Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 11.04.2002, Az.: 3 A 417/01

amtsangemessener Lebensunterhalt; Beihilfe; erektile Dysfunktion; Fürsorgepflicht; Viagra

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
11.04.2002
Aktenzeichen
3 A 417/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 42342
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Viagra nach nds. Landesrecht nicht beihilfefähig

Anerkennung der Beihilfefähigkeit eines Medikaments

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für das Medikament Viagra.

2

Der Kläger ist Beamter des Flecken O. und damit beihilfeberechtigt. Im März 2000 wurde bei dem Kläger aufgrund einer Krebserkrankung u.a. die Prostata entfernt. Infolge dieser Operation stellten sich bei dem Kläger Erektionsstörungen ein. Von seinem behandelnden Arzt wurde dem Kläger daraufhin das Präparat Viagra verschrieben.

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Mit Beihilfeantrag vom 22.08.2000 begehrte der Kläger u.a. die Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für das Medikament Viagra in Höhe von 93,20 DM. Insoweit lehnte die Beklagte diesen Antrag des Klägers mit dem angegriffenen Bescheid vom 31.08.2000 ab und führte zur Begründung aus, dass nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BHV die Aufwendungen für potenzsteigernde Mittel von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen seien. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, den er u.a. mit der Stellungnahme des leitenden Arztes der Urologie der R.-Klinik in B., D.. K., vom 21.12.2000 begründete. In dieser Stellungnahme heißt es u.a.:

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Die erektile Dysfunktion ist unmittelbare Folge des Tumorleidens und der durchgeführten Operation. Eine medikamentöse Substitution zur Wiedererhaltung der Potenzfähigkeit ist absolut - auch aus psycho-onkologischen Gründen - bei dem 1943 geborenen Patienten indiziert.

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Den so begründeten Widerspruch wies die Beklagte - nach weiterem zwischenzeitlichen Schriftwechsel - mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2001 unter Wiederholung der Rechtsauffassung aus dem Beihilfebescheid vom 31.08.2000 zurück.

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Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Der Kläger macht unter Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße von 16.10.2001 geltend, dass in seinem Falle das Medikament Viagra nicht als potenzsteigerndes Mittel verordnet worden sei, sondern aufgrund des Krankheitsbildes der erektilen Dysfunktion, zu der es infolge der Prostataentfernung gekommen ist. Es gehe nicht darum, vorhandene sexuelle Potenz zu steigern, sondern darum, die aufgrund der Operation nicht mehr bestehende Erektionsfähigkeit als normale Körperfunktion jedenfalls zeitweise wiederherzustellen und damit ein Krankheitsbild zu behandeln. Soweit der Dienstherr die Aufwendungen für diese Behandlung nicht anerkenne, verstoße er gegen das Willkürverbot und die ihm obliegende Fürsorgepflicht, weil es sich um nicht unerhebliche Kosten zur Behandlung einer Krankheit handele.

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Ergänzend verweist der Kläger auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Lüneburg vom 28.02.2000, in der in einem vergleichbaren Fall eine Krankenversicherung verurteilt wurde, die Kosten des dortigen Klägers für das Arzneimittel Viagra zu übernehmen.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, Aufwendungen in Höhe von 93,20 DM für das Medikament Viagra als beihilfefähig anzuerkennen und den Bescheid vom 31.08.2000 und den Widerspruchsbescheid vom 06.03.2001 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verweist darauf, dass das Bundesministerium des Innern einzelne Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit ausschließen könne. Dies sei mit Erlass vom 29.09.1998 hinsichtlich der Aufwendungen für potenzsteigernde Arzneimittel erfolgt. Dieser Auffassung habe sich das zuständige Niedersächsische Finanzministerium angeschlossen. Dementsprechend seien nach Hinweis 2 zu § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BHV die Aufwendungen für Präparate zur Behandlung der erektilen Dysfunktion sowie zur Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Auf die nicht rechtskräftige Entscheidung des VG Neustadt an der Weinstraße komme es hier nicht an, weil die Rechtslage in Rheinlandpfalz insoweit abweichend sei, als dort lediglich potenzsteigernde Mittel von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen seien.

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Auf das vom Kläger vorgelegte sozialgerichtliche Urteil komme es nicht an, weil diese Urteile im Bereich des eigenständigen beamtenrechtlichen Instituts der Beihilfe ohne Bedeutung seien.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Die ergangenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten; einen weitergehenden Anspruch auf die begehrte Anerkennung der Beihilfefähigkeit für das Präparat Viagra hat der Kläger nicht ( vgl. § 113 Abs. 5 VwGO ).

