Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.05.1997, Az.: 2 L 5353/95
Asylantrag; Religionszugehörigkeit; Asyl; Politische Verfolgung; Syrien
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.05.1997
- Aktenzeichen
- 2 L 5353/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 12842
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1997:0502.2L5353.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück 29.05.1995 - 5 A 1328/94
- nachfolgend
- BVerwG - 24.07.1997 - AZ: BVerwG 9 B 552/97
- BVerwG - 25.11.1997 - AZ: BVerwG 9 B 552.97
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 5. Kammer - vom 29. Mai 1995 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt 7.500,-- DM.
Gründe
I.
Die im Mai 1970 in Syrien (Bezirk ...) geborene Beigeladene zu 1. ist Kurdin und gehört der yezidischen Glaubensgemeinschaft an. Bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland im Juli 1992 lebte sie im Bezirk ... (...). Am 29. Juli 1992 stellte sie einen Asylantrag mit der Begründung, daß sie in Syrien wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit politisch verfolgt worden sei.
Die Beigeladene zu 2. ist im Juni 1994 in Deutschland geboren worden. Für sie stellte ihre Mutter, die Beigeladene zu 1., am 11. Juli 1994 einen Asylantrag.
Vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Außenstelle Oldenburg - gab die Beigeladene zu 1. an, daß sie in Syrien die Schule nicht besucht habe, weil ihre Angehörigen nicht gewollt hätten, daß sie in der moslemischen Religion erzogen werde. Da einer ihrer Brüder, der bei der Volksunion politisch aktiv gewesen sei, festgenommen und fünf Tage im Gefängnis festgehalten worden sei, habe sie befürchtet, daß auch ihr etwas widerfahre. Wegen ihrer yezidischen Religion sei sie von den Moslems beeinträchtigt und unterdrückt worden. Sie habe auch befürchtet, ebenso wie die Tochter ihres Scheichs von den Moslems entführt zu werden. Sie habe sich nicht getraut, allein auf den Dorfplatz zu gehen oder das Dorf zu verlassen. Bei der Polizei hätten die Yeziden keine Unterstützung gefunden.
Durch Bescheid vom 27. September 1994 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Beigeladenen als Asylberechtigte an; gleichzeitig stellte es fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei der Beigeladenen zu 1. vorliegen. Zur Begründung führte es aus, daß wegen fehlender Verfolgungsdichte nicht von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden könne. Die Beigeladene zu 1. habe jedoch glaubhaft vorgetragen, daß sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit mehrfach Übergriffen durch Dritte ausgesetzt gewesen sei, ohne behördlichen Schutz erhalten zu haben. Der Beigeladenen zu 2. sei Familienasyl zu gewähren.
Mit seiner Anfechtungsklage hat der Kläger geltend gemacht, es sei nicht hinreichend dargelegt, daß asylrechtlich relevante Rechtsgüter in einem Maße verletzt worden seien, daß ein Verbleiben im Heimatland unzumutbar sei. Die Voraussetzungen einer staatlichen oder mittelbaren staatlichen Verfolgung lägen ebenfalls nicht vor.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. September 1994 aufzuheben.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladenen haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. Mai 1995 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die Yeziden im Nordosten Syriens einer Gruppenverfolgung durch arabische und kurdische Landsleute moslemischen Glaubens ausgesetzt seien. Der syrische Staat gewähre ihnen keinen hinreichenden Schutz. Ein Ausweichen in andere Landesteile sei ihnen nicht möglich.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung durch Beschluß vom 17. August 1995 zugelassen.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. September 1994 aufzuheben.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Die Beigeladenen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A) Bezug genommen.
II.
Nach der Zulassung der Berufung wird das hierauf gerichtete Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt (§ 78 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG).
Über die danach ohne gesonderte Einlegung zulässige Berufung entscheidet der Senat gemäß § 130 a VwGO durch Beschluß, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Anhörung der Beteiligten (§§ 130 a, 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) ist durchgeführt worden.
In seinem Urteil vom 5. Februar 1997 (2 L 3670/96) hat der Senat entschieden, daß die Yeziden im ostsyrischen Distrikt Al Hassake (Kreise Amuda, Ras al Ain, Qamishli und Al Hassake) einer mittelbaren staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind. Sie müßten jederzeit mit Übergriffen von asylrechtlich relevanter Intensität rechnen, ohne dagegen staatlichen Schutz zu erhalten und ohne auf eine inländische Fluchtalternative ausweichen zu können. Die den Yeziden in dem genannten Gebiet zugefügten Übergriffe erfüllten die Voraussetzungen der für die Feststellung der Gruppenverfolgung erforderlichen Verfolgungsdichte in dem Sinne, daß die die Angehörigen der Gruppe treffenden Verfolgungsschläge nach ihrer Intensität und Häufigkeit so dicht und eng gestreut fallen, daß bei objektiver Betrachtung und in Beziehung gesetzt zu der Größe der verfolgten Gruppe für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet sei, selbst ein Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Sie seien hinsichtlich der Quantität und Intensität und wegen der Alltäglichkeit der immer wieder vorkommenden oder drohenden Überfälle und Drangsalierungen und unter Berücksichtigung der Tendenz zum Eskalieren auch unbedeutender Vorfälle zu blutigen Zusammenstößen insgesamt in dem Sinne zu gewichten, daß jedem einzelnen Yeziden eine ihn persönlich treffende Verfolgungsmaßnahme ohne die Möglichkeit zuverlässiger Abwehr drohe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Urteils vom 5. Februar 1997 (a.a.O.) Bezug genommen.
Da die Beigeladene zu 1. aus der Ortschaft Dilan im Bezirk Al Hassake stammt, treffen die in dem Urteil des Senats festgestellten Voraussetzungen für eine mittelbare staatliche Verfolgung auf ihren Fall zu mit der Folge, daß ihr Asyl zu gewähren und festzustellen ist, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Die Ortschaft Dilan gehört nicht zu den im Urteil vom 5. Februar 1997 (a.a.O.) erwähnten fünf "wehrfähigen" Yezidendörfern, für die jene Entscheidung noch keine abschließende Aussage enthält.
Der in Deutschland geborenen Beigeladenen zu 2. ist Familienasyl gemäß § 26 Abs. 2 AsylVfG zu gewähren. Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen, weil seine Berufung erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Entscheidung, daß Gerichtskosten nicht erhoben werden, folgt aus § 83 b AsylVfG. Die Entscheidung, daß die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen erstattungsfähig sind, beruht auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die Maßstäbe, nach denen über das Vorliegen einer Gruppenverfolgung zu entscheiden ist, sind durch die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt. Aus den besonderen Verhältnissen in den yezidischen Gebieten Ostsyriens ergeben sich insoweit keine durch ein Revisionsverfahren weiter klärungsfähigen Fragen.
Dr. Bock
Dehnbostel
Schmidt