Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 19.04.2002, Az.: 1 B 474/02
Cannabis; Drogen; Fahreignung; Fahrerlaubnis; regelmäßiger Konsum; sofortige Vollziehung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 19.04.2002
- Aktenzeichen
- 1 B 474/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41632
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 3 StVG
- § 11 FeV
- § 14 FeV
Gründe
I. Der 1979 geborene Antragsteller besitzt seit November 1997 die Fahrerlaubnis der Klasse 3. Durch eine Mitteilung des Polizeikommissariats B. vom 8. Mai 2001 erhielt der Antragsgegner davon Kenntnis, dass der Antragsteller eingeräumt habe, Marihuana zu konsumieren. Im Rahmen der Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz räumte der Antragsteller ein, zwischen Juni und Dezember 2000 in 10 Fällen Marihuana für den Eigenkonsum erworben zu haben.
Mit Verfügung vom 28. August 2001 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass erhebliche Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden und forderte ihn auf, ein amtsärztliches Gutachten beizubringen. Nachdem es zu verschiedenen Terminsverschiebungen gekommen war, wurde am 1. Februar 2002 im Gesundheitsamt des Antragsgegners ein Drogenscreening durchgeführt. Die Untersuchung im Labor L. wies im Urin Cannabinoide über 100 ng/ml nach. Mit Schreiben vom 14. Februar 2002 teilte die Amtsärztin dies dem Antragsgegner mit und wies zugleich darauf hin, dass eine weitere amtsärztliche Untersuchung im Hinblick auf den Testausfall als überflüssig angesehen wurde. Mit Anhörungsschreiben vom 18. Februar 2002 wurde dem Antragsteller das Ergebnis mitgeteilt, und er wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Mit Schreiben vom 12. März 2002 wandte sich daraufhin der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers an den Antragsgegner und wies auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München vom 29. Juni 1999 (NJW 2000, 304 [VGH Bayern 29.06.1999 - 11 B 98.1093]) hin. Bei vorliegenden Cannabis-Konsum könne nicht ohne weiteres auf die mangelnde Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges geschlossen werden, weil es entscheidend darauf ankomme, ob der Konsument den Konsum vom Autofahren trennen kann. Ein regelmäßiger Konsum liege bei dem Antragsteller nicht vor. Er habe innerhalb eines halben Jahres lediglich zehnmal Cannabis erworben und sei noch nie verkehrsrechtlich auffällig geworden. Die Amtsärztin habe im Übrigen keinerlei Aussage darüber getroffen, dass der Antragsteller den Konsum und das Führen des Kraftfahrzeuges nicht auseinander halten könne.
Mit Bescheid vom 14. März 2002 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Maßnahme die Fahrerlaubnis. In Anbetracht der positiven Urinprobe und des hohen Wertes sei die Frage nach gelegentlichem oder regelmäßigem Konsum nicht mehr zu klären. Die Aussage, dass ein Konsum nur bis Dezember 2000 erfolgt sei, werde durch den positiven Befund widerlegt.
Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 19. März 2002 Widerspruch eingelegt, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.
Mit dem am 20. März 2002 eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, der angefochtene Verwaltungsakt werde sich als rechtswidrig erweisen, weil der Antragsteller nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sei. Es liege bei dem Antragsteller lediglich ein gelegentlicher Konsum vor, und er sei in der Lage, diesen von dem Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen. Aus dem positiven Test der Urinuntersuchung könne nicht auf einen regelmäßigen Konsum geschlossen werden. Bei gelegentlichem Konsum sei eine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht ausgeschlossen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. März 2002 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Bescheid und die Anordnung der sofortigen Vollziehung und weist darüber hinaus darauf hin, dass der Antragsteller offenbar auch in dem Zeitraum von August 2001 bis zur Durchführung der Urinprobe nicht in der Lage gewesen sei, auf Cannabis zu verzichten.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 8. April 2002 weist die Amtsärztin darauf hin, dass der Wert von 100 ng/ml den Normalwert von 25 ng/ml erheblich übersteige. Aus amtsärztlicher Sicht sei davon auszugehen, dass der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiere. Es sei nicht wahrscheinlich, dass er in Zukunft die notwendige Abstinenz einhalten werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Es besteht auch in der Sache keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.
Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel soweit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann. Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage und im gegenwärtigen Erkenntnisstand hat der Rechtsbehelf des Antragstellers keine Aussicht auf Erfolg. Es überwiegen außerdem die Gesichtspunkte, die dafür sprechen, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 ff. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Im Falle der Einnahme von Cannabis wird zwischen der gelegentlichen und der regelmäßigen Einnahme unterschieden. Im Falle einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis ist die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen grundsätzlich zu verneinen, während im Falle der gelegentlichen Einnahme danach zu unterscheiden ist, ob eine Trennung von Konsum und Fahren gewährleistet ist und ob kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen bzw. eine Störung der Persönlichkeit oder ein Kontrollverlust gegeben ist (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11 ff. FeV). Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung hängt daher im Wesentlichen davon ab, ob der Antragsteller als regelmäßiger Konsument von Cannabis anzusehen ist, was unmittelbar auf mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen ließe. Die Kammer geht jedenfalls für dieses vorläufige Verfahren davon aus, dass der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiert. Der Antragsteller räumt ein, in der Zeit von Juni bis Dezember 2001 zehnmal, d.h. mindestens ein- bis zweimal im Monat Cannabis genommen zu haben. Die Kammer neigt dazu, dass dies allein bereits die Annahme einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis rechtfertigen könnte. Zwar hat das Verwaltungsgericht Ansbach (AN 10 S 97.00638; zitiert nach Juris, Fundstelle ZfSch 1998, 158-160; und im Anschluss daran Himmelreich, Cannabis-Konsum und seine Folgen für den Führerschein, DAR 2002, S. 26, 30) einen regelmäßigen Konsum noch verneint, wenn Haschisch fünf- bis zehnmal pro Jahr bei besonderen Anlässen, z.B. Mitrauchen auf Partys, konsumiert wurde. Dieses Maß wird im vorliegenden Fall jedoch schon nach den eigenen Angaben des Antragstellers deutlich überschritten. Darüber hinaus besteht im Falle des Antragstellers nach der amtsärztlichen Untersuchung Anlass zu der Annahme, dass der Drogenkonsum mit dem Dezember 2001 nicht geendet hat. Vielmehr ergibt sich aus dem hohen Wert der am 1. Februar 2002 entnommenen Urinprobe, dass der Antragsteller den Drogenkonsum noch weiter fortgesetzt hat. Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass dies in sofern besonders schwer wiegt, als der Antragsteller wusste, dass eine derartige Untersuchung bevorsteht. Ein solches Verhalten lässt ohne weiteres darauf schließen, dass der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiert und nicht in der Lage ist, sein Verhalten so zu kontrollieren, dass es als gewährleistet anzusehen ist, dass er den Konsum von einer möglichen Teilnahme am Straßenverkehr trennen kann. Die ergänzende Stellungnahme der Amtsärztin vom 8. April 2002 bestätigt diese Annahme im Ergebnis, wenn auch diese Aussage dort nicht weiter belegt wird. Bei der Bewertung folgt die Kammer vorläufig den von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München (Urteil vom 29.06.1999, 11 B 98.1093, NJW 2000, 304-307, und vom 27.09.1999, 11 B 98.1864) aufgrund von Gutachten getroffenen Feststellungen. Danach kann der Cannabis-Konsum im Urin nur über einen kurzen Zeitraum nachgewiesen werden. Je nach Häufigkeit des Konsums beträgt dieser Zeitraum einige Tage bis ein oder zwei Monate. Ein länger zurückliegender, regelmäßiger und gewohnheitsmäßiger Cannabis-Konsum könne dagegen nur durch die Untersuchung der Haare geführt werden. Der bei dem Antragsteller festgestellte hohe Wert von 100 ng/ml Cannabinoide, der den Normalwert um das 4-fache übersteigt, lässt darauf schließen, dass der Konsum von Cannabis im Falle des Antragstellers entweder über einen längeren Zeitraum deutlich höher als ein- bis zweimal monatlich erfolgt war, oder darauf, dass er trotz der bevorstehenden Untersuchung noch weiter Cannabis konsumiert hat. Die Kammer geht daher für das vorläufige Verfahren davon aus, dass der Aussage der Amtsärztin zu folgen ist, wonach der Antragsteller regelmäßig Cannabis konsumiert.
Bei einem derartigen regelmäßigen Cannabis-Konsum folgt selbst der VGH München in der den Parteien bekannten Entscheidung ebenso wie in seiner Entscheidung vom 27.09.1999 (11 B 98.1864, zitiert nach Juris, dort angegebene Fundstelle GWF-Recht und Steuern 1999, 44-46) der Auffassung des dort eingeholten Gutachtens, dass die bei gewohnheitsmäßigem Cannabis-Konsum jedenfalls nicht auszuschließenden unvorhersehbaren und/oder plötzlich eintretenden vorübergehenden Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit es je nach den Umständen rechtfertigen, die Fahreignung ohne weitere Aufklärung zu verneinen. Lediglich ein nachweisbar nur gelegentlicher Cannabis-Konsum sei nicht schon für sich allein geeignet, ein negatives Fahreignungsurteil zu begründen, weil die auch bei einem solchen Cannabis-Konsum grundsätzlich möglichen kurzzeitigen, reversiblen Leistungsbeeinträchtigungen - wie atypische Rauschverläufe, Hangover-Effekte - nur bei Einnahme größerer Dosen zu erwarten seien und die Fähigkeit und die Bereitschaft, den Drogenkonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen, zwar herabgesetzt sein könnten, aber nicht herabgesetzt sein müssten. Ein gelegentlicher Cannabis-Konsum bietet daher lediglich einen hinreichenden Anlass, das Konsumverhalten des Betreffenden hinsichtlich der jeweils eingenommenen Dosen und der Dauer des Konsums aufzuklären und sein Trennvermögen zu überprüfen.
Es entspricht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis, dass ein akuter Cannabisrausch die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 90, 145). Ein Konsum von Cannabis kann zu einer starken Müdigkeit, Störung der Motorik, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, einer Ausrichtung der Wahrnehmung auf irrelevante Nebenreize sowie zu einer Beeinträchtigung der Kritikfähigkeit und zur Selbstüberschätzung führen. Wegen solcher Auswirkungen auf die Verhaltenssteuerung eines Kraftfahrzeugführers begründet jedenfalls ein regel- oder gewohnheitsmäßiger Cannabiskonsum die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wegen der bei einer Verkehrsteilnahme von dem Antragsteller ausgehenden Gefährdung für andere Personen ist dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme der Vorrang einzuräumen vor dem persönlichen und wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers, bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Fahrerlaubnisentziehung weiterhin Kraftfahrzeuge führen zu dürfen.
Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.