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Zutreffend weist die Beklagte auf die Hinweise des Nds. MF zur Durchführung des § 6 BhV ( Ziffer 2 zu Abs. 4 ) hin. Hiernach sind Aufwendungen für Präparate zur Behandlung der erektilen Dysfunktion sowie zur Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Damit ist das Krankheitsbild des Klägers, wie von der Beklagten während des gerichtlichen Verfahrens hervorgehoben, ausdrücklich von diesem Ausschluss umfasst. An dieser Rechtslage hat sich auch nichts geändert; vielmehr findet sich die entsprechende Formulierung auch in den am 27.03.2002 neu veröffentlichten Beihilfevorschriften ( Nds. Min.Bl. S. 145 ff, 179 ).

17

Das rheinland-pfälzische Landesrecht weicht hiervon ab. Dort heißt es in der Verwaltungsvorschrift des MF vom 15.07.1999, das nachfolgend aufgeführte Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind:

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3. Potenzsteigernde Mittel ( z. B. Viagra )

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Bei dieser Formulierung mag das VG Neustadt in der vom Kläger vorgelegten Entscheidung Anlass gehabt haben, eine Differenzierung vorzunehmen, nach der das Medikament einerseits zur Potenzsteigerung ( dann Ausschluss ), andererseits zur Behandlung des Krankheitsbildes der erektilen Dysfunktion ( dann kein Ausschluss ) verwendet wird. Ob dieser Erwägung zu folgen ist, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, denn nach nds. Landesrecht gilt der Ausschluss, wie dargestellt, ausdrücklich auch für den Fall einer Behandlung des genannten Krankheitsbildes. Diese Regelung ist insoweit abschließend und einer Auslegung im Sinne des Begehrens des Klägers nicht zugänglich. Aus entsprechenden Gründen kann sich der Kläger auch nicht auf die Entscheidung des VG Stuttgart ( vom 07.09.2000, in NJW 2001, S. 3429 ) berufen, denn auch das baden-württembergische Landesrecht geht ausweislich dieser Entscheidung offensichtlich ebenso wie das zitierte Landesrecht Rheinland-Pfalz davon aus, dass Aufwendungen für potenzsteigernde Mittel nicht zu den beihilfefähigen Aufwendungen gehören, ohne das Krankheitsbild der erektilen Dysfunktion in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

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Angesichts der Subsidiarität der Beihilfe ( vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 BhV; Ergänzung der Eigenvorsorge ) bestehen gegen diesen Ausschluss keine durchgreifenden Bedenken.

21

Ein Anspruch des Klägers aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn, hier ausnahmsweise über die Bestimmungen der BhV hinausgehend, besteht ebenfalls nicht. Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 26.05.1998 (Az.: 5 L 1988/96) ausgeführt, dass ein über die Beihilfevorschriften hinausgehender Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht dann hergeleitet werden kann, wenn in dem konkreten Fall die Versagung der Beihilfe zu einer Verletzung der Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern führt, was nur angenommen werden kann, wenn durch die Versagung der Beihilfe der amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten gefährdet wird (hierzu Bundesverfassungsgericht E 83, 89). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Zwar kann nicht abschließend beurteilt werden, in welcher Höhe für den Kläger Aufwendungen durch den Gebrauch des Medikamentes entstehen, wobei dies ohnehin von den persönlichen Lebensumständen abhängen und damit ggf. variieren dürfte. Allerdings hat der Kläger in seinem weiteren Beihilfeantrag vom 12.02.2001 die Anerkennung der Beihilfefähigkeit für Viagra begehrt, und zwar für Rechnungen vom 18.09.2000, 05.12.2000 und vom 12.01.2001 über 136,57 DM, 160,57 DM und über 225,27 DM. Diese Daten und Beträge rechtfertigen den Schluss, dass der Kläger Aufwendungen für das Medikament von ca. 100,- bis 150,- DM monatlich haben dürfe. Bei dieser Größenordnung und den ihm gewährten Bezügen der Besoldungsgruppe A 12 ist die Gefährdung seines amtsangemessenen Lebensunterhaltes ausgeschlossen, zumal angesichts des dem Kläger zustehenden Beihilfesatzes jeweils nur 70% dieser Beträge zu berücksichtigen sind.

22

Wegen der Unterschiedlichkeit der Sicherungssysteme - die Beihilfe ist keine Krankenversicherung - kommt es auf das vom Kläger vorgelegte Urteil des SG Lüneburg nicht an, wie die Beklagte zutreffend ausführt.