Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 10.12.2019, Az.: 4 A 3179/19

Baufälliges Gebäude; Ruine; Selbstgefährdung; Sicherheitsdienst; Überwachung; Verantwortlichkeit; Verkehrssicherungspflicht

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
10.12.2019
Aktenzeichen
4 A 3179/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69910
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Verpflichtung in § 16 Abs. 1 NBauO, eine bauliche Anlage in einem verkehrssicheren Zustand zu halten, ist inhaltlich an die zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten angelehnt

Der bauordnungsrechtliche Verantwortlichkeit eines Grundstückseigentümers steht es nicht grundsätzlich entgegen, dass die von seinem Grundstück oder seiner baulichen Anlage ausgehenden Gefahren erst durch die Selbstgefährdung unbefugter Dritter entstehen.

Den Eigentümer eines mit einem verlassenen Baudenkmal bebauten Grundstückes kann die Verpflichtung treffen, unbefugte Dritte - insbesondere Kinder und Jugendliche - wirksam davon abzuhalten, das Gebäude zu betreten und sich den von dem Bauwerk ausgehenden Gefahren auszusetzen. Der Umfang dieser Handlungspflicht richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls. Hat sich eine bauliche Anlage zur Sehenswürdigkeit und einem beliebten Treffpunkt entwickelt, kann es verhältnismäßig sein, eine Überwachung der baulichen Anlage mit einem vor Ort anwesenden Sicherheitsdienst zu verlangen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer bauaufsichtsrechtlichen Anordnung zur Gebäudeüberwachung.

Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke mit der postalischen Anschrift E. in F., G. (Gemarkung G., Flur 1, Flurstücke 29/6, 29/8). Bei der Klägerin handelt es sich um eine Projektentwicklungsgesellschaft, die auf dem 23 Hektar großen Gelände die Errichtung von rund 1.800 Wohneinheiten realisiert. Es handelt sich um das weitläufige, ehemalige Werksgrundstück der H.. Das Grundstück ist nur noch im Süden mit mehreren verlassenen Fabrikgebäuden bebaut, von denen zwei unter Denkmalschutz stehen (Gebäude Nr. 44 und Nr. 51). Ein weiteres Gebäude, Nr. 10, stand nicht unter Denkmalschutz und ist Anfang Januar 2019 abgebrochen worden.

Die drei großen Gebäude sind über lange Zeit verfallen. Die Klägerin brachte Hinweisschilder und Bauzäune auf dem Grundstück an, um Unbefugte davon abzuhalten, die Gebäude zu betreten. Dennoch haben die Gebäude sich zur Attraktion entwickelt und ziehen eine nicht unerhebliche Zahl Personen, darunter Kinder und Jugendliche, an, die die stark baufälligen und teilweise einsturzgefährdeten Gebäude betreten und sich dort aufhalten. Die Gebäude verfügen in ihren Keller- und Erdgeschossen über mehr als 300 Fenster und Türen, durch welche Personen sich (unbefugt) Zugang verschaffen können. Im Inneren befinden sich intakte Treppen, über die das einsturzgefährdete Dach betreten werden kann. In der Vergangenheit ist es zu Zwischenfällen mit teils schweren Personenschäden und zahlreichen Polizeieinsätzen gekommen. Zwischen den Beteiligten ist bereits seit langer Zeit umstritten, wie die richtige Absicherung der Gebäude durchzuführen ist.

Die Beklagte ordnete mit Bescheid vom 23.03.2018 gegenüber der Klägerin an:

1. Alle Fenster und Türöffnungen im Keller und Erdgeschoss in den auf den Grundstücken Gemarkung G., Flur 1, Flurstücke 29/6 und 29/8, E., befindlichen, im beigefügten Plan rot markierten Gebäuden sind bis spätestens zum 15.05.2018 so lückenlos zu verschließen, dass die Gebäude nicht mehr ohne weiteres von unbefugten Personen betreten werden können.

2. Es ist sicherzustellen, dass die Öffnungen bis zur Freigabe verschlossen bleiben und gegebenenfalls neue, oder wieder geöffnete Öffnungen erneut verschlossen werden.

3. Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit unter Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 50.000,- Euro pro Punkt.

