Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.01.2010, Az.: 13 A 6170/09

Anhörung; Heilung; Passpflicht; SOG-Verfügung; Verfahrensfehler; Wehrdienst; Wiedereinbürgerung; Wiedereinbürgerungsantrag; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.01.2010
Aktenzeichen
13 A 6170/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0129.13A6170.09.0A

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine SOG-Verfügung, mit dem ihm aufgegeben wurde, beim türkischen Staat seine Wiedereinbürgerung zu beantragen.

2

Bei dem Kläger handelt es sich um einen früheren türkischen Staatsbürger. Er reiste im Frühjahr 1995 erstmals in die Bundesrepublik ein unter beantragte erfolglos Asyl. Einer geplanten Abschiebung entzog sich der Kläger durch Untertauchen. Im Frühjahr 1999 stelle er ebenfalls erfolglos einen Asylfolgeantrag. Im Sommer 1999 wurde er dann in die Türkei abgeschoben und mit Verfügung vom 08.10.1999 auch aus Deutschland ausgewiesen. Im Jahr 2001 wurde der Kläger dann von der Polizei wieder in Deutschland aufgegriffen. Der Kläger gab an, zwischenzeitlich von der Türkei ausgebürgert worden zu sein, was auch von den türkischen Behörden bestätigt wurde. Er wurde ausgebürgert, weil er seinen Militärdienst nicht abgeleistet hatte. Seither wird der Kläger in Deutschland geduldet. Über einen Heimatpass verfügt er naturgemäß nicht.

3

Schon im Jahr 2004 wurde der Kläger ergebnislos aufgefordert, seine Wiedereinbürgerung zu beantragen. Mit Schreiben seiner früheren Bevollmächtigten vom 27.05.2004 lehnte er dies ab. Er lege keinen Wert auf die türkische Staatsbürgerschaft.

4

Das Oberlandesgericht Celle hob durch Beschluss vom 20.01.2005 - 22 Ss 26/05 - ein Urteil des Landgerichts Bückeburg auf und sprach den Kläger vom Vorwurf des Verstoßes gegen seine Ausweispflicht frei.

5

Mit Bescheid vom 09.11.2009 forderte der Beklagte den Kläger auf, bis zum 15.12.2009 eine Bescheinigung über die Wiedereinbürgerung bzw. über die Beantragung der Wiedereinbürgerung vorzulegen und drohte bei Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 25,00 € an. Der Bescheid wurde am 12.11.2009 zugestellt.

6

Der Kläger hat am 11.12.2009 Klage erhoben.

7

Er trägt vor, eine Wiedereinbürgerung in den türkischen Staatsverband sei dem Kläger nicht zumutbar.

8

Der Kläger beantragt,

  1. den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2009 aufzuheben.

9

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen

10

Er nimmt Bezug auf den angefochtenen Bescheid. Ein Widereinbürgerungsantrag sei dem Kläger zumutbar; ein solcher Antrag sei auch nicht von vornherein aussichtslos.

11

Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 28.01.2010 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

12

Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

13

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter. Der Beklagte hatte sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter gem. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO einverstanden erklärt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte auf entsprechende Anfrage, es bestünden keine Bedenken gegen die Übertragung des Rechtsstreits an den Einzelrichter. Es liegt nahe, in dieser Antwort eine Zustimmung auch zur Entscheidung durch den Berichterstatter zu sehen, da sie die Reaktion auf eine entsprechende Anfrage war und den "Einzelrichter" lediglich als versehentliche Falschbezeichnung zu werten. Vorsorglich hat die Kammer aber gleichwohl die Sache formal durch Beschluss dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

15

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.

16

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

17

Formelle Fehler, die zu einer Aufhebung der angefochtenen Verfügung führen müssten, sind nicht erkennbar. Zwar schreibt § 1 NVwVfG iVm § 28 VwVfG vor, dass, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine förmliche schriftliche Anhörung ist nach den übersandten Verwaltungsvorgängen nicht feststellbar. Es wurde allerdings wenige Tage vor Erlass der Verfügung mit dem Bevollmächtigten des Klägers ein Telefongespräch geführt, dessen weiterer Inhalt bis auf den Vermerk auf Bl. 703 der Verwaltungsvorgänge dem Gericht unbekannt ist. Letztlich kommt es darauf nicht an. Zwar kann auch die Aufforderung aus dem Jahr 2004 nicht als Anhörung zum hier streitigen Erlass gesehen werden; es fehlt der erforderliche zeitliche Zusammenhang. Jedoch hat bereits seinerzeit der Kläger unmissverständlich es abgelehnt, einen Widereinbürgerungsantrag zu stellen. Gemäß § 46 VwVfG kann aber die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das ist hier der Fall. Der Kläger hatte sich bereits früher gegenüber dem Beklagten hinsichtlich der Frage eines Wiedereinbürgerungsantrages geäußert und vertritt ausweislich der Klagebegründung auch immer noch die Auffassung, ein solcher Antrag sei ihm nicht zumutbar, ohne weitere Gründe vorzubringen, die vom Beklagten in seiner Entscheidung einzustellen gewesen wären. Außerdem hatte der Kläger im Lauf des Verwaltungsstreitverfahrens Gelegenheit sich zu äußern und hat dies auch durch Schriftsätze seines Prozessbevollmächtigten genutzt. Das Gericht sieh damit die fehlende Anhörung als geheilt iSd § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG an.

18

Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung ist § 11 Nds. SOG. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren.

19

Es liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dadurch vor, dass der Kläger entgegen der Vorschriften des §§ 3, 48 AufEnthG sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ohne über einen gültigen Pass zu verfügen.

