Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 18.04.2002, Az.: 2 A 1529/00

Brieftauben; Garage; Hobbytierhaltung; Kleintierhaltung; Nebenanlage; Nutzungsänderung; reines Wohngebiet; Taubenhaus; Umnutzung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
18.04.2002
Aktenzeichen
2 A 1529/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43523
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Haltung von 100 Brieftauben ist in einem als "allgemeines Wohngebiet" festgesetzen Baugebiet, das sich tatsächlich als "reines Wohngebiet" darstellt, bauplanungsrechtlich unzulässig.

Tatbestand:

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Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Umnutzung des Obergeschosses einer genehmigten Garage zur Taubenhaltung.

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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks G. F. 15, Flurstücke 377/2 und 281/1 der Flur 18, Gemarkung B.. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 80 "V. F.-S." I der Stadt B. in der Fassung der 1. Änderung dieses Bebauungsplans, der für das Grundstück des Klägers allgemeines Wohngebiet festsetzt. Dieser Bebauungsplan ist ursprünglich am 27.02.1998 und in der Fassung der 1. Änderung am 17.12.1998 rechtsverbindlich geworden.

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Mit Bescheid vom 14. Januar 2000 erteilte der Beklagte dem Kläger eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses sowie einer Garage auf dem vorbenannten Grundstück. Beide Vorhaben sind inzwischen verwirklicht.

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Mit weiterem Bauantrag vom 28. April 2000, beim Beklagten eingegangen am 02. Mai 2000, beantragte der Kläger die Nutzungsänderung des Obergeschosses des Garagengebäudes zur Taubenhaltung. Nach der Baubeschreibung soll der Dachraum zur Haltung und Zucht von ca. 90 - 100 Brieftauben genutzt werden, wobei nach den vorgelegten Plänen sowie der Anlage zur Baubeschreibung die Unterteilung des Obergeschosses in vier Abteilungen und einen Vorraum vorgesehen ist. In jeder der vier Abteilungen sollen jeweils ca. 25 Brieftauben zur Hobbygeflügelzucht untergebracht werden. Die Ausfluglöcher sind in südlicher Richtung hin vorgesehen. Der Abstand zum Ausflug bis zur gegenüberliegenden, südlichen Grundstücksgrenze soll ca. 16 m betragen. Vorgesehen ist ferner, dass immer nur höchstens eine Abteilung (ca. 25 Tauben) zur selben Zeit zum Freiflug draußen ist. Die Grundfläche des Taubenschlages soll 31,89 qm betragen, die des genehmigten Einfamilienwohnhauses beträgt 106,14 qm.

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Mit Bescheid vom 28. Juni 2000 lehnte der Beklagte die Erteilung der beantragten Baugenehmigung mit der Begründung ab, von der vom Kläger geplanten Taubenhaltung könnten Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebietes im allgemeinen Wohngebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar seien. Dies sei insbesondere im Hinblick auf die Nachbargrundstücke G. F. 13 und 17 zu erwarten. Die besonders schützenswerten Wohn- und Terrassenbereiche des Grundstücks G. F. 13 seien zum geplanten Taubenschlag hin ausgerichtet. Selbst wenn die Ausfluglöcher zur anderen Seite angeordnet seien, sei bei der Vielzahl von insgesamt 100 Tauben mit nicht unerheblichen Belästigungen durch Lärm im und am Taubenschlag, Geruchsbelästigungen, Lärm (Flügelschlagen) bei An- und Abflug, Überfliegen benachbarter Grundstücke sowie Sitzen auf und dabei Verunreinigung von benachbarten Gebäuden zu rechnen. In ihrer Gesamtheit führten diese Belästigungen und Störungen zu einer Unzumutbarkeit für die Grundstücksnachbarn, so dass eine solche Taubenhaltung gegen das im Bauplanungsrecht enthaltene Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verstoßen würde. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass die Stadt B. bei der Aufstellung des Bebauungsplanes einen besonderen Schutz der Wohnnutzung habe gewährleisten wollen, weshalb beispielsweise die nach § 4 Abs. 3 Nr. 1-5 Baunutzungsverordnung ausnahmsweise zulässigen Nutzungen hier ausdrücklich ausgeschlossen worden seien. Ferner seien nur Einzelhäuser mit maximal 2 Wohnungen je Einzelhaus zulässig. Wie sich aus dem Flurkartenauszug vom Juni 2000 ergebe, sei der gesamte Planbereich bisher ausschließlich mit Wohngebäuden einschließlich Garagen, Carportanlagen und Abstellräumen bebaut worden. Dadurch sei ein erhöhtes Maß von Ruhe für die Eigentümer und Nutzer der einzelnen Grundstücke sichergestellt. Die mit der Taubenhaltung in Verbindung stehenden Störungen und Belästigungen würden die Grundstücksnachbarn auf Grund dieser Grundstückssituation empfindlicher treffen, auch wenn der Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet festsetze.

