Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 19.12.2019, Az.: 4 B 4022/19

Anlage; Gaststätte; Kiosk; Lärm; Verkaufsstelle

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
19.12.2019
Aktenzeichen
4 B 4022/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 70037
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Einordnung eines Kiosks als immissionsschutzrechtliche Anlage

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 09.08.2019 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selber trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Anordnung der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller betreibt in der C. in B-Stadt-D. einen Kiosk, aus dem heraus er über einen Tresen direkt auf die Straße u. a. alkoholische Getränke verkauft.

In dem wohl zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichteten Gebäude sind neben dem Kiosk des Antragstellers noch zwei Einzelhandelsgeschäfte untergebracht. Der Kiosk des Antragstellers ist nach Auskunft der beigeladenen Bauaufsichtsbehörde in dem Erörterungstermin der Kammer vom 18.11.2019 als Verkaufsstätte baugenehmigt. Nach den Erkenntnissen der Beigeladenen betreibt der Antragsteller mit der Ausgabe von Flaschenbier keine Schankwirtschaft, da er keine Tische und Vorrichtungen, die Flaschen zu öffnen, bereithält.

Die C. ist eng mit Kiosken und Einzelhandelsgeschäften besetzt, die auch Flaschenbier verkaufen. Besonders in der wärmeren Jahreszeit nutzt nachts täglich ein überwiegend jüngeres Partypublikum die Straße für den Aufenthalt, so dass sich gelegentlich auch bis zu 150 Personen vor dem Kiosk des Antragstellers aufhalten. Bestreifungsprotokolle weisen lärmende, Flaschenbier trinkende Gäste zwischen 22:00 Uhr und 3:30 Uhr aus. Am 28.06.2019 stellte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin fest, dass sich gegen 23:51 Uhr vor dem Kiosk ca. 80 Personen aufhielten, die sich Getränke von dort besorgt hatten, und laut unterhielten. Eine Einkaufsschlange von 8 Personen hatte sich gebildet. Auch am 17.06.2019 (ab 23.25 Uhr) und 18.06.2019 (ab 23.34 Uhr) traf der Mitarbeiter ähnliche Feststellungen.

Mit Verfügung vom 09.08.2019 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller nach vorheriger Anhörung an, in der Zeit zwischen dem 01.04. und 31.10. eines jeden Jahres den Verkauf und die Abgabe alkoholischer Getränke zur Nachtzeit (ab 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr des Folgetags) einzustellen. Sie ordnete die sofortige Vollziehung an und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 € an. Das lärmintensive Verhalten seiner Kunden auf der C. sei (auch) seinem Kiosk zuzurechnen. Damit trage sein Betrieb nicht unerheblich zu den Lärmbelästigungen bei. Die verfügte Einschränkung der Bierversorgung mache das Verweilen vor dem Kiosk unattraktiver und trage so zur Lärmverminderung bei. Die Anordnung des Sofortvollzuges sei im Interesse der Anwohner geboten, denen die ständige Störung ihrer Nachtruhe während eines langfristigen Rechtsbehelfsverfahrens nicht zugemutet werden könne.

Mit Schreiben vom 15.08.2019 erhob der Antragsteller gegen die Untersagungsverfügung Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.

Am 04.09.2019 hat er um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Ihm sei zwar bewusst, dass in der C. „die Geräuschkulisse mitunter höher ist als anderen Wohngebieten der Stadt“, an die „Partymeile“ C. seien aber besondere Maßstäbe anzulegen. Sein Kiosk sei keine lärmemittierende Anlage, die Lärmbelästigungen seien nicht betriebsbezogen. Sein Betrieb erzeuge sie nicht. Das individuelle Gruppenverhalten vor dem Kiosk stehe nicht denknotwendig im Zusammenhang mit dem Kioskbetrieb. Selbst wenn seinem Betrieb der Lärm der Gäste davor zugerechnet werden könne, sei der Lärm für das Baugebiet zumutbar. Einzelfallbezogen sei die C. eine Erlebnisstraße im weiteren Sinn und der Lärm der Gäste sei unvermeidbar. In die Ermessensausübung hätte die Antragsgegnerin auch einstellen müssen, dass Kioske das Stadtbild prägen und der streitbefangene eine gesellschaftliche Institution sei. Das Verkaufsverbot taste die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers an. Um das von der Antragsgegnerin angestrebte Ziel zu erreichen, müsste für die C. eine Sperrstunde eingeführt werden.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung seines gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 09.08.2019 erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt die angefochtene Verfügung: Der Kiosk sei eine ortsfeste Anlage, von der Lärm ausgehe. Lärm, den Gaststättengäste vor der Gaststätte verursachten, sei dem Betreiber zuzurechnen. Auch der Lärm von Kunden eines Kiosks sei diesem wie einer Gaststätte zuzurechnen. Die Kunden versorgten sich in dem Kiosk insbesondere mit alkoholischen Getränken und hielten sich danach vor dem Kiosk bzw. im nahen Umfeld des Kiosks auf. Dabei erzeugten sie eine beträchtliche Lärmbelastung. Selbst wenn der Kundenlärm unvermeidbar sei, sei dies von den Anwohnern nicht hinzunehmen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen, wenn das Interesse des wenn das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angegriffenen Verkaufsverbotes vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an seiner Vollziehung überwiegt. Hierbei kommt den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgebliche Bedeutung zu. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung lässt sich hier absehen, dass der vom Antragsteller erhobene Widerspruch Erfolg haben wird.

