Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 27.01.2005, Az.: 2 A 458/03
Bedingung; Bestimmtheit; betreutes Wohnen; Dauerverwaltungsakt; Jugendhilfe; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.01.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 458/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50612
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 41 SGB 8
- § 31 Abs 1 S 1 SGB 10
- § 32 SGB 10
- § 33 Abs 1 SGB 10
- § 48 Abs 1 S 1 SGB 10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Leistungen der Jugendhilfe erfolgen regelmäßig auf Dauer.
2. Widerrufsbescheide gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X sind bedingungsfeindlich.
3. Zur inhaltlichen Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes.
Tatbestand:
Die Klägerin wehrt sich gegen die Einstellung einer Jugendhilfemaßnahme durch die Beklagte.
Die am ... geborene Klägerin stammt aus M. am Ural. Sie reiste mit ihren Eltern und einer jüngeren Schwester 1992 in das Bundesgebiet ein und wohnte bis zum Jahr 2000 bei den Eltern (in den letzten Monaten nur noch bei der Mutter, nachdem die Eltern sich getrennt hatten und der Vater wieder nach Russland gegangen war) in N.. Nachdem sie einige Monate umhergezogen war, stellte sie durch Vermittlung der Straßensozialarbeit in D. am 30.03.2001 einen Antrag auf Gewährung von Hilfe für junge Volljährige bei dem Jugendamt der Beklagten. Mit Bescheid vom 06.04.2001 gewährte die Beklagte der Klägerin mit Wirkung vom 29.03.2001 Leistungen der Hilfe für junge Volljährige in Form des betreuten Wohnens und stellte außerdem den Lebensunterhalt der Klägerin (in Höhe von mtl. 687,50 DM) sicher. Der Bescheid lautet auszugsweise:
„Nach § 41 SGB VIII wird die Hilfe in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt. Voraussetzung ist jedoch, dass die Hilfe aufgrund der individuellen Situation notwendig ist. Bei Wegfall der Notwendigkeit kommt auch eine frühere Beendigung in Betracht. Voraussetzung ist weiterhin, dass Sie am Erfolg der Hilfe nach Ihren Kräften mitwirken.
Sollten Sie das Betreuungsangebot nicht wahrnehmen, kommt ebenfalls eine frühere Beendigung der Hilfe in Betracht... Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der gewährten Hilfe nicht um eine Dauerleistung handelt. Im Rahmen der Fortschreibung des Hilfeplanes wird regelmäßig geprüft werden, ob eine Notwendigkeit für die Hilfegewährung noch besteht.“
Die Betreuung der Klägerin wurde der Jugendhilfe Südniedersachsen e. V. - JSN - übertragen und dort von einer Frau O. - von der Klägerin P. genannt - geleistet, der es gelang, für die Klägerin zum 01.07.2001 eine eigene Wohnung anzumieten.
In der Folgezeit fanden einige Hilfeplangespräche statt. Nachdem die Klägerin die von ihr besuchte Schule (BBS II) im Sommer 2001 verlassen musste, rückte eine psychische Erkrankung bei ihr mehr und mehr in den Vordergrund, die allerdings von dem sie behandelnden Arzt Dr. Q. als fraglich eingestuft wurde. Ferner lehnte die Klägerin ihre Betreuerin Frau O. nach und nach ab. Im Anschluss an ein Hilfeplangespräch am 23.10.2001 kamen das Jugendamt der Beklagten und die Betreuerin zu dem Ergebnis, dass das Ziel der Verselbständigung und des Erlangens der eigenverantwortlichen Lebensführung durch die Klägerin auf Grund ihrer psychischen Probleme im Rahmen des betreuten Einzelwohnens nicht zu erreichen und eine stationäre psychiatrische Diagnostik erforderlich sei. Zu einem weiteren Gesprächstermin am 31.10.2001 kam die Klägerin nicht, sondern teilte telefonisch mit, sie sehe in der Zusammenarbeit mit Frau O. keinen Sinn mehr und nehme deshalb an dem Gesprächstermin nicht teil.
Daraufhin schrieb das Jugendamt der Beklagten am 06.11.2001 die Klägerin an. In dem persönlich gehaltenen Schreiben heißt es unter anderem:
„Hallo A.,... Deine Nachricht auf dem Anrufbeantworter habe ich erhalten. P. und ich haben aus der Nachricht geschlossen, dass Du die Betreuung durch die JSN nicht mehr wünscht... Seitens des Jugendamtes sollte zunächst eine eingehende stationäre Diagnostik erfolgen, um daraus neue Erkenntnisse für eine sinnvolle Zielsetzung zu gewinnen. Ich kann verstehen, dass Du zur Zeit keine stationäre Diagnostik durchführen lassen willst, trotzdem ist es für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt unumgänglich.