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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Anwaltsschriftsatz am 06. Juli 2000 beim Beklagten Widerspruch, mit dem er unter Bezugnahme auf den bereits am 09. Juni 2000 beim Beklagten eingereichten Anwaltsschriftsatz vom 07. Juni 2000 vorgetragen hat, unter Berücksichtigung der zivilrechtlichen wie verwaltungsrechtlichen obergerichtlichen Rechtsprechung sei das vom Kläger beabsichtigte Vorhaben zulässig, insbesondere gebietsverträglich. Hierbei sei insbesondere zu rücksichtigen, dass das Grundstück des Klägers am Rande des Wohngebietes liege, so dass die Brieftauben nach dem Verlassen des Taubenschlages über Freiflächen, hier das angrenzende Ackerland, flögen. Da die Ausfluglöcher in südlicher Richtung angeordnet seien und der Taubenschlag zur Nordseite keinerlei Öffnungen aufweise, werde insbesondere das Nachbargrundstück G. F. 13 mit seinem zur Nordseite des Taubenschlages ausgerichteten Wohn- und Terrassenbereich nicht von Beeinträchtigungen betroffen sein. Das südliche Nachbargrundstück G. F. 17 sei schon deshalb nicht betroffen, weil die Grundstücksgrenze 16 m, der zur abgewandten Südseite liegende Wohn- und Terrassenbereich dieses Grundstücks aber noch erheblich weiter vom Taubenschlag entfernt sei. Ferner sei auf Grund der spezifischen Verhaltensweise von Brieftauben, welche im Gegensatz zu Wildtauben beim Freiflug grundsätzlich sofort die Umgebung des Schlages verlassen und, soweit sie sich niederlassen wollen, fast ausschließlich den eigenen Schlag aufsuchen, ernsthafte Belästigungen der Nachbarschaft nicht zu befürchten. Die durch das Flügelschlagen von Brieftauben verursachte Geräuschentwicklung sei generell nicht geeignet, die Wohnruhe zu stören. Auch eine Geruchsbelästigung sei aus dem geschlossenen Schlag nicht zu erwarten, da die Räume täglich gereinigt würden und somit stets sauber und trocken seien. Hinsichtlich der Tierhaltung im V. F. wird darauf hingewiesen, dass auf dem Grundstück G. F. 17 Hunde und Kaninchen gehalten würden sowie auf dem Grundstück Große Flage 19 Katzen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2000 wies die Bezirksregierung L. den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Bei der vom Kläger beabsichtigten Taubenhaltung handele es sich zwar grundsätzlich um Kleintierhaltung im Sinne des § 14 der BauNVO. Die Zulässigkeit solcher Anlagen setze jedoch ihre Unterordnung unter den Hauptzweck des Baugebietes voraus. Für Wohngebiete bedeute dies, dass die Kleintierhaltung den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprengen dürfe. Außerdem dürften die Anlagen der  Eigenart des Gebietes nicht widersprechen. Hierbei sei vor allem die tatsächlich vorhandene Bebauung des Gebietes ("seiner Eigenart") zu berücksichtigen. Es müsse sich danach stets um eine Nutzung handeln, die ihrem Umfang nach nicht über das hinausgehe, was in dem jeweiligen Gebiet im konkreten Einzelfalle üblich sei. Wie die am 05. September 2000 durchgeführte Ortsbesichtigung ergeben habe, liege das Grundstück des Klägers am Rande eines Neubaugebietes und grenze an ein Maisfeld. Die mit freistehenden Einzelhäusern bebaute Umgebung diene ausschließlich dem Wohnen. Anderweitige Tierhaltung, die der Größenordnung des Vorhabens des Klägers entspreche, sei nicht zu erkennen gewesen. Die vorhandenen Nebenanlagen würden, soweit ersichtlich, nicht zur Tierhaltung genutzt. Obwohl die Taubenhaltung grundsätzlich mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines Wohngebietes vereinbar sei, sei unter Berücksichtigung der Eigenart dieses Gebietes die Haltung von 100 Tauben nicht mehr zu den üblichen Wohngewohnheiten zu zählen. Die Anzahl dieser Tiere reiche weit über das hinaus, was § 14 BauNVO unter typischer Hobbytierhaltung verstehe. Das beantragte Taubenhaus wirke wegen der mit der Haltung der Tiere verbundenen Beeinträchtigungen (Gurren, Umherfliegen, Flügelklatschen, Verunreinigung der benachbarten Gebäude) in dieser Umgebung wie ein Fremdkörper, der bodenrechtliche Spannungen begründe. Daran könne auch die benachbarte Freifläche, die als Einflugschneise dienen solle, nichts ändern, da Beeinträchtigungen der Nachbarschaft nicht ausgeschlossen werden könnten. Die beantragte Taubenhaltung sei daher unzulässig.