Die Antragsgegnerin stützt das angefochtene Verkaufsverbot auf §§ 24, 22 Abs. 1 BImSchG. Danach kann die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen treffen, um sicherzustellen, dass nicht genehmigungsbedürftige Anlagen ohne nach dem Stand der Technik vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen betrieben werden.

Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen nicht vor.

Der Kiosk des Antragstellers ist eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage i. S. d. § 22 BImSchG. Um diesem weit gefassten Begriff zu unterfallen ist es ausreichend, dass es sich bei dem Kiosk um eine ortsfeste Einrichtung handelt, die in immissionsschutzrechtlicher Weise - etwa wegen ihres Anlieferverkehrs - relevant werden kann.

Der von den (wie auch der Antragsteller sie nennt) „Party“-Gästen auf der C. verursachte Lärm dürfte zwar eine schädliche Umwelteinwirkung i. S. d. § 3 Abs. 1 und 2 BImSchG darstellen. Denn er wird in der von der Antragsgegnerin festgestellten Lautstärke geeignet sein, zumindest erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft des Kiosks herbeizuführen. Auch der Antragsteller hält dort die „Geräuschkulisse mitunter höher … als in anderen Wohngebieten der Stadt“.

Der – hier streitgegenständliche – außerhalb des eigentlichen Verkaufsvorgangs beim Erwerb von Getränken am Kiosk des Antragstellers entstehende Lärm stellt aber keine auf den Kiosk des Antragstellers bezogen anlagenbedingte Immission dar, die ein Einschreiten nach den §§ 24, 22 BImSchG rechtfertigen könnte. Anlagen im Sinne des BImSchG sind nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen. Der streitbefangene Lärm kann der Betriebsstätte des Antragstellers nur zugeordnet werden, wenn die Immissionen bei der Errichtung oder dem Betrieb der Anlage entstehen. Entsprechend richten sich die Schutzverpflichtungen des § 22 BImSchG nur an den Anlagenbetreiber und nicht an bloße Anlagenbenutzer. Die §§ 24, 22 BImSchG stellen keine Anforderungen an das immissionsschutzgerechte menschliche Verhalten (Jarass, BImSchG 12. Aufl. 2017, § 22 Rn 6a ff; Heilshorn/Sparwasser in Landmann/Rohmer, Umweltrecht Stand Juni 2019, § 22 BImSchG Rn 38). Von Menschen ausgehende Lärmimmissionen, wie hier diejenigen von Personen vor dem Kiosk des Antragstellers, können nur dann als anlagenbezogene Immissionen bezeichnet werden, wenn sie in einem funktionellen Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und diesem auch in räumlicher Hinsicht noch zuzurechnen sind, weil sie den Bezug zu der emittierenden Anlage noch nicht verloren haben (so BVerwG, Urteil vom 07.05.1996 - 1 C 10/95 -, juris m.w.N.). Dies schließt es aus, etwa einer Verkaufsstätte den Lärm von Kunden zuzurechnen, die den Bereich der Verkaufsstätte nicht verlassen und davor verweilen.

Soweit in der Rechtsprechung (vereinzelt) angenommen worden ist, dass der einem Einzelhandelsbetrieb zurechenbare Mitverursachungsbeitrag zur Gesamtlärmbelastung als anlagenbezogener Lärm einzuordnen sei (OVG Münster, Beschluss vom 15.04.2016 – 4 A 17/14 – juris, Rn. 36 für einen Kiosk mit Trinkhalle, der Alkohol verkauft), teilt die Kammer diese Einschätzung nicht. Zum einen dürfte sich der vom OVG Münster entschiedene Fall mit einer Gemengelage von Kiosk mit Trinkhalle rein tatsächlich schon vom hier vorliegenden Fall einer reinen Verkaufsstätte unterscheiden. Zum anderen ist der Kiosk als reine Verkaufsstätte nicht primär (betriebstechnisch bzw. funktionsbezogen) ursächlich für die Lärmimmissionen, sondern die Lärmimmissionen beruhen auf den verhaltensbezogenen Immissionen der Nutzer, die unabhängig vom Vorhandensein des Kiosks (quasi zufällig) nach dem Kauf dort verweilen. Insofern unterscheidet sich der Kiosk des Antragstellers nicht von anderen Einzelhandelsbetrieben in der Umgebung, denen das Verhalten der Nutzer vor dem Betrieb bislang auch nicht als anlagenbezogener Lärm zugerechnet worden ist.