Die Verfügung ist nach erfolglosem Widerspruch in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2019 bestandskräftig geworden.

Mit Bescheid vom 05.06.2018 ordnete die Beklagte die Zwangsgeldfestsetzung und die Androhung der Ersatzvornahme an. Die Entscheidung ist bestandskräftig, die Klägerin entrichtete das Zwangsgeld.

Mit Bescheid vom 06.07.2018 ordnete die Beklagte an:

1. Es ist unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von fünf Tagen nach Bekanntgabe dieser Verfügung, ein Sicherheitsdienst auf den oben genannten Grundstücken einzusetzen.

2. Aufgrund der Größe und schlechten Einsehbarkeit soll der Sicherheitsdienst aus mindestens drei Personen zeitgleich vor Ort bestehen.

3. Diese sollen rund um die Uhr (24 Stunden / 7 Tage die Woche) sicherstellen, dass der Zugang zu den Baugrundstücken und damit auch allen sich darauf befindlichen baufälligen Gebäuden durch Unbefugte unterbunden wird.

4. Der Sicherheitsdienst ist so lange erforderlich, bis nach erfolgter Durchführung aller mit Bescheid vom 23.03.2018 angeordneten Maßnahmen eine Abnahme durch den Bereich Bauordnung der Landeshauptstadt F. erfolgt ist und nach erneuter Einschätzung der Sicherheitslage als nicht mehr erforderlich angesehen wird.

Weiterhin ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides an. Sie drohte die Ersatzvornahme an und bezifferte die voraussichtlichen Kosten mit 7.000,- Euro monatlich.

Die Beklagte begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es sich bei den Gebäuden um Gefahrenquellen für Leben und Gesundheit handele, deren Zustand deshalb mit § 3 Abs.1 Satz 2 NBauO nicht vereinbar sei.

Weil die Anordnung vom 23.03.2018 nicht umgesetzt worden und auch das Zwangsgeld wirkungslos geblieben sei, seien diese weiteren Maßnahmen zum Schutze von Personen notwendig. In den Gebäuden herrsche weiter reges Treiben. Die Verfügung sei ein geeignetes Mittel, da der Sicherheitsdienst durch dauerhafte Präsenz Unbefugte abschrecke und Personen, die sich in Gefahr gebracht hätten, helfen könne. Die Kosten für die Klägerin stünden in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck, dem Schutz von Gesundheit und Leben. Die gegenwärtige Gefahr mache die sofortige Vollziehbarkeit erforderlich.

Die Beklagte holte anschließend Angebote diverser Sicherheitsfirmen für die Überwachung der Gebäude durch drei Personen zeitgleich ein. Es gingen 6 Angebote ein, die zwischen 38.000,- und 41.000,- Euro monatlich lagen. Mit Schreiben vom 12.07.2018 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass sie die Kosten auf 45.000,- Euro pro Monat schätze.

Die Klägerin legte am 17.07.2018 Widerspruch ein. Sie berief sich im Wesentlichen darauf, dass der Einsatz eines Wachdienstes unverhältnismäßig, insbesondere nicht erforderlich sei. Die Sicherung des Geländes könne insbesondere durch eine von der Firma I. durchgeführte Videoüberwachung erheblich günstiger und ebenso effektiv durchgeführt werden.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 20.07.2018 die Ersatzvornahme hinsichtlich der Beauftragung des Sicherheitsdienstes fest und forderte einen Kostenvorschuss i.H.v. 45.000,- Euro monatlich an, der jeweils bis zum 23. des Folgemonats zu entrichten war. Anschließend beauftragte die Beklagte einen Sicherheitsdienst mit der Überwachung des Grundstückes, der seine Tätigkeit am 23.07.2018 aufnahm.

Mit Bescheid vom 06.09.2018 setzte die Beklagte die Ersatzvornahme hinsichtlich der Verschließung der Türen/Fenster fest. Die Ersatzvornahme ist am 28.10.2018 in Auftrag gegeben worden und hat aufgrund von Verzögerungen durch die Baufirma vom 12.11.2018 bis zum 04.12.2018 stattgefunden. Den von der Klägerin am 01.10.2018 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2018, zugestellt am 10.01.2019, zurück. Die hiergegen erhobene Klage war Gegenstand des Verfahrens 4 A 543/19. Die Beteiligten erklärten diesen am 10.12.2019 für erledigt.

