Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 26.01.2005, Az.: 2 A 184/04

Asylbewerber; Asylbewerberleistungsrecht; Beurteilungszeitraum; einseitige Erledigungserklärung; erledigendes Ereignis; Erledigung der Hauptsache; Feststellung der Erledigung; Klage auf Feststellung der Erledigung; Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
26.01.2005
Aktenzeichen
2 A 184/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50515
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Umstände, die nach Erlass des Widerspruchsbescheides eingetreten sind, vermögen im Asylbewerberleistungsrecht ebensowenig wie im Recht der Sozialhilfe die Erledigung des Rechtsstreits herbeizuführen.

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und erhielt von der Beklagten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG -.

2

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2003 versagte die Beklagte die weitere Erteilung einer Duldung an die Klägerin und forderte diese auf, sich umgehend nach Chemnitz zu begeben. Ab diesem Tage gewährte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem AsylbLG nicht mehr monatlich, sondern nur noch tageweise, teilweise nur alle zwei Tage. Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 17. Dezember 2003 Widerspruch. Diesen Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2004 zurück.

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Am 21. Mai 2004 hat die Klägerin dagegen Klage erhoben.

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Sie hat zunächst beantragt,

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die Beklagte unter entsprechender Abänderung ihrer Bescheide in Form des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 19. April 2004 zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach dem AsylbLG in monatlicher Vorauszahlung zu zahlen.

6

Ab dem 23. Mai 2004 hat die Beklagte die Zahlungsweise für die Leistungen nach dem AsylbLG wieder auf monatliche Zahlungsweise umgestellt, nachdem sie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch Beschluss der 1. Kammer des erkennenden Gerichts vom 18. Mai 2004 (1 B 331/03) vorläufig zur Erteilung einer Duldung an die Klägerin verpflichtet worden war.

7

Daraufhin hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dem hat die Beklagte widersprochen und geltend gemacht, die Klage sei, wie die Kammer mit ihrem Prozesskostenhilfe versagendem Beschluss vom 26. Oktober 2004 ausgeführt habe, von vornherein unzulässig und unbegründet gewesen.

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Nunmehr beantragt die Klägerin,

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die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen.

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Die Beklagte beantragt sinngemäß,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

13

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg, denn der Rechtsstreit hat sich mit der Wiederaufnahme der monatlichen Zahlungsweise durch die Beklagte ab dem 23. Mai 2004 nicht in der Hauptsache erledigt.

15

Als erledigendes Ereignis im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO kommt jede außerprozessuale Veränderung der Sach- oder Rechtslage in Betracht, die bereits für sich betrachtet die Abweisung des klägerischen Antrags als unzulässig oder unbegründet rechtfertigen würde (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 161 Rdnr. 21). Die ab 23. Mai 2004 erfolgte monatliche Auszahlung verändert indes nicht die für die erhobene Klage maßgebliche Sach- oder Rechtslage.

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Die anwaltlich vertretene Klägerin hat mit ihrer Klage vom 21. Mai 2004 eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben. Ihr Begehren ging dahin, die Beklagte zu verpflichten, ihr, der Klägerin unter Abänderung/Aufhebung entgegenstehender Bescheide in Form des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2004 monatliche Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren. Ähnlich wie im Sozialhilferecht beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Überprüfung auch bezüglich der Leistungen nach dem AsylbLG auf die Zeit zwischen dem beantragten Leistungsbeginn (hier: der 17. Dezember 2003) und dem Erlass des Widerspruchsbescheides (hier: der 19. April 2004). Dies ergibt sich aus folgendem:

17

Nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts, ist laufend geleistete Sozialhilfe keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung mit Versorgungscharakter, sondern Hilfe in einer gegenwärtigen Notlage, deren Notwendigkeit ständig überprüft werden muss (BVerwGE 57, 237, 239; ebenso Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl., RdNr. 8.3 zu § 4; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, S. 813). Sie ist auf ständigen Wechsel angelegt (Schoch, a.a.O.; BVerwGE 25, 307, 308). Daraus folgt, dass es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Sachverhalt maßgeblich ankommt, der sich der Behörde im Zeitpunkt ihrer letzten Entscheidung über die geltend gemachte gegenwärtige Notlage, nämlich bei Erlass des Widerspruchsbescheides, darbot (BVerwGE 25, 307, 308 f.; 28, 216, 218; 38, 299, 300; 39, 261, 265 f.; Urt. v. 16.01.1986, NVwZ 1987, 412 ff.). Umstände, die nach dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eingetreten sind, sind deshalb der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung nicht mehr zugänglich. Streitgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist daher regelmäßig die laufende Sozialhilfeleistung nur für die Zeit vom Beginn ihrer beantragten Gewährung bis zum Datum des Widerspruchsbescheides. Im Sinne dieses rechtlich möglichen Streitgegenstands - dem sog. Klagezeitraum - sind auch unbefristet gestellte Klageanträge regelmäßig auszulegen.

18

Mit dieser Rechtslage sind die Leistungen nach dem AsylbLG grundsätzlich vergleichbar (OVG Lüneburg, Beschluss vom 09.07.2002 -4 LB 151/02-). Es ist hier, wie sich aus § 1 Abs. 3 AsylbLG ergibt, ebenso wie im Sozialhilferecht immer nur zu leisten, soweit und solange die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Hieraus ergibt sich, dass die Behörde, ähnlich wie im Sozialhilferecht, die für die Leistungsgewährung maßgebenden Verhältnisse ständig überprüfen muss. Dies rechtfertigt es, den Streitgegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung ebenfalls auf den Zeitraum zwischen beantragtem Leistungsbeginn und Erlass des Widerspruchsbescheides zu begrenzen.

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Daraus folgt, dass der aus Sicht der Klägerin das erledigende Ereignis darstellende Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2004, der einen Monat nach dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig ergangen ist, keinen Einfluss auf die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage der ursprünglich erhobenen Klage haben konnte.

20

Auf die sehr umstrittene Frage, ob die Erledigung des Rechtsstreits auch festzustellen ist, wenn die ursprüngliche Klage unzulässig und/oder unbegründet gewesen ist (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 23-26 m. zahlreichen w.N.), kommt es mangels einer Erledigung des Rechtsstreits infolgedessen nicht an.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

22

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.