Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 18.01.2010, Az.: 13 A 934/09
Drogenhandel; Ermessen; Funktionär; PKK; Rechtslage, Änderung der; Terrorismus; Türkei; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 18.01.2010
- Aktenzeichen
- 13 A 934/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41090
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:0118.13A934.09.0A
Rechtsgrundlagen
- 3 II AsylVfG
- 73 I AsylVfG
- 60 I AufenthG
- 51 I AuslG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG.
Er ist türkischer Staatsbürger, nach eigenen Angaben kurdischer Volkszugehörigkeit. Er verließ bereits 1985 sein Heimatland und hielt sich bis 1993 in den Niederlanden auf, wo er erfolglos zwei Asylverfahren betrieb. Zwar erhielt er dort gleichwohl eine "Vergunning tot Verblif"; die Aufenthaltsgenehmigung wurde jedoch 1994 zurückgenommen und der Kläger zum unerwünschten Ausländer erklärt, obwohl seine Ehefrau die niederländische Staatsbürgerschaft besitzt und sie und das gemeinsame Kind noch dort wohnten. Im Herbst 1993 wurde der Kläger dann in Dänemark wegen der Einfuhr von Heroin festgenommen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Auch in Dänemark betrieb der Kläger erfolglos ein Asylverfahren. Während seiner Haft in Dänemark gelang dem Kläger ein spektakulärer Ausbruch mit Hilfe Dritter. Ein Bulldozer riss die Gefängnismauer nieder. Die türkische Zeitung Hürriyet berichtete darüber und schrieb, bei dem Kläger solle es sich um den Schlüsselmann der PKK für den Drogenhandel handeln. Im Laufe des Jahres 1996 wurde er dann an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert, wo er ebenfalls zu einer Freiheitsstrafe wegen Drogenhandels verurteilt wurde. Aus dem Urteil des Landgerichts ergibt sich kein PKK-Bezug. Dänemark sprach ein Einreiseverbot für den Kläger aus und lehnte die Wiederaufnahme des Klägers nach Verbüßung seiner Haftstrafe in Deutschland ab.
Ende November 1997 beantragte der Kläger seine Anerkennung als Asylbewerber. Mit Bescheid vom 14.07.1999 des damaligen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte die Beklagte zwar die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte jedoch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei dem Kläger fest. Dem lagen die Angaben des Klägers zu Grunde, dass er 1985 und 1988 Mitglied in einem PKK-Ausschusses in Den Haag gewesen sei, in den Niederlanden, Belgien und Frankreich an Demonstrationen und Hungerstreiks teilgenommen und Geld gesammelt habe und dass er 1991 in Den Haag von einen MIT-Agenten angeschossen worden sei. Eine Klage des damaligen Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen diesen Bescheid wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 02.05.2000 - 11 A 3348/99 - abgewiesen.
Im Oktober 2008 leitete die Beklagte ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger dazu an. Der jetzige Prozessbevollmächtigte wies daraufhin, dass der Kläger immerhin als der 2. Mann der PKK im Zusammenhang mit Drogenhandel bezeichnet worden sei.
Mit Bescheid vom 14.01.2009 des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge widerrief die Beklagte die Feststellung, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und verneinte auch die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufEnthG. Die Verhältnisse in der Türkei hätten sich wesentlich verbessert. Der Kläger sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor Verfolgung sicher. Es sei der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden, weil der Kläger die Türkei unverfolgt verlassen habe, wie sich aus den erfolglosen Asylverfahren ergebe. Der Bescheid wurde am 15.01.2009 zur Post gegeben.
Der Kläger hat am 29.01.2009 Klage erhoben.
Er nimmt auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14.01.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie tritt der Klage entgegen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 18.01.2010 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG durch den Einzelrichter.
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Rechtsgrundlage des Widerrufs ist § 73 Abs. 1 AsylVfG ist. Die Voraussetzungen des früheren § 51 Abs. 1 AuslG liegen beim Kläger nicht mehr vor. Auch können die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufEnthG nicht festgestellt bzw. dem Kläger die Rechtsstellung eines Flüchtlings nach den Abkommen vom 28.07.1951 zuerkannt werden.
Der angefochtene Bescheid ist nicht schon wegen Ermessensausfall rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG liegen nicht vor. Mit der Einleitung des Verfahrens im Oktober 2008 hat erstmals eine Prüfung der Voraussetzungen für einen Widerruf stattgefunden, die mit dem Ergebnis endete, dass die Anerkennung zu widerrufen ist. Sinn der neu eingeführten Ermessensregelung ist es, dass, wenn eine Prüfung durchgeführt und gleichwohl kein Widerruf erfolgt ist, ein gewisser Vertrauenstatbestand entstanden ist. Die Beklagte soll, wenn sie trotz einem zunächst für den Ausländer positiven Ausgang der Prüfung später doch noch die Anerkennung widerrufen will, dann die Möglichkeit erhalten, im Rahmen der Ermessenserwägungen auch von einem an sich möglichen Widerruf abzusehen und für den Ausländer sprechende Umstände in ihre Entscheidung mit einbeziehen zu können. Hat jedoch gar keine Prüfung stattgefunden, wurde auch kein Vertrauenstatbestand geschaffen, dem im Rahmen einer Ermessensentscheidung ggf. Rechnung getragen werden müsste. Allein der Umstand, dass die Prüfung unterblieben ist, führt nicht dazu, dass die rechtliche Position des Klägers gestärkt bzw. verändert wird. Das Gericht ist mit dem OVG Münster (a.a.O., Rdnr 91 bei Juris der Auffassung, dass ein betroffener Ausländer sich nicht auf einen Verstoß gegen die seit jeher bestehende Überprüfungspflicht für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bzw. nunmehrige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechtes berufen kann.
