 10 Abs. 2 AuslGebV eingeschränkt.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 16.11.2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung H vom 09.04.2001 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
Die Kläger sind polnische Staatsangehörige. Im Oktober 2000 wurden sie von Mitarbeitern des Arbeitsamtes H in H bei einer illegalen Erwerbstätigkeit angetroffen. Mit jeweils gleichlautenden Bescheiden vom 05.10.2000 wies der Rechtsvorgänger des Beklagten, der Landkreis H, die Kläger aus dem Bundesgebiet aus. Daraufhin verließen die Kläger das Bundesgebiet am 09.10.2000. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.10. 2000 erhoben die Kläger Widerspruch gegen die Ausweisungsverfügung. Mit Widerspruchsbescheiden vom 05.04.2001 wies die Bezirksregierung H die Widersprüche als unbegründet zurück. Klage hiergegen ist nicht erhoben worden.
Mit ihrem Widerspruchsschreiben vom 20.10.2000 hatten die Kläger zugleich um Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang des Beklagten gebeten. Der Beklagte gewährte daraufhin dem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht über das Gerichtsfach des Amtsgerichts H und setzte mit Bescheid vom 16.11.2000 für die Überlassung von Akten eine Gebühr in Höhe von 25,-- DM je Akte und für die Versendung von Akten auf Antrag eine Gebühr in Höhe von 15,-- DM je Akte, insgesamt 80,-- DM fest. Hiergegen erhoben die Kläger am 10.12.2000 Widerspruch mit der Begründung, es mangele an einer Rechtsgrundlage für die erhobenen Gebühren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2001 wies die Bezirksregierung H den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück. Gemäß § 3 des Nds. Verwaltungskostengesetzes - NVwKostG - i.V.m. § 1 der Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen (allgemeine Gebührenordnung - AllGO - vom 05.07.1997 (Nds. GVBl. S. 171) und der lfd. Nr. 87.1 des Kostentarifs (Anlage) dieser Verordnung sei für die Akteneinsicht eine Gebühr von 25,-- DM zu erheben; für die Versendung von Akten auf Antrag sehe die lfd. Nr. 87.2 des Kostentarifs eine Gebühr von 15,-- DM vor. Das Niedersächsische Finanzministerium habe mit Erlass vom 25.07.1997 die Tarifnummer 87 konkretisiert und ausgeführt, dass für die Überlassung von Akten in laufenden Verfahren keine Gebühren zu erheben seien, da der Verwaltungsaufwand regelmäßig durch die Gebührenfestsetzung für die das Verfahren abschließende Amtshandlung berücksichtigt sei. Bei gebührenfreien Amtshandlungen fänden daher die lfd. Nrn. 87.1 und 87.2 des Kostentarifs Anwendung, da der Verwaltungsaufwand nicht anderweitig abgedeckt werde. Bei dem Ausweisungsverfahren handele es sich nicht um ein gebührenpflichtiges Verfahren, da die Ausländergebührenverordnung vom 19.12.1990 -AuslGebV - für ein Ausweisungsverfahren keinen Gebührenansatz vorsehe, durch den der dem Beklagten anfallende Verwaltungsaufwand gedeckt werde. Unerheblich sei, dass das Widerspruchsverfahren gebührenpflichtig sei.
Die Kläger haben am 18.04.2001 beim Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben. Sie halten an ihrer Auffassung fest, wonach es an einer Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung mangele. Das Widerspruchsverfahren sei nach der Ausländergebührenverordnung ein gebührenpflichtiges Verfahren, so dass der im Widerspruchsverfahren entstandene Verwaltungsaufwand für die Akteneinsicht und die über das Gerichtsfach des Amtsgerichts H erfolgte Aktenübersendung durch die Gebühren, die die Widerspruchsbehörde für den Erlass des Widerspruchsbescheides erheben könne, abgedeckt seien.
Die Kläger beantragen,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die dem Gericht zur Einsicht vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 16.11.2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung H vom 09.04.2001 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten.