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Daraufhin hat der Kläger die am 09. Oktober 2000 eingegangene Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung beruft sich der Kläger erneut auf zivilrechtliche wie verwaltungsrechtliche obergerichtliche Rechtsprechung, die seiner Meinung nach sein Begehren stützt. Da sich sein Grundstück am Ortsrand in unmittelbarer Nähe zur Landwirtschaft befinde, sei hier eine großzügige Beurteilung geboten. Auf Grund der Lage des Grundstücks sei ferner davon auszugehen, dass, wenn überhaupt, nur wenige Nachbarn von Einflüssen der Anlage betroffen sein würden. Zudem bevorzugten Brieftauben, soweit sie sich zum Fluge im Freien aufhalten, über Freiflächen, wie das angrenzende Ackerland, zu fliegen. Wesentlich sei auch, dass nach dem Bauantrag lediglich 25 Tauben jeweils zum Flug freigelassen würden, so dass nicht von einer wesentlichen Beeinträchtigung durch den Freiflug der Tauben ausgegangen werden könne. Ferner sei auf Grund der spezifischen Verhaltsweisen von Brieftauben, welche im Gegensatz zu Wildtauben beim Freiflug grundsätzlich sofort die Umgebung des Schlages verlassen und, soweit sie sich niederlassen wollen, fast ausschließlich den eigenen Schlag aufsuchen, ernsthafte Belästigungen der Nachbarschaft nicht zu befürchten. In einem zivilrechtlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht München sei festgestellt worden, dass von einem Anwesen, auf welchem über 100 Tauben gehalten würden, keine die Nachbarschaft störenden Geräusche ausgingen. Auch Geruchsbelästigungen der Nachbarschaft seien, da der Taubenschlag sauber und trocken gehalten werde, nicht zu befürchten.