Die Antragsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, dass der von Personen vor dem Kiosk erzeugte Lärm diesem wie einer Gaststätte zuzurechnen ist. Grundsätzlich trifft es zu, dass der Lärm von Gästen einer Schankwirtschaft dieser anlagenbedingt zuzurechnen ist. Anknüpfungspunkt ist in diesem Fall aber nicht das Verhalten der Anlagenbenutzer, sondern des Anlagenbetreibers, der die Gaststätte und damit Einrichtungen betreibt, die zum Verweilen in und an seiner Anlage einladen. Deshalb muss der Lärm, den die Gäste einer Gaststätte vor der Gaststätte verursachen, dem Betrieb zugerechnet werden (BVerwG, Urteil vom 07.05.1996 – 1 C 10/95 –, juris, Rn. 35).

Der Kiosk des Antragstellers ist jedoch keine Gaststätte. Diese setzt ein gewerbsmäßiges Anbieten von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle voraus (vgl. § 1 Abs. 3 NGastG). Das Anbieten von Getränken bedeutet ein „Verabreichen“ von Getränken an Ort und Stelle, also neben der Abgabe der Getränke ein Verhalten, welches der konkreten Abgabe weit vorausgeht (vgl. Weidtmann-Neuer, NGastG, 2012, § 1, Rn. 26 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 27.09.2000 – 1 BvR 2176/98 –, GewArch 2001, 57 [BVerfG 27.09.2000 - 1 BvR 2176/98]). Dieses ist dann anzunehmen, wenn der Anlagenbetreiber besondere Einrichtungen oder Vorrichtungen für den alsbaldigen Verzehr bereithält, wozu auch das Bereithalten von Flaschenöffnern reichen kann (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15.04.2016 – 4 A 17/14 –, juris, Rn. 37 unter Verweis auf Michel/Kienzle/Pauly, GastG, 14. Aufl. 2003, § 1 Rn. 45) bzw. das Bereitstellen von Sitzgelegenheiten oder Toilettenbenutzungen.

In diesem Sinne bietet der Antragsteller aber seine Waren, auch das Flaschenbier, nicht zum Verzehr an Ort und Stelle an. Sein Verhalten erschöpft sich – nach Auskunft der Bauordnungsbehörde – im bloßen Verkauf „über den Tresen“ und nimmt keinen Einfluss darauf, wie sich die Käufer anschließend verhalten, geschweige denn sie an den Ort der Verkaufsstätte zu binden. Damit verhält sich der Antragsteller wie ein Einzelhändler, den nach dem Immissionsschutzrecht anlagenbezogen nicht die Pflicht zur „Nachsorge“ trifft, wie mit der bei ihm erworbenen Ware umgegangen wird. Hinzu kommt, dass „Partylärm“ nicht zwangsläufig mit dem Betrieb des Kiosks des Antragstellers verbunden ist. Am Alkoholverkauf auf der C. sind zahlreiche weitere Verkaufsstellen beteiligt. Gar mancher Käufer wird das Getränk nicht vor der Verkaufsstelle des Antragstellers verzehren, sondern sich fortbewegen und mit Käufern von Getränken bei anderen Verkaufsstellen vor dem Kiosk „Party machen“.

Die Antragsgegnerin kann den Antragsteller, wenn der Partylärm auf der C. nicht als Immissionen des Kiosks eingestuft werden kann, auch nicht nach allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätzen als Verantwortlichen heranziehen (vgl. hierzu OVG Münster, Beschluss vom 15.04.2016 a. a. O.). Denkbar ist es, ein gegen einen Kioskbetreiber gerichtetes Bierverkaufsverbot auf die ordnungsrechtliche Generalklausel zu stützen. Aber für eine solche Maßnahme ist die Antragsgegnerin nicht zuständig, § 97 Abs. 1 NPOG, § 159 Abs. 2 NKomVG.

Schließlich vermisst das Gericht bei der Antragsgegnerin eine Auseinandersetzung mit der Frage, warum sie nur gegen den Kiosk des Antragstellers einschreitet, obwohl an zahlreichen weiteren Stellen der C. Alkohol ausgeschänkt bzw. (nur) verkauft wird.

Hat der Widerspruch gegen das Verkaufsverbot voraussichtlich Erfolg, gilt das auch für die Zwangsmittelandrohung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat davon abgesehen, den Regelstreitwert zu halbieren, weil mit dem hier vorliegenden Eilverfahren die Hauptsache vorweggenommen wird.