Für die Akteneinsicht in einem (laufenden) Widerspruchsverfahren gegen eine Ausweisungsverfügung kann die Ausländerbehörde eine Gebühr nach § 3 NVwKostG i.V.m. § 1 AllGO und der lfd. Nr. 87.1 des Kostentarifs (Anlage) nicht verlangen. Nach der Anmerkung zu den Tarifnummern 87.1 und 87.2 ist die Gebühr nach Nr. 87.1 nicht zu erheben, soweit die Akteneinsicht in einem gebührenpflichtigen Verfahren gewährt wird. Der zu der AllGO vom 05. Juni 1997 ergangene Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 25.07.1997 - K 2102 - 87/1 -34 2 - sieht hierzu den Hinweis vor, dass für die Überlassung von Akten in laufenden Verfahren Gebühren nicht zu erheben sind, weil in diesen Fällen der Verwaltungsaufwand regelmäßig in der Gebührenfestsetzung für die das Verfahren abschließende Amtshandlung (z.B. Genehmigung) zu berücksichtigen ist. Da die beantragte Akteneinsicht nicht im (gebührenfreien) Ausweisungsverfahren, sondern in dem nach der Ausländergebührenordnung gebührenpflichtigen Widerspruchsverfahren erfolgt ist, sind mit der Widerspruchsgebühr nach § 10 Abs. 2 AuslGebV der Verwaltungsaufwand anderweitig abgedeckt. Nichts anderes ergebe sich, wenn der Prozessbevollmächtigte der Kläger vorliegend nicht nur Widerspruch gegen die Ausweisungsverfügung erhoben hätte, sondern zugleich einen (gebührenpflichtigen) Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung gestellt hätte.
Auch für die Versendung der Akten steht der Beklagten keine Gebühr zu. Allerdings enthält die Anmerkung zu den Tarifnummern 87.1 und 87.2 für die Tarifnummer 87.2 ausdrücklich keine Einschränkung im oben genannten Sinne, wonach eine Gebühr nur erhoben werden kann, wenn die Akteneinsicht in einem nicht gebührenpflichtigen Verfahren gewährt wird. Insoweit kann die Behörde - anders als bei der Akteneinsicht - eine Gebühr für die Aktenversendung, d.h. für das Einpacken der Akte zum Versand durch die Absendestelle, grundsätzlich erheben und daneben die Aufwendungen, die Dritten (z.B. Post AG oder sonstige Kurierdienste) für die Versendung zu zahlen sind, gesondert als Auslagen ansetzen.
Gleichwohl steht der Beklagten die Gebühr in Höhe von 30,-- DM für die Versendung der Akten vorliegend nicht zu, weil weder die Beklagte noch die Bezirksregierung H das ihnen nach § 11 Abs. 2 NVwKostG eingeräumte und auszuübende Ermessen erkannt haben. Hiernach kann die Behörde die Kosten ermäßigen oder von der Erhebung absehen, wenn dies im Einzelfall mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenschuldners oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten ist. Zwar wird einer Behörde im Regelfall zuzubilligen sein, dass sie ohne nähere Angaben des Kostenschuldners keine weitreichenden Überlegungen zur Billigkeit in diesem Sinne anzustellen hat. Das Ermessen der Ausländerbehörden ist jedoch insoweit eingeschränkt durch die Parallelvorschrift in § 10 Abs. 2 AuslGebV. Gebühren können hiernach ermäßigt oder von ihrer Erhebung kann abgesehen werden, wenn der Gebührenpflichtige Arbeitslosenhilfe bezieht oder wenn es sonst mit Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse geboten ist. Dem Gericht ist aus seiner jahrelangen Praxis bekannt, dass die Widerspruchsbehörde in Ausweisungsverfahren polnischer Staatsangehöriger regelmäßig von einer Gebührenerhebung für das Widerspruchsverfahren nach § 10 Abs. 2 AuslGebV absieht, sofern der Ausländer sich im Ausland aufhält. Auch in den Widerspruchsverfahren der Kläger gegen die Ausweisungsverfügung der Beklagten ist entsprechend verfahren worden und - ohne ausdrücklichen Antrag der Kläger - von der Erhebung von Gebühren und Auslagen für das Widerspruchsverfahren abgesehen worden. In seinem solchen Fall drängt es sich geradezu auf, von Amts wegen eine Prüfung der Billigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG vorzunehmen, weil die Erwägungen, die bei dieser Ermessensentscheidung anzustellen sind, identisch sind mit denen bei § 10 Abs. 2 AuslGebV . Da fehlende Ermessenserwägungen im Falle eines Ermessensnichtgebrauches auch nicht nach § 114 Satz 2 VwGO nachgeholt werden können (vgl. Kopp/Schenke, 11. Aufl., § 114 VwGO Rdnr. 50), sind die angefochtenen Bescheide insgesamt antragsgemäß aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.