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Der Kläger beantragt,

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unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 28. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 12. September 2000 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Baugenehmigung für den Umbau und die Nutzungsänderung des Dachgeschosses der Garage auf dem Grundstück Große Flage 15 für die Haltung von 90 - 100 Tauben zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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und nimmt zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen Bezug. Soweit der Kläger sich auf Taubenhaltungen in der W. sowie in der I. beziehe, lägen diese in anderen Wohngebieten und im Übrigen sei insoweit lediglich ein Taubenhaus auf dem Grundstück R., I. 25, genehmigt worden. Die weiteren aufgeführten Taubenschläge seien dem Beklagten nicht bekannt und von ihm auch nicht genehmigt worden.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die von der Bezirksregierung L. sowie vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

15

Das Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung das Grundstück des Klägers sowie dessen nähere Umgebung in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Verhandlungsniederschrift vom 18. April 2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28. Juni 2000 sowie der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 12. September 2000 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm beantragte Baugenehmigung für die Umnutzung des Obergeschosses der ihm genehmigten Garage auf seinem Grundstück G. F. 15 in B..

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Gemäß § 75 Abs. 1 NBauO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht, d. h., gemäß § 2 Abs. 10 NBauO, insbesondere mit dem städtebaulichen Planungsrecht der §§ 30 ff. BauGB sowie der Baunutzungsverordnung vereinbar ist.

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Als Baumaßnahme i. S. d. § 2 Abs. 5 NBauO ist die geplante Nutzungsänderung gemäß §§ 68 Abs. 1, 69 Abs. 4 Ziffer NBauO genehmigungspflichtig, da das öffentliche Baurecht an die Nutzung des als Garage genehmigten Gebäudes zur Haltung von Tauben andere und weiterreichende Anforderungen stellt als an seine Nutzung als Garage.

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Gemessen an den vorgenannten gesetzlichen Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der von ihm beantragten Genehmigung, weil die von ihm nach einem entsprechenden Umbau beabsichtigte Nutzung des Obergeschosses seiner Garage für die Haltung von 90 bis 100 Tauben bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Denn bei der von ihm auf dem Grundstück G. F. 15 in B. geplanten Anlage handelt es sich nicht um eine auf diesem Grundstück nach § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. dem hier rechtsverbindlichen Bebauungsplan sowie dessen Bestandteil bildenden § 14 Abs. 1 BauNVO zulässige Nebenanlage.

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Das Grundstück des Klägers liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 80 ".-S. der Stadt B. in der Fassung der ersten Änderung dieses Bebauungsplans. Dieser Bebauungsplan ist ursprünglich am 27. Februar 1998 und in der Fassung der ersten Änderung am 17.12.1998 rechtsverbindlich geworden. Die Zulässigkeit des Vorhabens des Klägers beurteilt sich daher nach § 30 Abs. 1 BauGB und - gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO - nach § 14 Abs. 1 BauNVO in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990.

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Im Geltungsbereich eines wie hier vorliegend qualifizierten Bebauungsplanes, der insbesondere Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Der für das Grundstück des Klägers rechtsverbindliche Bebauungsplan setzt für dieses Grundstück als Art der baulichen Nutzung "allgemeines Wohngebiet" fest. Mangels anderweitiger Festsetzungen in diesem Bebauungsplan sind gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO die Vorschriften des § 14 Abs. 1 BauNVO Bestandteil dieses Bebauungsplanes.

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Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebietes selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Da einerseits nicht bereits nach § 4 NbauO Einrichtungen für Tierhaltungen in allgemeinen Wohngebieten zulässig sind, andererseits solche auch nicht nach dem für das Grundstück des Klägers geltenden Bebauungsplan gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 NBauO ausgeschlossen wurden, gehören zu den hier zulässigen untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 - gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 NBauO - auch solche für die Kleintierhaltung.

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Bei dem Obergeschoss der Garage des Klägers in seiner Funktion als Taubenhaus handelt es sich um eine untergeordnete, der Kleintierhaltung dienende Nebenanlage i. S. d. § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauNVO.