Mit P. habe ich besprochen, dass ich Dir diesen Brief schreibe und Du entscheiden sollst, wie es weiter geht. Wenn Du Dich doch zu einer stationären Diagnostik entscheiden solltest, dann melde dich bitte bei mir, damit ich mich einklinken kann. Wenn Du das nicht willst, werden wir die Jugendhilfe zum 30.11.2001 beenden. D. h., du bekommst dann kein Geld mehr und deine Miete wird nicht weiter überwiesen. Damit du aber nicht ganz ohne Hilfe und alleine dastehst, haben P. und ich besprochen, dass du alle notwendigen Schritte um Sozialhilfe zu beantragen mit P. gemeinsam erledigen kannst. Ansonsten kannst du dich auch an den Sozialdienst des Sozialamtes, Herrn R.... wenden...“
Die Klägerin legte am 23.11.2001 Widerspruch ein „gegen den Beschluss, dass ich die Jugendhilfemaßnahme verlassen soll“. Sie vertrat in diesem Schreiben die Meinung, dass die Probleme, die sie mit „P.“ habe, auf diese zurückzuführen seien, und bat darum, dass man ihr die Chance geben möge, die Jugendmaßnahme fortzuführen und ihr eine andere Betreuerin zuteile. Die Betreuung der Klägerin endete daraufhin tatsächlich am 30.11.2001. Die Klägerin erhielt keinerlei Leistungen mehr. Der Widerspruch vom 23.11.2001 wurde zunächst nicht bearbeitet. Stattdessen fanden mit der Klägerin weitere Hilfegespräche statt. Sie wandte sich auch an den Sozialdienst, stellte aber keinen förmlichen Sozialhilfeantrag. Dies tat sie erst im Mai 2002, nachdem das Jugendamt der Beklagten bei dem Amtsgericht Göttingen einen Antrag auf Bestellung einer Betreuung von Amts wegen für die Klägerin gestellt hatte. Bis Mitte 2003 erhielt die Klägerin daraufhin laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG.
Im Juni 2002 meldete sich erstmals der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und forderte die Beklagte auf, die ausstehende Jugendhilfe (von mtl. 687,50 DM) an die Klägerin nachzuzahlen.
Die am 29.08.2003 erhobene Leistungsklage (2 A 335/03) hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 27.01.2005 zurückgenommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2003 (zugestellt am 17.11.2003) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 23.11.2001 gegen ihren Bescheid vom 06.11.2001 mit folgender Begründung zurück: Der „Bescheid“ vom 06.11.2001 stelle einen Verwaltungsakt dar, wie sich unschwer aus seinem Inhalt ergebe; mit ihm sei die mit Bescheid vom 06.04.2001 bewilligte Jugendhilfe mit Wirkung ab 01.12.2001 widerrufen worden; dieser Widerruf sei in dem Bewilligungsbescheid vorbehalten gewesen; mithin sei § 47 Abs. 1 Nr. 1 zweite Alternative SGB X die Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid; auch die Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz SGB X stehe gegebenenfalls zur Verfügung; im Übrigen würden Leistungen der Jugendhilfe regelmäßig nicht als rentengleiche Dauerleistung, sondern zur Deckung eines gegenwärtigen Erziehungsbedarfes gewährt; wirtschaftliche Jugendhilfe sei an die Leistung pädagogischer Hilfe geknüpft, diese sei von der Klägerin ab 01.12.2001 nicht mehr in Anspruch genommen worden.
Am 17.12.2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor: Der Bescheid vom 06.04.2001 sei durch das Schreiben vom 06.11.2001 weder verändert noch aufgehoben worden; deswegen bestehe ein Zahlungsanspruch für den Zeitraum von Dezember 2001 bis zur Beendigung ihres 21. Lebensjahres im Januar 2003; dass das Schreiben vom 06.11.2001 keinen Verwaltungsakt darstelle, ergebe sich aus einer innerdienstlichen Mitteilung vom 03.12.2001 an die Abteilung wirtschaftliche Jugendhilfe; sie habe darauf vertraut, dass Jugendhilfeleistungen ihr gegenüber wieder aufgenommen würden; deswegen habe sie zunächst keinen Sozialhilfeantrag gestellt und ihr Konto überzogen; ihr sei ein Schaden entstanden, der die Klageforderung deutlich übersteige; der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig, da kein Rücknahmebescheid vorliege.