Das Gebäude Nr. 10 ist Ende Dezember 2018 abgerissen worden. Die Beklagte zog den Wachdienst zum 01.01.2019 ab. Die Klägerin beauftragte anschließend die Firma I. mit der Videoüberwachung der Gebäude.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2019, zugestellt am 05.06.2019, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Anordnung vom 06.07.2018 zurück. Sie begründet die Entscheidung damit, dass bis zum endgültigen Verschließen der Öffnungen eine Überwachung des Gebäudes zum Schutze von Leib und Leben von Personen, die in das Gebäude einzudringen drohen, notwendig sei. Die Überwachung der Gebäude durch I. diene der Gefahrenabwehr nicht genauso effektiv wie der Einsatz eines körperlich anwesenden Wachdienstes. Die Größe und schlechte Einsehbarkeit des Geländes hätten den Einsatz von 3 Personen erforderlich gemacht. Die Einsatzbilanz habe gezeigt, dass der Sicherheitsdienst notwendig und effektiv gewesen sei. 707 Personen seien in 4 Monaten angetroffen und des Geländes verwiesen worden. Nach Abschluss der Abrissarbeiten an Gebäude Nr. 10 und Verschließen der Türen und Fenster sei man zu der Einschätzung gelangt, dass ein Wachdienst nicht mehr erforderlich und eine Kameraüberwachung durch I. ausreichend sei.

Die Klägerin hat gegen die Entscheidung am 05.07.2019 Klage erhoben.

Sie begründet die Klage im Wesentlichen damit, dass die Beklagte eine falsche Störerauswahl getroffen habe. Die Klägerin habe mit Warnschildern und diversen anderen Vorkehrungen versucht, Personen am Zutritt zu hindern und sie auf die mit diesem verbundenen Gefahren hingewiesen. Mehr könne von ihr nicht verlangt werden. Wenn Unbefugte keinen Aufwand scheuten, Barrieren zu überwinden und das Gebäude gleichwohl zu betreten, müsse die Beklagte gegen diese vorgehen. Eine Zustandsverantwortung der Klägerin scheide aus, weil es an der Unmittelbarkeit der Gefahrenverursachung fehle und die Gefahr erst durch das eigenverantwortliche Handeln Dritter entstehe. Der Sicherheitsdienst sei zudem für den verfolgten Zweck ungeeignet, wie die Anzahl von angetroffenen Personen zeige. Eine abschreckende Wirkung trete nicht ein. Die Sicherheitsleute seien zudem ihrer Pflicht, das Gelände zu überwachen, nicht ausreichend nachgekommen. Im Übrigen sei die Maßnahme nicht erforderlich, da die ab Januar 2019 von der Firma I. installierte Videoüberwachung eine Gefährdung ebenso effektiv ausschließe. Diese ermögliche durch Lautsprecher und eine Schaltung in die Zentrale eine Ansprache unbefugter Personen in Echtzeit und die rechtzeitige Benachrichtigung der Polizei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 06.07.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zunächst auf die lange Historie von Zwischenfällen seit 2011 auf dem Grundstück, die schließlich zu den Anordnungen in dem Jahr 2018 führten. Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin als Eigentümerin gemäß § 56 NBauO verantwortlich für den Zustand des Grundstückes sei, auch wenn sich Dritte eigenverantwortlich auf diesem in Gefahr begeben. § 16 Abs. 1 NBauO fordere, dass bauliche Anlagen sich in einem verkehrssicheren Zustand befinden. Die Effektivität der Gefahrenabwehr spreche dafür, die Klägerin als Zustandsverantwortliche zu adressieren. Dass Dritte widerrechtlich in das Gebäude eindringen und sich so erst der Gefahr aussetzen, lasse die Verantwortlichkeit der Klägerin nicht entfallen, da ihr dieser Sachverhalt bekannt sei und sie gleichwohl keine wirksamen Gegenmaßnahmen ergriffen habe. Der Einsatz des Sicherheitsdienstes sei geeignet und erforderlich. Insbesondere wäre die Kameraüberwachung für sich nicht ausreichend, um Unbefugte dauerhaft von dem Gebäude und dem einsturzgefährdeten Dach fernzuhalten. Bereits die Zahl der angetroffenen und - teilweise erst mit Hilfe der Polizei - verwiesenen Personen zeige die Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahme. Insgesamt seien 707 Personen am Betreten gehindert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Bauordnungsverfügung vom 06.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Dem Bescheid liegt als Rechtsgrundlage § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO zugrunde. Hiernach kann die Beklagte als zuständige Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen oder Grundstücke dem öffentlichen Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist. Nach § 2 Abs. 17 NBauO umfasst das öffentliche Baurecht insbesondere die Vorschriften der NBauO. Im Widerspruch zu diesen stehen bauliche Anlagen, wenn sie den in den einschlägigen Vorschriften aufgestellten materiell-rechtlichen Anforderungen nicht entsprechen.

I. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt. Gegenstand der streitgegenständlichen Regelungen sind die drei ehemaligen Gebäude Nr. 10, 44 und 51 mit der postalischen Anschrift E. in F., G. auf dem ehemaligen Werksgrundstück der H. (Gemarkung G., Flur 1, Flurstücke 29/6, 29/8).

Diese drei baulichen Anlagen befanden sich zum Zeitpunkt der Anordnung der Bauüberwachung am 06.07.2018 und für die maßgebliche Dauer der Regelung bis zum Abzug des Wachdienstes am 01.01.2019 in einem Zustand, der im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht stand.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 NBauO müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass die öffentliche Sicherheit, insbesondere Leben und Gesundheit, sowie die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere nicht gefährdet werden. Diese Regelung wird ergänzt durch § 16 Abs. 1 NBauO, wonach bauliche Anlagen sich in einem verkehrssicheren Zustand befinden müssen. Die Vorschrift stellt damit eine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Benutzer auf (Große-Suchsdorf/Kammeyer, 10. Aufl. 2020, NBauO § 16 Rn. 1), deren Verletzung ein Einschreiten der Bauaufsicht rechtfertigen kann (BeckOK BauordnungsR Nds/Hermanns, 14. Ed. 1.12.2019, NBauO § 16 Rn. 4).

Was verkehrssicher ist, lässt sich nicht allgemein bestimmen und unterliegt der Auslegung. Der Gesetzgeber hat sich mit diesem Merkmal an dem im Zivilrecht entwickelten Begriff der Verkehrssicherungspflicht orientiert und damit einen Auffangtatbestand geschaffen, mit dem der Bauordnungsbehörde eine Eingriffsbefugnis für Gefahrenlagen zukommt, die im Falle einer Schadensrealisierung eine tatbestandliche Rechtsgutverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB bedeuten würden. Die Kammer greift deshalb auf die von der Rechtsprechung im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze zur Verkehrssichersicherheit von Gebäuden und Grundstücken zurück.

Geschützt sind dabei nach den allgemeinen Regeln zunächst nur diejenigen Personen, die befugtermaßen mit den von einem Grundstück oder Gebäude ausgehende Gefahren in Kontakt kommen. Bei nicht bestimmungsgemäß dem Verkehr überlassenen Grundstücken genügt hingegen regelmäßig die Aufstellung von Verbots- oder Warnschildern. In Ausnahmefällen bestehen darüber hinausgehende Verkehrssicherungspflichten aber auch ohne Rücksicht darauf, ob der Verantwortliche einen Verkehr auf dem Grundstück eröffnet hat. Gegenüber Unbefugten können Pflichten bestehen, wenn für den Verantwortlichen naheliegend und erkennbar ist, dass diese das Grundstück betreten könnten. In diesen Fällen liegt die Pflichtverletzung darin, dass die Bestimmungsgewalt über das Grundstück unzureichend ausgeübt und der Zugang zum Grundstück oder Gebäude nicht verhindert wird. Dies gilt in besonderem Maße gegenüber Kindern, wenn das Grundstück gefährliche Anreize zum Spielen liefert, es leicht zugänglich ist und sich Kinder für gewöhnlich in der Nähe aufhalten. Der Grund hierfür liegt darin, dass Kinder erfahrungsgemäß Zutrittsverboten zuwiderhandeln, weil sie die Bedeutung oder die ihnen drohende Gefahr nicht hinreichend erfassen oder unterschätzen können. Jeder Grundstückseigentümer muss deshalb wirksame und auf Dauer angelegte Schutzmaßnahmen ergreifen, um Kinder vor den Folgen ihrer Unbesonnenheit und Unerfahrenheit zu schützen, wenn für ihn ersichtlich ist, dass Kinder das Grundstück oder Gebäude zum Spielen benutzen und dort Schaden erleiden können (BGH, Urteil vom 20.03.1973 – VI ZR 55/72 –, Rn. 13, juris). Eine Rolle spielt hierbei, wie leicht die Gefahrenquelle – insbesondere von öffentlichen Straßen aus – zu erreichen ist. Die Anforderungen an die erforderlichen Maßnahmen sind zudem umso höher, je größer der Reiz auf spielende Kinder zum Eindringen auf das Grundstück oder in das Gebäude ist (BGH, Urteil vom 22.10.1974 – VI ZR 142/73 –, Rn. 10, juris). Besonders hohe Anforderungen sind an die Sicherung von Ruinengrundstücken oder verlassenen Grundstücken gegenüber Kinder zu stellen (BGH, Urteil vom 11.02.1969 – VI ZR 233/67 -, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.10.1965 -2 U 58/54 -, Ls. 1, juris).

