Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 27.01.2005, Az.: 2 A 379/03

Aktivlegitimation; Aktivlegitimierung; Aufgabe; Aufgabenübertragung; Delegation; Heranziehung; Kostenerstattung; Sozialhilfe; Sozialhilfeträger; Spruchstelle; Träger

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
27.01.2005
Aktenzeichen
2 A 379/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 25.07.2007 - AZ: 4 LC 87/07

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Aktivlegitimierung für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG ist auch der örtliche Träger der Sozialhilfe, dem durch Landesgesetz eine Aufgabe gem. § 100 Abs. 1 S. 1 BHSG zugewiesen wurde.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um eine Kostenerstattung von Sozialhilfeleistungen gemäß § 107 BSHG.

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Die Zwillinge C. und D. E. erhielten seit dem 15.08.2000 wegen Entwicklungsverzögerungen im heilpädagogischen Kindergarten F., einer teilstationären Einrichtung, Sprachheilbehandlung und Ergotherapie als heilpädagogische Maßnahmen. Für die Übernahme der Kosten hatte das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben unter dem 28.06.2000 ein Grundanerkenntnis ausgesprochen, in dem es auch die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG für Eingliederungshilfemaßnahmen gemäß § 39 BSHG i.V.m. § 40 BSHG anerkannte. Daraufhin gab der Beklagte unter dem 04.07.2000 gegenüber der Mutter der Kinder ein Kostenanerkenntnis im eigenen Namen ab.

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Zum 01.01.2001 verzog Frau E. mit ihren Kindern von G. nach H., das im Zuständigkeitsbereich des Klägers liegt. Da aus ärztlicher Sicht die Betreuung der Kinder im Kindergarten F. bis zu ihrer Einschulung, also bis zum Ende des Kindergartenjahres am 31.07.2001, fortgeführt werden sollte, um den Behandlungserfolg nicht zu gefährden, gewährte der Kläger ab Januar 2001 als nunmehr gemäß § 97 Abs. 1 S. 2 BSHG örtlich zuständiger Sozialhilfeträger seinerseits Eingliederungshilfe.

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Mit Schreiben vom 22.01.2001 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten erstmals einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 107 BSHG dem Grunde nach geltend. Ihn lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 14.11.2001 ab. Er hielt den Kläger nicht für kostenerstattungsberechtigt nach § 107 BSHG, weil er mitgeteilt habe, dass ihm die Zuständigkeit für heilpädagogische Maßnahmen vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe in Hessen gemäß einer Verwaltungsvereinbarung übertragen worden sei. Eine solche Delegation oder Aufgabenübertragung nach Landesrecht eröffne aber keine Ansprüche nach § 107 BSHG. Mit Schreiben vom 06.12.2001 wiederholte der Kläger seine Kostenerstattungsforderung, die er nun auf 52.869,32 DM (für beide Kinder und für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.07.2001) bezifferte. Seine sachliche Zuständigkeit für Eingliederungshilfemaßnahmen ergebe sich nicht aus einer Verwaltungsvereinbarung, sondern aus § 1 a HAG/BSHG i.V.m. § 99 BSHG. Dem hielt der Beklagte mit Schreiben vom 29.01.2002 entgegen, auch eine gesetzliche Übertragung nach Landesrecht vermöge eine originäre Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe nicht zu begründen. Mit Schreiben vom 15.02.2002 ergänzte der Kläger, vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe in Hessen, dem Landeswohlfahrtsverband, keinerlei Kostenausgleich für die Hilfegewährung an D. und C. E. erhalten zu haben. Mit Schreiben vom 10.12.2002 lehnte der Beklagte eine Anerkennung des Kostenerstattungsanspruchs endgültig ab.

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Am 30.09.2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er habe als nach § 1 a Abs. 1 Nr. 2 HAG örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe Leistungen erbracht und sei deshalb kostenerstattungsberechtigt gemäß § 107 BSHG. Es sei in diesem Zusammenhang unerheblich, ob sich die Zuständigkeit des örtlichen Trägers aus Bundes- oder Landesrecht ergebe, wie auch Schellhorn in seiner Kommentierung zu § 100 BSHG in Rnr. 62 b zutreffend feststelle.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, ihm gemäß § 107 BSHG für die an C. und D. E. in der Zeit vom 01.01. bis 31.07.2001 bewilligten Sozialhilfeleistungen 27.031,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er führt ergänzend aus, dass in Fällen, in denen - wie hier - die originäre Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe nicht nach dem BSHG gegeben sei, der örtliche Träger der Sozialhilfe auch keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG haben könne. Unerheblich sei demgegenüber, ob im Landesrecht bestimmt sei, dass für gewisse Hilfen die Zuständigkeit auf einen örtlichen Träger der Sozialhilfe übertragen werde.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten (Beiakten A bis C), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 107 Abs. 1 BSHG. Nach dieser Vorschrift ist immer dann, wenn ein Hilfeempfänger vom Ort seines bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verzieht, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende (rechtmäßige) Hilfe außerhalb von Einrichtungen i.S.v. § 97 Abs. 2 S. 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf.

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Diese Voraussetzungen sind gegeben. Das Tatbestandsmerkmal einer „Hilfeleistung außerhalb von Einrichtungen“ ist erfüllt, denn der heilpädagogische Kindergarten in F. ist eine (nur) teilstationäre Einrichtung. C. und D. E. haben auch innerhalb eines Monats nach ihrem Umzug der Sozialhilfe bedurft, denn sie wurden durchgehend, also ohne zeitliche Unterbrechung im Kindergarten in F. betreut. Schließlich steht die sozialhilferechtliche Rechtmäßigkeit der gewährten Leistungen sowie deren Höhe von 27.031,65 EUR zwischen den Beteiligten außer Streit.