Die Klägerin beantragt,
den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14.11.2003 aufzuheben,
hilfsweise, den Bescheid der Beklagten vom 06.11.2001 und ihren Widerspruchsbescheid vom 14.11.2003 aufzuheben,
weiter hilfsweise, den Bescheid der Beklagten vom 06.11.2001 und ihren Widerspruchsbescheid vom 14.11.2003 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin über den 30.11.2001 hinaus Hilfe für junge Volljährige in Form des betreuten Wohnens gemäß dem Bescheid vom 06.04.2001 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Sie habe sich bemüht, der Klägerin frühzeitig Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren; zwischen dem 24.05.2002 und dem 31.08.2003 habe diese im Übrigen Leistungen erhalten, so dass für diesen Zeitraum der geltend gemachte Anspruch bereits erfüllt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und auf den Inhalt der Gerichtsakten gleichen Rubrums 2 A 335/03 Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Im Hauptantrag ist die Klage unzulässig.
Der Widerspruchsbescheid kann nur dann isoliert angefochten werden, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält, die auch in der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift liegen kann, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (§§ 79 Abs. 2, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Klägerin hat den Hauptantrag (nach Beratung durch den Vorsitzenden, § 86 Abs. 3 VwGO) deswegen so gestellt, weil sie der Auffassung ist, das Schreiben der Beklagten vom 06.11.2001 stelle keinen Verwaltungsakt dar. Träfe dieses zu, würde der Widerspruchsbescheid auf der Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift beruhen, denn er würde einen „Verwaltungsakt“ bestätigen, der in Wirklichkeit keiner ist; statt dessen hätte er den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen werden müssen. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass dem Schreiben vom 06.11.2001 die Qualität als Verwaltungsakt nicht abgesprochen werden kann.
Das eben angesprochene Schreiben stellt insbesondere eine Regelung mit Außenwirkung i. S. v. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB X (der inhaltsgleich ist mit § 35 S. 1 VwVfG) dar. Maßgeblich für diese Qualifizierung ist der objektive Erklärungswert des Aktes, d. h. wie der Empfänger ihn unter Berücksichtigung der äußeren Form, Abfassung, Begründung, Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung usw. nach Treu und Glauben verstehen durfte (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., § 35, RN 18 m.w.N.). Die äußere Form spricht hier allerdings gegen die Annahme eines Verwaltungsaktes. Dem Schreiben fehlt nicht nur die Rechtsbehelfsbelehrung, es ist auch in einer für amtliche Schriftstücke unüblichen persönlichen Redeweise abgefasst, was schon an der Anrede „Hallo A.“ und der mehrfachen Verwendung des vertrauten „Du“ deutlich wird. Durch die Formulierung „Wenn Du das nicht willst, werden wir die Jugendhilfe zum 30.11.01 beenden. Das heißt Du bekommst dann kein Geld mehr und Deine Miete wird nicht weiter überwiesen“ wird allerdings für den Leser der Zeilen hinreichend deutlich, dass es sich weder um ein informelles Schreiben handelt noch eine zukünftige Entscheidung lediglich angekündigt oder angedroht wird, sondern dass die Entscheidung (Beendigung der Jugendhilfemaßnahme) bereits getroffen wurde, die Klägerin ihren Vollzug jedoch würde abwenden können, wenn sie ihre bisherige ablehnende Haltung aufgeben und in eine stationäre Diagnostik einwilligen würde. So hat die Klägerin das Schreiben auch verstanden. Das ergibt sich aus ihrem Widerspruchsschreiben vom 22.11.2001, denn sie legt Widerspruch ein gegen einen „Beschluss“, also etwas, das sie als eine bereits ergangene Entscheidung ansieht. Wenn sie darin ferner um die Chance bittet, die Jugendhilfemaßnahme fortzuführen, und sich für diesen Fall bereit erklärt, alsbald eine Ausbildung zur Zahntechnikerin zu beginnen, jedoch um die Zuteilung einer anderen Betreuerin bittet, will sie offensichtlich den Weg für eine Abhilfe bzw. Stattgabe des Widerspruchs (§§ 72, 73 VwGO) ebnen. Diese Einschätzung des Gerichts wird dadurch bestätigt, dass die Betreuung der Klägerin und die Geldzahlung an sie tatsächlich - und zwar abgesehen von einer internen Mitteilung an die Abteilung wirtschaftliche Jugendhilfe ohne weitere nach außen erkennbare Handlung - am 30.11.2001 endete.
