Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 20.02.2002, Az.: 7 B 603/02

Ferienfreizeit; Jugendlicher

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
20.02.2002
Aktenzeichen
7 B 603/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41647
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der Beschluss ergeht durch die Einzelrichterin, nachdem die Kammer dieser den Rechtsstreit mit Beschluss vom heutigen Tage zur Entscheidung gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen hat.

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Der Antrag der Antragstellerin,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine einmalige Beihilfe in Höhe von 150 ¤ für die verbindliche Anmeldung zu einer Ferienfreizeit zu gewähren,

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bleibt ohne Erfolg.

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Der Antrag ist zulässig. Insbesondere hat die Antragstellerin fristgerecht Widerspruch gegen den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 29.01.2002, mit dem ihr Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe für die Kosten der Ferienfreizeit abgelehnt worden war, eingelegt. Der Antrag ist aber unbegründet.

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Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses dann erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche, in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO näher beschriebene Nachteile zu entstehen drohen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

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Die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.

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Allerdings fehlt es nicht bereits am Anordnungsgrund. Wenngleich die Ferienfreizeit, für die eine Beihilfe begehrt wird, erst in der Zeit vom 24.06. bis 08.07.2002 stattfinden soll, ist ein Anordnungsgrund nach Einschätzung des Gerichts bereits jetzt gegeben, weil es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass es bei einer begrenzten Anzahl von Plätzen (20) und einem attraktiven Reiseziel (italienische Adria) einer frühzeitigen Anmeldung bedarf, um die Teilnahme an der Ferienfreizeit sicherzustellen.

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Die Antragstellerin hat aber keinen Anspruch auf Gewährung einer einmaligen Hilfe in Höhe von 150 ¤ für die verbindliche Anmeldung zur Teilnahme an der Ferienfreizeit, die sie mit diesem Antrag begehrt, glaubhaft gemacht. Die Teilnahme an der Ferienfreizeit gehört nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 12 BSHG.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des 4. Senates des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, orientiert sich der Begriff des notwendigen Lebensunterhaltes an dem in § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG festgelegten Grundsatz, dass dem Hilfeempfänger die Führung eines der Menschenwürde entsprechenden Lebens ermöglicht werden soll. Dies ist nicht schon dann gewährleistet, wenn das physiologisch Notwendige vorhanden ist; es ist vielmehr zugleich auf die jeweiligen Lebensgewohnheiten und Erfahrungen der Bevölkerung, insbesondere der Bürger mit niedrigem Einkommen, abzustellen. Dem Hilfeempfänger soll es ermöglicht werden, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese zu leben (OVG Lüneburg, Urt. v. 31.01.1990 - 4 A 128/88 -, FEVS 41, 185, 186 m.w.N.).

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Gemessen an diesen Grundsätzen gehört die Teilnahme an einer Ferienfreizeit nicht zum notwendigen Lebensunterhalt für eine 15-jährige Schülerin.

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Zwar werden Urlaubsreisen, die zu den Bedürfnissen der allgemeinen Lebensführung gehören, in weiten Kreisen der Bevölkerung regelmäßig durchgeführt. Allerdings gehören nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BSHG Beziehungen zur Umwelt, zu denen Urlaubs- und Ferienreisen zu zählen sind, nur in einem vertretbaren Umfang zum notwendigen Lebensunterhalt. Aufgabe der Sozialhilfe ist es nur, eine Hilfebedürftigkeit zu beseitigen, deren Fortbestehen die Menschenwürde des Hilfesuchenden verletzen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn aus finanziellen Gründen Urlaubs- oder Ferienreisen nicht durchgeführt werden können (Hess. VGH, Urt. v. 26.10.1993 - 9 UE 1656/91 - info also 1994, 148 ff.; Hamb. OVG, Urt. v. 20.10.1989 - Bf 452/89 - FEVS 39, 399 = info also 1990, 159 ff.; VG Meiningen, Beschl. v. 13.06.1997 - 8 E 635/97.ME - ZfF 1999, 181). Abgesehen davon, dass es nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist, einen bestimmten sozialen Mindeststandard und eine höchstmögliche Ausweitung der Hilfen zu gewährleisten (BVerwG, Urt. v. 03.11.1988 - 5 C 69.85 - FEVS 38, 89), finden sich derzeit auch zahlreiche Nichthilfeempfänger, die aus finanziellen Gründen nicht zu einer Urlaubs- oder Ferienreise in der Lage sind. Deshalb kann die Antragstellerin aus der im übrigen nicht weiter glaubhaft gemachten Behauptung, dass ihre Mitschüler mit ihren Angehörigen in Urlaub fahren, für sich nichts herleiten.