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Der Kläger ist entgegen der Rechtsansicht des Beklagten zur Geltendmachung des streitigen Kostenerstattungsanspruchs nach § 107 BSHG auch aktivlegitimiert. Denn er war für die Leistungsgewährung örtlich und sachlich zuständiger Träger der Sozialhilfe.

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In § 100 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BSHG ist zwar geregelt, dass für teilstationäre Eingliederungshilfen im Regelfall der überörtliche Träger der Sozialhilfe zuständig ist. Aber Satz 1 dieser Vorschrift lässt es zu, dass das jeweilige Landesrecht die örtlichen Träger der Sozialhilfe für diese Maßnahmen als sachlich zuständig bestimmen kann. Hessen hat von dieser Möglichkeit - anders als Niedersachsen - mittels § 1 a seines Ausführungsgesetzes zum BSHG für heilpädagogische Maßnahmen, die Kindern in Tageseinrichtungen gewährt werden - wozu der heilpädagogische Kindergarten in F. zählt - , Gebrauch gemacht. Diese gesetzliche Übertragung von Zuständigkeiten begründet entgegen der Auffassung des Beklagten eine originäre Zuständigkeit des Klägers für die gewährten Leistungen, die ein Recht nach § 107 BSHG zur Kostenerstattung nach sich zieht.

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Von dieser Übertragung der Zuständigkeit unterscheidet sich die Regelung des § 96 Abs. 2 S. 1 BSHG, also die Möglichkeit zur Heranziehung der örtlichen Träger zur Durchführung von Aufgaben (vgl. Schoch in LPK-BSHG, Rn. 5 zu § 100). Nur bei der (hier nicht gegebenen) Heranziehung des örtlichen Trägers verbleibt es weiterhin bei der Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers. Folglich ist bei einer landesrechtlichen Zuständigkeitsübertragung auf den örtlichen Sozialhilfeträger (nur) dieser für die Hilfegewährung verantwortlich. Anders sieht es bei einer Aufgabenübertragung (lediglich) mittels Heranziehung aus. In diesem Fall bleibt der überörtliche Sozialhilfeträger nach wie vor für die ordnungsgemäße Hilfegewährung direkt dem Hilfeempfänger gegenüber verantwortlich. Die sachliche Zuständigkeit für eine Leistungsgewährung nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG steht daher voll zur Disposition des Landesgesetzgebers, der den - bundesrechtlichen - Zuständigkeitskatalog des überörtlichen Trägers einengen kann (so auch Schellhorn, BSHG, Rn. 9 f. zu § 100). Die Kammer folgt in diesem Zusammenhang nicht der vom Beklagten reklamierten Ansicht von Mergler/Zink (BSHG, Rn. 11 zu § 107) und der Zentralen Spruchstelle (Entscheidung vom 18.06.1998 - B 144/97 -, EuG 54, 153 ff.). Denn die Vorschrift des § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG gestattet unmissverständlich, eindeutig und deshalb nicht weiter auslegungsfähig den Ländern, „ohne wenn und aber“ Aufgaben vom überörtlichen Träger auf den örtlichen Träger zu übertragen. Damit hat der Bundesgesetzgeber in Kauf genommen, dass der dann zuständige örtliche Träger auch einen Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG für ehemals dem überörtlichen Träger zugewiesene Aufgaben erhält. Dieses Ergebnis ist auch unter wirtschaftlichen Aspekten folgerichtig. Denn es ist keineswegs bundesrechtlich sichergestellt worden, dass in diesen „Übertragungsfällen“ die örtlichen Träger auch einen Finanzausgleich vom überörtlichen Träger erhalten. Eben so verhält es sich in Hessen, worauf der Kläger in seinem Schreiben an den Beklagten vom 15.02.2002 hingewiesen hat und was dem Beklagten vom Nds. Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben mit Schreiben vom 23.10.2003 erläutert wurde: Da sich der Landeswohlfahrtsverband Hessen maßgeblich durch Verbandsumlage, also einen Mitgliedsbeitrag der Städte und Kreise finanziert, findet in Hessen kein Finanzausgleich zwischen überörtlichem und örtlichen Träger der Sozialhilfe statt, wenn - wie im vorliegenden Fall - von der Regelung in § 100 BSHG Gebrauch gemacht wird.

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Der Beklagte ist schließlich passivlegitimiert. Erstattungsverpflichtet nach § 107 Abs. 1 BSHG ist der „Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes“. Zwar ergibt sich aus § 100 Abs. 1 Satz Nr. 1 BSHG - wie bereits oben dargelegt - für die streitbefangenen Sozialhilfeleistungen grundsätzlich die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers. Folgerichtig hat das Nds. Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben in seinem Grundanerkenntnis vom 28.06.2000 seine sachliche Zuständigkeit als überörtlicher Träger der Sozialhilfe anerkannt. In Niedersachsen werden allerdings über § 5 Abs. 1 Satz 3 NdsAGBSHG in Verbindung mit § 1 Satz 2 HeranzVO die örtlichen Sozialhilfeträger zur Aufgabenerfüllung herangezogen, was auch die Geltendmachung und die Abwehr von Kostenerstattungsansprüchen einschließt.

19

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291 i.V.m. 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (BVerwG, Urteil vom 22.2.2001 -5 C 34.00-, NVwZ 2001, 1057).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

21

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

22

Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr.3 VwGO.