Im ersten Hilfsantrag ist die Klage jedoch zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.11.2001 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Der Bescheid ist rechtswidrig, weil er inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist ( § 33 Abs. 1 SGB X, der inhaltsgleich ist mit § 37 Abs. 1 VwVfG). Für die Klägerin war nicht vollständig klar und unzweideutig erkennbar (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. o., § 37, Rn 5 ff m. w. N.), was nach dem 30.11.2001 geschehen würde, wenn sie sich so oder anders (für oder gegen die stationäre Diagnostik) entscheiden würde. Klar erkennbar war nur, dass die Maßnahme in dem einen Fall beendet werde. Für den anderen Fall - für den ebenfalls eine Regelung getroffen werden sollte und auch musste - wird (im 3. Absatz) eine weitere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt in Aussicht gestellt; weiterhin kündigt der Verfasser des Schreibens (im 4. Absatz) an, dass er sich dann „einklinken“ werde. Was das genau bedeutet, musste für die Klägerin unklar bleiben: Sollte die Maßnahme fortgesetzt werden? Ggf. unter welchen Bedingungen, etwa mit einer anderen Betreuerin? Oder sollte zunächst das Ergebnis der stationären Diagnostik abgewartet werden, bevor eine weitere Maßnahme ggf. beginnen sollte? Fragen über Fragen, die die Klägerin weder anhand des Bescheides noch aus den unabhängig davon bei ihr vorhandenen Informationen beantworten konnte.
Der Bescheid ist außerdem rechtswidrig, weil er mit einer unzulässigen Bedingung verknüpft ist. Die Wendung „und Du entscheiden sollst, wie es weitergeht“ stellt eine aufschiebende Bedingung für den Eintritt der bereits beschlossenen Regelung (Beendigung der Jugendhilfemaßnahme zum 30.11.2001) dar, denn es war im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides ungewiss, wie die Klägerin sich entscheiden würde. Dass sie selbst es in der Hand haben sollte, das ungewisse Ereignis eintreten zu lassen oder nicht, ändert an dem Charakter einer Bedingung nichts (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. o., § 36, RN 19 m. w. N.). Gemäß § 32 SGB X (der inhaltsgleich ist mit § 36 VwVfG) darf ein Verwaltungsakt mit einer Bedingung nur verbunden werden, wenn das durch Rechtsvorschrift zugelassen ist, wenn sichergestellt werden soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden oder (Abs. 2) nach pflichtgemäßem Ermessen. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.
Der angefochtene Bescheid kann nur auf § 48 Abs. 1 S. 1 SBG X gestützt werden. Die in dem Widerspruchsbescheid zuvörderst angebotene Rechtsgrundlage des § 47 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. SGB X ist nicht einschlägig. Der Bewilligungsbescheid vom 06.04.2001 ist nämlich nicht unter Widerrufsvorbehalt gestellt worden. Die darin enthaltenen Hinweise auf die Möglichkeit einer früheren Beendigung der Maßnahme (vor der Vollendung des 21. Lebensjahres der Klägerin) konnte die Klägerin nur so verstehen, dass die Weitergewährung der Hilfe in der Zukunft (auch) von ihrem Verhalten abhängen würde und dass u. U. ebenfalls in Zukunft über eine Einstellung der Hilfe entschieden würde. Darin kann jedoch kein Widerrufsvorbehalt („wenn etwas geschieht oder nicht geschieht, wird der Verwaltungsakt widerrufen“) gesehen werden, sondern vielmehr der Hinweis auf die Rechtsfolge des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Dort ist bestimmt, dass ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben ist, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Trotz der Wendung „Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der gewährten Hilfe nicht um eine Dauerleistung handelt“ konnte die Klägerin den Bescheid vom 06.04.2001 nur so verstehen, dass die nunmehr begonnene Jugendhilfemaßnahme bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres andauern würde, wenn nichts Unvorhergesehenes geschehen und sie nach Kräften am Gelingen der Maßnahme mitwirken würde. Damit war für die Klägerin eine verlässliche Grundlage für ihre Zukunftsplanung geschaffen, was nach Auffassung des Gerichts bei einer Maßnahme nach §§ 41 Abs. 1, 34 SGB VIII auch unumgänglich ist. Mithin stellt der Bescheid einen Dauerverwaltungsakt dar und nicht nur die Bewilligung einer Leistung für einen kurzen Zeitraum, was etwa bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG/SGB XII geschieht, die lediglich Notfallhilfe ist.