Nach diesen Maßstäben befanden sich die Gebäude im maßgeblichen Zeitraum nicht in einem verkehrssicheren Zustand. Die streitgegenständlichen Ruinen haben sich zur Sehenswürdigkeit mit gewissem Bekanntheitsgrad entwickelt und eine Vielzahl von neugierigen Besuchern angezogen, darunter Hobbyfotographen, Graffitisprayer, Skateboarder, feiernde Jugendliche und spielende Kinder. Die Gebäude befinden sich im dicht besiedelten innerstädtischen Gebiet und sind von den öffentlichen Verkehrsflächen im Süden aus ohne Umstände zu erreichen. Durch die zahlreichen, etwa 320 unversiegelten Fenster und Türen konnten die Gebäude zum Zeitpunkt der Anordnung ohne Probleme betreten werden. Hinzu kommt, dass die Brachfläche zwischen dem J. und dem Stichkanal K. sowie die Freiflächen und Wege entlang der Kanäle insbesondere im Sommer von den Einwohnern als Naherholungsgebiete genutzt und stark frequentiert werden. Auch für Kinder und Jugendliche stellten sich die verlassenen Bauwerke damit als leicht erreichbarer und attraktiver Abenteuerspielplatz dar, wie die Dokumentationen der Polizeiinspektion West aus den Jahren 2013 – 2018 belegen. Aus diesem Grund kann die Klägerin der Anordnung der Beklagten zur Gebäudesicherung nicht mehr Erfolg entgegenhalten, dass Warnschilder vor einem Zutritt warnen und sie die Gebäude dem öffentlichen Verkehr nie zugänglich gemacht habe, sondern Unbefugte die ehemals vorhandenen Zugangssicherungen zerstört hätten. Als Eigentümerin der Industrieruinen trifft die Klägerin auch gegenüber Unbefugten, insbesondere Kindern, die Pflicht, die baulichen Anlagen verkehrssicher zu halten und dafür Sorge zu trage, dass von ihnen keine Gefahren i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 NBauO ausgehen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei den wiederholten, mit Selbstgefährdungen einhergehenden Verstößen um ein seit Jahren allgemein bekanntes Phänomen handelt. Zu den Verkehrspflichten kann in solchen Situationen auch gehören, von Dritten rechtswidrig geschaffene Zutrittsmöglichkeiten wieder wirksam und nachhaltig zu unterbinden.

Gemessen hieran befanden sich die Gebäude nicht in einem verkehrssicheren Zustand. Sie waren nicht ausreichend gegen den Zutritt unbefugter Personen gesichert und wiesen eine Vielzahl von Gefahrenquellen auf, insbesondere Stellen, an denen unachtsame Personen abstürzen und sich verletzen könnten. Besonders hervorzuheben ist hierbei die teilweise offenliegende und einsturzgefährdete Dachkonstruktion, die über die weitgehend intakten Treppen betreten werden kann und aufgrund des gebotenen Ausblickes besonders anziehend ist.

Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass sie zwischenzeitlich über Warnschilder hinausgehende Sicherungsmaßnahmen getroffen habe, die später von den unbefugt eindringenden Personen beseitigt oder zerstört worden seien. Dieser Umstand vermag zwar einer zivilrechtlichen Haftung der Klägerin gegenüber den Personen, die gewaltsam eingedrungen sind, entgegenzustehen. Für die Kinder, die das Gebäude aber zum Zeitpunkt der Anordnung begehbar vorfinden, ist es ohne Unterschied und nicht auszumachen, wer die Hindernisse beseitigt hat bzw. ob es solche jemals gegeben hat. Erst Recht sind solche zerstörten Hindernisse nicht geeignet, Kinder von einem Eindringen in das Gebäude abzuhalten.

II. Der angegriffene Bescheid verstößt auch nicht gegen allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere fehlt es den getroffenen Regelungen nicht an der nach § 37 Abs. 1 VwVfG erforderlichen Bestimmtheit. Einzig gegen die sich mit der zeitlichen Befristung der Maßnahme befassende Nr. 4 der Regelung ließen sich Bedenken formulieren. Diese Regelung knüpft den Abschluss der Anordnung an die Abnahme der Versiegelung der Gebäude und eine erneute Sicherheitseinschätzung durch die Beklagte, und damit an eine wertende Entscheidung, die nicht in der Sphäre der Klägerin liegt. Letztlich stellt sich aber auch diese Regelung im Kontext der Vorgänge auf dem streitgegenständlichen Grundstück und in Kenntnis der parallel angeordneten Versiegelung der Fenster und Türen in dem Bauwerk als unmissverständlich dar. Dem Adressaten der Verfügung wird durch die Befristung in ausreichendem Maße deutlich, dass es sich bei der Anordnung der Überwachung des Grundstückes durch einen Sicherheitsdienst um eine Übergangsmaßnahme bis zur Umsetzung der mit Bescheid vom 23.03.2018 angeordneten baulichen Maßnahmen handelt und sie erst beendet werden darf, wenn die Beklagte als Bauordnungsbehörde den wiederhergestellten bauordnungsgemäßen Zustand der Gebäude festgestellt und als ausreichend gegenüber neueren Entwicklungen stabilisiert gebilligt hat. Auch wird der Klägerin der Umfang der für die Abnahme und positive Sicherheitsprognose der Beklagten vorzunehmenden Arbeiten durch die Kenntnis des Inhaltes und Kontextes des Bescheides vom 23.03.2018 hinreichend klar.

III. Die Klägerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass sie wegen ihrer fehlenden Verantwortlichkeit für die drohenden Gefahren nicht die richtige Adressatin für die Anordnung ist. Die Klägerin ist als Eigentümerin des Grundstückes und der darauf befindlichen baulichen Anlagen verantwortlich für den gesetzmäßigen Zustand der Anlagen und Grundstücke nach § 56 Satz 1 NBauO. Die Auffassung der Klägerin, dass das eigenverantwortliche Verhalten dritter Personen der Unmittelbarkeit ihrer eigenen Verantwortlichkeit entgegensteht, überzeugt nicht. Die Verkehrssicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 S. 1 i.V.m. 16 Abs. 1 NBauO sieht gerade vor, dass die bauliche Anlage in einem Zustand gehalten werden muss, in welchem sie für Dritte – insbesondere Kinder und Jugendliche - keine Gefahr darstellt. Der Eigentümer verstößt gegen diese Pflicht, wenn er diesen Zustand nicht aufrechterhält. Dass als Zwischenschritt unbefugte Personen in das Gebäude eindringen und sich zu verletzen drohen, spricht nach der Konzeption der Zustandsverantwortung des Eigentümers gerade dafür, dass die Klägerin Maßnahmen ergreifen muss. Die Darstellungen der Klägerin zur Rechtsfigur des Zweckveranlassers überzeugen nicht und beruhen auf der zum allgemeinen Polizeirecht entwickelten Dogmatik, für die aufgrund der spezielleren Vorschriften zur Verantwortlichkeit des Eigentümers in § 56 Satz 1 NBauO im hiesigen Fall kein Raum bleibt. Sie überzeugen jedoch auch in der Sache nicht, denn aufgrund der bereits dargestellten Besonderheiten des Grundstückes und der Gebäude überschreiten sie die Gefahrenschwelle und lassen eine bestimmungswidrige Nutzung durch Dritte naheliegend erscheinen (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 14.04.2011 – 13 L 50.11 –, Rn. 19, juris). Hinzu kommt, dass es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr kaum aussichtsreich erscheint, diejenigen Personen ausfindig zu machen und ordnungsrechtlich in Anspruch zu nehmen, die durch die Zerstörung der Zugangsbarrieren zur Eröffnung der Gefahrenquelle beigetragen haben.

