Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 09.04.2002, Az.: 6 B 62/02
Aussetzung; Hemmung; Straßenausbaubeitrag; Unterbrechung; Vergleichsverhandlungen; Verjährung; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 09.04.2002
- Aktenzeichen
- 6 B 62/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 1 Nr 5a KAG ND
- § 229 AO
- § 230 AO
- § 231 AO
- § 232 AO
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Vergleichsverhandlungen unterbrechen nicht die Verjährung gemäß § 231 AO
Gründe
Die Antragstellerin begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Flurstücks 182/46, Flur 3, Gemarkung D. mit der postalischen Anschrift E.-G.-W. 22. Das Grundstück liegt an der Einmündung des E.-G.-W. in den C.-V.-W. und grenzt an beide Straßen an. Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut.
Mit Bescheid vom 2. Februar 1994 zog die Antragsgegnerin die Antragstellerin für den in den Jahren 1991 und 1992 durchgeführten verkehrsberuhigten Ausbau des E.-G.-W. in dem Abschnitt zwischen der Einmündung des C.-G.-W. und des C.-V.-W. zu einem Straßenausbaubeitrag von 20.987,78 DM (10.730,88 ¤) heran. Hiergegen legte die Antragstellerin fristgerecht Widerspruch ein, über den bisher nicht entschieden wurde. Unter dem 26. April 1994 setzte die Antragsgegnerin die Vollziehung des Bescheides durch interne Verwaltungsverfügung aus. Am 18. Mai 1994 suchte die Antragstellerin bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Diesen Antrag lehnte die seinerzeit zuständige 10. Kammer des Gerichts mit Beschluss vom 9. Juni 1994 als unzulässig ab, weil die Antragstellerin nicht zuvor einen Aussetzungsantrag gemäß § 80 Abs. 6 VwGO bei der Antragsgegnerin gestellt hatte (10 B 1164/94). Diesen Aussetzungsantrag hatte die Antragstellerin zwischenzeitlich, am 1. Juni 1994, nachgeholt. Eine förmliche Entscheidung der Antragsgegnerin hierüber erfolgte zunächst nicht.
Mit Schreiben vom 14.9.1994 schlug die Antragsgegnerin der Antragstellerin und ihrem Ehemann im Wege der gütlichen Einigung vor, die Antragstellerin und ihr Ehemann sollten ca. 75 % des auf ihre Grundstücke entfallenden Straßenausbaubeitrages zahlen. Ein ähnliches Angebot war bereits anderen Anwohnern gemacht worden. Am 29.12.1994 und am 15.3.1995 folgten Telefonate zwischen dem Rechtsamt der Antragsgegnerin und dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin über weitere Einigungsmöglichkeiten. Seitens der Antragsgegnerin wurde auf die Endgültigkeit dieses Angebotes hingewiesen. Am 17.4.1995 und am 22.4.1996 antwortete der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin und erklärte die Bereitschaft abschließend DM 8.954,94 zu zahlen. Danach brach der Kontakt zwischen den Beteiligten ab.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2001 lehnte die Antragsgegnerin schließlich den Aussetzungsantrag der Antragstellerin vom 1. Juni 1994 förmlich ab. Daraufhin suchte die Antragstellerin erneut um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Zur Begründung beruft sie sich auf die nach ihrer Meinung zwischenzeitlich eingetretene Zahlungsverjährung, weil weder die Voraussetzungen für eine Hemmung noch für eine Unterbrechung der Verjährung vorgelegen hätten.
Weiterhin trägt sie vor, dass die Verkehrsberuhigung, die das Ziel des Ausbaus gewesen sei, fehlgeschlagen sei. Die Antragsgegnerin habe zudem die Summe von 100.000,- DM, die im Vorwege als geplante Kosten veranschlagt wurden, weit überschritten. Dies begründet die Antragsstellerin mit Planungs- und Ausschreibungsfehlern.
Weiter bemängelt die Antragstellerin die Kosten im einzelnen. Die Antragsgegnerin habe Pflanzen auf Privatgrund beseitigt und die Wiederherstellungskosten seien in den Gesamtbetrag eingegangen. Weiter seien ursprünglich nicht geplante Pflanzungen in die Berechnung eingegangen. Auch seien die Flächen falsch berechnet worden. Die Fläche 177/54 Bunker sei nicht mit eingegangen. Weiter habe die Antragsgegnerin die Ecklage des Grundstücks der Antragstellerin nicht mindernd berücksichtigt.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 8.2.1994 und der eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 2.2.1994 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat keinen förmlichen Antrag gestellt. Sie regt an, zunächst die Frage der Verjährung der Beitragsforderung zu klären. Nach ihrer Auffassung sei eine Verjährung nicht eingetreten, denn die Beteiligten hätten bis in den April 1996 über Vergleichsmöglichkeiten verhandelt. Diese Vergleichsverhandlungen hätten die Verjährung gehemmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten der Antragsgegnerin Bezug genommen. Die Akten des Verfahrens des Verwaltungsgerichts Stade (Az.: 10 B 1164 / 94) wurden beigezogen.