Der Vorschrift des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist eine Bedingung fremd. Sie knüpft für eine bestimmte Rechtsfolge, die nicht im Ermessen der Behörde steht, (nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung) an einen Sachverhalt an, der in der Vergangenheit geschehen und abgeschlossen ist, und nicht etwa an zukünftiges Geschehen.
Auf die Frage, ob die der Klägerin gewährte Jugendhilfe (Hilfe zur Erziehung in der Form des betreuten Wohnens für junge Erwachsene) in der Sache zu Recht beendet wurde, kommt es danach nicht mehr an. Die folgenden Ausführungen (in diesem Absatz) tragen deshalb die Entscheidung nicht. Nach § 41 Abs. 1 S. 1 SGB VIII soll Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Kammer hat nach dem Akteninhalt und dem Verlauf der mündlichen Verhandlung immerhin Zweifel daran (die, wenn es darauf ankäme, durch Beweisaufnahme geklärt werden müssten), ob die Weigerung der Klägerin, sich einer stationären Diagnostik zur Abklärung einer seelischen Erkrankung zu unterziehen, die Fortführung der Maßnahme unmöglich machte. Möglicherweise stand doch das Zerwürfnis zwischen der Klägerin und ihrer Betreuerin im Vordergrund der Problematik, und es wäre angezeigt gewesen, der Klägerin eine andere Betreuerin zuzuteilen. Andererseits erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass die Maßnahme von vornherein zum Scheitern verurteilt war, weil die Klägerin im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsentwicklung objektiv andere Bedürfnisse hatte, als in einer eigenen Wohnung zu wohnen und 5 Stunden pro Woche Betreuungsgespräche zu führen.
Über den zweiten Hilfsantrag ist nicht zu entscheiden. Er ist für den Fall gestellt worden, dass die Kammer den Bescheid vom 06.04.2001 nicht für einen Dauerverwaltungsakt hält und sich mithin für die Zeit ab 01.12.2001 die Frage der Weitergewährung der nur zeitabschnittsweise bewilligten Jugendhilfeleistung gestellt hätte.
Die Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2001 bedeutet, dass die der Klägerin mit Bescheid vom 06.04.2001 bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres bewilligte Jugendhilfe formell nicht vor diesem Datum beendet wurde. Die Kammer verschließt sich nicht der Erkenntnis, dass jede Form der persönlichen Betreuung ebenso wie die Gewährung von Sachleistungen mit Wirkung für die Vergangenheit nicht nachgeholt werden kann. Die Klägerin kann also nicht verlangen, dass noch Betreuungsleistungen der JSN erfolgen. Allerdings kann die wirtschaftliche Jugendhilfe (§ 39 SGB VIII), die die Beklagte der Klägerin schuldet, ohne weiteres nachgezahlt werden. Das hat auch zu geschehen. Der Umstand, dass es sich bei der wirtschaftlichen Jugendhilfe nur um eine Annexleistung zu den nach §§32 bis 35, 35a, 41 SGB VIII gewährten Leistungen und nicht um eine selbständige Form der Jugendhilfe handelt (vgl. Kunkel in LPK zum SGB VIII, § 39, RN 3), schadet nicht, denn die Leistung, die die Beklagte der Klägerin - insgesamt - schuldet, ist ohne weiteres teilbar in der oben beschriebenen Weise. Der notwendige Unterhalt im Sinne von § 39 Abs. 1 SGB VIII umfasst den gesamten, in § 12 Abs. 1 BSHG beschriebenen notwendigen Lebensunterhalt, also auch die Unterkunftskosten (vgl. Kunkel a. a. o., RN 5). Die Hilfe zum Lebensunterhalt nach BSHG, die die Klägerin zwischen Mai 2002 und Januar 2003 von der Beklagten - die insoweit im Namen des Landkreises D. handelte - erhalten hat, muss sie sich nach Treu und Glauben anrechnen lassen.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.Die Abweisung des Hauptantrages führt nicht dazu, dass die Klägerin - anteilig - Kosten zu tragen hätte, denn der erfolgreiche erste Hilfsantrag umfasst den Hauptantrag und geht noch darüber hinaus.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.