IV. Schließlich hat die Beklagte auch nicht die Grenzen des ihr im Rahmen von § 79 Abs. 1 S. 1 NBauO eingeräumten Ermessens verletzt. Die angeordneten Regelungen stellen sich insbesondere als verhältnismäßig dar.

Die Kammer hat keine Zweifel an der Eignung der Anordnung der Überwachung des Geländes durch einen Sicherheitsdienst zu dem Zweck, von den Gebäuden ausgehende Gefahren für unbefugte Besucher bis zum Verschließen aller Öffnungen abzuwenden. Die Behauptung der Klägerin, der Sicherheitsdienst sei seinen Pflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen, verfängt bereits nicht, weil es sich hierbei nur um ein Problem auf der Vollstreckungsebene handeln kann. Grundsätzlich darf die Beklagte aber davon ausgehen, dass ein mit der Überwachung von Gebäuden beauftragter Sicherheitsdienst diese Aufgabe auch wahrnimmt, sodass die Eignung der Anordnung selbst von der behaupteten mangelhaften Durchführung der Ersatzvornahme nicht betroffen ist.

Der geltend gemachte Umstand, dass der Wachdienst mit drei Personen nicht das ganze Gelände lückenlos überwachen kann, ist nicht entscheidend. Auch wenn die Überwachung eines so großen Geländes durch drei Personen nicht umfassend sein kann, so ist sie für den Zweck der Anordnung doch ausreichend förderlich, weil der Wachdienst zumindest einen großen Teil der potenziellen Besucher davon abzuhalten vermag, die Gebäude zu betreten. Dass der Wachdienst während seiner Einsatzzeit in 707 Fällen eingeschritten ist, belegt dies. Hinzu kommt, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen alleine aufgrund der Präsenz des Sicherheitsdienstes davon Abstand nehmen dürfte, sich den Gebäuden überhaupt zu nähern. Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass zahlreiche Personen sich auch von dem Wachdienst nicht hätten abschrecken lassen, widerlegt dies nicht. Irrelevant ist die Behauptung der Klägerin, dass der Wachdienst nicht verhindert habe, dass Abfälle von Dritten auf dem Grundstück abgelagert würden. Die Anordnung und die infolgedessen durchgeführte Ersatzvornahme bezwecken, wie die Beklagte zutreffend herausstellt, die Eindämmung der Gefahren durch die Gebäude, nicht den Schutz des Grundstückes der Klägerin.