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Zu den Wesensmerkmalen einer untergeordneten Nebenanlage i. S. d. § 14 Abs. 1 BauNVO gehört, dass die Anlage sowohl räumlich - gegenständlich als auch ihrer Funktion nach dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebietes selbst sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Bebauung dienend zu- und untergeordnet ist ( Fieckert /Fieseler, BauNVO, 9. Auflage 1998, § 14 Rdnr. 3 mit Rechtsprechungsnachweisen). Diesen Anforderungen entspricht das Obergeschoss der Garage des Klägers in seiner Funktion als Taubenhaus. In räumlich-gegenständlicher Hinsicht ergibt sich dies aus seiner Grundfläche von 31,89 m² sowie seinem Volumen von 76,49 m³ im Verhältnis zu 106,14 m² sowie einem - oberirdischen - Volumen von 546,84 m³ des Wohnhauses des Klägers. Auch in funktionaler Hinsicht erweist sich das "Taubenhaus" der Hauptanlage des Grundstücks, nämlich dem Wohnhaus des Klägers als untergeordnet und dienend. Zur Wohnnutzung gehört nämlich grundsätzlich auch die Haltung von Tauben, die nach der Rechtsprechung des Nds. OVG eindeutig zu den Kleintieren i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 NBauO gehören (vgl. Urteil vom 26.09.1980, BRS 36 Nr. 49; Beschluss vom 08.10.1985, BRS 44 Nr. 67).

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Das vom Kläger beabsichtigte Vorhaben widerspricht aber wegen seines Umfanges der Eigenart des Baugebietes.

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Nach der Grundentscheidung des § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauNVO sollen Anlagen für die Kleintierhaltung in allen Wohngebieten grundsätzlich nur zulässig sein, einerseits weil und darüber hinaus soweit sie dem Wohnen dienen. Es kommt daher darauf an, ob eine bestimmte Art der Kleintierhaltung in einem konkreten Wohngebiet als noch mit der Wohnnutzung vereinbar angesehen werden kann oder nicht. Im reinen oder allgemeinen Wohngebiet muss es sich um herkömmliche Weise oder regional traditionelle übliche Formen der Tierhaltung handeln, die nach dem heutigen Verständnis des Wohnens zur Wohnnutzung gehören (OVG Lüneburg, Urteil vom 26. September 1980, BRS 36 Nr. 49 m. w. N.). Unverzichtbar ist demnach die Prüfung, ob die jeweilige Kleintierhaltung der Eigenart des konkreten Baugebietes nicht widerspricht (OVG Lüneburg, a.a.O.). Hierbei kommt es neben der Vereinbarkeit mit der allgemeinen Zweckbestimmung auch auf die konkreten Gegebenheiten des einzelnen Baugebietes an. Denn der Eigenart der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebietes selbst widerspricht eine Nebenanlage nur dann nicht, wenn sie auch der Prägung des einzelnen Baugebietes, die dieses durch seine tatsächliche Entwicklung genommen hat, nicht widerspricht (OVG Lüneburg, a.a.O. m. w. N.). Die vom Kläger beabsichtigte Haltung von etwa 100 Brieftauben ist jedoch mit dem Charakter des Baugebietes, in dem das Grundstück des Klägers gelegen ist, nicht vereinbar:

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Wie die Ortsbesichtigung durch die Kammer ergeben hat, entspricht das Gebiet des Bebauungsplanes, in dem das Grundstück des Klägers liegt, so wie es sich tatsächlich entwickelt hat, dem eines reinen Wohngebietes. Abgesehen von der im Gebäude G. F. N.. 3 in einigen Räumen des ansonsten als Wohnhaus genutzten Hauses festgestellten Naturheilpraxis, die nach § 13 BauNVO in diesem als allgemeines Wohngebiet festgesetzten Plangebiet zulässig ist und auch in einem reinen Wohngebiet i. S. d. § 3 BauGB nach § 13 BauNVO zulässig wäre, befinden sich hier ausschließlich Wohnhäuser, an die sich jeweils Rasenflächen oder Ziergärten anschließen. Andere nach § 4 Abs. 2 Ziffern 2 und 3 BauNVO (1990) allgemein zulässige Vorhaben, wie der Versorgung des Gebietes dienende Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe oder Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke sind nicht vorhanden. Dementsprechend waren im Zeitpunkt der Ortsbesichtigung auf dem Grundstück des Klägers von anderen Grundstücken herrührende Geräusche nicht zu vernehmen. Vielmehr war es hier, abgesehen von leicht hörbaren Geräuschen von einer weiter entfernt liegenden Überlandstraße, die hier nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden können, absolut ruhig. Die hier festgestellte Ruhe im Wohngebiet ist im Übrigen auch vom Bebauungsplan beabsichtigt. Denn dieser schließt in Ziffer 1 der textlichen Festsetzungen die Zulassung aller nach § 4 Abs. 3 BauNVO ansonsten ausnahmsweise zulässigen, mit mehr oder weniger intensiven Lärmemissionen verbundenen Vorhaben, ausdrücklich aus. Soweit andere Kleintierhaltung festgestellt werden konnte, handelt es sich um Kaninchen, die, was die Störung der Nachbarschaft anbetrifft, mit der vom Kläger beabsichtigten Taubenhaltung in keiner Weise vergleichbar sind. Das gleiche gilt für die auf dem Grundstück G. F. N.. 9 festgestellte Haltung eines Hundes. Demgegenüber gehen von der Kläger beabsichtigten Taubenhaltung, so wie sie nach der Baubeschreibung und dem Klageantrag beabsichtigt ist, mit der Eigenart dieses Baugebietes nicht vereinbare Störungen aus:

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Nach der Baubeschreibung sollen die Brieftauben jeweils einmal täglich zum Freiflug herausgelassen werden, wobei zur selben Zeit nur eine Abteilung von jeweils 25 Tauben zum Freiflug draußen sein soll. Dies bedeutet, dass zumindest in der hellen Jahreszeit täglich insgesamt viermal mit einem auffliegenden und zurückfliegenden Taubenschwarm und damit achtmal täglich mit entsprechenden auf den Nachbargrundstücken wahrnehmbaren Fluggeräuschen zu rechnen ist. Hieraus folgt ferner, dass gerade auch um die Mittagszeit Tiere in den Taubenschlag zurückkehren und aus diesem ausfliegen, so dass die mittägliche Ruhezeit auch an den Wochenenden nicht eingehalten werden kann. Daran ändert auch nichts die Lage des Grundstücks des Klägers am Rande des Wohngebietes. Ferner ist nicht auszuschließen, dass sich zurückkehrende Tiere nicht sofort in den Taubenschlag begeben, sondern sich auch auf benachbarten Häusern niederlassen und dort Verschmutzungen hinterlassen. Eine derartige insbesondere mit Lärmbelästigungen der benachbarten Grundstücke verbundene Nutzung des Wohngrundstücks des Klägers ist mit der Wohnruhe, die die Bewohner dieses Baugebietes aufgrund dessen tatsächlichen Charakters hier erwarten dürfen, nicht vereinbar. An dieser Beurteilung vermag auch die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung des Klägers, von den vier in dem Garagengebäude geplanten Abteilungen zur Haltung von Tauben müssten nicht notwendigerweise jede Abteilung zu je 25 Tauben täglich Ausflug haben, nichts zu ändern. Denn maßgeblich ist insoweit nicht diese letztlich vage und unverbindliche Erklärung des Klägers, sondern die Baubeschreibung und der uneingeschränkt gestellte Antrag des Klägers sowie die Tatsache, dass auch danach etwa 100 ganz überwiegend täglich aus- und einfliegende Tauben auf dem Grundstück des Klägers gehalten werden sollen. - Diese Haltung von etwa 100 Brieftauben überschreitet im Übrigen auch den Umfang einer für die

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Wohnnutzung gebietstypischen Hobbytierhaltung als Freizeitbeschäftigung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 1999 - BRS 62 Nr. 85 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) und geht über eine solche weit hinaus.

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Das Vorhaben erweist sich nach alledem als planungsrechtlich unzulässig, so dass die Klage abzuweisen war.