20

Die vom Beklagten getroffene Maßnahme ist geeignet, diesen Verstoß gegen das AufEnthG zu beenden, wobei allerdings der gesetzte Termin "15.12.2009" inzwischen abgelaufen ist und der Beklagte nunmehr einen neuen Termin setzen muss.

21

Da der Kläger aus der Türkei ausgebürgert worden ist, kann er als Staatenloser nicht ohne weiteres einen neuen Pass beantragen. Voraussetzung für den Erwerb eines türkischen Passes ist eine erfolgreiche Wiedereinbürgerung in die Türkei. Eine solche Wiedereinbürgerung setzt einen Antrag des Klägers voraus. Da ein Wiedereinbürgerungsantrag nicht von vornherein aussichtslos erscheint, stellt er ein geeignetes Mittel zur Erlangung eines Passes und damit zur Erfüllung der gesetzlichen Passpflicht dar.

22

Die aufgegebene Maßnahme ist auch erforderlich, um in Zukunft weitere Verstöße gegen die Passpflicht zu vermeiden. Ein milderes Mittel gibt es nicht. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose (früher Fremdenpass) durch Stellen der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsgrundlage für einen derartigen Reisepass könnte nur das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12.04.1976 (BGBl II 1976, 473) iVm. Art. 28 StaatenlÜbk sein. Nach Satz 2 des Art. 28 StaatenlÜbk können die Vertragsstaaten auch jeden anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen Reiseausweis ausstellen. Hieraus folgt kein zwingender Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Reisepasses. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger statt einer SOG-Verfügung mit den o.a. Maßnahmen einen Reisepass für Staatenlose auszustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger einen Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 Abs. 2 StlÜbk haben könnte. Eine Ermessensreduzierung auf Null würde das Vorliegen besonderer konkreter Umstände voraussetzen, die zugunsten des Staatenlosen vom Normalfall abweichen und eine für ihn positive Entscheidung zwingend erfordern. Solche Umstände liegen nicht vor. Denn es ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Staatenlosigkeit selbst herbeigeführt hat und sie auch wieder beseitigen könnte ( OVG Lüneburg, Urt. v. 30.09.1998 - 13 L 458/96 -, zit. n. juris).

23

Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dieser Rechtsfrage ausgeführt:

"Die vom Verwaltungsgerichtshof gebilligte Erwägung des Beklagten, denjenigen Staatenlosen keine Reiseausweise auszustellen, denen es möglich und zumutbar ist, sich in ihren Heimatstaat wieder einbürgern zu lassen oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Landes ihrer Volkszugehörigkeit anzustreben, steht mit dem Zweck der Ermächtigung des Art. 28 Satz 2 1. Halbsatz StlÜbk in Einklang ( Art. 40 BayVwVfG ). Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, kann die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung berücksichtigen, daß Bemühungen um Rücknahme des Staatenlosen durch seinen (ehemaligen) Heimatstaat noch Erfolg haben könnten und daß sich die Bereitschaft dieses Staates, den Staatenlosen zurückzunehmen, im Falle der Erteilung eines Reiseausweises verringern könnte (vgl. Beschluß vom 10. August 1994 - BVerwG 1 B 141.94 - Buchholz 402.27 Art. 28 StlÜbk Nr. 3 = InfAuslR 1995, 4). Die Erwägungen des Beklagten im vorliegenden Fall gehen in die gleiche Richtung. Sie zielen darauf ab, die Kläger zu veranlassen, alle möglichen und zumutbaren Schritte zu unternehmen, die staatsangehörigkeitsrechtlichen Konsequenzen der Auflösung der Sowjetunion durch Erwerb der ihrer Volkszugehörigkeit entsprechenden Staatsangehörigkeit und nicht durch Verfestigung ihrer Stellung als Staatenlose im Bundesgebiet zu bewältigen. Diese Erwägungen sind nicht sachwidrig und - nach Maßgabe der gebotenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. Beschluß vom 10. August 1994 - BVerwG 1 B 141.94 - a.a.O.) - geeignet, die Versagung des Reiseausweises nach Art. 28 Satz 2 1. Halbsatz StlÜbk zu rechtfertigen" (Beschl. v. 30.12.1997 - 1 B 223/97 - zit. n. juris).

24

Dem schließt sich das erkennende Gericht an.

25

Gründe, die einen Wiedereinbürgerungsantrag für den Kläger unzumutbar machen würden, sind nicht ersichtlich. Entsprechend ist der dem Kläger durch die angefochtene SOG-Verfügung vorgezeichnete Weg zur Erlangung eines türkischen Passes auch verhältnismäßig.

26

Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, den Gründen des Beschlusses des OLG Celles vom 25.07.2005 - 22 Ss 26/06 - zu folgen, der im Übrigen noch zur Rechtslage unter dem früheren AuslG ergangen ist. Das OLG Celle hat seinerzeit verkannt, dass die vom deutschen Gesetzgeber vorgeschriebene Passpflicht nicht der Durchsetzung hoheitlicher Interessen fremder Staaten dient, sondern eigenen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Dass möglicherweise der türkische Staat auf diesem Wege auch seine Wehrpflicht gegenüber dem Kläger durchsetzen könnte, stellt einen reinen Rechtsreflex dar.

27

Der Kläger trägt vor, es sei ihm unzumutbar, sich wieder einbürgern zu lassen. Dies ist aber vom Kläger nicht näher begründet worden und überzeugt nicht. Es ist insbesondere zumutbar, dass sich der Kläger grundsätzlich zur Ableistung des Wehrdienstes bereit erklärt. Dies gehört zur staatsbürgerlichen Pflicht eines jeden männlichen Staatsangehörigen. Es ist daher sachgerecht, den Kläger auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Landes seiner Volkszugehörigkeit zu verweisen.

28

Die Zwangsgeldandrohung beruht auf den §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, 67 SOG.

29

Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.