Sollte es sich bei dem Kläger doch - wie seinerzeit in Zeitungen behauptet - um einen hochrangigen, für Drogengeschäfte zuständigen PKK-Funktionär handeln, dann scheitert daran die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufEntHG. Dem Kläger steht in diesem Fall kein Anspruch auf die Anerkennung als Flüchtling zu, weil der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erfüllt ist. Zwar könnte möglicherweise, wenn es sich bei dem Kläger tatsächlich um den "Escobar der PKK" (Hürriyet vom 29.08.1995) handeln sollte, der Kläger auch heute noch bei einer Rückkehr in die Türkei den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufEnthG trotz des eingetretenen langen Zeitablaufs ausgesetzt sein( § 3 Abs. 1 AsylVfG ). Der Kläger ist jedoch in diesem Fall gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach Abs. 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben ( § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ). § 3 Abs. 2 AsylVfG enthält die negativen Tatbestandsmerkmale der Flüchtlingseigenschaft, bei deren Vorliegen der betreffende Ausländer nicht Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention ist. Es handelt sich um Fälle der Asylunwürdigkeit (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 213 f.). Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die PKK sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gilt. Seit November 1993 unterliegt die PKK in Deutschland einem Betätigungsverbot. Durch die Beschlüsse des Rates der Europäischen Union vom 17.02.2004 (2002/460/EG), vom 02.04.2004 (2004/306/EG) und vom 06.06.2005 (2005/428/GASP) sind die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen in die Liste terroristischer Gruppen und Organisationen aufgenommen worden. Die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus stehen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen vgl. hierzu insbesondere die Resolutionen Nr. 1269 (1999) und Nr. 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in denen gefordert wird, Personen, die terroristische Handlungen planen, vorbereiten und unterstützen, nicht den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen. Danach steht auch die Durchsetzung möglicherweise billigenswerter politischer Ziele mit terroristischen Mitteln in deutlichem Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen und wird von der Staatengemeinschaft nachhaltig bekämpft. Die PKK hat ihre politischen Ziele zumindest in der Zeit, als der Kläger für sie vor tätig war, innerhalb und außerhalb der Türkei mit terroristischen Mitteln verfolgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.03.1999 - 9 C 23.98 -, BVerwGE 109, 12[BVerwG 30.03.1999 - 9 C 23.98] ).
Eine Zugehörigkeit des Klägers zur PKK und seiner Unterstützung der Guerilla-Kämpfer dieser Organisation ergibt hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG verwirklicht hat. Damit die betreffende Person den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat, ist ein konkreter, substantieller Beitrag zur Begehung der entsprechenden Straftaten oder Handlungen in dem Sinne erforderlich, dass der Beitrag die Begehung der Straftat oder Handlung erleichtert. Die freiwillige Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation begründet die Vermutung der individuellen Beteiligung, wenn die Begehung von Straftaten oder Handlungen i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 zu den Zielen der Organisationen gehört und die Mitglieder nach der Organisationsstruktur von derartigen Handlungen Kenntnis haben oder daran beteiligt sind vgl. Hailbronnner, Ausländerrecht Kommentar, Dezember 2007, § 3 AsylVfG, Rdnr. 30, 31). Einen derartigen, hinreichend substantiellen Tatbeitrag würde der Kläger erbracht haben, wenn er tatsächlich der 2. Mann im Drogengeschäft der PKK ist bzw. war. Er hat dann eine langjährige und willentliche Unterstützung der PKK-Kämpfer zugunsten terroristischer Aktivitäten geleistet. § 3 Abs 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG erfordert keine Wiederholungsgefahr. Auf eine von dem Kläger weiterhin ausgehende Bedrohung kommt es daher nicht an (s.a. VG des Saarlandes , Urteil vom 03.12.2008 - 6 K 1059/07, zit. n. juris).
Liegen nach alledem die Voraussetzungen für eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht mehr vor, so rechtfertigt dies ebenfalls den Widerruf der Feststellungen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Auch eine Änderung der Rechtslage (hier die Einführung von Ausschlussgründen durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz) rechtfertigt den Widerruf. Denn nunmehr liegen die Voraussetzungen für eine entsprechende Feststellung eben nicht mehr vor.
Sollte der Kläger indes nicht ein hochrangiger PKK-Funktionär, insbesondere nicht der zweite Mann der PKK im Drogengeschäft sein, sondern nur fälschlich von einer Zeitung seinerzeit so bezeichnet worden sein, wäre aber unter dieser Annahme der angefochtene Bescheid rechtmäßig. In diesem Fall wäre - da der Kläger sein Heimatland unverfolgt verlassen hat - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger zu rechnen. Die - in diesem Fall - bloße, aus der Luft gegriffene Behauptung einer Zeitung liegt fast 15 Jahre zurück. Andere exilpolitische Aktivitäten in den Benelux-Ländern liegen noch länger zurück. Nach so langer Zeit ist - wenn der Kläger kein hoher PKK-Funktionär ist - heute jedenfalls nicht mehr mit einem verstärkten Interesse des türkischen Staats an dem Kläger wegen dieser alten Geschehnisse zu rechnen.
Das Gericht folgt im Übrigen den Gründen des Bescheides des Beklagten vom 14.01.2009, auf den in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 2 AsylVfG verwiesen wird.
Die Frage von Abschiebungshindernissen nach § 60 abs. 2 AufEnthG, insbesondere nach Absatz 7 der Vorschrift, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und war nicht weiter zu prüfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.