II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung in dem hier gegebenen Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine über die Zahlungspflicht hinausgehende unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Im vorliegenden Fall überwiegt das private Interesse der Antragstellerin vor einer Entscheidung in der Hauptsache von Vollziehungsmaßnahmen verschont zu bleiben, weil die summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergeben hat, dass die Beitragsforderung der Antragsgegnerin zwischenzeitlich verjährt und damit erloschen ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 a Niedersächsisches Kommunalabgabengesetz (NKAG) i. V. mit §§ 228, 232 Abgabenordnung (AO)).
Das Nds. Kommunalabgabengesetz erklärt gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 5 a NKAG die Vorschriften der Abgabenordnung über die Verjährung von Ansprüchen aus dem Abgabenverhältnis für entsprechend anwendbar. Danach beträgt die Frist der Zahlungsverjährung fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO), gerechnet ab dem Ende des Jahres, in dem die Forderung erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Voraussetzungen unter denen der Lauf der Verjährungsfrist gehemmt oder unterbrochen wird sind in den §§ 230 und 231 AO abschließend geregelt. Die Unterbrechungstatbestände können sowohl Verwaltungsakte als auch Realakte sein, müssen aber Außenwirkung haben. Rein innerdienstliche Anordnungen oder Maßnahmen unterbrechen die Verjährung nicht (vgl. Klein, Abgabenordnung, 6. Auflage, § 231, Anm. 1. und 5.).
Die Fälligkeit der Beitragsforderung der Antragsgegnerin ist im Jahre 1994 eingetreten, so dass der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 1994 begann. Die Frist endete mit Ablauf des 31. Dezember 1999. Eine Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung ist in diesem Zeitraum nicht eingetreten. Die Stellung des Aussetzungsantrages durch die Antragstellerin im Jahre 1994 hat nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung geführt, denn die bloße Antragstellung ist in § 231 AO nicht als Unterbrechungstatbestand aufgeführt. Ebenso wenig konnte die Anweisung der Antragsgegnerin an ihre Vollstreckungsabteilung, zunächst von einer Beitreibung der Forderung abzusehen, die Verjährung unterbrechen, da diese Maßnahme nur innerdienstlich erfolgte und der Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben wurde. Allein die förmliche und nach außen bekannt gegebene Aussetzungsentscheidung oder ein ebenso nach außen bekannt gegebener Vollstreckungsaufschub hätten eine solche Unterbrechung bewirken können. Beides ist offensichtlich nicht erfolgt.
Auch die zwischen den Beteiligten bis ca. Ende April 1996 geführten Vergleichsgespräche haben die Unterbrechung der Verjährung nicht herbeigeführt. Der Wortlaut der streng formalen Vorschriften der Abgabenordnung sieht Vergleichsgespräche als eigenen Unterbrechungstatbestand nicht vor ( vgl. § 231 Abs. 1 AO). Einen zusammen mit Vergleichsverhandlungen gleichsam konkludent gewährten Zahlungsaufschub oder eine Stundung kennt das Gesetz ebenso wenig. Die §§ 222 und 223 AO, die die Voraussetzungen für Stundung und Zahlungsaufschub regeln, stellen weitergehende Anforderungen an die Gewährung dieser Vergünstigungen für den Abgabenschuldner, die offenbar bei der bloßen Aufnahme von "Vergleichsgesprächen", wie im vorliegenden Fall, nicht vorliegen. Die abschließenden Regelungen der Abgabenordnung sind auch nicht erweiternd durch entsprechende Heranziehung von Rechtsvorschriften des Zivilrechts, wie es die Antragsgegnerin befürwortet, auslegbar. Der Wortlaut der Vorschriften ist eindeutig und abschließend. Es fehlen Formulierungen wie "insbesondere, unter anderem" etc., aus denen sich herleiten ließe, dass die Aufzählung des § 231 Abs. 1 AO nicht abschließend sein soll. Auch eine Regelungslücke, wie sie für die analoge Anwendung von Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten Voraussetzung wäre, ist nicht ersichtlich. Auch besteht hierfür keine Notwendigkeit, da die Antragsgegnerin schon während der "Vergleichsverhandlungen" jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, durch förmliche Aussetzung der sofortigen Vollziehung die Verjährung zu unterbrechen und so für weitere Verhandlungen oder die Entscheidung über den noch immer anhängigen Widerspruch Zeit zu gewinnen.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2001, mit dem sie den Aussetzungsantrag der Antragstellerin aus dem Jahre 1994 abgelehnt und diese zur Zahlung aufgefordert hat, konnte eine Verjährungsunterbrechung nicht mehr herbeiführen, da die Verjährung bereits mit Ablauf des 31. Dezember 1999 eingetreten war.
Die Voraussetzungen für eine Hemmung der Verjährung gemäß § 230 AO haben offensichtlich nicht vorgelegen.