Die Anordnung war auch erforderlich. Es ist kein für die Klägerin milderes, aber für den verfolgten Zweck ebenso wirksames Mittel ersichtlich. Ziel der Anordnung war es, für die Übergangszeit bis zur Umsetzung der Anordnung vom 23.03.2018 durch die bauliche Versiegelung aller zugänglichen Öffnungen, möglichst schnell und wirksam zu verhindern, dass Personen auf dem Gelände zu Schaden kommen. Die von der Klägerin vorgeschlagene und ab Januar 2019 eingesetzte Videoüberwachung wäre hierfür kein ebenso wirksames Mittel wie ein rund um die Uhr physisch präsenter Wachdienst gewesen. Zwar ist die Kameraüberwachung ebenfalls grundsätzlich geeignet, Unbefugte von den Gebäuden fern zu halten und erheblich günstiger als ein körperlich anwesender Wachdienst mit drei Bediensteten. Auch ist es der Klägerin unbenommen, nach Umsetzung des Bescheides vom 23.03.2018 durch das Verschließen der Fenster und Türen ab Januar 2019 mittels des Einsatzes von Videotechnik diese Maßnahme zu flankieren und sicher zu stellen, dass die Barrieren nicht erneut zerstört bzw. umgehend repariert werden können. Soweit die Klägerin darzulegen versucht, dass die Kameraüberwachung ein ebenso geeignetes Mittel für den streitgegenständlichen Zeitraum gewesen wäre wie der Einsatz des Wachdienstes, verkennt sie, dass in diesem Zeitraum die Fenster und Türen des Gebäudes unverschlossen waren und Personen ungehindert eintreten konnten. Die Wirksamkeit der Kameraüberwachung tritt jedoch erst in Kombination mit der Versiegelung zu Tage. Auch die Erfahrungswerte, auf welche die Klägerin verweist, stammen aus dem Zeitraum ab Januar 2019. So lange die Türen und Fenster aber offen standen, gab es kein physisches Hindernis für Unbefugte, das sie von dem Betreten der Gebäude hätte abhalten können. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu einem vor Ort anwesenden Sicherheitsdienst, der Unbefugte auch tatsächlich unmittelbar davon abhalten kann, das Gebäude zu betreten, auch wenn seine Wahrnehmungsfähigkeit hinter einer flächendeckenden Kameraüberwachung zurücksteht. Auch kann der Sicherheitsdienst Personen, die bereits in das Gebäude eingedrungen sind, folgen, aufgrund seiner Ortskenntnisse innerhalb des Gebäudes ausfindig machen oder in Notfällen sofort einschreiten und Verletzten erste Hilfe leisten. Diese Möglichkeiten bestehen bei einer reinen Videoüberwachung durch I. nicht. Diese setzt in erster Linie auf die Abschreckung von Besuchern. Hieran ändert auch die hochauflösende Liveschaltung in die Zentrale von I. und die Möglichkeit zur Ansprache der Personen über Lautsprecher in Echtzeit nichts. Bei Verstößen muss gleichwohl die Polizei eingeschaltet werden, die zunächst ausrücken und anschließend die Personen in dem Gebäude – ggf. ohne genaue Ortskenntnisse - ausfindig machen muss, was bei Notfällen entscheidende Zeit kosten kann. Insoweit verliert die Klägerin im Rahmen ihrer Argumentation aus dem Blick, dass sich die Beurteilung der Effektivität der Maßnahme an dem Zweck orientieren muss, Gefahren und Schäden für Menschen abzuwenden, die von dem nicht verkehrssicheren Zustand der baulichen Anlage ausgehen, und nicht die Klägerin vor der Begehung von Hausfriedensbrüchen und Sachbeschädigungen zu schützen oder ihr die Rechtsverfolgung dieser Delikte zu erleichtern.

Auch die Anordnung der Überwachung durch drei Personen ist nicht zu beanstanden. Zwei Mitarbeiter wären zwar kostengünstiger, aber erkennbar weniger effektiv bei der Überwachung des aufgrund der Anordnung der Bauwerke unübersichtlichen Geländes.

Die Maßnahme ist auch angemessen. Sie ist zwar mit erheblichen Kosten für die Klägerin verbunden, dient jedoch dem Schutz wichtiger Rechtsgüter, nämlich Leib und Leben. Der aufgrund des Zustandes der Gebäude notwendige Eingriff zum Schutze dieser Rechtsgüter rechtfertigt die Beeinträchtigung, die für die Klägerin mit der Kostentragungspflicht einhergeht. Dieser Eingriff fällt für die Klägerin auch deswegen hinnehmbar aus, weil sie als Projektentwicklungsgesellschaft das Grundstück als Investitionsobjekt erworben hat und bewirtschaftet. Angesichts ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit erscheint es angemessen, ihr weitreichende Maßnahmen zum Schutze der Allgemeinheit aufzubürden, zumal es die Klägerin – als Unternehmen der Baubranche - zu jeder Zeit selbst in der Hand hatte, die bestandskräftige Verfügung vom 23.03.2018 zeitnah durch Verschließen der Öffnungen in den Gebäuden umzusetzen und den Einsatz des Wachdienstes mit der Erfüllung der in Nr. 4 des angegriffenen Bescheides formulierten Bedingung überflüssig zu machen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.