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§ 12 Abs. 2 BSHG, worauf die 15-jährige Antragstellerin ihr Begehren stützt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Nach dieser Vorschrift umfasst bei Kindern und Jugendlichen der notwendige Lebensunterhalt auch den besonderen, vor allem den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf. In Rechtsprechung und Literatur ist insoweit anerkannt, dass Aufwendungen für Klassenfahrten zu dem sozialtypischen besonderen Bedarf von Kindern und Jugendlichen nach § 12 Abs. 2 BSHG gehören können (BVerwG, U. v. 09.02.1995 - 5 C 2.93 - BVerwGE 97, 376; Nds. OVG, Urt. v. 06.07.1990 - 4 L 99/89 - FEVS 42, 79 m.w.N.; Merkler/Zink, BSHG, 4. Aufl., § 12 Rdnr. 46 m.w.N.). Begründet wird dies damit, dass ein hilfebedürftiges schulpflichtiges Kind, dass aus finanziellen Gründen an einer Klassenfahrt nicht teilnehmen kann, obwohl diese den üblichen und angemessenen Rahmen nicht überschreitet, im Verhältnis zu seinen nicht hilfebedürftigen, an der Klassenfahrt teilnehmenden Mitschülern in einer Weise ausgegrenzt würde, die sich mit der Aufgabe der Sozialhilfe nicht mehr vereinbaren ließe (BVerwG, U. v. 09.02.1995, a.a.O.). Anders zu beurteilen als eine im Rahmen des Schulbesuchs durchgeführte Klassenfahrt ist jedoch die von der Antragstellerin beabsichtigte Teilnahme an der von zwei Kirchengemeinden organisierten Ferienfreizeit. Wenngleich diese von den pädagogischen Inhalten her einer Klassenfahrt vergleichbar sein kann, weil dort ebenso wie bei einer Klassenfahrt das tägliche Zusammenleben besondere Gelegenheit zur Übung im Lösen von Konfliktsituationen bietet und den Ablauf von Sozialisationsprozessen fördert, ist maßgebend für die Frage, ob die Teilnahme an einer Ferienfreizeit zum notwendigen Lebensunterhalt für eine 15-jährige Schülerin gehört, allein der Aspekt der sozialen Ausgrenzung bei Nichtteilnahme. Denn eine sinnvolle Gestaltung der Ferien und eine altersangemessene Entwicklung ist in gleicher Weise möglich, wenn die Ferien zu Hause verbracht werden. Der Teilnahme an einer Ferienfreizeit bedarf es hierzu nicht.  Das Gericht folgt insoweit den Erwägungen, die das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 19.12.1980 (- Bf I 53/80 - FEVS 29, 414 ff.) zu einer Urlaubsreise von Kindern angestellt hat. Dort ist ausgeführt, dass ein besonderer entwicklungsbedingter Bedarf nicht vorliege. Viele Funktionen des Urlaubs ließen sich bei Kindern auch zu Hause in der gewohnten Umgebung verwirklichen. Das Gericht wies darauf hin, dass es auch in der Großstadt H. (= Hamburg) vielfältige Möglichkeiten zur Erholung, aber auch zu Erlebnissen und zu Spielen für Kinder gebe und dass gerade während der Sommerferien Kindern, welche nicht verreisen könnten, unter Bereitstellung erheblicher Mittel (z.B. Ferienpass) eine Fülle von Angeboten für eine sinnvolle, erholsame und attraktive Ferienzeit gemacht würden. Diese Erwägungen treffen dem Grunde nach auch auf die Bedürfnisse Jugendlicher wie der 15-jährigen Antragstellerin zu. Ebenso wie Kinder finden auch in den Ferien daheim bleibende Jugendliche gerade in der Landeshauptstadt Hannover zahlreiche Anregungen für die Gestaltung der Ferien. Ihre mit dem Heranwachsen verbundenen Bedürfnisse, der Austausch mit anderen Jugendlichen und die schrittweise Loslösung von den Eltern, bei der es sich vor allem um einen inneren Prozess handelt, erfordert die Teilnahme an einer Ferienfreizeit zur Überzeugung des Gerichts nicht. Gegenteiliges ergibt sich auch aus der von der Antragstellerin herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91 und 2 BvR 980/91 - FamRZ 1999, 285 ff.) nicht.

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Eine soziale Ausgrenzung ist aber mit der Nichtteilnahme an der im Rahmen der privaten Freizeitgestaltung durchgeführten Ferienfreizeit anders als bei schulischen Klassenfahrten, Landheimaufenthalten usw. nicht verbunden. Der Umstand, dass eine Schulfreundin der Antragstellerin ebenfalls an der Freizeit teilnehmen möchte, ändert an dem privaten Charakter dieser Ferienfahrt ebensowenig wie die Organisation und Betreuung durch zwei Kirchengemeinden. Durch ihre Nichtteilnahme an der Ferienfreizeit fällt die Antragstellerin in der Umgebung von Nichthilfeempfängern nicht auf. Denn es gibt zahlreiche jugendliche Nichthilfeempfänger, die in einem Elternhaus mit geringem Einkommen leben und deshalb weder mit ihren Eltern in Urlaub fahren können noch an einer Ferienfreizeit teilnehmen können. Dies belegen auch die Freizeitangebote, die die Landeshauptstadt Hannover für die daheimgebliebenen Kinder und Jugendlichen in den Sommerferien bereithält.

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Ein Fall der Eingliederungshilfe, der eine Kostenübernahme für eine Ferienfreizeit allenfalls gemäß § 39 Abs. 3 Satz 1 und 3 BSHG rechtfertigen könnte, liegt im Falle der Antragstellerin offensichtlich nicht vor.

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Kommt die Gewährung einer Beihilfe nach alledem deshalb nicht in Betracht, weil die Teilnahme an der Ferienfreizeit nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gemäß § 12 BSHG gehört, bedurfte es keiner weiteren Aufklärung der Frage, in welcher Höhe Zuschüsse für die Teilnahme an der Ferienfreizeit zugesagt worden und im Hinblick auf die bei Anmeldung zu entrichtende Anzahlung ausgezahlt worden sind, wodurch der Bedarf der Antragstellerin gemäß § 2 Abs. 1 BSHG gemindert oder sogar ganz wegfallen würde.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.